Die Bauern und die Strom-Autobahnen

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Transkript:

Die Bauern und die Strom-Autobahnen Für die Energiewende soll das Stromnetz auf tausenden Kilometern ausgebaut werden: Auf die Landwirte kommen damit noch mehr Flächensperren, drohende Enteignungen und Bodenschäden zu bei viel zu geringen Entschädigungen. Was bevorsteht und was sich ändern muss. Die Botschaft tönt aus allen Ecken: Um die Energiewende zu schultern, brauchen wir mehr Stromleitungen, und das möglichst schnell. Doch die Dimensionen sind gigantisch, die Folgen für die Landwirtschaft noch längst nicht an der Basis angekommen. Anfang Juni haben die Netzbetreiber ihre konkreten Pläne offengelegt. Danach fehlen in Deutschland allein im Höchstspannungsbereich 3 800 km neue Leitungen. Oder anders ausgedrückt: 26 000 ha Flächen, die bei 70 m Trassenbreite mit Leitungen überspannt, als Schonstreifen genutzt oder mit Erdkabeln versehen werden. Tausende von zusätzlichen Masten und über 15 000 ha Ausgleichsfläche für den Naturschutz, wenn man von der bislang üblichen Faustzahl von rund 4 ha Ausgleichsfläche für jeden km Freileitung ausgeht. Übersicht 1: Netzentwicklungsplan bis 2022 Der Netzentwicklungsplan zeigt, wie die neuen Nord-Süd-Stromautobahnen in etwa verlaufen sollen. Genaue Trassenpläne gibt es aber erst ab 2013. Bestehende Leitungen, die Netzbetreiber aufrüsten wollen, sind in schwarz dargestellt. Köln Emden Bremen Kassel Kiel Hamburg Hannover Erfurt Rostock Berlin 50 Hertz Leipzig Dresden top agrar Amprion Saarbrücken Freiburg Frankfurt/M. Stuttgart Transnet BW München TenneT Netzausbau Netzverstärkung Neubau Wechselstrom Neubau Gleichstrom Passau Netzbetreiber TenneT SO Amprion TransnetBW 50Hertz Grafik: Driemer; Quelle: VDE/Übertragungsnetzbetreiber Foto: Höner Und das ist nur der Neubau: Dazu kommen die Auf- und Umrüstung von 4400 km bestehenden Leitungen, z.b. 380 kv statt 220 kv-leitung, und der Ausbau im Verteilungsnetz. Hauptgrund für den gewaltigen Ausbau-Bedarf ist die Energiewende: Bis 2022 soll der Ökostromanteil in Deutschland 35 % betragen, bis 2050 sogar 80 %. Den größten Anteil davon soll Windenergie liefern, überwiegend erzeugt im Norden und Osten der Republik. Die Erzeugung an sich ist zu schaffen, bloß: Der Strom muss zum Kunden. Schon jetzt reicht die Netzkapazität zu den großen Verbrauchern im Westen und Süden vorne und hinten nicht. So sind die Netze in Schleswig-Holstein bei Starkwind so überlastet, dass regelmäßig Windenergie- und Biogasanlagen abgeschaltet werden, während im Süden bereits der Strom fehlt. Die Gefahr von Netzzusammenbrüchen und Stromausfällen wächst. Allerdings gibt es das Netzproblem nicht erst seit der Energiewende. Seit Jahren versucht die Bundesregierung, beim Netzausbau per Gesetz aufs Tempo zu drücken mit höchst magerem Ergebnis: Von den im Jahr 2009 gesetzlich festgelegten gut 1800 km Höchstspannungstrassen sind z.b. bis heute nur gut 200 km gebaut. Für Eigentümer unerträglich: Aber das Problem spitzt sich zu, und eilig legte die Bundesregierung Mitte 2011 mit dem Netzausausbaubeschleunigungsge- 36 top agrar 7/2012 top agrar 7/2012 37

