ÜBUNG VERWALTUNGSRECHT [WS 2013/14]

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Transkript:

ÜBUNG VERWALTUNGSRECHT [WS 2013/14] Diplomstudium der Rechtswissenschaften (K 101) Bachelorstudium Wirtschaftsrecht (K 033/500) Bruno Binder/Thomas Trentinaglia/Gudrun Trauner [Cyber] 148.004 MUSTER-MASSNAHMENBESCHWERDE ZU FALL 4 (GEWERBEPOLIZEI, BAUPOLIZEI) Akte unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt können mit Maßnahmenbeschwerde (Art 130 Abs 1 Z 2 B-VG) beim Verwaltungsgericht angefochten werden. Diese Maßnahmenbeschwerde richtet sich gegen die Maßnahmen der Magistratsbediensteten M und N vom 20.1.2014. Beachten Sie, dass die Maßnahmenbeschwerde gegenstandslos wird, sobald über die Maßnahme ein Bescheid erlassen wird, wie dies am 28.2.2014 geschehen ist. Das Verfahren über die Maßnahmenbeschwerde ist in diesem Fall einzustellen (VwSlg 12470 A/1987). Der Bescheid vom 28.1.2014 bleibt aber hier unberücksichtigt. An das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich Adresse Beschwerdeführer: Vertreten durch: Belangte Behörde: D-AG, Adresse, Siegendorf, vertreten durch den handelsrechtlichen Geschäftsführer A Rechtsanwalt X, Adresse, Bürgermeister der Landeshauptstadt Linz; Magistratsbedienstete M und N sowie zwei namentlich unbekannte Polizisten; gewerbepolizeiliche Maßnahmen in der Filiale F, X-Straße 3, 4020 Linz, am 20.1.2014 um 10.30 Uhr, im Einzelnen a) Beschlagnahme der Kaffeemaschine und der belegten Brote b) Schließung der gesamten Filiale F c) Ausweisung der Beschäftigten aus der Filiale F d) Versiegelung der Eingangstüre zur Filiale F X Beilagen einfach Vollmacht erteilt M a ß n a h m e b e s c h w e r d e gemäß Art 132 Abs 2 B-VG wegen Verletzung des einfachgesetzlichen gewährleisteten Rechts auf ungestörte Ausübung des Handelsgewerbes und des Gastgewerbes in der Filiale F. des einfachgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Unterbleiben gewerbepolizeilicher Maßnahmen, wenn die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Erwerbsfreiheit (Art 6 StGG) des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Unversehrtheit des Eigentums (Art 5 StGG, Art 1 1. ZPMRK) Muster-Maßnahmebeschwerde Fall 4 / Seite 1

I. Die D-AG, ein österreichisches Unternehmen mit Sitz in Siegendorf, ist seit dem 23.6.2002 Inhaberin einer Gewerbeberechtigung für das Handelsgewerbe. Sie betreibt die Filiale F, für die eine aufrechte Betriebsanlagengenehmigung erteilt und eine Betriebsstättenanzeige erstattet wurde. G ist gewerberechtlicher Geschäftsführer der D-AG und hat das Studium der Betriebswirtschaftslehre an der JKU abgeschlossen. Am 6.1.2014 meldete die D-AG unter Vorlage aller erforderlichen Unterlagen das Gastgewerbe in der Betriebsart des 111 Abs 1 Z 2 GewO 1994 bei der Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt an. aktueller Auszug aus dem Gewerberegister der D-AG Betriebsanlagengenehmigungsbescheid der Filiale F vom xx.xx.2008 Am 7.1.2014 wurde an die Filiale F, X-Weg, Linz, eine Gastronomie-Kaffeemaschine geliefert. Die Mitarbeiter der Filiale F begannen noch am selben Tag, kostenlos Kaffee an die Kunden auszuschenken und belegte Brote zu verkaufen. Mitarbeiter der Filiale F, X und Y, Adresse als Zeugen Lieferschein bzgl Kaffeemaschine Am 20.1.2014 kamen um 10.30 Uhr zwei Personen in Zivil in Begleitung zweier Polizisten in die Filiale F. Gegenüber den Mitarbeiterinnen wiesen sich diese Personen als Magistratsbedienstete mit den Namen M und N aus. Sie erklärten den Mitarbeiterinnen X und Y, den Betrieb aus gewerbepolizeilichen Gründen unverzüglich schließen zu müssen. Gemeinsam mit den Polizisten