Proteomanalyse Mit dem Stellenwert der hoch auflösenden Proteom-Analyse im Urin zur Diagnostik von renalen und nicht-renalen Erkrankungen befasst sich der folgende Beitrag. Untersuchungen von Patienten mit Blasen- und Prostata-Karzinomen haben gezeigt, dass damit eine Detektion der Tumore mit hoher Spezifität und Sensivität möglich ist. Von Jochen H. Ehrich et al.* Einführung In den Körperflüssigkeiten (Urin, Blut, etc.) finden sich Tausende von Proteinen und Peptiden (Polypeptide), die als Transporter, zur Signalübertragung, zur Abwehr von Infektionen, etc. dienen. Ihre Gesamtheit bildet ein komplexes Muster, das sich je nach Gesundheitszustand verändert. Pathologische Veränderungen können in ihren Anfängen durch Veränderungen im Proteommuster erkannt werden. Diese Hypothese konnte bisher auf Grund von fehlenden technischen Voraussetzungen nur eingeschränkt angewendet werden. Zwar können mittels immunologischer Methoden wie beispielsweise ELISA einzelne Proteine bestimmt werden; es ist jedoch für Hunderte von verschiedenen Polypeptiden zeitlich bedingt unrealistisch, da u. a. jedes einzelne Protein spezifisch nachgewiesen werden müsste. Die Entwicklung von leistungsfähigen Massenspektrometern ermöglicht nun, Tausende von verschiedenen Polypeptiden auch wenn diese vollkommen unbekannt sind - über ihre exakte Masse zu analysieren. Techniken der Proteomanalytik Damit Proteomanalysen auch tatsächlich zu validen und klinisch relevanten Ergebnissen führen, müssen folgende Bedingungen erfüllt sein: Die Messungen müssen reproduzierbar und vergleichbar sein. Es muss eine schnelle geeignete, robuste, hoch auflösende Trennme- Abb. 1: Schematische Darstellung der Technologie. Die Polypeptide in der Probe werden mittels Kapillarelektrophorese im Hochspannungsfeld getrennt und on-line im timeof-flight Massenspektrometer analysiert. Danach folgt die Auswertung der Rohdaten mittels spezieller Software und im nächsten Schritt ein Abgleich mit einer Datenbank, der eine Diagnose auf Basis detektierter Polypeptide erlaubt. thode vor der Massenspektrometrie eingesetzt werden. Entsprechende Softwarelösungen zur Evaluierung großer Datenmengen müssen vorhanden sein. Derzeit verwendet man vier Ansätze zur Proteomanalyse von klinischen Proben. Die zweidimensionale Elektrophorese gekoppelt mit der Massenspektrometrie (2-DE-MS) und Flüssigchromatographie gekoppelte Massenspektrometrie (LC-MS) können zum Auffinden von Biomarkern mit gutem Erfolg eingesetzt werden. Sie sind praktisch klinisch nicht einsetzbar, da sie für den Routineeinsatz zu (zeit)aufwendig sind. SELDI-MS beschreitet den Weg der Datenreduktion: Aus einer Mischung von Polypeptiden werden nur wenige an einer Oberfläche gebunden und danach mit einem Massenspektrometer mit geringer Genauigkeit und Auflösung untersucht. Der Nachteil: Die geringe Auflösung und Massengenauigkeit führen zu Artefakten : 49
: und schlecht vergleichbaren Datensätzen. Die Beschränkung auf nur wenige Polypeptide führte außerdem dazu, dass unterschiedliche Gruppen vollkommen unterschiedliche Biomarker für dieselbe Krankheit beschreiben. Eine praktikable Lösung stellt die Kapillarelektrophorese gekoppelte Massenspektrometrie (CE-MS) dar. Diese ermöglicht es, mehr als 1.000 Polypeptide in einem Messvorgang reproduzierbar mit hoher Präzision zu analysieren. Um die enorme Datenfülle zu interpretieren, wurden entsprechende Softwarelösungen entwickelt (siehe Grafik in Abb. 1 Seite 49). In einem weiteren Schritt kann die Aminosäuresequenz der einzelnen Biomarker mit CE- beziehungsweise LC-MS/MS Messungen ermittelt werde. Dies ist notwendig, wenn weitere