Schnell gelesen Landeigentümern und Bewirtschaftern steht der Neubau von 3800 km Höchstspannungsleitungen und die Aufrüstung von 4400 km bestehenden Leitungen bevor. Von der Entschädigung über den Flächenverbrauch geraten die Interessen der Landwirte zunehmend unter die Räder. Hier muss die Politik eingreifen. Neue Technik ist nicht immer nur positiv: Erdkabel sind zwar unsichtbar, aber teuer und ein massiver Eingriff in den Boden. Die meisten neuen Trassen werden als Freileitungen geplant. setz (Nabeg) nach. Von der Politik stolz vorgezeigt, drohen mit diesem Gesetz die Interessen der Landwirte und Flächeneigentümer endgültig unter die Räder zu kommen. Besonders heikel sind: Veränderungssperren: Schon 5 bis 10 Jahre bevor der genaue Trassenverlauf endgültig feststeht, können die Planer sich jetzt einen Trassenkorridor von 500 bis 1000 m freihalten und dort eine Veränderungssperre verhängen. Heißt je nach Lage des Betriebes im Klartext: Kein Stallbau, keine Biogasanlage, keine Ausweisung von Baugebieten, keine Umnutzung von Hofgebäuden in Ferienwohnungen usw., also eine Blockade der betrieblichen Entwicklungsmöglichkeiten auf Jahre. Dazu kommt: Steht ein Trassenkorridor einmal, ist es leichter, auch später dort weitere Leitungen zu verlegen. Beschleunigte Enteignungen: Schon während des Planfeststellungsverfahrens, und nicht wie bisher erst nach dessen Abschluss, kann die Enteignung eingeleitet werden. Zwar greift diese nur für den Fall, dass der Planfeststellungsbeschluss wie geplant kommt. Aber trotzdem: Bevor das Verfahren durch ist schon zu enteignen das lässt sich für mein Rechtsempfingen nicht mit den rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbaren, so Hubertus Schmitte, Justiziar des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes (WLV) in Münster. Ausgleichsflächen: Für Freileitungen und Erdkabel ist offenbar weiterhin ein naturschutzfachlicher Ausgleich vorgesehen. Bislang mussten häufig pro Kilometer Freileitung 4 ha Ausgleichsfläche eingeplant werden. Das darf nicht so weitergehen, so Steffen Pingen vom Deutschen Bauernverband (DBV), denn der Ausgleich geht hauptsächlich auf einen Eingriff der Freileitung in das Landschaftsbild zurück, der aber gar nicht ausgeglichen werden kann. Prämien für Kommunen: Pro Kilometer Höchstspannungsleitung auf ihrem Gebiet erhält die Kommune 40 000, auch wenn nicht ein Quadratzentimeter Gemeindeland bebaut wird. Bei den Landwirten bleibt es dagegen bei den bewährten Mini-Entschädigungen. Naturschutz-Vorrang: Die Umwelt- Auswirkungen der neuen Leitung sind bereits beim Festlegen der Trassenkorridore detailliert darzustellen und zu beachten. Was der Leitungsbau für die Land- und Forstwirtschaft bedeutet, wird nicht annähernd gleichrangig betrachtet. Bis 10. Juli einmischen! Um schneller Höchstspannungsleitungen planen zu können, schränkt das Beschleunigungsgesetz aber nicht nur die Eigentumsrechte ein. Planung und Genehmigung werden zentralisiert bei der Bundesnetzagentur (BNetzA), womit die Planungszeit pro Trasse von 10 auf 4 Jahre sinken soll. Weniger zeitraubende Gegenwehr der Bürger erhofft man sich zudem durch eine neue Art der Bürgerbeteiligung: Während der sogenannten Konsultation kann jede Privatperson oder Institution Einwände einsenden per Brief, E-Mail oder Internet. Auf ihrer Internetseite versprechen die Netzbetreiber, sich jeder einzelnen dieser Stellungnahmen anzunehmen. Direkt vor Ort gibt es zur Information dann zusätzlich öffentliche Antragskonferenzen. Derzeit wird gerade konkret festgelegt, wo im nächsten Jahr Leitungen geplant werden: Ende Mai haben die Netzbetreiber ihren Netzentwicklungsplan (Übersicht 1) Umbeseilung von Stromleitungen: Rund 4 400 km bestehende Trassen sollen aufgerüstet werden. Foto: Amprion GmbH 38 top agrar 7/2012