gingen M und N zur Kaffeemaschine, lösten die Anschlüsse und trugen die Kaffeemaschine in das Polizeifahrzeug. Anschließend packten sie sämtliche belegte Brote in eine Schachtel und brachten diese ebenfalls zum Fahrzeug. Danach teilten Sie den Mitarbeitern und den anwesenden Kunden mit, die Filiale jetzt zu schließen und forderten diese auf, ihre Sachen zusammenzupacken und die Filiale F zu verlassen. Den Mitarbeiterinnen X und Y war klar und wurde von den Magistratsbediensteten zum Ausdruck gebracht, dass jeder Widerspruch mit Polzeigewalt überwunden würde. Nachdem die Mitarbeiterinnen und die Kunden dem Befehl gehorchten und die Filiale verließen, versiegelten M und N die Eingangstüre zur Filiale F mit amtlichen Klebe- und Absperrbändern. Mitarbeiter der Filiale F, X und Y, Adresse als Zeugen Herr Z, Adresse (Filialkunde) als Zeuge Lichtbildfotos von der versiegelten Eingangstüre II. Da uns die beschriebene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch die dem Bürgermeister der Landeshauptstadt Linz zurechenbaren, oben bezeichneten Organe in unseren subjektiven Rechten verletzt, erhebt die D-AG durch ihren ausgewiesenen Vertreter gemäß Art 132 Abs 2 B-VG ivm 7 ff VwGVG in offener Frist Beschwerde und stellt die A n t r ä g e, das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich möge 1. gemäß 28 Abs 6 VwGVG die angefochtenen Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklären und aufheben; 2. gemäß 35 VwGVG erkennen, der Bund ist schuldig, die der D-AG durch das verwaltungsgerichtliche Verfahren entstandenen Kosten im gesetzlichen Ausmaß zuhanden des bevollmächtigten Vertreters binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; 3. gemäß 24 Abs 1 VwGVG eine mündliche Verhandlung durchführen; 4. gemäß 22 Abs 1 VwGVG der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkennen. Muster-Maßnahmebeschwerde Fall 4 / Seite 2

III. Unsere Anträge begründen wir im Einzelnen wie folgt: A. Zulässigkeit der Maßnahmebeschwerde Die oben näher beschriebenen Maßnahmen sind (jeweils) Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt im Sinne des Art 130 Abs 1 Z 2 B-VG. M und N setzten diese Maßnahmen unter Zuhilfenahme der Polizisten und ohne Dazwischentreten eines Bescheides unmittelbar und außerhalb eines förmlichen Verwaltungsverfahrens. Den Mitarbeiterinnen der Filiale F wurde durch das bestimmte Auftreten der Organe klargemacht, dass jeder Widerstand mit Staatsgewalt überwunden würde. Über das Vorhaben der Magistratsbediensteten M und N wurde weder die D-AG noch die Mitarbeiter der Filiale F zuvor informiert. Die beschriebenen Vorfälle ereigneten sich am 20.1.2014 um 10.30 Uhr. Die sechswöchige Beschwerdefrist des 7 Abs 4 Satz 2 VwGVG ist gewahrt. B. Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich Wie M und N den Mitarbeitern der Filiale F anlässlich der Amtshandlung am 20.1.2014 ausdrücklich mitteilten, bezweckte der Bürgermeister der Landeshauptstadt Linz, Missstände aufgrund von Übertretungen der Gewerbeordnung zu beseitigen, also gewerbepolizeiliche Maßnahmen zu ergreifen. Die Gewerbeordnung wird in mittelbarer Bundesverwaltung vollzogen, gemäß Art 131 Abs 1 B- VG sind hierfür die Landesverwaltungsgerichte sachlich zuständig. Die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich gemäß 3 Abs 2 Z 2 VwGVG nach dem Ort, an dem die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt begonnen wurde, das ist in diesem Fall der Standort der Filiale Linz. C. Begründung der Rechtswidrigkeit der Maßnahmen ( 9 Abs 1 Z 3 VwGVG) Die GewO erlaubt gewerbepolizeiliche Maßnahmen nur unter den in 360 GewO 1994 genannten Voraussetzungen. 