Softwarevertrieb und Kartellrecht welche GVO gilt? Sitzung des Fachausschusses Vertragsrecht der DGRI, 6. Mai 2011 Dr. Romina Polley 2011 Cleary Gottlieb Steen & Hamilton LLP. All rights reserved.
I. Änderung der Vertikal-GVO zum 1.6.2010 Praktische Relevanz: Frist bis zum 31.5.2011 zur Anpassung alter Verträge Wichtigste Änderungen: Einführung einer zweiten Marktanteilsschwelle, Art. 3 I Vertikal-GVO Anwendungsbereich der Vertikal-GVO Kernbeschränkungen Änderungen in den Leitlinien Aber: Keine Änderungen oder Klarstellungen bezüglich Softwarevertriebsverträgen 2
II. Softwarevertrieb Welche GVO gilt? Relevante Gruppenfreistellungsverordnungen: Technologietransfer (TT-GVO) Vertikalvereinbarungen (Vertikal-GVO) (subsidiär) 3
1. Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der Vertikal-GVO Wenn Regelung von Bezug, Verkauf oder Weiterverkauf von Waren oder Dienstleistungen zwischen mind. zwei Unternehmen (Art. 1 I a)). Erfasst Vereinbarungen zwischen Unternehmen auf versch. Wirtschaftsstufen. Verträge mit Endverbrauchern sind nicht erfasst. Temporäre Softwareüberlassungsverträge (zb Miete, Leasing) nicht erfasst Zumindest körperlich überlassene Software ist Ware; unkörperlich überlassene Software, zb über Internet, nach Rn. 41 Leitlinien wohl keine Ware Lizenzvereinbarungen nur dann, wenn sie nicht Hauptgegenstand der vertikalen Vereinbarung sind (Art. 2 III). Problem: Beurteilung des Hauptgegenstandes 4
2. Verträge, auf die die Vertikal-GVO anwendbar ist I Schutzhüllenvertrag (Shrink-Wrap) bzw. Enterverträge Vertrag zwischen Rechteinhaber und Händler: Erfasst, sofern Weitergabe ohne Lizenz (Vgl. Leitlinien Ziff. 40) Vertrag zwischen Rechteinhaber und Endabnehmer (Unternehmen): Endabnehmer soll mit Öffnen der Packung, erstmaligem Gebrauch etc. Lizenzvertrag mit Rechteinhaber abschließen Keine Anwendbarkeit, da insoweit reine Lizenzvereinbarungen Problem: Zivilrechtliche Wirksamkeit 5
2. Verträge, auf die die Vertikal-GVO anwendbar ist II Kombinierte Hard- und Softwareverträge Bsp.: Mobiltelefone, Netzwerkprodukte Erwerb der Software laut Leitlinien offenbar bloße Nebenabrede Argument: Verpflichtungsrecht aus Leitlinien Ziff. 42 (Urheberrechtsinhaber können Abnehmer von Hardware, die mit Software geliefert wird, dazu verpflichten, nicht gegen das Urheberrecht zu verstoßen) Softwarewartungs- und Pflegeverträge Bsp.: IT-Outsourcing Hauptgegenstand ist die Erbringung einer Dienstleistung idr keine Lizenzierung 6
3. Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der TT-GVO Vereinbarungen zwischen Unternehmen, auch Wettbewerbern. Grundsätzlich auch Softwarelizenz-Vereinbarungen (Art. 1 I b)). Aber: Nur wenn Produktion von Vertragsprodukten ermöglicht wird (Art. 2). Vertragsprodukte sind solche, die die lizenzierte Technologie enthalten oder mit ihrer Hilfe produziert werden (Leitlinien Ziff. 41 S. 1). Vertragsprodukte können Waren, aber auch Dienstleistungen sein (Leitlinien Ziff. 43) Aber unklar, wann Vertragsprodukte der Produktion einer Dienstleistung dienen; Beispiel: Rechtsanwalt, der Microsoft Office zur Erstellung von Schriftsätzen nutzt? 7
4. Verträge auf die die TT-GVO anwendbar ist I Individualsoftware Bsp.: Software, die für Produktion des Lizenznehmers angefertigt wird Wenn Nutzung zur Produktion Wenn Hersteller und Händler ganz ausnahmsweise auseinander fallen, kann auf die reine Vertriebsvereinbarung die Vertikal-GVO anwendbar sein Customizing Lizenznehmer passt Software vor Weitergabe an Kundenbedürfnisse an Anpassung erfüllt Voraussetzungen der Produktion Temporäre Softwareüberlassungsverträge Miete, Pacht, Leasing Wenn Nutzung zur Produktion 8