veröffentlicht. Die konkreten Verläufe der Neubautrassen stehen damit zwar noch längst nicht fest. Landwirte, die jetzt schon Einwände haben, können diese aber bis zum 10. Juli 2012 einreichen z.b. per E-Mail an die Adresse konsultation@netzentwicklungsplan.de Als Ergebnis aller Prüfungen wird der Bundesbedarfsplan vermutlich Ende 2012 zum Gesetz. Übrigens: Dieses Gesetz wäre die Gelegenheit, eine verbesserte Entschädigung der Grundeigentümer festzuschreiben. Dann folgt der Vorschlag der Netzbetreiber für die 500 bis 1000 m breiten Trassenkorridore für den ungefähren Verlauf der Leitung. Weiter geht es mit öffentlichen Antragskonferenzen und der Prüfung der Stellungnahmen. Abschließend legt die BNetzA den endgültigen Trassenkorridor fest. Letzter Schritt ist die Planfeststellung: Der Netzbetreiber beantragt die konkrete Trasse im Trassenkorridor mit genauen Maststandorten, Kabelverläufen usw. Landwirte, die ihre Flächen nicht freiwillig zur Verfügung stellen wollen, können dann schon enteignet werden. Wichtig für die Landeigentümer: Bringen Sie spätestens bei der dann folgenden öffentlichen Antragskonferenz im Planfeststellungsverfahren ihre Einwände vor. Nur auf diese Gründe können Sie sich in eventuell folgenden Gerichtsverfahren beziehen. Garantierendite für Betreiber... Aber die Netzagentur genehmigt nicht nur, sie kontrolliert auch die Kosten für den Netzausbau. Diese bezahlt per Umlage der Verbraucher, derzeit sind es bereits rund 20 % des Strompreises. Bei Entschädigungsverhandlungen führen Netzbetreiber dies gerne an, nach dem Motto: Wir dürfen nicht mehr zahlen, sonst gibt es Ärger mit der Netzagentur. Doch misst die Behörde hier offensichtlich mit zweierlei Maß: Während die Bauern wegen der Strompreise mit Mini- Entschädigungen zufrieden sein sollen, sagt die Agentur den Netzbetreibern eine festgelegte Rendite für ihre Netzinvestitionen zu derzeit satte 9,05 %. Begründung: Nur mit einem solchen Anreiz könne man die Netzbetreiber dazu bewegen, überhaupt zu investieren. Auch gegenüber den Kommunen spielt das Strompreisargument scheinbar eine untergeordnete Rolle: Mit dem neuen Beschleunigungsgesetz erhalten sie pro km Höchstspannungsleitung auf ihrem Gebiet nur für die Zustimmung 40 000 Akzeptanzgeld, auch wenn nicht ein Quadratzentimeter Gemeindeland bebaut wird. Kommentar dazu im Gesetzentwurf: Die Auswirkungen Foto: BMELV INTERVIEW Wir stehen zum Schutz der Eigentumsrechte Peter Bleser, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeslandwirtschaftsministerium top agrar: Herr Bleser, 40 000 pro km Stromleitung erhält eine Kommune allein für das Durchwinken des Trassenverlaufs. Die Entschädigung für Landwirte ist eher ein Taschengeld. Finden Sie das gerecht? Bleser: Die Grundeigentümer werden durch den Leitungsbau in ihren Nutzungsmöglichkeiten eingeschränkt. Das ist Fakt. Derzeit werden zwischen den Stromversorgern und den Grundeigentümern Gestattungsverträge mit Entschädigungen in sehr unterschiedlicher Höhe verhandelt. Für mich steht ganz klar fest: Land- und forstwirtschaftliche Grundeigentümer dürfen nicht schlechter gestellt werden als Kommunen, deren Eigentumsrechte zum Teil gar nicht tangiert werden. top agrar: Schnellere Enteignung, bis