Erkenntnisse über die Pathophysiologie der jeweiligen Erkrankung gewonnen werden sollen, jedoch für die Diagnostik ohne Bedeutung. Als Medium für Proteomanalysen ist Urin von besonderer Bedeutung, da er nicht invasiv und in großen Mengen gewonnen werden kann: er sehr stabil ist (kaum proteolytische Aktivität im Gegensatz zu Plasma), er kann zunächst u. a. den Zustand der Niere, Blase, und Prostata sowie der ableitenden Harnwege, mög- Abb. 3: Muster von gesunden Probanden (NK), Patienten mit IgA Nephropathie (IgAN) bzw. Vaskulitis (V). Gezeigt sind die kompilierten Muster ( patterns ) aus 20 100 Einzelmessungen, Masse (in kda, in logarithmischer Darstellung) gegen Migrationszeit (in min), die Peakhöhe gibt die Signalintensität wieder. Im unteren Teil ist jeweils eine Vergrößerung des Gesamtspektrums zu sehen. Die roten Pfeile weisen auf generelle Biomarker für chronische Nierenerkrankungen, die gelben Pfeile auf spezifische Marker für IgA-Nephropathie bzw. Vaskulitis. Abb. 2: Kombination von Einzelanalysen zu typischen Polypeptidmustern. Urinproben von verschiedenen individuellen Probanden wurden einzeln gemessen und ausgewertet. Links sind die Daten von fünf Messungen gezeigt. Die verschiedenen Polypeptide sind als Peaks dargestellt. Sie werden durch Migrationszeit und Masse (beide indiziert) definiert, die Peakhöhe ist das Maß für die Signalintensität. Diese Daten können elektronisch kompiliert werden zu einem typischen Muster, welches rechts gezeigt ist. licherweise aber auch weiterer Organe sehr gut abbilden. Prinzip der CE-MS Analyse Die Polypeptide werden über Masse und Migrationszeit definiert, deren relative Menge über die normierte Amplitude. Die Normierung erfolgt auf so genannte housekeeping polypeptides, welche in konstanten Mengen im Urin vorhanden sind. Die Messungen sind reproduzierbar und sehr gut vergleichbar (Abb. 2). So ist es möglich, eine große Zahl von individuellen Messungen zu gruppieren und zu vergleichen, um krankheitsspezifische Biomarker zu finden. So werden beispielsweise Daten von Patienten mit einer bestimmten Nierenerkrankung mit gesunden Probanden und auch mit anderen Erkrankungen verglichen. In Abb. 3 werden beispielhaft drei Urinmuster von Gesunden mit jenem von Patienten mit einer IgA-Nephropathie und Vaskulitis verglichen. Im Rahmen der Untersuchungen zeigte sich, dass ein idealer Biomarker nicht existiert. Bis jetzt konnte kein Marker-Polypeptid identifiziert werden, das 100prozentig spezifisch für eine Erkrankung ist. Diese Beobachtung bedingt, dass eine Reihe von Biomarkern eingesetzt wird, um mit hoher Sicherheit eine Diagnose zu ermöglichen, wie dies im klinischen Alltag auch der Fall ist 50
Anwendung auf Nierenerkrankungen mit und ohne Proteinurie Elektrophorese-Techniken zur molekulargewicht-abhängigen Trennung der Urineiweiße haben zwischen 1970 und 1980 wesentlich zum Verständnis der glomerulären und tubulären Proteinurie beigetragen. Eine gering erhöhte Albuminurie von 20-100mg/l ist als Früh- Indikator für Spät-Morbidität renaler Erkrankungen von klinischer Bedeutung. Urin-Enzyme wie N-acetyl-beta- D-Glukosaminidase und andere Enzyme erlauben, eine tubuläre Toxizität von Medikamenten und Toxinen rasch zu diagnostizieren. Allerdings ist die differenzierte Urin-Enzymdiagnostik nicht in der Lage, zwischen verschiedenartigen tubulären Störungen und Erkrankungen zu differenzieren und hat sich in der Routine wenig durchgesetzt. Die klassische Proteinurie-Diagnostik hat außer der Differenzierung in glomeruläre und tubuläre Schäden und der Unterscheidung von akuten und chronischen Schäden keine weiteren Informationen