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Transkript:

Verkürzungsausgleich (VA) Unsere Erfahrungen mit einem Verkürzungsausgleich in der Skoliosebehandlung aus Orthopädische Praxis, Heft 4, April 1991, 27. Jahrgang, Seiten 255-262, Medizinisch Literarische Verlagsgesellschaft mbh, Uelzen Zusammenfassung In unserem Patientengut finden sich viele Skoliosepatienten mit einem Verkürzungsausgleich (VA) bei funktionellem Beckenschiefstand. In diesen Fällen kann die gewünschte Korrektur kaum erreicht werden, weil - als Reaktion auf den VA - kompensatorische Bewegungen des Beckens und der Wirbelsäule auftreten. Nur eine anatomische Beinverkürzung hat die Berechtigung zum VA. Diese erkennt man im klinischen Bild durch sowohl ventral wie auch dorsal tiefer stehende Darmbeinstacheln, Beckenkamm, Trochanter und ISG auf der gleichen Seite. Zusätzlich sehen wir im Röntgenbild einen entsprechenden Sakrumschiefstand. Der funktionelle Beckenschiefstand kann nach genauer Befunderhebung aktiv krankengymnastisch korrigiert werden. Der VA sollte, wenn nötig, nie fehlen. Voreiliges Versorgen mit einem VA kann jedoch oft die gewünschte Korrekturwirkung ins Gegenteil umkehren. Dies gilt auch für die Verordnung eines VAs zur Besserung des Korsettsitzes. Wichtig bleiben immer die Beurteilung der Beckenstellung im dreidimensionalen Sinne seitens des Therapeuten wie auch die gefühlsmäßige Akzeptanz seitens des Patienten. In unserer Klinik werden Patienten mit unterschiedlichen Wirbelsäulendeformitäten krankengymnastisch behandelt. Neben Skoliosen (vornehmlich idiopathische Skoliosen) mit ganz unterschiedlichen Krümmungsmustern behandeln wir Patienten mit Haltungsverfall und Morbus Scheuermann. Viele unserer Skoliosepatienten mit funktionellem Beckenschiefstand sind mit einem Verkürzungsausgleich versorgt. Wir halten diese Versorgung in vielen Fällen für schädlich und möchten unsere diesbezüglichen Erfahrungen im Folgenden zur Diskussion stellen. Bei der Eingangsuntersuchung in der Katharina-Schroth-Klinik wird der Beckenstand mit Hilfe folgender klinischer Zeichen ermittelt: I. Analfalte, Gesäßfalten II. Palpation der 1. hinteren Darmbeinstacheln 2. der Beckenkämme mit der Beckenwasserwaage 3. der Iliosakralgelenke 4. des Trochanter major auf beiden Seiten 5. der vorderen Darmbeinstacheln III. Auswertung einer Röntgenganzaufnahme im Stehen a-p. Besonders stark erscheint eine Seitverschiebung des Beckens bei ausgeprägten Skoliosen. Die eine Hüfte ist seitlich prominent und erscheint höherstehend, das Bein erscheint länger. Diese Seitverschiebung des Beckens erzwingt kompensatorische Gegenkräfte in kranialer Richtung mit einer oder zwei Wirbelsäulengegenkrümmungen im Schulter-Hals-Bereich. Wir sprechen von einem skoliotischen Gleichgewicht mit Beckenschiefstand.

Abb. 1: 12-jähige Patientin mit einer idiopathischen so genannten dreibogigen rechtskonvexen Skoliose, Hüftprominenz links. Das Körpergewicht ruht auf dem rechten Bein. Abb. 2: Ein VA unter dem rechten Fuß verengt die rechte Lendenregion und schiebt den LWS-Bogen nach links. Abb. 3: Übung nach Schroth ohne VA: Hereinraffen der linken Hüfte. Der Oberkörper kommt nach links, die rechte Taillengegend wird weit, weil die Körperlast jetzt auf dem linken Bein ruht. Das Becken steht gerade. Abb. 4: Die gleiche Patientin während einer rückenstreckenden Kräftigungsübung mit zwei Stäben. Dabei gelingt die Korrektur etwas besser.

