Etwas Topologie Thomas Jahn LV Algebraische Topologie am 1. Dezember 214 1 Eulerscher Polyedersatz [2] Satz 1.1 (Eulerscher Polyedersatz). Sei G ein ebener Graph. (Multikanten und Schlingen sind erlaubt, die Kanten sind als Jordankurven eingebettet.) Mit V (G), E(G), F(G) und C(G) bezeichnen wir Knoten-, Kanten-, Länder- und Komponentenmenge von G. Dann gilt V (G) E(G) + F(G) C(G) = +1. Konstruktiver Beweis. Schritt 1. Reduktion auf C(G) = 1. Sei C(G) 2. Der Graph G entstehe aus G, indem wir Knoten x und y aus verschiedenen Komponenten finden und durch eine Kante verbinden. Dadurch erhalten wir E(G ) = E(G) + 1, C(G ) = C(G) 1, F(G ) = F(G) (die eingefügte Kante ist eine Brücke) und V (G ) = V (G). Die Gültigkeit des Polyedersatzes für G ist also zu der für G äquivalent. Durch Fortführen dieses Prozesses (und schließliches Rückumbenennen in G) erreichen wir C(G) = 1, also dass G zusammenhängend ist. Schritt 2. Reduktion auf schlichte Graphen. Auf jeder Schlinge füge man zwei neue, auf jeder Kante einer Multikante einen neuen Knoten ein. Durch jeden hinzugefügten Knoten erhöht sich die Kantenanzahl um genau 1. Die Länder bleiben erhalten. Somit heben sich die Änderungen von V (G) und E(G) in der Summe V (G) E(G) + F(G) gerade auf. Sei also G ohne Beschränkung der Allgemeinheit schlicht. Schritt. Triangulation. Wir zerlegen jedes Land durch neue Kanten in Dreiecke. Hatte das Land n Knoten, dann haben wir es durch n Kanten in n 2 Dreiecke zerlegt, also sind es n 2 Länder mehr geworden. Da die Knotenmenge gleich bleibt, ändert sich an der Summe V (G) E(G) + F(G). Schritt 4. Annexion. Wir vereinigen ein zum Außenland benachbartes Land mit dem Außenland. Dabei verringert sich die Länderanzahl um 1. Für die Knoten- und Kantenmengen gibt es drei Möglichkeiten: (a) die Knotenmenge bleibt erhalten, wir löschen eine Kante, (b) wir löschen einen Knoten und zwei Kanten, (c) wir löschen zwei Knoten und drei Kanten. 1
Jedes Mal ändert sich die Summe V (G) E(G) + F(G) nicht. Den Prozess führen wir fort, bis nur noch ein Dreieck übrig bleibt, und für dieses ist die Aussage trivial. Abbildung 1. Annexionsschritt im Beweis vom Polyedersatz. Sind die Kanten als Streckenzüge eingebettet und ist der Graph zusammenhängend, so können wir auch einen geometrischen Beweis angeben. Beweis durch doppeltes Abzählen. Die Kanten seien ohne Einschränkung als Strecken eingebettet, ansonsten fügen wir an jedem Knick einen weiteren Knoten ein. Das erhöht Kantenanzahl und Knotenanzahl jedes Mal um genau 1 und behält die Länder bei. An der Summe V (G) E(G) + F(G) ändert sich also nichts. Damit sind die Länder Polygone (konvex oder nicht konvex, jedenfalls nicht überschlagen), deren Ecken Knoten von G sind. Jetzt zählen wir die Winkel um die Knoten herum. Das Außenland sei mit f außen bezeichnet. 6 V (G) = Winkelsumme( f ) f F(G) = 18 E(f außen ) + 6 + = 18 E(f außen ) + 6 + f F(G)\{f außen } f F(G)\{f außen } = 18 E(f außen ) + 6 + 18 f F(G)\{f außen } Winkelsumme(F) 18 ( E(f ) 2) E(f ) 6 ( F(G) 1) = 18 E(f außen ) + 72 + 18 ( ) E(f außen ) + 2( E(G) E(f außen ) ) 6 F(G) = 18 E(f außen ) + 72 + 18 (2 E(G) E(f außen ) 6 F(G) = 72 + 6 E(G) 6 F(G). Umstellen und Division durch 6 liefert das Ergebnis. Korollar 1.2. Ist G ein schlichter zusammenhängender ebener Graph mit V (G), dann gilt E(G) V (G) + 6. 2