360 GewO 1994 sieht nur in Abs 3 und Abs 4 den Einsatz unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt vor. Es ist daher zu prüfen, ob die Maßnahme in einer dieser Bestimmungen ihre gesetzliche Deckung findet. In 360 Abs 1 GewO 1994 ist der Einsatz von Befehls- und Zwangsgewalt überhaupt nicht vorgesehen. a. Voraussetzungen des 360 Abs 4 GewO 1994 nicht erfüllt 360 Abs 4 Satz 2 GewO 1994 ermöglicht den Einsatz von unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt zur Abwehr von einer Gefahr für Leben, Gesundheit von Menschen oder für Eigentum oder Nachbarn durch eine nicht genehmigte Betriebsanlage, wenn Sofortmaßnahmen zur Gefahrenabwehr erforderlich sind. Zur Abwehr bloßer Belästigungen sind Maßnahmen nicht erlaubt. Diese Voraussetzungen waren am 20.1.2014 nicht erfüllt: Von der Kaffeemaschine ging keine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen oder für fremdes Eigentum aus. Es bestand kein Grund zur Annahme, dass zur Gefahrenabwehr Sofortmaßnahmen an Ort und Stelle erforderlich sind. Die Gewerbebehörde hatte dazu nicht einmal einen stichhaltigen Verdacht. Der Maßnahme ging keinerlei Ermittlungstätigkeit voran. Auch wurde von M und N während der Amtshandlung nie behauptet, dass eine unmittelbare Gefahr vorliegen würde. 360 Abs 4 GewO 1994 rechtfertigt die behördliche Maßnahme daher keinesfalls. b. Voraussetzungen des 360 Abs 3 GewO 1994 nicht erfüllt 360 Abs 3 GewO 1994 sieht folgendes vor: Ist eine Übertretung gemäß 366 Abs. 1 Z 1 offenkundig, so hat die Behörde ohne vorausgegangenes Verfahren und vor Erlassung eines Bescheides den gesamten der Rechtsordnung nicht entsprechenden Betrieb an Ort und Stelle zu schließen. Gemäß 366 Abs 1 Z 1 GewO 1994 begeht eine Verwaltungsübertretung, wer ein Gewerbe ausübt, ohne die erforderliche Gewerbeberechtigung erlangt zu haben. Die getroffenen Maßnahmen wären nur dann rechtmäßig gewesen, wenn bereits zum Zeitpunkt der Amtshandlung offenkundig war, dass dieser (Verwaltungsstraf)tatbestand erfüllt ist, dass also die D-AG das Gastgewerbe ohne Be- Muster-Maßnahmebeschwerde Fall 4 / Seite 3

rechtigung ausübte. Insoweit hätte die Behörde vor der Maßnahme im Detail prüfen müssen, ob die Voraussetzungen für die Ausübung des Gastgewerbes vorliegen, und nur dann, wenn keine Zweifel an einer Übertretung des 366 Abs 1 Z 1 GewO 1994 bestanden hätten, die Maßnahme vornehmen dürfen. Da aber jede Ermittlungstätigkeit unterlassen wurde, kann von einer Offenkundigkeit keine Rede sein. Tatsächlich hat die D-AG das Gastgewerbe rechtmäßig ausgeübt: c. Gastgewerbe als Anmeldegewerbe ( 5 GewO 1994) Tatsächlich war der Ausschank von Kaffee und die Verabreichung der belegten Brote seit Aufnahme dieser Tätigkeiten am 7.1.2014 rechtmäßig, weil die D-AG mit der Anmeldung des Gastgewerbes am 6.1.2014 die Gastgewerbeberechtigung erlangte. Das Gastgewerbe ist gemäß 5 Abs 1 GewO 1994 ein Anmeldegewerbe, die Gewerbeberechtigung entsteht bereits mit der Gewerbeanmeldung gemäß 339 GewO 1994 und nicht erst mit der Eintragung in das Gewerberegister ( 340 Abs 1 Satz 2 GewO 1994), wenn die Voraussetzungen erfüllt sind. d. G erfüllt die persönlichen Voraussetzungen eines gewerberechtlichen Geschäftsführers Juristische Personen bedürfen zur Ausübung eines Gewerbes eines gewerberechtlichen Geschäftsführers ( 9 GewO 1994). Die D-AG bestellte G gemäß 340 GewO 1994 gleichzeitig mit der Gewerbeanmeldung zum gewerberechtlichen Geschäftsführer. Der gewerberechtliche Geschäftsführer einer juristischen Person muss den für die Ausübung des Gewerbes vorgeschriebenen allgemeinen und besonderen persönlichen Voraussetzungen