InFoNeurologie&Psychiatrie Wirkungsfluktuationen bei Morbus Parkinson Wie Sie die kontinuierliche Stimulation der Dopaminrezeptoren erreichen CARSTEN BUHMANN, HAMBURG PD Dr. Carsten Buhmann Ambulanzzentrum UKE, Leitung Neurologie, Universitätsklinikum Eppendorf mod. n. Stocchi, WCPD 2007 Intestinum L-DOPA + Carbidopa/ Benserazid Darmwand Vaskuläres System DOPAMIN L-DOPA T 1/2 : 1,5 2 Std. 3-OMD Einleitung Wirkungsfluktuationen treten häufig im Verlauf des Morbus Parkinson auf und sind oft therapeutisch problematisch. Motorische Wirkungsfluktuationen beinhalten das Nachlassen der Wirkung nach Medikamenteneinnahme ( end-of-dose oder wearing-off ), das abrupt wechselnde Ansprechen auf die Medikation ( on/ off -Phänomene), das Festkleben am Boden (freezing), die überschießenden Bewegungen bei Anfluten der Medikamente im Gehirn oder Über- bzw. Unterschreiten einer ndosis ( peak-dose bzw. biphasische Dyskinesien) oder die verzögerte Wirkung bzw. das komplette Wirkversagen der Medikation ( delayed-on bzw. no-on ). Gezielt gefragt werden sollte immer auch nach nicht motorischen Wirkungsfluktuationen. Diese treten ebenfalls in der Regel mit zeitlichem Bezug zur Medikamenteneinahme auf. Nicht motorische Fluktuationen sind häufig. Sie beinhalten verlangsamtes Denken, Angst, Müdigkeit [1], depressive Stimmungsschwankungen, Antriebsminderung oder Schmerz und behindern oft mehr als die motorischen Symptome [2]. Ursachen Als ursächlich für diese Fluktuationen werden mehrere Faktoren angenommen [3]. Während bei Gesunden die dopaminergen Rezeptoren im Striatum im Wesentlichen Blut-Hirn- Schranke Gehirn (Striatum) Gilazelle MAO-B COMT Abb. 1 Peripherer und zentraler L-Dopa-Metabolismus. L-DOPA DOPAMIN Dopamin- Transporter konstant, das heißt tonisch stimuliert werden, kommt es bei Parkinsonpatienten im Krankheitsverlauf zunehmend zu einer pulsatilen Stimulation. Krankheitsbedingt sinkt die Zahl der dopaminergen nigrostriatalen Synapsen. Um eine kontinuierliche Stimulation aufrechtzuerhalten, erhöht sich zunächst die neuronale Feuerrate. Reicht diese Kompensation nicht mehr aus, ist die medikamentöse dopaminerge Ersatztherapie notwendig. Hierbei wird beispielsweise orales L-Dopa in den nigrostriatalen Neuronen präsynaptisch durch die Decarboxylase in Dopamin umgewandelt, welches dann postsynaptisch am Rezeptor im Striatum wirken kann (Abb. 1). Die pulsatile Rezeptorstimulation wird nun wiederum durch verschiedene Faktoren gefördert: Zum einen unterliegt die Decarboxylase nicht nur dem motorischen Regelkreis, was zur erhöhten extrazellulären Schwankungen im Dopaminspiegel führt. Zum anderen ist die regulative präsynaptische Wiederaufnahme von Dopamin aus dem synaptischen Spalt im Krankheitsverlauf gestört. Im Plasma schwanken die L-Dopa- Spiegel aufgrund der geringen Halbwertzeit von etwa 1,5 Stunden erheblich. Mit abnehmender Anzahl dopaminerger Neurone können dann die resultierenden dopaminergen Schwankungen zentral nicht mehr kompensiert werden (Abb. 2). Außerdem ist eine Toleranzentwicklung für L-Dopa im Verlauf anzunehmen. Postsynaptisch kommt es darüber hinaus zu einer Sensitivierung der Dopaminrezeptoren und damit zu einer erhöhten Empfindlichkeit gegenüber Dyskinesien. Zusätzlich wird das L-Dopa im