beitragen können, und der Traum einer krankheitsspezifischen, nicht-invasiven Proteindiagnostik im Urin konnte so nicht erfüllt werden. Es ergab sich die Herausforderung, durch eine weitere Verfeinerung der Proteom-Analytik im Urin die nicht-invasive Nierendiagnostik zu ermöglichen. Bei Untersuchungen an mehr als 3.000 Urinproben ließen sich aufgrund verschiedener Urin-Proteommuster unterschiedliche Glomerulopathien voneinander differenzieren. Diese Ergebnisse ermöglichen die Aufstellung von spezifischen Diagnostischen Mustern. Zunächst wurden solche für diabetische Nephropathie, IgA-Nephropathie, FSGS, MNGN, MCD, Lupus nephritis und Vaskulitis entwickelt, die auch in einer geblindeten Studie mehr als 85 Prozent der Proben korrekt differentialdiagnostisch einordnen konnte. In weiterer Folge konnten Abstoßungsreaktionen transplantierter Nieren mit hoher Sensitivität und Spezifität abgebildet werden, während dazu in der klassischen Protein-Urindiagnostik kein Hinweis auf eine Abstoßung gefunden wird. Untersuchungen von Patienten mit Blasen- und Prostata-Karzinomen zeigen, dass eine Detektion der Tumore mit dieser nicht-invasiven Technologie mit hoher Spezifität und Sensitivität möglich ist. Im Falle des Blasenkarzinoms konnte in einer kürzlich in Lancet Oncology veröffentlichten Studie an 655 Patienten eine Sensitivität von 100 Prozent erreicht werden, bei der Spezifität waren es weit über 90 Prozent. In einer Pilotstudie konnte auch eine hohe Sensitivität und Spezifität bei der Detektion des Prostatakarzinoms beschrieben werden. In einer weiterführenden Studie an mehr als 200 Patienten (davon 97 geblindet) konnte abermals eine hohe Sensitivität, bei reduzierter Spezifität gezeigt werden. Weitere Daten zeigen, dass die Proteomanalyse nicht nur die Diagnose, :
: sondern auch eine Prognose beziehungsweise die Beurteilung des Therapieerfolgs ermöglicht. Decramer et al. zeigten kürzlich in Nature Medicine in einer geblindeten prospektiven Studie, dass die Notwendigkeit einer operative Korrektur von Harnwegsfehlbildungen bei Neugeborenen auf der Grundlage von Proteomdaten mit über einer mehr als 90prozentigen Spezifität und Sensitivität vorhersagbar ist. Ein Therapieerfolg beispielsweise bei Patienten mit diabetischer Nephropathie kann unmittelbar durch Proteomanalyse aus dem Urin abgebildet werden, was besonders im Rahmen von klinischen Studien von großem Vorteil ist, da so innerhalb von Wochen Veränderungen an einer wesentlich kleineren Anzahl von Probanden, somit Erfolg oder Misserfolg von Therapieansätzen, evaluiert werden kann. Abb. 4: Evaluierung der Messdaten. Die jeweils berechneten Faktoren F aus der Proteomanalyse für eine bestimmte Erkrankung sind aufgetragen gegen die beobachtete Anzahl an positiven oder negativen Fällen. Ein neuer Messwert einer unbekannten Probe kann so direkt und unmittelbar mit allen vorhandenen Messwerten verglichen werden und das Risiko für das Vorliegen z.b. eines Karzinoms so abgelesen werden. Anwendung auf nicht-renale Erkrankungen Nachdem die Proteine im Urin in erster Linie Filtrationsprodukte aus Blut darstellen, sollten auch nicht renale Erkrankungen durch Proetomanalyse von Urin abzubilden sein. Im Rahmen der hämatopoetischen Stammzelltransplantation (HSZT) wurde die schwerwiegendste Komplikationen, die Graft versus Host Erkrankung (GvHD), untersucht. Die Proteomanalyse von Urin dieser Patienten erlaubte die Erstellung eines Proteommusters, welches frühzeitig die Entwicklung dieser schweren Komplikation nach HSZT anzeigt. Diese Daten wurde in der Folge in einer multizentrischen Studie an Hand von 599 geblindeten Proben