Beweis. Wir zählen die Kanten-Facetten-Inzidenzen doppelt ab: Jedes Land wird von mindestens drei Kanten berandet, jede Kante gehört zu höchstens zwei Gebieten. Also ist 2 E(G) f F(G) E(f ) F(G), d. h., F(G) 2 E(G). Nach dem Eulerschen Polyedersatz gilt E(G) = E(G) + F(G) 2 V (G) + 2 E(G) 2, also die Behauptung. 2 Färbungen [2] Wir beschäftigen uns mit Färbungen von Ländern und Knoten ebener Graphen. Das sind Funktionen h : F(G) {1,..., n} (bzw. f : F(G) {1,..., n}) mit h(f 1 ) h(f 2 ) (bzw. h(x 1 ) h(x 2 )) für benachbarte Länder f 1 und f 2 (bzw. benachbarte Knoten x 1 und x 2 ). Länder sind benachbart, wenn sie eine gemeinsame Kante haben, Knoten sind benachbart, wenn sie durch eine Kante verbunden sind. Die kleinste Zahl n, für die es eine Länderfärbung (bzw. Knotenfärbung gibt), bezeichnen wir mit χ F (G) (bzw. χ V (G)). Satz 2.1. Ist χ F (G) = 2, so hat G nur Knoten geraden Grades. Beweis. Angenommen, es gäbe eine Ecke ungeraden Grades. Dann inzidiert diese Ecke mit ungerade vielen Ländern. Diese können nicht mit zwei Farben eingefärbt werden. Beispiel 2.2. Wir zeichnen n verschiedene Kreislinien K 1,..., K n in die Ebene, sodass jede mindestens eine andere in zwei Punkten schneidet. Die dadurch entstehende Landkarte kann mit zwei Farben eingefärbt werden. Das geht wie folgt: Da Kreise Jordankurven sind, können wir für jede Zusammenhangskomponente von R 2 \ (K 1... K n ) entscheiden, ob sie im Innern von K i liegt oder nicht. Wenn wir jetzt allen Ländern, die in ungerade vielen K i liegen, die Farbe 1 zuordnen, und allen Ländern, die in gerade vielen K i liegen, die Farbe 2, dann erhalten wir eine zulässige Färbung. Dazu müssen wir nur einsehen, dass Länder gleicher Parität nicht benachbart sein können. Das ist aber klar: Überschreiten wir eine Kante (nicht an einem Knoten), dann ändert sich die Anzahl der K i, in deren Inneren wir uns befinden, um genau 1. Dass die Eckengrade alle gerade sind, ist klar. Satz 2.. Für Triangulationen G gilt die Äquivalenz χ F (G) = 2 χ V (G) =. Beweis. Sei G eine Triangulierung mit einer Knotenfärbung mit drei Farben. Dann ordnen wir jedem Land eine Orientierung anhand der Färbung zu und stellen fest, dass benachbarte Länder verschiedene Orientierungen haben müssen. Das liefert und die Länderfärbung mit zwei Farben. Sei umgekehrt G eine Triangulierung mit einer Länderfärbung mit zwei Farben. Färben wir die Knoten eines Landes der Farbe 1 mit dem Uhrzeigersinn, so müssen alle benachbarten Länder (die die Farbe 2 tragen) gegen den Uhrzeigersinn knotengefärbt sein. Das liefert induktiv die Knotenfärbung mit drei Farben. Satz 2.4. Sei G eine -regulärer ebener Graph. (Schlingen und Multikanten sind erlaubt, Schlingen werden beim Grad doppelt gezählt.) Dann ist χ F (G) = genau dann, wenn jedes Land eine gerade Anzahl an Randkanten hat.
