STELLUNGNAHME DER REGIERUNG AN DEN LANDTAG DES FÜRSTENTUMS LIECHTENSTEIN ZU DEN ANLÄSSLICH DER ERSTEN LESUNG BETREFFEND DIE ABÄNDERUNG DES GESETZES ÜBER DIE KRANKENVERSICHERUNG (KRANKENVERSICHERUNGSGESETZ; KVG) AUFGEWORFENEN FRAGEN Behandlung im Landtag Datum 1. Lesung 13.03.2014 2. Lesung Schlussabstimmung Nr. 19/2014
3 INHALTSVERZEICHNIS Seite Zusammenfassung... 4 Zuständiges Ministerium... 4 Betroffene Amtsstelle... 4 I. STELLUNGNAHME DER REGIERUNG... 5 1. Allgemeines... 5 2. Grundsätzliche Fragen... 6 2.1 Datenanalyse... 6 2.2 Verordnung oder Verfügung eines Eingriffes in die Tarifautonomie?... 8 2.3 Nicht durchgeführte Vernehmlassung... 9 2.4 Kosten der Tariferarbeitung... 10 2.5 Ausblick: Geplante KVG-Revision... 10 2.5.1 Neues Versicherungsmodell... 10 2.5.2 Verbesserung organisatorischer Rahmenbedingungen... 11 3. Fragen zur Gesetzesvorlage... 12 II. ANTRAG DER REGIERUNG... 19 III. REGIERUNGSVORLAGE... 21
4 ZUSAMMENFASSUNG Anlässlich der ersten Lesung des Berichts und Antrags betreffend die Abänderung des Gesetzes über die Krankenversicherung (BuA Nr. 17/2014) hat der Landtag über die von der Regierung vorgeschlagenen Verbesserungen am bestehenden Verfahren der Tarifvereinbarungen im Bereich der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) beraten. Das Eintreten auf die Vorlage war unbestritten. Die Regierung hat die von den Abgeordneten aufgeworfenen Fragen und Anregungen bzw. die vom Dachverband von Berufen der Gesundheitspflege eingebrachte Stellungnahme zum Anlass genommen, die Gesetzesvorlage in Anlehnung an die Rechtslage in der Schweiz zu ergänzen sowie die darin verwendeten unbestimmten Gesetzesbegriffe näher zu erläutern. Darüber hinaus gibt sie einen Überblick über die geplanten Inhalte der anstehenden, grösseren Revision des Krankenversicherungsrechts. ZUSTÄNDIGES MINISTERIUM Ministerium für Gesellschaft BETROFFENE AMTSSTELLE Amt für Gesundheit
5 Vaduz, 25. März 2014 Sehr geehrter Herr Landtagspräsident, Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehende Stellungnahme zu den anlässlich der ersten Lesung betreffend die Abänderung des Gesetzes über die Krankenversicherung (BuA Nr. 17/2014) aufgeworfenen Fragen zu unterbreiten. I. STELLUNGNAHME DER REGIERUNG 1. ALLGEMEINES In seiner Sitzung vom 13. März 2014 hat der Landtag die Regierungsvorlage betreffend die Abänderung des Gesetzes über die Krankenversicherung (Krankenversicherungsgesetz; KVG) gemäss Bericht und Antrag Nr. 17/2014 in erster Lesung beraten. Das Eintreten auf die Vorlage war unbestritten. Die Diskussion in der Eintretensdebatte hat gezeigt, dass Einigkeit darüber besteht, dass Verbesserungen am bestehenden Verfahren der Tarifvereinbarungen nötig sind. Einigen Abgeordneten ging der Vorschlag der Regierung nicht weit genug, und sie schlugen vor, aus Gründen der vergleichbaren Transparenz den TARMED einzuführen. Anlässlich der ersten Lesung wurden diverse Fragen in Bezug auf die Auslegung der vorgeschlagenen Änderungen im Art. 16c KVG ge-
6 stellt sowie Adaptierungen angeregt. Auf diese Fragen und Anregungen wird, in Ergänzung zu der Beantwortung anlässlich der Eintretensdebatte, im Folgenden eingegangen. Es sei an dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen, dass die vorgeschlagene KVG-Änderung einerseits eine Abkürzung des bereits bestehenden Verfahrens darstellt, mit dem die Regierung in die Tarifgestaltung eingreifen kann. Anderseits soll die Regierung neu die Kompetenz erhalten, Verhandlungen zur Anpassung bestehender Verträge anzustossen und subsidiär die erforderlichen Eingriffe selbst vorzunehmen. 2. GRUNDSÄTZLICHE FRAGEN 2.1 Datenanalyse Einige Abgeordnete fragten nach den dem Bericht und Antrag (BuA) Nr. 17/2014 zugrunde liegenden Daten. Sie wollten wissen, ob diese Zahlen aufgrund von Abrechnungsverzögerungen über das Jahresende verfälscht waren und wie gross dieser Effekt war. Die im BuA Nr. 17/2014 aufgeführten Daten stammen aus dem sogenannten Datenpool, in dem die Summe aller im Geschäftsjahr 2013 bezahlten Rechnungen der Krankenkassen nach Kategorien (Spital, Arzt etc.) gebildet wird. Es liegt in der Natur der Sache, dass es zu Verzögerungen in der Abrechnung kommt, wenn Rechnungen zu spät gestellt, zu spät eingereicht oder erst nach dem Jahresende verarbeitet werden. Dieser Effekt tritt jedes Jahr auf. Zum Jahreswechsel 2012/2013 scheinen mehr Rechnungen als üblich verzögert abgerechnet worden zu sein. Das Ministerium für Gesellschaft prüft derzeit die verschiedenen Datenquellen und ist intensiv damit beschäftigt, eine weiter gehende Datenbasis zu erstellen,