Ziel der dreidimensionalen Skoliosebehandlung nach Schroth ist es, die Körperstatik zu verbessern und dieses skoliotische Gleichgewicht in ein annähernd normales Körpergleichgewicht zu verwandeln. Dies bedeutet, dass Becken, Brustkorb und Schultergürtel über den Schwerpunkt geordnet werden, so dass keine Hüfte mehr prominent ist. In diesem Falle erscheint auch meist die Höhendifferenz der Beckenkämme wieder ausgeglichen, da es sich in diesem Falle nur um einen funktionellen Beckenschiefstand gehandelt haben mag. VA bei der funktionell dreibogigen Skoliose (Abb. l, 2, 3 und 4) Bei der funktionell dreibogigen Skoliose handelt es sich gewöhnlich um eine Thorakalskoliose, in manchen Fällen auch um eine Doppel-Major-Krümmung. Der Terminus dreibogig richtet sich bei Schroth nach den zugehörigen drei Rumpfabschnitten (Beckengürtel, Rippenkorb, Schultergürtel), die bei der Skoliose teils in der frontalen, teils in der sagittalen sowie in der transversalen Ebene verschoben und verdreht sind.. Becken und Schultergürtel sind in gleicher Richtung, der dazwischen liegende thorakale Teil in entgegengesetzter Richtung verschoben. Die Hüfte der thorakalen Konkavseite ist prominent und erscheint höherstehend. Der Patient hat kaum einen Lendenwulst. Der Lumbalbogen geht senkrecht in die Analfalte über. Die Körperlast ruht vermehrt auf dem thorakal konvexseitigen Bein. In der Abb. 1 sieht man eine 12-jährige Patientin mit einer funktionell dreibogigen idiopathischen rechtskonvexen Thorakalskoliose mit linkskonvexer lumbaler und zervikaler Gegenkrümmung. Prominente Hüfte links. Die Körperlast ruht vermehrt auf dem rechten Bein. Ein VA rechts würde in diesem Falle den Oberkörper ein wenig aufrichten. Dies würde jedoch auf Kosten einer Vergrößerung des Lunbalbogens geschehen. Die Einengung unterhalb des rechten Rippenbuckels wäre verstärkt (Abb. 2). Zur Korrektur soll nach Schroth die linke Hüfte vom linken äußeren Oberschenkel (Trochanter major) nach innen gerafft werden (Abb. 3, 4), so dass die rechte Hüfte nach außen tritt (statische Überkorrektur). Das ist jedoch nicht ohne Gewichtsverlagerung auf das linke Bein möglich. Dadurch muss sich auch der Oberkörper aus Gründen des Gleichgewichts kompensatorisch nach links neigen (nicht beugen = eng werden). Die rechte Ferse muss auf dem Boden bleiben oder dorthin streben. Dies hat eine Ausweitung der konkaven Stelle rechts unterhalb des Rippenbuckels und eine Aufrichtung des Lumbalbogens zur Folge. Ein VA ist hier nicht nötig. VA bei einer funktionell vierbogigen Skoliose mit lumbosakraler Gegenkrümmung (Abb. 5 bis 8) Der Terminus vierbogig richtet sich nach den zugehörigen Rumpfabschnitten: Schulter-Hals-Teil, Rippenkorbabschnitt, Lendenabschnitt, Beckenabschnitt. Bei dieser Skolioseform ist ein starker Lendenwulst auffallend, der den thorakalen Rippenbuckel an Größe oft übertrifft. Die ziemlich hoch sitzende Lendenkrümmung geht kaudal in eine lumbosakrale Gegenkrümmung über, die zur thorakalen Konvexseite schwingt. Gleichzeitig erscheint die prominente Hüfte auf der thorakalen Konvexseite höherstehend. Die Körperlast ruht vermehrt auf dem thorakal konkavseitigen Bein (Abb. 5).