4. Verträge auf die die TT-GVO anwendbar ist II Software zum Einbau in Hardware/andere Software und anschl. Weiterverkauf Durch Integration wird neues Softwareprodukt oder Systemlösung hergestellt. Software findet Eingang in herzustellendes Vertragsprodukt Softwareentwicklungsverträge 2 Varianten: 1. Softwarewerkzeuge: TT-GVO anwendbar, wenn Herstellung neuer Programme mit Hilfe der lizenzierten Software 2. Weiterentwicklung notwendig: TT-GVO anwendbar, wenn das herzustellende Produkt bereits im Vertrag festgelegt Vertikal-GVO nicht anwendbar, weil Einräumung der Nutzungsrechte Hauptabrede ist. 9
5. Verträge, auf die keine GVO anwendbar ist I Enduser License Agreements Verträge mit Endkunden (Unternehmen). TT-GVO: Bei Standardsoftware idr keine Lizenzierung zur Herstellung eines Produktes. Anwendbarkeit denkbar, wenn Software spezifisch der Herstellung bestimmter Endprodukte dient [(-) z.b. bei Betriebssystem]. Nach Ansichten in der Literatur analog erfasste Klauseln: Beschränkungen hins. techn. Anwendungsbereich oder Produktmarkt Kopplungsvereinbarungen CPU- oder Upgrade-Klauseln Netzwerkklauseln Vertikal-GVO: Einräumung Nutzungsberechtigung ist Hauptgegenstand. 10
5. Verträge, auf die keine GVO anwendbar ist II Technologiepools (Definition in Leitlinien Ziff. 41) z.b.: Mehrere Parteien vergeben eine Lizenz für ein Gesamtpaket. TT-GVO: ausdrücklich ausgenommen: Leitlinien Ziff. 41 und 210 ff., 212. Vertikal-GVO: Lizenzgewährung Hauptgegenstand Multi-Party Licensing Lizenzvereinbarungen zwischen mehr als zwei Parteien. TT-GVO: nur zweiseitige Verträge erfasst Vertikal-GVO: Lizenzgewährung Hauptgegenstand 11
6. Problemfälle Mastercopies (sog. Golden Disk; auch online überlassene Software) Lizenznehmer fertigt von überlassener Software Kopien an, die er sodann vertreibt. TT-GVO: Leitlinien: Produktion gegeben, wenn lizenzierte Technologie im Produktionsprozess verwendet wird oder in Erzeugnis selbst Eingang findet 1. Ansicht: Anwendbar: Kopien auf Datenträger ziehen = Herstellung von Produkten 2. Ansicht: Vervielfältigung Masterkopie ist nur Vervielfältigung der Technologie selbst. Neben reiner Verkörperung noch gewisse Wertschöpfung in Form eines Produktionsprozesses erforderlich. Jedenfalls: Entsprechende Anwendung von TT-GVO und Leitlinien (vgl. Leitlinien Ziff. 51) Vertikal-GVO: Nicht anwendbar, da Lizenzgewährung Hauptgegenstand. 12
6. Problemfälle Masterlizenz Bloße Vergabe von Unterlizenzen. Unkörperliche Softwareüberlassungsverträge. TT-GVO: Keine Produktion Vertikal-GVO: Lizenzgewährung Hauptgegenstand Kommission: entsprechende Anwendung der Grundsätze der TT-GVO und Leitlinien (vgl. Leitlinien, Ziff. 42 S. 3) Bsp.: Lizenz zum Online-Vertrieb TT-GVO: Dafür: Bereitstellen Software auf Webseite = Dienstleistung Aber: Hauptgegenstand: Unterlizenzierung Deshalb: Keine direkte, nur entsprechende Anwendung Vertikal-GVO: Dagegen: Lizenzgewährung Hauptgegenstand; daneben: Ware ist nur Software auf Datenträger (vgl. Leitlinien Ziff. 41; aber fraglich, ob noch zeitgemäß) 13
III. Überblick Vertikal-GVO TT-GVO Keine GVO Str./Analog Individualsoftware (sofern Nutzung zur Produktion ) Enduser License Agreements (zumindest i.d.r.) Mastercopies Kombinierte Hard- und Softwareverträge Customizing Multi Party Licensing Masterlizenz /Lizenz zum Online Vertrieb Wartungs- und Pflegeverträge Temporare Überlassung (sofern Nutzung zur Produktion ) Software zum Einbau Technologiepools Wohl beide: TT-GVO analog Schutzhüllenvertrag (Shrink-Wrap, Enterverträge) Softwareentwicklungsverträge 14