Abbildung 2. Eine Landkarte aus Kreislinien. 1 2 Abbildung. Knotenfärbungen mit Farben korrespondieren mit Orientierungen der Länder. Beweis. Wir dualisieren und benutzen die vorhergehenden beiden Aussagen für G. Dualisieren geht so: Wir markieren in jedem Land von G einen Punkt, der dann Knoten von G wird. Knoten von G, die zu benachbarten Ländern gehören, werden mit so vielen Randkanten verbunden, wie die entsprechenden Länder von G gemeinsam haben. Wir haben χ F (G) = χ V (G ) =, weil beim Dualisieren Länder und Knoten die Rollen tauschen. Eben so ist G genau dann -regulär. zusammenhängend und schlicht, wenn G eine Triangulation ist. Damit haben wir folgende Kette von Äquivalenzen: G ist -regulär, zusammenhängend, schlicht und es ist χ F (G) =. G ist Triangulation und es ist χ F (G) =. χ F (G ) = 2 G hat nur gerade Grade. G hat gerade viele Randkanten. Homotopie [1] Definition.1. Zwei Parametrisierungen f, g : [,1] X in einer Figur X heißen homotop, falls es eine stetige Abbildung h : [,1] 2 X gibt mit h(x,) = f (x) und h(x,1) = g(x) für 4
alle x [,1]. Die Fundamentalgruppe einer Figur X bezüglich eines Basispunktes X ist die Menge der geschlossenen Wege in X mit Start- und Endpunkt x modulo Homotopie. Als Gruppenoperation wird das Nacheinanderdurchlaufen der Wege genommen. Diese Operation ist offensichtlich assoziativ, das neutrale Element ist der Weg, der konstant x ist und das Inverse f eines Weges f ist gerade der umgekehrte Weg, also definiert über f (t) := f (1 t). Satz.2. Die Fundamentalgruppe der Kreislinie X zu einem beliebigen Basispunkt x ist isomorph zu (Z, +). Beweis. Ohne Beschränkung der Allgemeinheit sei X der Einheitskreis in C und x = 1. Sei f : [,1] X ein beliebiger geschlossener Weg mit Anfangspunkt und Endpunkt x, und sei a : [,1] X, a(t) = e 2πt. Der Weg a durchläuft X in positiver Richtung gleichmäßig (ohne Richtungsumkehr). Mit a n bezeichnen wir die n-fache Verknüpfung von a, also den Weg, der den Kreis n-mal in positiver Richtung durchläuft. Weiterhin sei a der Weg, der konstant x ist, a 1 der inverse Weg zu a und a n := (a 1 ) n, n N. Wir tragen nun den Winkel ϕ ab, die Strahlen von vom Ursprung aus mit f (t) und x einschließen. Wenn f sich in positiver Richtung bewegt, wächst φ, wenn f sich in negativer Richtung bewegt, fällt φ. Genauer gilt ϕ(t) = 1 t f (s)ds ; (1) i f (s) siehe Vorlesung Funktionentheorie, Abschnitt Windungszahl. Hier wollen wir aber nicht die Windungszahl selbst, sondern die mit 2π multiplizierte Windungszahl, weil wir uns für Winkel interessieren. Anders können wir auch sagen, da f sich auf dem Einheitskreis bewegt und stetig ist, muss es eine Funktion g : [,1] R geben, sodass f (t) = e ig(t). Da f () = x ist, muss g() = sein. Das setzen wir jetzt in (1) ein: ϕ(t) = 1 i t f (s) ds = 1 f (s) i t e ig(s) ig (s) ds t e ig(s) = g (s) ds = g(t) g() = g(t). Damit können wir auch einfach sagen: ϕ ist diejenige stetige Funktion [,1] R, für die gilt f (t) = e iϕ(t). Da f ein geschlossener Weg ist, muss ϕ(1) ein Vielfaches von 2π sein, also etwa ϕ(1) = 2πk mit k Z. Im t-ϕ-diagram gibt es unter den ganzzahligen Vielfachen von a nur einen Weg, der bei t = 1 den Winkel 2πk hat, nämlich a k. Jetzt müssen wir nur noch zeigen, dass f und a k homotop sind. Dazu betrachte h : [,1] 2 X h(t, s) = sϕ(t) + (1 s)2πkt. (2) Weil f stetig ist, ist es auch ϕ und somit h. Das zeigt, dass die ϕ und t 2πkt homotop sind. Damit sind via h(t, s) = e ih(t,s) () auch f und a k homotop. Damit ist jede Homotopieklasse von X bezüglich x durch die Umlaufzahl k charakterisiert, was uns den Gruppenisomorphismus liefert. 5
Literatur [1] V. Boltjanski and V. A. Efremovič, Anschauliche kombinatorische Topologie, Mathematische Schülerbücherei 129, Vol. 129, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin, 1986, doi: 1.17/978--22-8761-. [2] J. Jäger, Elementare Topologie, Uni-Taschenbücher, Vol. 16, Ferdinand Schöningh, Paderborn, 198. 6