7 welche als Ausgangslage für die verschiedenen Analysen aller Beteiligten im Gesundheitswesen zur Verfügung stehen soll. Es ist nach Ansicht der Regierung im Sinne der gegenständlichen Vorlage nicht entscheidend, ob die Kostensteigerung letztendlich - wie gemäss den aktuellsten Daten des Geschäftsjahres indiziert - über 14% betragen wird, oder nach Herausrechnen verschiedenster Effekte vielleicht doch etwas weniger. Zielführender als eine Diskussion um Abrechnungsverschiebungen scheint die Betrachtung der mittelfristigen Tendenz; mittel- bis langfristig müssen alle Rechnungen einmal bezahlt werden, egal in welcher Periode genau dies erfolgt. Festzuhalten ist, dass selbst dann, wenn die Steigerung der Gesundheitskosten von 2011 auf 2013 über diese zwei Jahre betrachtet wird, eine überdurchschnittlich hohe Kostensteigerung von rund 7% pro Jahr festzustellen ist. Stetiges Wachstum in dieser Grössenordnung führt dazu, dass sich die Kosten des Systems in etwas mehr als zehn Jahren verdoppeln. Daran ändert keine noch so detaillierte Datenanalyse etwas, auch kein Herausrechnen verschiedener Effekte. Das eigentliche Thema ist und bleibt jenes der mittel- bis langfristigen Tragbarkeit der Gesundheitskosten, insbesondere also der Krankenkassenprämien für die Versicherten. Dazu müssen Mengen und Preise betrachtet und durch Massnahmen in vernünftige Bahnen gelenkt werden. Des Weiteren wird darauf hingewiesen, dass die Ausführungen über die Entwicklung der Kosten im Gesundheitswesen grundsätzlicher Natur sind und den Handlungsbedarf neben anderen Punkten aufzeigen. Die gegenständliche Vorlage zielt jedoch schwerpunktmässig auf eine Korrektur eines Systemfehlers ab, nämlich dass es bei nötigen Veränderungen an den Preisen für Leistungen des Gesundheitswesens nicht mehr zu jahrelangen Verzögerungen kommen darf. Die Analyse der Daten wird auf die Erarbeitung der kommenden KVG-Revision weiter vo-
8 rangetrieben und im diesbezüglichen Vernehmlassungsbericht sicherlich mehr Gewicht erhalten. 2.2 Verordnung oder Verfügung eines Eingriffes in die Tarifautonomie? In der Landtagsdiskussion wurde die Frage aufgeworfen, ob eine allfällige künftige Tariffestlegung bzw. -anpassung durch die Regierung im Verordnungsweg o- der mittels Verfügung erfolgen soll. Dazu führt die Regierung aus, dass die Verordnung als generell-abstrakter Rechtsakt für den Erlass von Tarifbestimmungen geeigneter erscheint als eine Verfügung. Eine solche Festlegung stellt nämlich keine Anwendung des Rechts auf einen konkreten Fall und für individuelle Adressaten dar; vielmehr gibt sie für eine Vielzahl von Fällen und für eine Vielzahl von Adressaten eine normative Regelung vor. Nicht zuletzt wird im Verordnungsweg die Publizitätswirkung sichergestellt. Im Übrigen ist es nach Ansicht der Regierung aufgrund der Erfahrungen der Vergangenheit nicht vertretbar, den in der Sache gescheiterten Verhandlungspartnern ein Rechtsmittelverfahren zuzugestehen, dessen Dauer sie durch die Vornahme respektive Unterlassung von Mitwirkungsrechten mitbestimmen können. Festzuhalten ist ausserdem, dass die Regierung auch andere der ihr nach KVG obliegenden Zuständigkeiten mit Verordnung wahrnimmt. Zu nennen ist hier unter anderem die geltende Verordnung zur Bedarfsplanung für die ärztliche Versorgung, die jährliche Kostenzielverordnung oder die im Anhang zur Krankenversicherungsverordnung (KVV) kundgemachte Analysenliste. Die Regierung ist unabhängig von der Wahl des Rechtsinstrumentes verpflichtet, sich an die vom Gesetzgeber für einen Eingriff in die Tarifautonomie der Verbände aufgestellten Kriterien zu halten. Schliesslich besteht die Möglichkeit, dass eine gesetz- bzw. verfassungswidrige Verordnung vor dem Staatsgerichtshof bekämpft wird.