entsprechen ( 9 Abs 1, 39 Abs 2 Satz 1 GewO 1994). G erfüllt die persönlichen Voraussetzungen für die Ausübung des Gastgewerbes: Das Gastgewerbe ist ein reglementiertes Gewerbe ( 94 Z 26 GewO 1994). Die Zugangsvoraussetzungen, die G erfüllen muss, sind in der Gastgewerbe-VO geregelt (Verordnung des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit über die Zugangsvoraussetzungen für das Gastgewerbe, Gastgewerbe-Verordnung, BGBl. II Nr. 51/2003). Gemäß 1 Abs 1 Z 2 Gastgewerbe-VO genügt ein Zeugnis über den Abschluss (irgend)einer Studienrichtung. G hat Studium Betriebswirtschaftslehre erfolgreich abgeschlossen, er erfüllt daher die Berufsantrittsvoraussetzungen. Außerdem muss G in der Lage sein, sich im Betrieb entsprechend zu betätigen. Dass dies nicht der Fall wäre, haben M und N weder behauptet noch wurde dazu jemals ein Ermittlungsverfahren durchgeführt, das gegenteilige Ergebnisse zu Tage gefördert hätte. G ist Vorstandsmitglied der D- AG und gehört somit dem zur Vertretung berufenen Organ der D-AG an. Er erfüllt daher auch die Voraussetzung des 39 Abs 2 Satz 3 Z 1 GewO 1994. Firmenbuchauszug der D-AG Eidesstättige Erklärung des G, dass er in der Lage ist, sich im Betrieb entsprechend zu betätigen Da somit G alle Anforderungen an einen gewerberechtlichen Geschäftsführer erfüllt und die D-AG die Bestellung des G rechtzeitig und rechtswirksam bei der zuständigen Behörde angezeigt hat, wurde G wirksam zum gewerberechtlichen Geschäftsführer bestellt. Die Gewerbeberechtigung für die D-AG ist mit Anmeldung des Gastgewerbes am 04.02.2013 entstanden. e. Nebenrecht 32 Abs 1 Z 15 GewO 1994 (Kostenloser Ausschank von Kaffee auch ohne Gastgewerbeberechtigung) Selbst wenn die Gewerbeanmeldung des Gastgewerbes wie von der Behörde angenommen nicht wirksam wäre, sohin lediglich eine Gewerbeberechtigung für das (freie) Handelsgewerbe vorläge, wäre die D-AG dennoch zum unentgeltlichen Ausschank von Kaffee berechtigt: 32 Abs 1 Z 15 GewO 1994 erlaubt allen Gewerbetreibenden den unentgeltlichen Ausschank von Getränken, sofern hierfür nicht geworben wird und keine zusätzlichen Hilfskräfte verwendet werden. Die Behörde hat nicht geprüft, ob diese Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen. Eine Offenkundigkeit im Sinne des 360 Abs 3 GewO 1994, die den Einsatz unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt rechtfertigt, erfordert aber, dass jeder Zweifel über die Rechtmäßigkeit der Gewerbeausübung ausgeschlossen ist. Davon kann angesichts der Rechtslage keine Rede sein. Muster-Maßnahmebeschwerde Fall 4 / Seite 4

32 Abs 2 GewO 1994 bestimmt, dass der wirtschaftliche Schwerpunkt und die Eigenart des Betriebes (Handelsbetrieb) erhalten bleiben müssen, wenn der Gewerbetreibende Nebenrechte ausübt: Es gibt keine Hinweise darauf, dass der Ausschank von Kaffee überhand nehmen und dem Betrieb seinen Charakter als Handelsbetrieb (Lebensmittelmarkt) nehmen würde. Auch zu dieser Frage wurde kein Ermittlungsverfahren durchgeführt. Der kostenlose Ausschank von Kaffee erweist sich somit auch ohne Gastgewerbeberechtigung als berechtigt. f. Verkauf von belegten Broten auch ohne Gastgewerbeberechtigung Für die Verabreichung von Speisen in einfacher Art, wenn hiebei nicht mehr als acht Verabreichungsplätze (zum Genuss von Speisen und Getränken bestimmte Plätze) bereitgestellt werden, ist zwar eine Gastgewerbeberechtigung in der Betriebsart des 111 Abs 2 Z 3 GewO 1994 erforderlich, allerdings muss der Gewerbeanmelder hierfür keinen Befähigungsnachweis vorweisen. In diesem Umfang handelt es sich also um ein freies Gewerbe. Belegte Brote sind jedenfalls Speisen einfacher