Dünndarm nicht gleichmäßig resorbiert, zum einen durch die diskontinuierliche Magenentleerung, zum anderen durch die im Krankheitsverlauf zunehmend gestörte Magen-Darm-Peristaltik. Therapiestrategien Medikamentös steht die Glättung der dopaminergen Plasmaspiegel und somit die kontinuierlichere striatale Rezeptorstimulation im Vordergrund. Diese Strategie ist sowohl protektiv hinsichtlich der Entwicklung von Fluktuationen als auch therapeutisch zur Reduktion bereits vorhandener Wirkschwankungen wirksam. Abgesehen von diesem auf die Wirkungsfluktuationen ausgerichtetem Konzept ist eine kontinuierliche dopaminerge Behandlung zur Aufrechterhaltung eines gleichmäßigen symptomatischen Effektes anzustreben. 28 IN FO Neurologie & Psychiatrie 2011; Vol. 13, Nr. 6
Fortbildung Protektiver Ansatz in der Frühtherapie Vermeidung von Wirkungsfluktuationen Doppelblinde kontrollierte Studien haben gezeigt, dass die Monotherapie mit einem Dopaminagonisten im Vergleich zu L-Dopa in den ersten vier bis fünf Behandlungsjahren mit einem deutlich geringeren Risiko für motorische Wirkungsfluktuationen einschließlich Dyskinesien verbunden ist [4]. Auch im Langzeitverlauf weisen diejenigen Patienten, die initial mit einem Dopaminagonisten statt mit L-Dopa behandelt wurden, weniger Wirkungsfluktuationen auf, auch wenn L-Dopa später in die Medikation mit aufgenommen werden musste. Dies legen offene Nachbeobachtungen nach sechs Jahren für Pramipexol [5] und nach zehn Jahren für Ropinirol [6] nahe. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass bei nicht fluktuierenden Patienten mit L-Dopa-Monotherapie bei suboptimaler Symptomkontrolle eine Zusatztherapie mit Dopaminagonisten im Gegensatz zu einer L-Dopa Dosissteigerung geeignet ist, das Auftreten von Dyskinesien zur verzögern. Dies wurde kürzlich für die retardierte Form des Ropinirol bei gleicher Effektivität und Verträglichkeit demonstriert [7]. Krankheitsbeginn Gezeigt wurde ferner, dass die initiale L-Dopa-Therapie bei Patienten mit frühem Krankheitsbeginn (< 40 Jahre) nach drei bis fünf Jahren Behandlungsdauer signifikant häufiger zu Wirkungsfluktuationen einschließlich Dyskinesien geführt hat als bei älteren Patienten (> 40 Jahre [8]). Retrospektiv waren Patienten mit ausgeprägten Wirkungsfluktuationen im Mittel deutlich früher und im Verlauf länger an Parkinson erkrankt als Patienten ohne Wirkungsfluktuationen [9]. Dopaminagonisten Die kontinuierlichere und direkte postsynaptische striatale Rezeptorstimulation der Dopaminagonisten wird als Grund für die geringere Induktion von Wirkungsfluktuationen im Vergleich zu L-Dopa angesehen. Dopaminagonisten weisen eine deutlich längere Halbwertzeit als L-Dopa auf und sind nicht dem Dopamin- turnover an der Synapse unterzogen. Die Wirkung ist somit unabhängig von einer gestörten präsynaptischen Dopaminwiederaufnahme im fortgeschrittenen Parkinsonstadium. Es gibt keine Daten, welche die theoretische Annahme belegen, dass die neuen Dopaminagonisten mit retardierter Freisetzung oder die kontinuierliche transdermale Anwendung weniger Wirkungsfluktuationen induzieren als die herkömmlichen Dopaminagonisten. Vergleichstudien hinsichtlich der besseren Protektion vor Wirkungsfluktuationen zwischen einem Dopaminagonisten und