Daseinsvorsorge und Wettbewerb in der EU

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Transkript:

Wirtschaft Andrea Hanisch Daseinsvorsorge und Wettbewerb in der EU Studienarbeit

Hausarbeit Daseinsvorsorge und Wettbewerb in der EU zum Hauptseminar Europäische Wettbewerbs- und Regulierungspolitik - Aktuelle Entwicklungen und Fallstudien - vorgelegt an der Eberhard Karls Universität Tübingen Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät von Andrea Hanisch Tübingen den 10. Mai 2007

Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 1 2 Begriffliche Einordnung der Daseinsvorsorge 2 2.1 Juristische Einordnung.................................. 2 2.1.1 Daseinsvorsorge.................................. 2 2.1.2 Service Public.................................. 3 2.1.3 Dienste von allgemeinem Interesse....................... 4 2.2 Daseinsbegriff in der politischen Praxis......................... 5 2.3 Wirtschafswissenschaftliche Einordnung........................ 6 3 Umsetzung der Wettbewerbspolitik bei Aufgaben der Daseinsvorsorge in der EU 7 4 Organisationsmöglichkeiten der Daseinsvorsorge in der europäischen Wettbewerbspolitik 9 4.1 Organisationsansätze der Daseinsvorsorge....................... 9 4.1.1 Regulierung.................................... 10 4.1.2 Wettbewerb.................................... 11 4.1.3 Gemischtwirtschaftliche Unternehmen..................... 14 4.1.4 Eignung im Rahmen der europäischen Wettbewerbspolitik.......... 14 4.2 Organisationsmodelle der Daseinsvorsorge....................... 15 4.2.1 Versorgermodell.................................. 15 4.2.2 Universaldienstmodell und Betreibermodell.................. 15 4.2.3 Versorgermodell mit Regulierung........................ 15 4.2.4 Qualitätsicherungsmodell............................ 16 4.2.5 Quersubventionierungsmodell.......................... 16 4.2.6 Eignung der Modelle im Rahmen der europäischen Wettbewerbspolitik... 16 5 Abschließende Bewertung und Ausblick 18 Literatur i Abkürzungsverzeichnis Art. Artikel DAWI Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse EK Europäische Kommission EGV Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft EP Europäisches Parlament i.d.r. in diesem Rahmen i.r.d. im Rahmen des/der/die MS Mitgliedstaat(en) Vgl. Vergleiche z.t. zum Teil z.zt. zur Zeit I

1 Einleitung [...] [D]ie Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen - einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen, ist die 2000 in der Lissabonstrategie formulierte Ausrichtung der EU 1. Bereits auf der Konferenz von Nizza hatte der Europäische Rat der Europäischen Kommission (EK) und dem Ministerrat aufgetragen, die Behandlung von gemeinwirtschaftlichen Dienstleistungen im Rahmen des europäischen Sozialmodells in der Rechtsordnung zu prüfen 2. Mit der Betonung des sozialen Zusammenhalts in der EU setzte die Lissabonstrategie erneut den Fokus auf Dienstleistungen des Gemeinwohls. Mit diesen beiden Punkten begann ein Prozess, in dem die EK den Diensten von allgemeinem Interesse, in Deutschland auch mit Daseinsvorsorge übersetzt, einen Platz in der Wirtschafts- und Wettbewerbsordnung der EU zukommen lässt. Der Prozess begann mit einer Mitteilung der EK im Jahr 2001 3. Im weiteren Verlauf stellten sich zahlreiche Probleme bei der Auslegung und Anwendung des Begriffes der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI), v.a. im Zusammenhang mit der Anwendung des Art. 86 Abs. 2 EGV, heraus. Insbesondere die Mitgliedstaaten (MS) protestierten vehement gegen das Tätigwerden der EK in diesem Bereich, z.b. mit der Begründung das Handeln der EK gefährde den territorialen und sozialen Zusammenhalt 4 in den Mitgliedstaaten. Mit einem Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse 5 und dem darauf folgenden Weißbuch 6 reagiert die EK auf die politischen Widerstände und andere Anwendungsprobleme. Dabei bestehen nach wie vor Unklarheiten bei der Verwendung der Begrifflichkeiten ebenso wie bei der Anwendung der Ausnahmen von wettbewerbspolitischen Regelungen nach Art. 86 Abs. 2 EGV. Die Arbeit will daher untersuchen welche Organisationsformen der gemeinwohlrelevanten Dienste bei der Umsetzung der Wettbewerbspolitik durch die EK angewandt werden können, um sowohl für EK als auch für die MS Klarheit bei der Anwendung des Art. 86 Abs. 2 EGV zu schaffen. Die Arbeit will daher zunächst eine Darstellung der Ausgestaltung des Begriffes gemeinwohlrelevanter Dienste in ausgewählten Mitgliedstaaten und der EU sowie eine Betrachtung der politischen Praxis und der wirtschaftswissenschaftlichen Einordnung vornehmen. Anschließend soll die Umsetzung der Wettbewerbspolitik bei gemeinwohlrelevanten Diensten durch die EK dargestellt werden. Im Schwerpunkt wird dann untersucht welche Organisationsformen für die gemeinwohlrelevanten Dienste im Einklang mit der europäischen Wettbewerbspolitik stehen. Es wird also auch stets betrachtet, wie die EK diese Organisationsformen in die Umsetzung einbezogen werden können. Abschließend wird eine Bewertung der Nutzungsmöglichkeiten der Organisationsformen und der Umsetzungsstrategie der EK im Allgemeinen vorgenommen. 1 Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat (Lissabon) vom 23. und 24. März 2000, 5.; unter http: //www.europarl.europa.eu/summits/lis1_de.htm. 2 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft & Technologie (2002), S. 3. 3 Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission - Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, ABl. 2001 / C17 / 04 vom 19.01.2001. 4 Vgl. Monopolkommission (2003), S. 72. 5 Grünbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM(2003) 270. 6 Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, KOM(2004) 374.