9 2.3 Nicht durchgeführte Vernehmlassung Einige Abgeordnete haben bemängelt, dass zur vorgeschlagenen Gesetzesrevision keine Vernehmlassung durchgeführt wurde. Zwischenzeitlich hat die Regierung mit Schreiben vom 14. März 2014 dem Liechtensteinischen Krankenkassenverband, dem Liechtensteinischen Dachverband von Berufen der Gesundheitspflege sowie der Liechtensteinischen Ärztekammer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Mit Schreiben vom 20. März 2014 nimmt der Dachverband im Namen von folgenden Berufsverbänden im Gesundheitswesen zur Vorlage der Regierung gemäss BuA Nr. 17/2014 Stellung: - Apothekerverein des Fürstentums Liechtenstein - Berufsverband der Logopädinnen - Berufsverband der Psychologinnen und Psychologen Liechtensteins - Gesellschaft Liechtensteinischer Zahnärzte - Liechtensteinische Ärztekammer - Liechtensteinischer Ärzteverein - Physiotherapeutenverband FL - Verein freiberufliche medizinische Beratende und Pflegende in Liechtenstein - Verein Labormedizinischer Diagnostiker - Verein Liechtensteiner Chiropraktoren - Verein Liechtensteinischer Tierärzte
10 Auf das Vorbringen des Dachverbandes wird, soweit es konkret auf die geplanten Gesetzesänderungen Bezug nimmt, bei den Erläuterungen zum Gesetzestext eingegangen. 2.4 Kosten der Tariferarbeitung Mit der gegenständlichen Vorlage liegt der Fokus der Tariferarbeitung weiterhin bei den Tarifpartnern. Somit sollte es im Regelfall nicht zu Aufwendungen für die Regierung kommen. Sollte die Regierung subsidiär in die Tarifgestaltung eingreifen müssen, so kann davon ausgegangen werden, dass die im ordentlichen Expertenbudget der Regierung vorhandenen Mittel ausreichen sollten, um allfällige Korrekturmassnahmen vornehmen zu können. Zudem besteht die Möglichkeit, die der Regierung entstehenden Kosten mit den Staatsbeiträgen an die Tarifpartner zu verrechnen. 2.5 Ausblick: Geplante KVG-Revision Es wurde im Rahmen der ersten Lesung angeregt, die in dieser Vorlage beantragten Änderungen im KVG in den Kontext der geplanten grösseren KVG-Revision zu stellen. Neben einigen kleineren Anpassungen liegt das Schwergewicht der geplanten Vorlage auf einem neuen Versicherungsmodell, welches die Übernahme von Eigenverantwortung erleichtert und dem veränderten Umgang mit den OKP- Verträgen, welche Leistungserbringer dazu berechtigen, mit den Krankenkassen abzurechnen. 2.5.1 Neues Versicherungsmodell Hauptpunkt der geplanten grösseren KVG-Revision ist die Einführung eines neuen Versicherungsmodells. Dieses wird eine Trennung in eine Hochkostenversicherung sowie in eine Grundversicherung vorsehen. Derzeit ist geplant, dass die
11 Grenze bei jährlichen Kosten von CHF 5 000 liegen soll. Der Staat wird Zuschüsse ausschliesslich an die Hochkostenversicherung leisten. Damit soll sichergestellt werden, dass die Leistungen der Allgemeinheit denjenigen zugute kommen, welche unter ernsthaften und kostspieligen gesundheitlichen Störungen leiden. Die minimale Selbstbeteiligung ( Minimalfranchise ) soll etwas angehoben werden, geplant sind derzeit CHF 500. Die Versicherten sollen freiwillig eine deutlich höhere Selbstbeteiligung wählen können und zwar bis zur Grenze zur Hochkostenversicherung. Die gewünschte zusätzliche Selbstbeteiligung muss jedoch hinterlegt werden, damit diese im Leistungsfall tatsächlich zur Verfügung steht. Das ganze System soll dann noch mit einem Bonus