Erste Kommentierung der SGB VIII Reform

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Transkript:

Fachverband für Psychologische Beratung und Supervision (EKFuL) Erste Kommentierung der SGB VIII Reform Grundlage: Arbeitsfassung zur Vorbereitung eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen vom 23. August 2016, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) Grundsätzlich begrüßt die EKFuL, dass ein Gesetz zur inklusiven Lösung für die Kinder- und Jugendhilfe auf den Weg gebracht werden soll. Jedoch teilt die EKFuL in vielfältiger Hinsicht die Kritik der anderen Verbände an den in den vergangenen Wochen kursierenden Arbeitsentwürfen des BMFSFJ. Diese Kritik betrifft einerseits die fehlende Transparenz und den Zeitdruck im gesamten Prozess, zum anderen aber auch wesentliche inhaltliche Elemente der bislang bekannten Entwürfe. Inhaltliche Kritikpunkte sind u.a.: Begriffliche Modernisierung der Hilfen zur Erziehung, die in Zukunft Leistungen zur Entwicklung und Teilhabe des Kindes oder Jugendlichen genannt werden sollen, führt zur Abkehr von sozialpädagogischen Handlungsmustern Trennung von Kinder- und Elternrechten: Stärkung der Rechte der Kinder auf Kosten der Rechte der Eltern Stärkung der Erziehungskompetenz von Eltern nur unter der Voraussetzung des festgestellten Hilfebedarfs beim Kind Hilfe zur Entwicklung soll zukünftig im Ermessen des Jugendamtes stehen, damit Abkehr vom Dreiecksverhältnis (Familie / freier Träger / Jugendamt als Co-Produzenten in der Hilfeplanung) Nachrang der Einzelfallhilfe gegenüber infrastrukturellen und niedrigschwelligen Angeboten Nachrang von Einzelfallhilfen gegenüber Gruppenangeboten Einschränkung der Hilfe für junge Volljährige Das Reformvorhaben zielt insgesamt vor allem auf eine kosteneinsparend orientierte Revision der Hilfen zur Erziehung Das BMFSFJ lud im September 2016 zu drei kurzfristig anberaumten Fachgesprächen ein, in denen verschiedene Teilaspekte des geplanten Gesetzes mit Vertreter(inne)n von Verbänden diskutiert wurden. Im Anschluss wurde Ende September zu einem zusammenfassenden Gespräch eingeladen. Bislang gibt es keine Informationen darüber, wann ein Referentenentwurf vorgelegt werden soll. Von daher ist es zurzeit nicht ersichtlich, ob die geplante Reform noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt wird. 1 / 6

Erste Kommentierung zu erziehungs- und familienberatungsrelevanten Leistungsbereichen des SGB VIII Ermöglichung von Entwicklung und Teilhabe statt Hilfe zur Erziehung? - Hilfe zur Erziehung ist eine eigene Qualität und etwas anderes als Ermöglichung von Entwicklung und Teilhabe ; Kinder haben zudem gegenüber ihren Eltern einen Anspruch auf Erziehung - Daher ist Hilfe zur Erziehung nicht ersetzbar durch Ermöglichung von Entwicklung und Teilhabe ; beide sollten als Zielsetzungen des SGB VIII gleichwertig nebeneinander bestehen - Abkehr von Hilfe zu Leistung ist daher nicht als modern zu sehen, sondern bedeutet einen Paradigmenwechsel, den die EKFuL kritisch sieht. Zum Kinderschutz gemäß KKG 4 in Verbindung mit 8a SGB VIII Im ersten Fachgespräch im BMFSFJ am 9.9.2016 zum Kinderschutz 4 KKG in Verbindung mit dem SGB VIII ging es insbesondere um die Neuregelung der Offenbarungsrechte von Berufsgeheimnisträgerinnen und Berufsgeheimnisträgern mit dem Ziel, mehr Rechtssicherheit für diese herzustellen. Die vorgesehene Hervorhebung der Befugnisnorm durch Verortung im Absatz (1) wird von der EKFuL jedoch kritisch und zudem als nicht erforderlich gesehen. Dies wurde von etlichen Teilnehmenden der Veranstaltung ebenso geäußert. Die Befugnis(norm) zur Mitteilung an das Jugendamt im Rahmen von (1) aufzuführen, gibt ihr einen Stellenwert, den sie nicht hat. Die Mitteilung an das Jugendamt ist immer letztes Mittel wenn alle anderen Schritte keinen Erfolg gezeigt haben. Diesen Stellenwert sollte sie auch weiterhin behalten. Das unpräzise Hierbei in (2) unterstreicht zudem den Eindruck von mehr Unschärfe als Klarheit, was die Abfolge der Handlungsschritte betrifft. Die EKFuL spricht sich daher dafür aus, die bisherige Fassung des 4 KKG beizubehalten, in der die Reihenfolge der Schritte bei Bekanntwerden von Kindeswohlgefährdung in schlüssiger, der Gesetzesintension entsprechenden Abfolge aufgeführt ist. Begrüßenswert im Sinne der angestrebten Rechtssicherheit ist die im neuen Absatz (4) erfolgte Erweiterung der Befugnisnorm um Mitarbeitende aus anderen Stellen. 29 Stärkung der elterlichen Kompetenz Als elternspezifische erzieherische Hilfe unabhängig davon, ob die Eltern sorgerechtliche Befugnisse haben (z. B. wenn ein Kind fremduntergebracht ist) ist der 29 im Grundsatz eine gute, sinnvolle Ergänzung. Voraussetzung wäre aber, dass es ausgehend von der Problemanzeige und dem Hilfebedarf, den Eltern thematisieren die Möglichkeit gibt, den kindlichen Bedarf implizit-schlussfolgernd festzustellen. 2 / 6