zu 10-jährige Veränderungssperren im Vorfeld der Trassenplanung warum lässt eine konservativ-liberale Regierung die Grundeigentümerrechte derart unter die Räder kommen? Bleser: Die Energiewende ist für die gesamte Gesellschaft die Herausforderung der kommenden Jahrzehnte. Dass der Netzausbau hierzu beschleunigt werden muss, ist unstrittig. Wir brauchen wirkungsvolle Instrumente, um die bislang oft langwierigen Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Neben dem Gemeinwohl müssen wir auch die betroffenen Grundeigentümer im Blick haben und faire Bedingungen schaffen. Wir stehen zum Schutz der Eigentumsrechte. top agrar: Die Bundesregierung will sich für die Reduzierung des Flächenverbrauchs einsetzen. Für die neuen Stromleitungen werden aber tausende von Hektar Ausgleichsflächen gebraucht. Alles nur Lippenbekenntnisse? Bleser: Keineswegs! Es werden keine tausende von Hektar sein, erst recht nicht für die Kompensationsmaßnahmen. Wir rechnen für den Netzausbau an sich mit deutlich weniger. Wir werden bei der Kompensation alle verfügbaren Instrumente nutzen, um die Flächeninanspruchnahme auch bei der Energiewende auf das absolute Minimum zu beschränken. Ich denke da z. B. an intelligente produktionsintegrierte Kompensation, Ökokonten, Flächenpools und auch Ersatzgeld zur Unterstützung bestehender Naturschutzvorhaben. Wir können nicht zulassen, dass Landwirte durch den Eingriff an sich und eine Kompensationsmaßnahme Flächen verlieren. Die erfolgreiche Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes mit einer klaren Stärkung der agrarstrukturellen Belange und Vorgaben zur Schonung besonders geeigneter Böden im Rahmen der Eingriffsregelung zeigen, wie ernst wir das Thema nehmen. Dies ist ein erster Schritt weitere sind in Vorbereitung, etwa Änderungen im Baugesetzbuch oder die Erarbeitung einer bundesweiten Kompensationsverordnung. top agrar: Wie könnte Landwirten zu einer angemessenen Entschädigung verholfen werden? Bleser: Das Bundeslandwirtschaftsministerium setzt sich innerhalb der Bundesregierung für eine grundsätzliche Aktualisierung der Entschädigungspraxis ein. Eigentümer der betroffenen Flächen müssen von den Netzbetreibern in angemessenem Umfang entschädigt werden. top agrar: Ist die Umsetzung realistisch? Bleser: Im Bereich des Telekommunikationsgesetzes hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass sich eine jährlich zu erfolgende Entschädigungszahlung an den üblichen Marktpreisen der jeweiligen Rechtseinräumung orientieren soll. Ich kann nicht erkennen, warum dies nicht auch auf den Ausbau der Energienetze übertragen werden könnte. top agrar 7/2012 39

auf den Strompreis seien für Haushalte und Industrie sehr gering. Dabei sind die Gemeinden ohnehin schon beteiligt: Für jede durchgeleitete kwh erhalten sie seit Jahrzehnten die Konzessionsabgabe. Rund 1,30 bis zu 2,30 Ct. pro kwh zahlen die Verbraucher als Entschädigung für die Nutzung öffentlicher Wege....Taschengeld für die Bauern. Während Netzbetreiber und Kommunen also versorgt sind, bleibt es für die Bauern für die Duldung der Leitungen auf ihren Flächen bei den seit Jahren kritisierten Mini-Entschädigungen. Diese dümpeln um die 0,45 /m 2 bis 0,90 /m 2. Für die Netzbetreiber herrscht kein Änderungsbedarf, weil die Flächen enteignungsfähig sind und die Verhandlungsposition der Landwirte entsprechend schwach. Die Enteignung ist mit dem