Abb. 5: 24jährige Patientin mit einer idiopathischen so genannten vierbogigen Skoliose: zervikal links-, thorakal rechts-, lumbal links- und lumbosakral wieder rechtskonvex. Die prominente Hüfte ist rechts. Die Analfalte steht leicht schräg. Das Becken erscheint rechts höher stehend und verwrungen = rechts nach obenhinten, links nach vorn-unten. Die Gesäßfalten stehen annähernd waagerecht. Abb. 6: Die gleiche Patientin mit einem VA links von zwei Zentimetern. Das Becken erscheint höhenmäßig fast ausgeglichen. Die Analfalte steht etwas schräger. Die Kniekehlen stehen nicht mehr auf gleicher Höhe. Auch die Gesäßfalten stehen unterschiedlich hoch. Ein VA links würde in diesem Falle die lumbosakrale Gegenkrümmung verstärken und das Becken weiter in die Fehlstellung ziehen (Abb. 6). Zur Korrektur der Statik muss der Schwerpunkt wieder zur Mitte gebracht werden. Die rechte Hüfte wird aus diesem Grunde vom rechten Oberschenkel her (Trochanter major) nach innen gerafft (Abb. 7). In dieser Haltung übt die Patientin nun das Gehen (Abb. 8). Betrachtet man diese beiden Erscheinungsformen der Skoliose, so ist die Abweichung in der frontalen Ebene am augenfälligsten. In beiden Fällen haben wir es mit einer rechtskonvexen Thorakalskoliose mit lumbaler Gegenkrümmung zu tun. Doch die funktionelle Behandlung der beiden Fehlhaltungen ist vom Grunde her verschieden, weil die Seitenverschiebung des Beckens in beiden Fällen ebenfalls unterschiedlich ist. Das klinische Bild beider Skolioseformen führt leider oft zu einer voreiligen Versorgung mit einem VA auf der Seite der scheinbar tiefer stehenden Hüfte. Nach unseren Beobachtungen lässt sich ein derartiger funktioneller Beckenschiefstand durch einfache Unterlagerung des Fußes im Sinne eines Va's nicht korrigieren. Durch einen VA am scheinbar tiefer stehenden Becken kann zwar optisch ein Beckengeradstand erzielt werden, der jedoch bei gleich bleibender Beinbelastung eine wesentliche Verstärkung der lumbosakralen, aber auch der kranialen Krümmungen zur Folge haben kann. Besonders ausgeprägt ist das in den einzelnen Schrittphasen während des Gehvorganges, wobei sich weitere skoliotische Bewegungsmuster herauskristallisieren können.

Eine funktionelle Behandlung muss hier den umgekehrten Weg gehen und die Beckenfehlstellungen in allen beschriebenen Ebenen korrigieren. Hat der Patient alle erforderlichen Beckenkorrekturen eingenommen, d.h., hat das Becken seine geordnete Stellung, wirkt ein VA eher störend auf das neu zu erwerbende Haltungsmuster. Ziel der dreidimensionalen Skoliosebehandlung nach Schroth ist es, das zuvor beschriebene skoliotische Gleichgewicht durch Aufhebung der skoliotischen Körperstatik zu ändern. Das beginnt damit, den Patienten an veränderte Beinbelastungen unter Einbeziehung zielgerichteter Beckenkorrekturen zu gewöhnen. Somit wird auf funktionellem Weg die gewünschte korrigierte Becken- und WS-Stellung erübt. Dazu muss dem Patienten die Becken- und Hüftmuskulatur ins Bewusstsein gerufen werden, damit er mit ihr arbeiten kann. Die entsprechenden Spannungsgefühle während der Übung hat er zur Verbesserung des Haltungsempfindens zu verinnerlichen. Eine Indikation für einen VA besteht also hier nicht. Abb. 7: Die Patientin übt die rechte Hüfte nach innen durch Druck der linken Hüfte gegen den Tisch bei gleichzeitiger leichter Außenrotation des linken Oberschenkels. Der linke Lendenwulst wird dagegen unter manueller Hilfe nach vorn-oben-innen entdreht. Ein VA ist nicht nötig, das Becken steht horizontal, die Gesäßfalte steht senkrecht. Abb. 8: In dieser Korrektur erfolgt nun das Gehen mit gefühlsmäßigem Nachempfinden, das durch Spiegelkontrolle vervollständigt wird. VA in Verbindung mit einem Korsett Bei der Korsettversorgung wird zuweilen ein VA verordnet, damit das Korsett besser in der Senkrechten sitzt (Abb. 9 bis 12). Dies geschieht jedoch auf Kosten eines künstlichen Beckenschiefstandes. Wir sind der Meinung, dass der Patient vor Anfertigung des Gipsabdruckes zur Korsettanfertigung lernen muss, die korrigierenden Beckenstellungen einzunehmen (Abb. 13 bis 15). Hieraus wird dann sicherlich auch eine effektivere Korsettversorgung resultieren.