einem MAO-B-Hemmer existieren nicht. Initiale Therapie mit Dopaminagonisten Die auch in den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie fixierten Empfehlungen schlagen bislang bei Patienten, die biologisch jünger sind als 70 Jahre, den Beginn der Therapie mit einem Dopaminagonisten (oder MAO-B-Hemmer bei geringer Symptomatik) vor. Die vorgeschlagene Altersgrenze von 70 Jahren orientiert sich an dem Einschlussalter der Patienten in den kontrollierten Vergleich- Tabelle 1 Therapieschema Junge Patienten* End-of-dose oder Wearing-off am Tag Nächtliche Early-morning- ON (Peak-dose-) Dyskinesien und Dystonien OFF -Dyskinesien und Dystonien OFF-Freezing Biphasische Dyskinesien ON -Freezing Paroxysmales On/Off ( no-on oder delayed-on ) 1. Dopaminerge Dosiserhöhung, bevorzugt Dopaminagonisten mit kontinuierlicher Wirkung (Retardfom oder transdermal) 2. MAO-B-Hemmer 3. Wechsel des Dopaminagonisten oder doppelte Dopaminagonistentherapie im Einzelfall 4. L-Dopa mit COMT-Hemmung 5. Reduktion der L-Dopa Einzeldosis bei Erhöhung der Einnahme Frequenz 6. Apomorphinpumpe oder tiefe Hirnstimulation 7. Duodopapumpe 1. Gabe einer abendlichen Dopaminagonisten Dosis, bevorzugt in retardierter Form oder transdermal 2. Gabe von L-Dopa retard zur Nacht 3. Kombination von L-Dopa mit COMT-Hemmung zur Nacht 4. Einzeldosis L-Dopa nachts beim Toilettengang 1. Gabe einer abendlichen Dopaminagonisten Dosis, bevorzugt in retardierter Form oder transdermal 2. Einzeldosis L-Dopa in Wasser löslicher Form 20-30 min vor dem Aufstehen 1. Reduktion der L-Dopa-Einzeldosis bei Erhöhung der Einnahmefrequenz 2. Amantadin 3. Reduktion der Dopaminagonisten Dosis, ggf. Wechsel auf retardierten Dopaminagonisten 4. COMT-Hemmer 5. Botulinumtoxin A (Fußdystonie) 6. Tiefe Hirnstimulation 1. Erhöhung der Einzeldosis der dopaminergen Therapie, bevorzugt Dopaminagonisten 2. Lösliches L-Dopa 3. Apomorphin s. c. Bolus (PEN) 4. Botulinumtoxin A (Fußdystonie) 1. Erhöhung der Einzeldosis der dopaminergen Therapie, bevorzugt Dopaminagonisten 2. Amantadin 3. COMT-Hemmer 4. Lösliches L-Dopa oder Apomorphin 1. Externe Trigger (taktil, auditiv, visuell), Medikation nicht hilfreich 1. Domperidon (Gastrokinetikum) zur Verbesserung der L-Dopa-Resorption 2. Vergrößerung des Abstandes von L-Dopa zur Nahrungsaufnahme (> 30 min vor und > 90 min nach dem Essen), kleinere und häufigere, weniger Eiweißhaltige Speisen 3. Lösliches L-Dopa 4. Apomorphin s. c. Bolus (PEN) 5. Tiefe Hirnstimulation *biologisch jünger als 70 Jahre, keine Begleiterkrankungen, kognitiv unauffällig IN FO Neurologie & Psychiatrie 2011; Vol. 13, Nr. 6 29
Die Langzeitprognose ist unabhängig davon, ob die initiale Therapie mit L-Dopa oder mit Dopaminagonisten erfolgt. studien der verschiedenen Dopaminagonisten gegen L-Dopa und berücksichtigt die geringere Induktion von Wirkungsfluktuationen durch Dopaminagonisten. Langzeitprognose Es gibt bisher keine Belege, dass die Langzeitprognose davon abhängt, ob initial mit einem Dopaminagonisten oder L-Dopa begonnen wurde. Nach vier bis sechs [5, 10] bzw. zehn Behandlungsjahren [6] konnte weder für Pramipexol noch für Ropinirol eine Überlegenheit hinsichtlich Behinderungsgrad oder Lebensqualität im Vergleich zu initial mit L-Dopa behandelten