Als problematisch sieht die EKFuL jedoch die vorgesehene Annexkoppelung, wonach der Anspruch der Eltern auf Beratung und Unterstützung gemäß 29 SGB VIII nur dann gegeben sein soll, wenn die Tatbestandsvoraussetzung (Leistungsbedarf beim Kind) gegeben ist und das Kind tatsächlich Leistungen erhält (s. Erläuterung Seite 27, zu Absatz 2 Leistungen nach 29 für Eltern ). Damit würden z. B. Erziehungs- und Familienberatungsstellen gezwungen, Maßnahmen mit dem Kind durchzuführen, die es eventuell gar nicht braucht und es unter Umständen eher stigmatisieren als hilfreich zu wirken, nur um mit den Eltern arbeiten zu können. Eltern, die ihr eigenes Erziehungs- und Beziehungsverhalten hinterfragen und eigeninitiativ oder einer Anregung (Kita, Schule) folgend, sekundärpräventiv ( ehe es noch schlimmer wird) Erziehungs- und Familienberatung suchen, wären somit nicht leistungsberechtigt. Oft erschließt sich der Bedarf an Leistungen zur Stärkung der elterlichen Kompetenz mit Blick auf das Kindeswohl unmittelbar, ohne dass explizit eine Bedarfsermittlung beim Kind erfolgen müsste oder das Kind Leistungen erhalten müsste. Daher müsste eine entsprechende Formulierung sicherstellen, dass der Anspruchstatbestand des Kindes auch implizit ermittelt ausreicht, um den Anspruch von Eltern auf Leistungen Stärkung der ihrer elterlichen Kompetenz zu begründen. 30 Erziehungsberatung, Beratung für Kinder und Jugendliche, Familienberatung (bisher 28) In den vorliegenden Arbeitsentwürfen wird die Erziehungsberatung zunächst formal nicht verändert (siehe 28, 30, 76-79). Die Erziehungsberatung soll weiterhin als niedrigschwelliges Angebot für Kinder, Jugendliche und Eltern bzw. andere Erziehungsberechtigte bestehen bleiben. Außerdem erhalten Kinder und Jugendliche in Zukunft die Möglichkeit, ohne Einwilligung oder Wissen der Eltern, psychologische Beratung in Anspruch nehmen zu können. Dieser neue Passus wird von Seiten der EKFuL sehr begrüßt. Begrüßt wird außerdem, dass die Stärkung der Selbsthilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft als Beratungsgegenstand explizit benannt wird. Kritisch zu hinterfragen ist jedoch, ob der Anspruch auf Erziehungsberatung als Hilfe zur Erziehung nur dann gegeben ist, wenn das Kind auch Leistungen erhält (z.b. sozialpädagogischpädagogische oder therapeutische Einzel- oder Gruppenmaßnahmen). Das würde die Arbeitsweise in der Erziehungsberatung verändern und bedingt durch die Gesetzgebung die Durchführung von Maßnahmen mit dem Kind erzwingen, die unter Umständen nicht notwendig und ggf. sogar kontraproduktiv sind, da sie das Kind zum identifizierten Patienten (IP) machen. Sollte das so sein, geht sowohl im 29 als auch im 30 die Gesetzgebung an den Realitäten von Familien vorbei: Kindeswohl, Entwicklung und Teilhabe von Kindern können eingeschränkt bzw. bedroht sein dadurch, dass Eltern/Elternteile aufgrund kindsunabhängiger Faktoren (s. Belastung durch sozialwirtschaftliche Situation, Trennung Scheidung, Krankheit, Pflege alter Eltern) eine entsprechende Erziehung nicht gewährleisten können. Das gilt z. B. auch für psychisch kranke Eltern und Eltern mit sehr belastenden biographischen Vorerfahrungen, aufgrund derer eine angemessene Sicht auf das Kind deutlich einschränkt ist. Solche Mütter und Väter benötigen Beratung und Unterstützung, um Schaden für das Kindeswohl zu vermeiden. 3 / 6