Abb. 9: 12,5 jährige Patientin mit einem Chéneau- Korsett. Ohne VA sinkt der Oberkörper nach links. Die Körperlast ruht auf dem linken Bein. Die rechte Hüfte tritt nach außen. Abb. 10: Durch den VA von zwei Zentimetern, links steht der Oberkörper senkrechter. Jedoch stehen nun die Gesäßfalten ungleich hoch = links höher als rechts. VA bei einer Beckenverwringung (Abb. 16 und 17) Diese Beckenfehlstellung liegt meist bei einer Skoliose mit lumbosakraler Gegenkrümmung vor und ist mitunter auch im Röntgenbild zu erkennen. Klinisch steht das Becken auf der thorakalen Konkavseite (Lendenwulstseite) nach vorn und unten. Im Röntgenbild erscheint dann das Os ilium dieser Seite schmaler. Steht das Becken auf der thorakalen Konvexseite nach oben und hinten, so erscheint das Os ilium dieser Seite im Röntgenbild breiter. Dasselbe gilt für das ISG-Oval. Auf einer ausreichend breiten Röntgenaufnahme ist zusätzlich eine Seitverschiebung des Beckens festzustellen, wenn man beidseits der Thoraxwand das Lot fällt. Da die Ursache der Beckenverwringung vielfach in einer asymmetrischen Muskelspannung zu suchen ist, ist zunächst daran zu denken, die Seitabweichung des Beckens wie auch die Beckenverwringung durch Krankengymnastik zu beheben. Nach Eder und Tilscher (1988) sowie nach Lewit (1970) soll hier der Iliopsoas eine Rolle spielen. Nach einer entsprechend funktionellen Behandlung gleicht sich die Höhendifferenz meist von selbst aus. Der VA wird überflüssig. Da ein röntgenologisch sichtbarer Sakrumschiefstand durch eine Beckenverwringung ausgelöst sein kann, ist es unerlässlich, einen genauen klinischen Befund zu erheben.

Abb. 11: Die gleiche Patientin ohne Korsett. Die Bekkenschaufeln stehen schief, ebenso die Gesäßfalten: rechts höher. Das Taillendreieck links ist abgeflacht. Die rechte Hüfte ist prominent. Das Becken erscheint verwrungen: rechts nach oben-hinten, links nach vornunten. Abb. 12: Der VA links von zwei Zentimetern gleicht diesen Beckenschiefstand nicht ganz aus. Die rechte Hüfte ist jedoch nicht mehr so prominent. Das Taillendreieck links bildet sich wieder. Abb. 13: Die gleiche Patientin übt die rechte Hüfte hinein und bringt die rechtsseitigen unechten Rippen mit Dreh-Winkel-Atmung nach seitwärts-aufwärts und nach rückwärts-aufwärts und festigt das Korrekturergebnis durch isometrischen Druck mit den Stäben gegen den Boden. Die Gesäßfalten stehen nun waagerecht, die Hüften stehen gleichmäßiger. Abb. 14: Die Patientin erübt das Korrekturergebnis auch ohne Stäbe mit Hüftstütz. Gleiche Wirkung wie Abb. 13.