Patienten gezeigt werden. Die längsten Nachbeobachtungen von Patienten, die initial mit einem Dopaminagonisten oder mit L-Dopa behandelt wurden, liegen für Bromocriptin vor (14, 15, 20 Jahre [11 13]). Insgesamt ist nach diesen Studien die Langzeitprognose unabhängig davon, ob initial eine Therapie mit Bromocriptin oder L-Dopa gewählt wurde. Nicht dopaminerge Symptome wie Stürze und Demenz bestimmten das insgesamt eher schlechte langfristige Outcome. Initiale L-Dopa-Therapie Patienten, die biologisch älter als 70 Jahre oder multimorbide sind sollten initial mit L-Dopa behandelt werden. Bei ihnen sind Wirkungsfluktuationen im Vergleich zu Jüngeren seltener [8]. Entscheidend für diese Empfehlung ist neben dem akut besseren Effekt auf die Motorik besonders die bessere akute Verträglichkeit von L-Dopa im Vergleich zu den Dopaminagonisten. Dies gilt nachweislich bereits für die jüngeren, nicht komorbiden Patienten, die in den Zulassungsstudien für die Dopaminagonisten untersucht wurden. Dies gilt der Erfahrung nach im verstärkten Maß für ältere oder multimorbide Patienten. Kontrollierte Studien zur Verträglichkeit von Dopaminagonisten bei diesen Patienten fehlen. Fortgeschrittenes Stadium Behandlung von Wirkungsfluktuationen Die Mehrzahl der Patienten benötigt zur ausreichenden Symptomkontrolle bereits nach wenigen Jahren L-Dopa. So erhielten nach zwei Jahren bereits 53% der initial allein mit Pramipexol Behandelten L-Dopa, nach vier Jahren 72% [10, 14]. Nach fünf Jahren Therapie benötigten 66% der initial allein mit Ropinirol Behandelten eine Zusatztherapie mit L-Dopa [15]. Das Risiko für Wirkungsfluktuationen korreliert mit der L-Dopa-Komedikation [16]. Individualisierte Therapie Wirkungsfluktuationen können früh, spät oder auch gar nicht eintreten. Der betroffene Patient kann jung, alt, vital oder multimorbid sein. Somit ist keine allgemein gültige Empfehlung zur Behandlung der Wirkungsfluktuation möglich. In den meisten Fälle ist davon auszugehen, dass ein Patient bei Auftreten von Wirkungsfluktuationen bereits einige Jahre erkrankt ist und entweder eine L-Dopa- Mono- oder L-Dopa-Kombinationstherapie erhält. Dazu wird er wahrscheinlich noch eine Parkinson-unabhängige Begleitmedikation erhalten. Somit ist die medikamentöse Therapie der Wirkungsfluktuation immer individuell zu gestalten und muss besonders das Alter, die Komorbiditäten und die Begleitmedikation berücksichtigen. Resorption Bei L-Dopa-Therapie sollte die jejunale Resorption optimiert und somit die Wirkung möglichst konstant und kalkulierbar gemacht werden. L-Dopa ist wegen der Interferenz mit Eiweiß bei der Absorption mindestens 30 min vor oder 90 min nach einer Mahlzeit einzunehmen. Wegen der krankheitsbedingten und durch L-Dopa akzentuierten verminderten Magen-Darm-Peristaltik kann zur Verbesserung der Resorption Domperidon als Prokinetikum sinnvoll sein. Retardiertes L-Dopa hat nur Klinische Wirkung Frühes MP-Stadium Dyskinesie - Motorische Klinische Wirkung Mittleres MP-Stadium Dyskinesie - Motorische Klinische Wirkung Fortgeschrittenes MP-Stadium Dyskinesie - Motorische Levodopa 2 4 6 2 4 6 2 4 6 Zeit (Std.) Levodopa Zeit (Std.) Levodopa Zeit (Std.) Archiv/Popp Abb. 2 Krankheitsstadium bezogene motorische Wirkungsfluktuationen nach L-Dopa Einnahme. 30 IN FO Neurologie & Psychiatrie 2011; Vol. 13, Nr. 6