Grundgesetz vereinbar, weil Energieversorgung als öffentliche Aufgabe gilt. Doch mittlerweile passt die bisherige Entschädigungspraxis längst nicht mehr zu den grundlegend veränderten Rahmenbedingungen: Netzbetreiber sind knallhart gewinnorientierte Konzerne, die mit dem internationalen Stromtransport riesige Umsätze machen. Die Gerichtsurteile, auf die sich die Netzbetreiber beziehen, sind über 30 Die Entschädigungssätze für neue Leitungen sind längst nicht mehr sachgerecht. Jahre alt. Seit damals liegt die Entschädigung bei 15 bis 20 % des Verkehrswertes der Fläche (s. top agrar 3/2012, S. 34), was heute viel zu gering ist: Wird frei über privat verlegte Stromleitungen für Windparks usw. verhandelt, liegen die Preise oftmals mehr als 10 mal so hoch (Übersicht 2) ganz zu schweigen von der jährlichen Windpacht im Vergleich zu Strommasten auf dem Acker. Die Leitungen verbauen den Landwirten auch Chancen: Die künftige Nutzung als Bauland, für Betriebserweiterung, Wind- oder Biogasanlagen entfällt. Erneuerbare Energien werden zu Recht gefördert, das müsste aber auch für entsprechende Netze gelten. Dass sich bei den Entschädigungssät- Foto: Amprion GmbH Bauern fordern jährliche Entschädigung Der Frust bei den Landeigentümern über zu geringe Entschädigungen und die Einschnitte in ihre Eigentumsrechte war einfach zu groß: Anfang Juni beschloß der Deutsche Bauernverband (DBV), mit den Netzbetreibern keine Rahmenvereinbarungen zu Entschädigung mehr auszuhandeln (siehe auch Seite 3). Der Ausstieg ist ein herber Schlag für die Netzbetreiber. Seit Jahrzehnten sorgen Rahmenvereinbarungen für mehr Akzeptanz des Leitungsbaus vor Ort und beschleunigen die Abwicklung. Nun müssen die Netzbetreiber mit jedem Landwirt einzeln verhandeln, und nicht nur das: Wir wollen Landwirte in Musterverfahren möglichst bis zum Bundesverfassungsgericht unterstützen, erklärt Rechtsanwalt Jens Haarstrich vom Landvolk Niedersachsen. Ansatzpunkte seien handwerkliche Fehler im Beschleunigungsgesetz. So sei z.b. fraglich, ob man derart weitgehende Planungskompetenzen überhaupt auf Bundesebene bündeln dürfe. Oder wie es weitergeht, wenn eine Leitung in fortgeschrittenem Planungsstadium gekippt wird. Widerstand vorprogrammiert: Nicht ausgeschlossen, dass sich in einigen Regionen flächendeckender Widerstand gegen die neuen Stromautobahnen formiert. Vielleicht reift dann auch in der Bundesregierung die Erkenntnis, dass die Interessen der Landwirtschaft stärker berücksichtigt werden müssen. Denn weitere Zeitverzögerungen würden allen Seiten richtig weh tun: Den Netzbetreibern, wenn die Bagger am Feldrand warten müssen, und auch den Politikern, die die Energiewende schaffen wollen. Was die Entschädigung angeht, drängt der DBV auf einen Systemwechsel. Die Bauern fordern: Zusätzlich zu bislang einmaligen auch jährliche Entschädigungen. Vorstellbar wäre die Verzinsung des Grundstückswertes. Die Zinshöhe könnte sich an der garantierten Eigenkapitalrendite für die Netzbetreiber orientieren derzeit 9,05 %. Der Naturschutzausgleich für den Netzausbau darf keine weiteren landwirtschaftlichen Flächen beanspruchen. Die Kompetenzbündelung bei der Bundesnetzagentur senkt die Akzeptanz. Die Behörden vor Ort müssen beteiligt bleiben. Begleitung aller Bauvorhaben durch erfahrene Gutachter: Anders als jetzt muss ein Bodensachverständiger die Arbeiten stoppen können, sobald z.b. bei Nässe bleibende Bodenschäden entstehen. Neben Umweltverträglichkeitsprüfungen muss es auch Landwirtschaftsverträglichkeitsprüfungen geben. Die 5- bis 10-jährige Veränderungssperre im Trassenkorridor ist abzulehnen. 40 top agrar 7/2012

