Alkoholabhängigkeit -

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Transkript:

Alkoholabhängigkeit - - von der Charakterschwäche zur Neurobiologie Ingolf Andrees FA f. Allgemeinmedizin u. Psychiatrie / Psychotherapie Klinik für Psychische Erkrankungen ChA PD Dr. F. M. Böcker Saale-Unstrut-Klinikum Naumburg

Herzlichen Glückwunsch! Soziotherapeutisches Zentrum Sprungbrett Eckartsberga

Alkoholabhängigkeit - Ursachen Behandlung Komorbidität

Epidemiologie psychischer Erkrankungen 12-Monats-Prävalenzen: (Gesundheitssurvey 2013, erwachsene Bevölkerung) Angsterkrankungen 15,5 % Depressionen 14 % alkoholassoziierte Störungen 5 % (n = 3,1 Mio., + riskanter Konsum: ca. 5,5 Mio.) alle psych. Störungen gesamt: 28 %

Epidemiologie (BR Deutschland, 2013) ca. 5 Mio. Menschen mit riskantem Konsum ca. 1,6 Mio. Menschen mit Alkoholmißbrauch ca. 1,8 Mio. abhängige Patienten i. S. ICD 10 = ca. 8,4 Mio. Betroffene insgesamt ca. 74.000 Todesfälle/a (vgl. Nikotin: 140.000; illegale Drogen: ca. 1.000) Folgekosten ca. 24-27 Mrd. /a (!) DALY s (disability adjusted life years = verlorene od. Jahre in Behind./Kh): 1 Mio./Jahr (Quelle: www. dhs.de)

Abhängigkeitskriterien (WHO) Craving Kontrollverlust Toleranz Entzugserscheinungen Mißbrauch Verhaltenseinengung

Riskanter Konsum tägliche sehr wahrscheinlich unschädliche Trinkmenge (bei Einhaltung von Karenzzeiten): m w 24 g reiner Alkohol 12 g reiner Alkohol Bedingung: sonst körperlich und psychisch gesund strittig: präventive Wirkungen kleiner Alkoholmengen (KHK)

Entstehung einer Suchterkrankung Neurobiologische Riskofaktoren d. Konsumenten: genetisch Hirnreifung Suchtpotential der Substanz Abhängigkeit Psychosoziale Riskofaktoren d. Konsumenten : biografische Entwicklung seelische Belastungen Persönlichkeitsmerkmale Sozialer Rahmen des Konsums: Gesellschaft Familie Bezugsgruppen

Genetische Faktoren der Alkoholabhängigkeit polygenetisch; geringe Wirksamkeit einzelner Mutationen ca. 50-60 % der Varianz; > 100 beteiligte Gene Defizite u. a. im dopaminergen und serotoninergen System Epigenetik (Einfluß der prä- u. postnatalen Entwicklung) fehlende Neben- und Nachwirkungen des Rausches (Ataxie/Sedierung; Metabolismus) Ausmaß der endorphinagonistischen Wirkung Toleranz

Neurobiologie der Alkoholabhängigkeit GABA-agonistische Wirkung und down-regulation der Rezeptoren (Toleranz) NMDA-Rezeptorblockade (glutamatinhibierend) mit up-regulation (Entzugsphänomene) dopaminerge Aktivierung im Nc. accumbens (Rauscheffekt, craving) endorphinagonistische Wirkung (Rauscheffekt, Intoxikationen) wesentliche Beteiligung des noradrenergen Systems, z. T. als Vermittler

Neurobiologie der Alkoholabhängigkeit

Alkoholabhängigkeit und Belohnungssystem

Alkoholabhängigkeit als erlerntes Verhalten Etablierung starrer Verhaltensmuster (wiederholte Lernerfahrung, vermittelt durch das Belohnungssystem) Einfluss von sozialen Kontextfaktoren Mangel an alternativen Verhaltensoptionen intrinsische psychische Verstärker (z. B. Ängste; Komorbiditäten, Selbstbild )

Alkohol- Folgeschäden bei ca. 75 % nachweisbar (vor AEB) neurologisch psychisch sozial internistisch traumatisch

Alkoholtoxische Hirnatrophie 80 J., gesund 45 J., > 25 J. Alkoholabhängigkeit

Alkoholtoxische Hirnatrophie 85 J., mittelschwere Alzheimer-Demenz 45 J., > 25 J. Alkoholabhängigkeit

Psychische Alkoholfolgeschäden Delir, kognitive Störung im Entzug anhaltende kognitive Störungen induzierte Psychose Persönlichkeitsänderung Alkoholdemenz Depressionen amnestisches Syndrom (Korsakow-S.) divide: primäre Komorbidität!

Behandlungsphasen der Alkoholabhängigkeit Kontaktphase Detoxikation und Entzugsbehandlung Motivationsbehandlung Entwöhnungsbehandlung ambulante Nachbetreuung und Selbsthilfe Eingliederungshilfe zur langfristigen Behandlung der Folgeschäden

Psychische Komorbidität bei Alkoholabhängigkeit Mechanismen / Varianten: psychische Störung parallel, unverbunden (z. B. Somatisierungsstörung, hirnorganische Erkrankung) psychische Störung prädisponiert für die Suchterkrankung und ist ätiologisch relevant (z. B. Angsterkrankungen, Depressionen, Psychosen, Persönlichkeitsstörungen) Suchtverlagerung (z. B. auch auf nicht stoffgebundene Abhängigkeiten) Folgekrankheiten der Abhängigkeit (z. B. Depression, psychotische Störung, kognitive Störung)

Psychische Komorbidität bei Alkoholabhängigkeit bei ca. 35% komorbide psychische Störung! bei ca. 30% der schizophrenen Patienten bei ca. 30-45 % der Patienten mit Angsterkrankungen (v. a. soziale Phobie und Agoraphobie, ferner GAD, Panikstörung) Depressionen: ca. 30 % (10-60%) ferner bei: Persönlichkeitsstörungen, ADHS, PTSD

Alkoholabhängigkeit - Fazit Motivation ist wichtig, reicht aber nicht aus (Trink-) Verhalten ist auch Genetik und Neurobiologie ein strukturiertes prothetisches Umfeld ist oft lebensrettend Verhaltensänderungen brauchen sehr viel Zeit wegen der trägen Neuroplastizität Komorbidität ist häufig und hoch relevant keine Abstinenz ohne deren Behandlung

Vielen Dank für Ihr Durchhaltevermögen! - Gibt s noch Fragen?