Fortbildung zwei Drittel der Bioverfügbarkeit der nicht retardierten Form und sollte tagsüber nicht verwendet werden, da die Resorption unzuverlässig und zeitlich nicht vorhersagbar ist. Nachts ist die Retardgabe sinnvoll, da eine verzögerte Resoption nach einigen Stunden beim nächtlichen Toilettengang oder zum Drehen im Bett hilfreich sein kann. Multimorbide ältere Patienten Die Behandlung der älteren, multimorbiden oder kognitiv eingeschränkten, zu Halluzinationen neigenden Patienten sollte immer L-Dopa-lastig sein. Häufig muss aufgrund der Nebenwirkungen ganz auf Amantadin und Dopaminagonisten verzichtet werden. Add-on-Therapie Verschiedene Substanzen haben als Add-on -Therapie zu L-Dopa gezeigt, dass sie on -Zeiten verlängern und off -Zeiten reduzieren und somit motorische Wirkungsfluktuationen vermindern können (Studien sind für die jeweilige Substanz zitiert). Gemein ist den meisten dieser Substanzen, dass sie im Vergleich zu L-Dopa eine kontinuierlichere Rezeptorstimulation bewirken. Die COMT-Hemmer Entacapon [17] und Tolcapon [18] sowie die MAO-B-Hemmer Selegelin und Rasagelin [19] ermöglichen eine optimierte L-Dopa-Therapie durch Verlängerung der L-Dopa-Halbwertszeit und -Bioverfügbarkeit. Eine Vergleichstudie an Patienten mit Wirkungsfluktuationen unter L-Dopa (mit oder ohne zusätzlichen Dopaminagonisten) zeigte einen vergleichbaren Effekt von Entacapon und Rasagelin auf die Verkürzung der off-zeit und Verlängerung der on-zeit [20]. In der Praxis ist jedoch die COMT-Hemmung häufig effektiver, nicht zuletzt durch die flexiblere Anwendung zur fraktionierten L-Dopa-Gabe. Tolcapon hemmt im Vergleich zu Entacapon nicht nur die periphere COMT, sondern wirkt auch zentral, sodass der Wechsel von Entacapon auf Tolcapon einen Gewinn an on-zeit bringen kann [21]. Von den Dopaminagonisten werden heute nur noch die non-ergot Präparate Ropinirol, Pramipexol, Piribedil und Rotigotin [22 25] empfohlen, da hier das Risiko für Pleura- und Herzklappenfibrosen im Vergleich zu ergot-derivaten geringer ist. Neue retardierte Formulierungen von Ropinirol und Pramipexol [26, 27] bewirken einen gleichmäßigeren Plasmaspiegel über eine galenische Veränderung der Darreichungsform mit kontinuierlicher Freisetzung und nicht über eine Veränderung der Halbwertzeit der Substanz. Pharmakologisch besteht das Potenzial für eine anhaltende dopaminerge Wirkung auch in der zweiten Nachthälfte und auf die early-morning (end-of-dose). Retardiertes Ropinirol zeigte im Vergleich zum herkömmlichen Ropinirol durch die Möglichkeit zur schnelleren und höheren Aufdosierung und damit größeren L-Dopa Reduktion eine Überlegenheit bei der Reduktion der off-zeiten im fortgeschrittenen Parkinson Stadium [28]. Der NMDA-Rezeptorantagonist Amantadin ist bislang die einzige Substanz, für die am Patienten ein antidyskinetischer Effekt nach oraler [29] oder intravenöser [30] Applikation gezeigt worden ist. Die prokinetische Wirksamkeit ist eher gering [29]. Invasive Verfahren Sind Wirkungsfluktuationen durch optimierte orale oder transdermale medikamentöse Therapie nicht mehr suffizient zu kontrollieren, stehen effektive und gut etablierte invasive Verfahren zur