zen dringend etwas tun muss, fordern nicht nur die Landwirte juristische Gutachten geben ihnen Rückendeckung, und auch immer mehr Politiker weisen auf die Missstände hin. Schäden oft unterschätzt: Allerdings ist die Entschädigung für die Duldung der Leitungen mit der Eintragung entsprechender Grunddienstbarkeiten nur das eine Problem: Das zweite sind die Flurschäden in der Bauphase. Die Landwirte werden derzeit 20 bis 100 % zu niedrig entschädigt, so der erfahrene Sachverständige Dr. Volker Wolfram aus Guxhagen (Hessen). Denn: Die Folgen der Bodenstrukturveränderung sind teilweise erst lange nach der Planung erkennbar und für den Eigentümer schwer zu beweisen. Ursachen sind z.b. das Bauen unter Zeitdruck bei zu nassem Boden, Vermischung von Unterund Oberboden, Bodenverdichtungen oder ein erhöhter Steinanteil. Die Feststellung von Langzeitschäden unterbleibt oft, auch weil Landwirte sie nicht einfordern. Der Sachverständige Dr. Volker Wolfram dazu: Noch zehn Jahre nach den Bauarbeiten gibt es oft Sobald das Land enteignet werden kann, sind Landwirte den Netzbetreibern quasi ausgeliefert. Übersicht 2: Enteignungsfähig = billig Leitungsart Strom Gas Telekommunikation Ertragsdepressionen. Mit bloßen Auge sind die am Ertrag fehlenden 5 bis 10 % aber nicht festzustellen. Landwirte erhalten für die Zeit, die sie für Büroarbeiten, Behördengänge usw. im Zusammenhang mit den Trassen aufwenden, zu wenig Geld. Teilweise sind Schäden noch gar nicht Leitungen sind enteignungsfähig 0,40 0,90 pro m 2 Schutzstreifen 1) 0,80 2,00 pro m 2 Schutzstreifen 1) Leitungen sind nicht enteignungsfähig 5,00 15,00 pro m 2 Schutzstreifen (EEG-Leitungen) 3,00 35,00 pro m2 Schutzstreifen tw. längen- und leistungsabhängig 1,53 pro lfm 5,00 16,00 pro lfm 1) Diese Werte beinhalten bereits vereinbarte Beschleunigungszuschläge von bis zu 0,50 pro m 2 Quelle: DBV Mehr Infos zum Ausbau der Stromnetze im Leserservice unter www.topagrar.com abzusehen, wie z.b. beim Bau von Höchstspannungs-Erdkabeln. Verstärkt in die Diskussion einbringen würde Dr. Wolfram gern das Bodenschutzgesetz: Es verbietet jedem Bodenschadverdichtungen und verpflichtet zur Sicherung der Bodenfunktionen, der Abwehr schädlicher Bodenveränderungen und zur Vorsorge gegen nachteilige Einwirkungen auf den Boden, erklärt er, aber manchmal habe ich den Eindruck, das gilt nur für die Landwirtschaft. top agrar 7/2012 41

Erdkabel: Betonbett im Boden Aus den Augen, aus dem Sinn? Schön wär s. Erdkabel bringen neue Risiken für die Landwirtschaft. Die ersten Bauabschnitte sind schon für nächstes Jahr geplant. Der Zeitdruck der Energiewende machts möglich: Mit Erdkabeln und Gleichstromtrassen kommen jetzt gleich zwei neue Höchstspannungs- Übertragungstechniken zum Einsatz, mit denen es in Deutschland kaum Erfahrungen gibt. Was bedeutet das für die Landwirte? 