validiert, bei denen die GvHD bis zu 14 Tage vor der klinischen Manifestation mit 81 Prozent Sensitivität bei 76 Prozent Spezifität erkannt werden konnte. Die Vorhersage der Entwicklung eine GvHD wird zu einer prä-emptiven Behandlung und damit zur Verringerung von schweren Verlaufsformen führen. Abb. 5: Analyse multipler Proteommuster: Eine Probe eines Patienten kann auf das Vorliegen einer Reihe von krankheitsspezifischen Parametern untersucht werden. Links: die gesamten Messdaten einer Messung, die Skalen geben die Masse (in Da) sowie die normierte Migrationszeit (in Min) an. Rechts Ausschnittesvergrößerung. Die Pfeile indizieren die Positionen von bestimmten individuellen Biomarkern für folgende Erkrankungen: Schwarz. Chronischer Nierenschaden, Rot: Vasculitis, Gelb: Kardiovaskuläre Erkrankung, Lila: Urothelkarzinom Bei der Anwendung haben sich wesentliche Vorteile der Proteomanalyse gezeigt: 1) Die Untersuchung ist nicht invasiv. Daher fällt jedes Risiko weg, welches mit invasiven diagnostischen Untersuchungen verbunden ist. 2) Der Einsatz von invasiven Untersuchungsmaßnahmen ist durch die Proteomanalyse nicht vorweggenommen, kann aber auf eine kleinere Zahl von gezielten ausgewählten Patienten eingeschränkt werden. 3) Die Vielzahl an Daten erlaubt eine unvoreingenommene Abschätzung 52
medizin Normbereiche der Proteinurie Protein Albumin α-mikroglobulin Gesunde /Urin /Urin-Kreatinin /Urin /Urin-Kreatinin /Urin /Urin-Kreatinin >2Jahre mg/l mg/g mg/mmol mg/l mg/g mg/mmol mg/l mg/g mg/mmol <100 <100 <10 <20 <20 <5 <10 <5 <1 Tabelle 1 der Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer bestimmten Erkrankung (siehe Abb. 4). Zusammenfassung und Ausblick Die Daten zeigen, dass die Proteomdiagnostik ein wertvolles Hilfsmittel in der Medizin und in der Arzneimittelentwicklung ist und stets an Bedeutung zunimmt. Dies gilt auch für die Vorsorgemedizin, da Proteine pathologische Veränderungen anzeigen, bevor es zum klinischen Erscheinungsbild und zu Organschädigungen kommt. Proben von Patienten mit unklarer Diagnose können auf eine Vielzahl von krankheitsspezifischen Peptidmustern untersucht werden. So kann aus den Messdaten einer einzigen Probe eine Abschätzung für das Vorliegen von verschiedensten Krankheiten durchgeführt werden (Abb. 5). Damit ergibt sich nicht nur ein Diagnosevorschlag ohne invasive Eingriffe aus der Messung einer Urinprobe, sondern auch die Möglichkeit zur Vorsorgeuntersuchung auf Volkskrankheiten wie zum Beispiel Arteriosklerose, Nierenschäden, Tumoren des Urogenitaltrakts, etc. Nunmehr ist es möglich, auf Grundlage einer nicht-invasiven Untersuchung die Progression von chronischen Krankheiten zumindest stark zu verlangsamen. Das gesamte Potential kann derzeit noch nicht abgeschätzt werden, da bei vielen Erkrankungen noch keine Daten vorliegen. Nun steht jedoch eine Technologie zur Verfügung, um wichtige klinische Fragen effizient und an einer relativ kleinen Kohorte zu untersuchen. Die gewonnenen Erkenntnisse aus den Proteomuntersuchungen werden zu einer besseren Definition der molekularen Ursachen von weiteren chronischen Erkrankungen führen und neue Wege zur gezielten Therapie weisen. 9 Literatur bei den Verfassern Von Univ. Prof. Dr. Jochen Ehrich, Medizinische Hochschule Hannover/ Abteilung Pädiatrische Nieren-, Leber- und Stoffwechselerkrankungen, Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover; Tel.: 0049/511 532/3212; e-mail: kindernephrologie@mh-hannover.de; Dr. Andreas Mischak, Amt der Vorarlberger Landesregierung/Sanitätsabteilung; Univ. Prof. Dr. Harald Mischak, Mosaiques diagnostics & therapeutics AG Hannover