Verfügung. Die pumpengesteuerte Applikation des Dopaminagonisten Apomorphin (s. c.) [31] oder von L-Dopa (intrajejunal [32]) ermöglicht einen optimierten medikamentösen Plasmaspiegel und führt zur Reduktion von Wirkungsfluktuationen. Die Tiefe Hirnstimulation (THS) im Zielgebiet des Nucleus subthalamicus (STN) ist für kognitiv nicht beeinträchtigte Patienten ohne relevante Begleiterkrankungen ein studientechnisch gut abgesichertes, effektives und sicheres Verfahren zur Behandlung schwerwiegender Wirkungsfluktuationen [33]. Tabelle 2 Therapieschema Alte Patienten* End-of-dose - oder Wearing-off am Tag Nächtliche Early-morning- ON -(Peak-dose-)Dyskinesien und Dystonien OFF - Dyskinesien und Dystonien OFF -Freezing Biphasische Dyskinesien ON -Freezing Paroxysmales On/Off ( no-on oder delayed-on ) 1. Reduktion der L-Dopa-Einzeldosis bei Erhöhung der Einnahmefrequenz 2. Gabe eines COMT-Hemmers 3. Duodopapumpe 1. Gabe von L-Dopa retard zur Nacht 2. Kombination von L-Dopa mit COMT-Hemmung zur Nacht 3. Einzeldosis L-Dopa nachts beim Toilettengang 1. Einzeldosis L-Dopa in Wasser löslicher Form 20 30 min vor dem Aufstehen 1. Reduktion der L-Dopa-Einzeldosis und Erhöhung der Einnahme Frequenz 2. ggf. COMT-Hemmer 3. Botulinumtoxin A (Fußdystonie) 1. Erhöhung der L-Dopa-Einzeldosis 2. Lösliches L-Dopa 3. Apomorphin s. c. Bolus (PEN) 4. Duodopa-Pumpe 1. Erhöhung der L-Dopa-Einzeldosis 2. COMT-Hemmer 3. Lösliches L-Dopa oder Apomorphin PEN 1. Externe Trigger (taktil, auditiv, visuell), Medikation nicht hilfreich 1. Domperidon (Gastrokinetikum) zur Verbesserung der L-Dopa-Resorption 2. Vergrößerung des Abstandes von L-Dopa zur Nahrungsaufnahme (> 30 min vor und > 90 min nach dem Essen), kleinere und häufigere, weniger Eiweißhaltige Speisen 3. Lösliches L-Dopa 4. Apomorphin s. c. Bolus (PEN) * Biologisch älter als 70 Jahre, relevante Begleiterkrankungen, kognitive Einschränkungen, Neigung zu Halluzinationen. IN FO Neurologie & Psychiatrie 2011; Vol. 13, Nr. 6 31
Stehen starke Dyskinesien im Vordergrund kann ggf. auch bei leichten kognitiven Defiziten im Zielgebiet des Globus pallidus internus (GPi) effektiv stimuliert werden. Allerdings ist postoperativ im Gegensatz zu einer Operation im STN keine Reduktion der dopaminergen Medikation möglich. Studien untermauern den positiven Einfluss der THS nicht nur auf die motorischen Fluktuationen, sondern auch auf die Lebensqualität [34, 35]. Fazit Die Wahl der Medikation hinsichtlich der Protektion sowie der Therapie von Wirkungsfluktuationen ist immer individuell zu gestalten. Berücksichtigt werden müssen Alter, Krankheitsschwere und -dauer, Komorbiditäten, Begleitmedikation und Art der Wirkungsfluktuationen. Die Tabellen 1 und 2 geben einen Überblick über altersadaptierte therapeutische Optionen einzelner Wirkungsfluktuationen. Die Rangfolge der aufgelisteten Behandlungsansätze beinhaltet eine Wertung hinsichtlich der Auswahl. In der Regel wird eine Kombination der Maßnahmen notwendig sein. Im Einzelfall muss von der Reihenfolge abgewichen werden. Literatur unter info-np.de/6 Korrespondensadresse PD Dr. med. Carsten Buhmann Ambulanzzentrum des UKE GmbH Leitung Bereich Neurologie Universitätsklinikum Eppendorf, Haus O10 Martinistr. 