D.h. es gibt einen noch nicht eingetretenen Schaden beim Kind, den es im Interesse von Kindeswohl, Erziehung, Teilhabe und Entwicklung des Kindes durch Elternleistungen nach 29 und 30 zu verhindern gilt. Dazu braucht es oftmals keine Leistungen für das Kind selber. Dieser Fall scheint in der Logik des neuen SGB VIII nicht vorgesehen zu sein und das ist aus Sicht der EKFuL ein eklatanter Mangel. Zu 28 Leistungen für junge Volljährige (bisher 41) Die Leistungen werden zum Rechtsanspruch, was aus Sicht der EKFuL als positiv zu bewerten ist. Zum anderen erfolgt eine starke Einschränkung, da die Leistungen lediglich in Fortsetzung bisheriger Hilfen vorgesehen werden und nicht unabhängig davon. Das wird nicht besser dadurch, dass die Hilfe/Leistung auch nach einer Pause (vorherige Hilfe war abgeschlossen) einsetzen kann. Krisen im Übergang vom Jugend- zum Erwachsenalter können auch ohne dass es sich in der Vorgeschichte des jungen Menschen abzeichnet neu auftreten, da die Lebensphase insgesamt labil und krisenanfällig ist. Es scheint, als wolle der Gesetzgeber einen möglichst frühen Zeitpunkt installieren, um junge Menschen ggf. aus der Jugendhilfe in andere Systeme (und damit in andere finanzielle Verantwortung) loswerden zu können. Das entspricht nicht dem Geist der Erläuterungen zur Gesetzesreform, wo auf die Übergangsforschung und deren Ergebnisse hingewiesen wird (s. Seite 25 der Erläuterungen unter Nummer 7). Auch die deutliche Prognose-Orientierung geht in Richtung Auslese, dahingehend, ob ein junger Mensch genügend Erfolgschancen für die Jugendhilfe bietet, dass sie sich noch um ihn bemüht. Es erscheint der EKFuL unangemessen, junge Menschen in der Übergangsphase (18.-21. Lebensjahr) was ihre Entwicklungschancen betrifft, so einschränken und festlegen zu sollen. Aus Sicht der EKFuL bedeutet es eine Verschlechterung für die betroffenen jungen Menschen, wenn der Aspekt Hilfe bei der Persönlichkeitsentwicklung als Ziel der Leistungen gar nicht mehr vorkommt, sondern lediglich die Zielerreichung von Verselbständigung für die Prognose zählen soll. Abzulehnen ist auch die Vorrang-Orientierung auf Hilfen nach 13 (schulische und berufliche Ausbildung), da sie eine Engführung der Hilfen bedeutet. Hilfeplanung 36a Beteiligung, Kooperation und Koordination: In den Absätzen (3) und (4) wird die fachliche Konsultation auf Fachkräfte der öffentlichen Jugendhilfe beschränkt bzw. diese werden zuerst genannt. So entsteht der Eindruck, dass die freie Jugendhilfe als nachrangig angesehen bzw. ausgeschlossen wird und auch die anspruchsberechtigte Familie in ihren Mitwirkungsmöglichkeiten beschnitten wird. Das Dreieck Familie / freier Träger / Jugendamt als Co-Produzenten in der Hilfeplanung verliert seine Funktion. Dies lehnt die EKFuL als Fachverband ab. 4 / 6