IV. Fazit Praktisch relevant: Weder Vertikal- noch TT-GVO auf die Lizenzeinräumung an Endabnehmer (Unternehmen) hinsichtlich Standardsoftware anwendbar. Softwarelizenzvereinbarungen werden erfasst von: der TT-GVO, wenn: Lizenzierung Hauptgegenstand der Vereinbarung ist und Lizenznehmer mit der Software Produkte für Dritte herstellt oder Dienstleistungen an Dritte erbringt der Vertikal-GVO, wenn : Hauptgegenstand Bezug, Verkauf oder Weiterverkauf ist und Keine oder untergeordnete Lizenzierung ABER: Selbst wenn eine GVO Anwendung findet, müssen weitere Voraussetzungen der GVO erfüllt sein. 15
V. Weitere Voraussetzungen der Vertikal-GVO Marktanteilsschwelle: Weder Anbieter noch Abnehmer > 30% (Art. 3 Abs. 1) Kernbeschränkungen (Art. 4) GVO auf die gesamte Vereinbarung nicht mehr anwendbar. Preisbindungen, Art. 4a) Gebiets- und Kundenkreisbeschränkungen, Art. 4b), aber: Ausn. vgl. i) - iv) Verkaufsbeschränkungen beim selektiven Vertrieb, Art. 4c) und d) Beschränkung des Ersatzteileverkaufs, Art. 4 e) Einzelne Bestimmungen nicht freigestellt, Art. 5. GVO bleibt dann aber auf restliche Vereinbarung anwendbar. 16
VI. Weitere Voraussetzungen der TT-GVO Marktanteilsschwellen, Wettbewerber: Gemeinsamer Marktanteil nicht >20%, Art. 3 Abs. 1 Nicht-Wettbewerber: Jeweiliger Marktanteil nicht >30%, Art. 3 Abs. 2 Kernbeschränkungen (Art. 4) Bsp.: GVO auf die gesamte Vereinbarung nicht mehr anwendbar. Preisfestsetzung Beschränkung des Outputs Gebiets- u. Kundenkreisbeschränkungen / bzw. Zuweisung von Märkten/Kunden (aber: Ausnahmen) Bei Wettbewerbern gelten strengere Regeln als für Nicht-Wettbewerber Einzelne Bestimmungen nicht freigestellt, Art. 5. GVO bleibt dann aber auf restliche Vereinbarung anwendbar. 17
VII. Wesentliche Unterschiede der GVOen Vereinbarungen zw. Wettbewerbern Dauer von Wettbewerbsverboten Beschränkungen des aktiven Verkaufs Beschränkungen des passiven Verkaufs Mindestabnahmemengen u. Mindestlizenzgebühren 18 Vertikal (-) (Ausn.: Art. 2 Abs. 4 ) Max. 5 Jahre (Art. 5 Abs. 1 a) nur, sofern Gebiete bzw. Kundenkreise dem Verkäufer selbst vorbehalten o. anderen Käufer zugewiesen (Art. 4 b i.) nicht zulässig mind. 80%: Wirkung eines Wettbewerbsverbotes (siehe obenart.1 Abs.1 d) TT-GVO (+) unbeschränkt In Gebiete außerhalb des Vertragsgebietes sowie an bestimmte Kundenkreise untersagbar (aber: Art. 4 Abs. 2 c) bei Nichtwettbewerbern mögl. (hinsichtl. Lizenzgeber vorbehaltener Gebiete/Kunden; in ersten 2 J. auch, wenn Gebiet/Kunden anderem Lizenznehmer zugewiesen (Art. 4 Abs. 2 c) i) - vi) zeitlich unbeschränkt möglich
VIII. Das Kartellverbot Aber selbst wenn Voraussetzungen einer GVO nicht gegeben sind, bedeutet dies nicht einen Verstoß gegen Art. 101 I AEUV Kumulative Voraussetzungen für ein Verbot nach Art. 101 I AEUV: 1. Vereinbarungen zwischen Unternehmen 2. Wettbewerbsbeschränkung bezweckt oder bewirkt 3. Spürbarkeit Bagatellbekanntmachung: - 10% (Wettbewerber),15 % (Nicht-Wettbewerber), - außer bei schwerwiegenden Wettbewerbsbeschränkungen - bindet aber Gerichte nicht Problem: Marktabgrenzung 19 4. Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels
IX. (Einzel-)Freistellung nach Art. 101 III AEUV Art. 101 III AEUV: Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen sind freistellbar, wenn: 1. Effizienzvorteile 2. Weitergabe dieser an den Verbraucher 3. Wettbewerbsbeschränkung zur Erzielung der Effizienzvorteile unerlässlich 4. Wettbewerb wird nicht völlig ausgeschaltet Problem: Selbsteinschätzung der Unternehmen anhand unscharfer Kriterien 20
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