Art, auch werden nicht mehr als acht, sondern bloß vier Verabreichungsplätze (ein Tisch und 4 Stühle) bereitgestellt. Selbst wenn G den Befähigungsnachweis nicht erbringen könnte was aber oben bereits dargetan wurde -, dürften die belegten Brote verkauft werden. g. Maßnahme überschießend Abgesehen davon waren einzelne Maßnahmen, konkret das Schließen der gesamten Filiale und das Versiegeln der Eingangstüre, unabhängig vom Vorliegen einer Gastgewerbeberechtigung überschießend und daher unzulässig, da das Handelsgewerbe (Verkauf von Waren) jedenfalls weiterhin ausgeübt werden darf. Von M und N wurde zu keiner Zeit behauptet, dass die D-AG auch zum Lebensmittelhandel nicht mehr berechtigt wäre. 360 Abs 3 GewO 1994 spricht nur von der Schließung des gesamten der Rechtsordnung nicht entsprechenden Betriebs. Selbst wenn das Nichtvorliegen einer Berechtigung für den Ausschank von Kaffee und das Verabreichen von belegten Broten erwiesen wäre, hätte es unbeschadet des obigen Vorbringens genügt, die Kaffeemaschine und die Waren (Kaffee und belegte Brote) zu beschlagnahmen. Keinesfalls war die Schließung des gesamten Betriebs gerechtfertigt, zumal der D-AG damit auch die Möglichkeit genommen wurde, das Handelsgewerbe auszuüben. h. Fehlende BA-Änderungsgenehmigung Das Aufstellen und Betrieb der Kaffeemaschine ist zwar eine Änderung der bewilligten Betriebsanlage der Filiale F, diese Änderung ist gemäß 81 Abs 1 GewO 1994 aber nur dann genehmigungspflichtig, wenn es zur Wahrung der im 74 Abs 2 GewO 1994 umschriebenen Interessen (Gefährdungen, Belästigungen, Beeinträchtigungen) erforderlich ist: Der Einbau und Inbetriebnahme einer Kaffeemaschine ist aber nicht geeignet, die Schutzgüter des 74 Abs 2 GewO 1994 zu beeinträchtigen, etwa Nachbarn zu belästigen oder zu gefährden (kein Lärm, keine Abgase etc). D. Begründung des Antrags auf aufschiebende Wirkung Die Kaffeemaschine und die belegten Brote sind nach wie vor beschlagnahmt, die Türen der Filiale F sind nach wie vor mit amtlichen Siegeln versiegelt. Die bezeichneten Maßnahmen dauern nach wie vor an. Gemäß 22 Abs 1 Satz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag des Beschwerdeführers die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen mit dem Andauern der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für den Beschwerdeführer ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre. Zwingende öffentliche Interessen stehen der vorläufigen Aufhebung der Maßnahmen nicht entgegen: Von der Kaffeemaschine gehen keine Gefahren aus. Der für das Gastgewerbe vorgeschriebene Befähigungsnachweis soll die Qualität des Angebots und den Schutz der Konsumenten sicherstellen. Bei der Verabreichung von Kaffee und einfachen belegten Broten besteht keine Gefahr für die Konsumenten. Muster-Maßnahmebeschwerde Fall 4 / Seite 5

Mit dem Andauern der Beschlagnahme und der Betriebsschließung wäre für die D-AG ein enormer wirtschaftlicher, aber auch immaterieller Schaden verbunden. Für den Zeitraum der Betriebsschließung wird kein Umsatz erwirtschaftet, enorme wirtschaftliche Verluste sind damit verbunden. Der Imageverlust für die D-AG ist bereits jetzt groß und wird sich weiter vergrößern, solange die Maßnahme andauert. Aufstellung der Umsatzzahlen des Jahres 2013 Aufstellung der Fixkosten (Löhne, Miete, Abgaben etc) samt Belegen Insgesamt überwiegen die Interessen der D-AG die Öffentlichen Interessen am Andauern der verhängten Maßnahmen bei weitem. Der Nachteil, welcher der D-AG durch das Fortdauern der Maßnahme droht, ist unverhältnismäßig. Linz, am 20. Februar 2014 D-AG Muster-Maßnahmebeschwerde Fall 4 / Seite 6