ausgestattet werden, so dass wie in anderen Versicherungszweigen auch die Nichtinanspruchnahme von Leistungen aus der Versicherung in einem vorgegebenen Ausmass durch geringere Prämien belohnt wird. Das neue Versicherungsmodell soll die Anreize so setzen, dass ein massvoller Umgang mit den Versicherungsleistungen und eine hohe Selbstbeteiligung für den Patienten attraktiv sind. 2.5.2 Verbesserung organisatorischer Rahmenbedingungen Generell sollen mit der KVG-Revision einige Anpassungen am System vorgenommen werden, damit die Kontrollen und Sanktionsmöglichkeiten im Gesundheitswesen verbessert werden können. So müssen beispielsweise die Modalitäten bei den Wirtschaftlichkeitsverfahren so umgestaltet werden, dass hier effektive Verfahren durchgeführt und in berechtigten Fällen auch innerhalb nützlicher Frist mit Rückforderungen beendet werden können. Einen weiteren Punkt, welcher näher betrachtet wird, bildet die Bedarfsplanung. Eine Stelle in der Bedarfsplanung zu erhalten stellt im Liechtensteinischen Gesundheitswesen ein Privileg dar. An eine OKP-Bewilligung sollen Pflichten geknüpft werden sowie Bedingungen, unter denen ein Entzug bzw. dessen Androhung angezeigt sind. Damit soll unter den Leistungserbringern ein gewisses Wohlverhalten erzeugt werden. Ver-
12 bessert werden sollen ausserdem die Regelungen im Bereich der Festlegung und Durchsetzung von Kostenzielen. 3. FRAGEN ZUR GESETZESVORLAGE Allgemeines Gewünscht wurde im Zuge der Landtagsdebatte eine klare Definition der Begriffe sachgerecht, angemessen und hinreichend, um jeglichen Verdacht auf Willkürhandlungen auszuschliessen. Hierzu ist ganz allgemein darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber solche unbestimmten Rechtsbegriffe verwendet, damit die anwendende Behörde (z.b. die Regierung), die unmittelbarer als der Gesetzgeber mit den Einzelheiten der tatsächlichen Verhältnisse konfrontiert ist, eine differenzierte, in den Einzelfällen gerechte und zweckmässige Praxis entwickeln kann. Ausserdem wurde vorgeschlagen, die Regierung solle sich aus Gründen der Rechtssicherheit noch näher an die Schweizer Vorlage halten. Ein Abgeordneter hat mit Bezug auf die Art. 43 ff. des Schweizer Krankenversicherungsgesetzes (KVG-CH; SR 832.10) konkrete Änderungs- respektive Ergänzungsvorschläge eingebracht. Die betreffenden Bestimmungen des Bundesrechts mit dem Titel Tarife und Preise sind hinsichtlich ihres Regelungsbereichs mit Art. 16c KVG vergleichbar und dienten diesem in weiten Teilen als Rezeptionsvorlage. Die Regierung hat die Vorschläge einer Prüfung unterzogen und ist der Ansicht, dass sie grösstenteils in den Art. 16c KVG übernommen werden sollten. Dies bedingt zusätzlich eine Revision der Abs. 1 und 4 dieser Bestimmung sowie die Schaffung eines Abs. 7a. Im Sinne einer Vergleichbarkeit mit dem geltenden Schweizer Krankenversicherungsrecht hat sich die Regierung ausserdem dazu entschlossen, den Begriff der Billigkeit in den Abs. 5 aufzunehmen; die Übernahme dieses