70 Grad warm: Erdkabel statt Freileitung mit Masten das hört sich zunächst gut an, auch für viele Landwirte. Wer aber erfährt, dass es sich dabei um 12 armdicke Kabel handelt, nebeneinander auf 12 m in Magerbetontrassen verlegt, dürfte schnell sehr nachdenklich werden. Doch die Kabel sind im Kommen Bürgerinitiativen fordern sie, deutschlandweit sind bereits 4 Trassen abschnittsweise für Erdkabel freigegeben. Unbestreitbar schonen Erdkabel das Landschaftsbild, sind hinsichtlich der elektromagnetischen Strahlung verträglicher als die Freileitung. Diese Vorteile sind allerdings teuer erkauft: Denn Erdkabel kosten die Stromverbraucher 3- bis 10-mal mehr als eine Freileitung. Dazu kommt der schwere Eingriff in das Bodengefüge. Das übertrifft alles bisher dagewesene, so die Einschätzung des erfahrenen Sachverständigen Dr. Wolfram. Obwohl es kaum Praxiserfahrungen mit der neuen Technik gibt, sollen die Bauarbeiten 2013 beginnen. Als erste mit 3,4 km betroffen sind voraussichtlich Landwirte im Kreis Borken, Nordrhein- Westfalen. Aber auch in Niedersachsen sind größere Abschnitte geplant. Dort treiben die Erdkabel den Landwirten die Sorgenfalten auf die Stirn: Auf 30 bis 40 m breiten Trassen wird der Boden abgeschoben. Für 380 kv sind zwölf armdicke Kabel nötig, die 1,50 m tief in zwei 5 bis 6 Meter breiten Magerbetonbetten o.ä. nebeneinander verlegt werden. Die Leitungen sind außen ganzjährig bis zu 70 Grad heiß. Alle 600 bis 700 m entsteht ein unterirdisches Muffenbauwerk zur Verbindung der Kabel. Hier sind spätere Reparaturen am wahrscheinlichsten. Geht das Erdkabel wieder auf die Masten, wird eine Kabelübergangstation benötigt, die viermal so groß wie eine Reithalle ist. Bei so eklatanten Eingriffen befürchten die Landwirte noch gravierendere Folgen als bei einer Gasleitung. Dr. Volker Wolfram bringt es drastisch auf den Punkt: Im Ackerstreifen über dem 5 bis 6 m breiten Betonsarg sind deutliche Ertragseinbrüche zu erwarten. Einerseits durch die unterbrochene kapillare Wassernachlieferung, aber auch die durch die Erwärmung der Ackerkrume. Einem Freiburger Gutachten über die Auswirkungen der heißen Kabel im Boden, das Netzbetreiber gern zitieren, traut der Experte nicht so richtig: Die Auswirkungen auf die Pflanzen waren hier nicht das Thema, genaue wissenschaftliche Aussagen fehlen nach wie vor. Unterirdisch verlaufen sollen künftig auch 110 kv-leitungen. Hier ist die Technik aber ausgereifter, in der Regel wird nur ein Kabel verlegt. Gleichstrom-Leitungen: Ebenfalls erstmals zum Einsatz kommen Höchstspannungs-Gleichstromübertragungsleitungen (HGÜ) für die Übertragung des Windstroms in den Süden, und zwar auf den vier Nord- Südtrassen auf einer Länge von 2 100 km. Eine HGÜ-Leitung sieht aus wie eine normale Wechselstromleitung, teilweise sollen Gleichstromkabel auf bereits bestehende Wechselstrommasten gehängt werden. Vorteilhaft bei Gleichstrom sind die niedrige elektromagnetische Strahlung und die geringeren Stromverluste. Problematisch ist dagegen die Einleitung des Gleichstroms ins normale Wechselstromnetz. Wegen der sehr teuren Wechselstrom-Konverter lohnt sich die HGÜ deshalb überhaupt erst ab 400 km Länge. Die Erdverlegung wird auch hier aus Kostengründen nur auf Teilstrecken möglich sein. Gesa Harms Übersicht 3: Statt einer Freileitung zwei Erdkabel-Trassen in Beton Aushub Rückfüllung Mutterboden 1,75 m Stromkreis 1 5 m Kabel Magerbeton o. ä. ca. 22 m Kabelschutzstreifen Stromkreis 2 Viele Bürgerinitiativen fordern Erdkabel. Aber: Die neue Technik ist mit bis zu 10 Mio pro Kilometer deutlich teurer als eine entsprechende Freileitung und bedeutet umfangreiche Bodenarbeiten auf 30 bis 40 m Trassenbeite. Quelle: Amprion GmbH 42 top agrar 7/2012