36 b Hilfeauswahl Die Neuregelungen sehen sinngemäß vor, dass das Jugendamt über die Auswahl der Hilfe nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet und vorrangig infrastrukturelle und Regelangebote in den Blick nimmt, bevor eine Hilfe zur Erziehung gewährt wird. Die EKFuL hat massive Bedenken, dass bei der Hilfeauswahl individuelle Leistungsansprüche auf Hilfen zur Erziehung nicht mehr angemessen gewährt werden und der Versuch gemacht wird, vorhandene Bedarfe durch vermeintlich gleichwertige, kostengünstigere sozialräumliche Regelangebote zu kompensieren. Beispiel: Erziehungsberatung als Hilfe zur Erziehung mit ihren fachlichen Standards kann nicht durch eine Erziehungsberatung light ersetzt werden. Die EKFuL als Fachverband verwehrt sich daher gegen jegliche Tendenzen, notwendige Unterstützung für hilfesuchende Familien aus fiskalischen Gründen einzuschränken. Zudem wird die Wortwahl pflichtgemäßes Ermessen des öffentlichen Jugendhilfeträgers kritisch gesehen. In diesem Zusammenhang ist zu hinterfragen, was pflichtgemäßes Ermessen bedeuten soll bzw. wie es ausgelegt werden kann. Dies würde dem Jugendamt sehr viel mehr Rechte als bisher einräumen und die Hilfeangebote eklatant einschränken können. Kritisch ist auch die vorrangige Leistung nach 13 für junge Volljährige (s.a. oben) zu sehen. 36 c bzw. 37 (neu) Bedarfsermittlung: In der Erläuterung zum 27, Seite 19 wird das ICF Klassifikationsschema (s. neuer 37 (1) SGB VIII) als Instrument zur Diagnose und Bedarfsermittlung angepriesen auch nutzbar in der Kinder/Jugendhilfe allgemein. Die EKFuL sieht hier die Gefahr, dass vorschnell Teilaspekte aus der Gesetzgebung der bisherigen Hilfe für behinderte Kinder auf die gesamte Kinder/Jugendhilfe angewandt werden sollen, ohne dass geklärt ist, was der Nutzen sein soll. Schematisierung, Vergleichbarkeit und vermeintliche Transparenz durch Diagnose- Instrumente herzustellen, hat eine gewisse Verführung (s. auch Notensystem in der Schule). Aber das kann leicht auf Kosten der differenzierten, angemessenen Wahrnehmung des Einzelfalles gehen. Da es im 37 unter (1) bzw. (2) um eine umfassende Klärung der Lebenssituation des Kindes / jungen Menschen gehen soll, sollten nicht nur Entwicklung und Teilhabe, sondern auch die Eltern- Kind-Beziehung, die Erziehungssituation und somit die Herkunftsfamilie als relevanter Teil des kindlichen Sozialraumes explizit mit aufgeführt werden. 76a Voraussetzungen für die Übernahme von Kosten Unter (2) wird die Erziehungsberatung nicht aufgeführt. Dies würde bedeuten, dass dazu keine Leistungsvereinbarung geschlossen werden kann. Die EKFuL als Fachverband empfiehlt dringend, die Erziehungsberatung als Hilfe zur Erziehung unter Hinzufügung des gültigen Paragraphen (bislang 28, später 30 SGB VIII) explizit aufzuführen. 5 / 6

Grundsätzliches zu Finanzierung und Übergangsfristen Mit der Zusammenlegung des SGB VIII und des SGB XII werden neue Beratungsthemen und - formate auf die psychologischen Beratungsstellen zukommen. Hier werden eine enge Zusammenarbeit und ein intensiver Austausch mit Behindertenverbänden sowie Qualifizierungsmaßnahmen für die Beratungsfachkräfte zu unterschiedlichen Behinderungen unumgänglich sein. Auch gewinnt die architektonische (Um)Gestaltung von Beratungsstellen Stichwort behindertengerechte Zugänge zukünftig an Gewicht. In allen Fällen werden Übergangsfristen benötigt. Unklar ist in diesem Zusammenhang, wer die notwendigen Qualifizierungsmaßnahmen oder Umbauten finanzieren wird. Zusätzliche Leistungen für die Beratung von Familien mit behinderten Kindern und Jugendlichen erfordern auch eine entsprechende Erweiterung der personellen Kapazitäten in den Einrichtungen so auch in den Erziehungs- und Familienberatungsstellen. Unklar bleibt, wer für die zusätzlichen Kosten aufkommt und welche Formen der Finanzierung vorgesehen sind. Fazit zu den bislang vorliegenden Arbeitsentwürfen Zwar werden wesentliche Qualitätsstandards der Erziehungsberatung nicht angetastet. Doch die neuen Steuerungsideen für die Hilfen zur Erziehung was Fragen von Rechtsansprüchen, Entscheidungsfindung, Beteiligung, sozialpädagogisches Fallverstehen, Ermessen des Jugendamtes betrifft interpretieren wir nicht zielführend für ein gelingendes Gesetz zur inklusiven Lösung in der Kinder- und Jugendhilfe. Hinzu kommen die bereits oben ausführlich dargestellten Kritikpunkte in den aufgeführten Leistungsbereichen. Von daher steht die EKFuL den bislang vorliegenden Arbeitsentwürfen kritisch gegenüber und sieht erheblichen Verbesserungsbedarf. Stand: Berlin, 14. Oktober 2016 6 / 6