52, D-20246 Hamburg Tel.: 040/7410-52771 Fax: 040/7410-46783 E-Mail: buhmann@uke.de Kasuistik Morgendliche Steifheit, nächtliche L-Dopa sollte wegen der Interferenz mit Eiweiß 30 min vor oder 90 min nach proteinhaltigen Mahlzeiten eingenommen werden. Steffen Schellhorn/Imago Eine 75-jährige Rentnerin stellt sich erstmals ambulant vor. Seit sechs Jahren ist ein M. Parkinson bekannt. Die Patientin ist ansonsten gesund. Nachdem die Symptome anfangs unter 3 x 100 mg Levodopa/Tag gut kontrolliert waren, musste etwa drei Jahre später die Medikation bei zunehmender auf 4 x 100 mg Levodopa um 8, 12, 16 und 20 Uhr erhöht werden. Seit einem Jahr bestehen nun zunehmend folgende Probleme: 1. Morgendliche Steifheit, die das Aufstehen sehr erschwert. 2. Bereits knapp eine Stunde vor der nächsten Levodopa-Einnahme auftretende Rückenschmerzen, Erschöpfung und Trippelschritte. 3. Fehlende Wirksamkeit der Tabletteneinnahme um 12 Uhr. 4. Nächtliche mit Schwierigkeiten sich im Bett zu drehen und beim Toilettengang. In der neurologischen Untersuchung um 11.30 Uhr ist die Patienten im relativen off mit deutlichem akinetisch-rigiden Syndrom, Kleinschrittigkeit, Starthemmung, leichtem Ruhetremor, moderater Hypophonie und posturaler Instabilität Grad 1. Die affektive Schwingungsfähigkeit und der Antrieb sind reduziert und die Patientin klagt über Rückenschmerzen. Die Behandlung wird zunächst auf eine Medikation von 4 x 100mg Levodopa kombiniert mit dem COMT- Hemmer Entacapon umgestellt. Zusätzlich wird morgens eine Dosis von 50 mg löslichem L-Dopa nach dem Aufwachen hinzugenommen. Die Patientin wird angewiesen, die Medikation mindestens 30 min vor oder 90 min nach dem Essen einzunehmen, sofern die Mahlzeit Eiweiß enthält. Bisher wurde die 12-Uhr-Medikation zum Mittagsessen eingenommen. Bei Wiedervorstellung drei Monate später berichtet die Patientin über eine erfreuliche Verbesserung der oben genannten end-of-dose-symptome tagsüber. Sie fühle sich durchgehend besser und kräftiger, die mittägliche Dosis wirke nun spürbar, nachdem das Mittagessen auf 12.45 Uhr verlegt wurde. Weiterhin habe sie jedoch morgens noch Startschwierigkeiten, wenngleich auch weniger ausgeprägt. An der nächtlichen habe sich jedoch nichts geändert. Bei der neurologischen Untersuchung um 11.45 Uhr ist die Patientin besser beweglich als bei der Voruntersuchung. Es zeigt sich allerdings weiterhin ein moderates akinetisch-rigides Syndrom mit geringer Kleinschrittigkeit, leichtem Ruhetremor und moderater Hypophonie, jedoch ohne Starthemmung oder posturale Instabilität. Die Patientin ist im Kontakt lebhafter, die Stimmung ausgeglichen. Die nun durchgeführte kognitive Testung ergibt 28/30 Punkte im Minimental Status, 14/18 Punkten im Demtect und volle Punktzahl im Uhrentest. Die Medikation wird um zunächst 2 mg, nach einer Woche um 4 mg Ropinirol (retardiert, am frühen Abend gegeben) erweitert. Bei Wiedervorstellung nach drei Monaten ist die Patientin mit ihrem Zustand sehr zufrieden. Besonders sei nun der Schlaf besser, sie wache weniger häufig auf, der Toilettengang sei nachts bei besserer Beweglichkeit erleichtert. Die Medikation wird gut vertragen und bis auf weiteres so belassen. 32 IN FO Neurologie & Psychiatrie 2011; Vol. 13, Nr. 6
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