Abb. 15: Die Patientin versucht, ohne Stäbe und ohne manuelle Hilfe die gleiche Beckenkorrektur mit gleichem Ergebnis zu erreichen, jedoch unter Gefühls- und Spiegelkontrolle. Das Ergebnis ist noch nicht 100 %ig. Abb. 16: Abzeichnung des Röntgenbildes der 12,5 jährigen Patientin im Korsett. Man erkennt die Beckenverwringung an der breiter erscheinenden Beckenschaufel rechts. Diese steht nach oben-hinten. Die schmaler wirkende steht nach vorn-unten. Der Oberkörper neigt sich nach links. Ein Lot, gefällt von der Achselhöhle aus, schneidet die rechte Hüfte um einige Zentimeter ab, während das Lot links einige Zentimeter neben der Hüfte hängt. VA bei Beckenschiefstand mit anatomischer Beinlängendifferenz Im Falle einer anatomischen Beinverkürzung wird sich die Höhendifferenz der Beckenschaufeln durch Krankengymnastik nicht ausgleichen lassen. Hier hat der VA seine Berechtigung. Röntgenologisch sieht man einen Sakrumschiefstand, klinisch lässt sich nur selten eine Beckenverwringung eruieren. Es gibt aber auch seltene Fälle von Beinlängendifferenz, bei denen man auf einen VA verzichten kann. Nämlich dann, wenn der VA die Höhendiffe- Abb. 17: Röntgenbild eines zehnjährigen Mädchens, idiopathische Skoliose mit leichtem lumbosakralen Wirbelsäulenbogen nach rechts. Der gesamte Oberkörper zieht sich nach links, weil die Körperlast auf dem linken Bein ruht. Deshalb tritt auch die rechte Hüfte nach außen und wird von einem von der Achsel kommenden Lot abgeschnitten. Links fällt das Lot neben die Hüfte.

renz der Beckenschaufel ausgleicht, jedoch die LWS in ihre Krümmung drängt (Abb. 18). Selbst anhand von Röntgenstehaufnahmen a.-p. ist nicht immer sicher zu erkennen, ob es sich um eine anatomische Beinverkürzung oder um eine Beckenverschiebung in der frontalen Ebene handelt. Aus diesem Grunde sind Sicht- und Tastbefunde hier unerlässlich. Ist eine anatomische Beinlängendifferenz durch Messung und Beurteilung im Röntgenbild verifiziert, so muss der VA auch bei Ausführung korrigierende krankengymnastischer Übungen getragen werden. In der Pubertät verschwindet ein Beckenschiefstand bei anatomischer Beinlängendifferenz oft nach einigen Monaten durch das Tragen des VA. Vielleicht lässt sich dies durch einen Entwicklungsreiz auf das kürzere Bein erklären. Daher sollte eine regelmäßige Prüfung auf Notwendigkeit des VA stattfinden. Erwähnt sei der Vollständigkeit halber auch, dass die WS insgesamt im Rahmen ihrer statischen Reaktionsfähigkeit durch Blockierung, auch der Kopfgelenke, beeinträchtigt werden kann. Tomaschewski berichtet über Skoliosepatienten mit ISG-, LWS- oder auch Kopfgelenkblokkierungen, welche, durch das Röntgen nachgewiesen, auf einen Beinlängenausgleich vollkommen unterschiedlich reagieren. Abb. 18: 13,3 jähriges Mädchen. Links: leichter Beckenschiefstand bei anatomischer Beinlängendifferenz, links 1 cm abfallend. LWS- Krümmung 9 Grad. Rechts: Mit einem VA links von einem cm verschiebt sich die Wirbelsäule in die Fehlrichtung: LWS-Krümmung 16 Grad. Zusätzlich bildet sich die thorakale Krümmung weiter aus. Deshalb müsste hier der VA entfallen.