13 Begriffes wurde im Übrigen auch vom Dachverband in seiner Stellungnahme angeregt. Von einer Abgeordneten wurde die Frage gestellt, ob die geplante Eingriffsmöglichkeit der Regierung in die Tarifgestaltung nicht zu weitgehend sei respektive ob nicht mit einer Fristsetzung durch die Regierung das Auslangen gefunden werden könnte. Die Abgeordnete übersieht dabei, dass eine Einigung der Verbände mitunter trotz Fristsetzung unterbleiben kann und damit der vertragslose Zustand droht, welcher gleichzeitig zu einem tariflosen Zustand im Bereich der betreffenden OKP-Leistungen führt. Zu Art. 16c Abs. 1, 4, 5, 5a, 6, 6a und 7a Abs. 1 regelt analog Art. 43 Abs. 4 KVG-CH die Tarifkompetenzen: Tarife und Preise werden in Verträgen zwischen Versicherern und Leistungserbringern vereinbart oder in den vom Gesetz bestimmten Fällen von der zuständigen Behörde (hierzulande: Regierung) festgesetzt. Das Schweizer Recht gibt dabei vor, dass auf eine betriebswirtschaftliche Bemessung und eine sachgerechte Struktur der Tarife zu achten ist. Diese Kriterien sollen künftig auch den Akteuren im Liechtensteiner Gesundheitswesen als gesetzlich verankerte Vorgabe dienen. Gemäss der in der Schweiz vertretenen Auslegung kann eine Tarifstruktur dann als sachgerecht bezeichnet werden, wenn sie auf einem kohärenten Tarifmodell beruht und sich auf betriebswirtschaftlich bemessenen Parametern abstützt. Der Abs. 4 sieht in seiner geltenden Fassung vor, dass die Regierung nach Anhören der Verbände eine bestimmte Tarifart und Tarifstruktur vorschreiben kann. Nunmehr soll die Regierung analog dem Schweizer Bundesrat zusätzlich ermächtigt werden, die Grundsätze für eine wirtschaftliche Bemessung und eine sachgerechte Struktur sowie für die Anpassung der Tarife aufzustellen. Die Schweizer Verordnung zum Krankenversicherungsgesetz (KVV-CH; 832.102) gibt in Art. 59c Abs. 1 KVV-CH bezüglich der Tarifgestaltung vor, dass der Tarif höchstens die
14 transparent ausgewiesenen Kosten der Leistung sowie höchstens die für eine effiziente Leistungserbringung erforderlichen Kosten decken darf; die Vertragsparteien müssen die Tarife regelmässig überprüfen und anpassen, wenn die Erfüllung dieser Grundsätze nicht mehr gewährleistet ist. Ausserdem darf ein Wechsel des Tarifmodells keine Mehrkosten verursachen. Um ihre Wirksamkeit entfalten zu können, bedürfen die Tarifverträge gemäss Abs. 5 bereits heute der Genehmigung durch die Regierung. Diese hat die Einhaltung der geltenden Vorgaben zu prüfen. Neu hinzukommen soll nun analog der einschlägigen Regelung in Art. 46 Abs. 4 KVG-CH der Grundsatz der Billigkeit, mit dem einerseits der Grundsatz der wirtschaftlichen Tragbarkeit verbunden wird, wonach zu prüfen ist, ob die mit einem Tarif verbundenen Auswirkungen auf die Kosten und Prämien für die Versicherten tragbar sind. Andererseits ist aus dem Grundsatz der Billigkeit auch abzuleiten, dass eine Tarifstruktur ausgewogen zu sein hat, das heisst dass damit nicht eine bestimmte Leistungserbringergruppe bevorzugt werden soll. Der vorgeschlagene Abs. 5a respektive die verpflichtende Veröffentlichung der Tarifverträge durch den Kassenverband hat in der Eintretensdebatte im Landtag keine Fragen aufgeworfen. Auch der Dachverband hat keine Einwände gegen diese Art der Publikation. Bezüglich Abs. 6 ist auf die Ausführungen bei den entsprechenden Erläuterungen im BuA Nr. 17/2014 hinzuweisen. Ergänzend soll nunmehr aufgrund der Anregungen im Rahmen der ersten Lesung das Anhörungsrecht der Verbände in den Gesetzestext aufgenommen werden. Dies entspricht der Rechtslage in der Schweiz (Art. 47 Abs. 1 KVG-CH). Ausserdem erscheint ein solches Anhörungsrecht angesichts der grundsätzlichen Tarifautonomie der Verbände als sachrichtig.
15 Die subsidiäre Kompetenz zur Tariffestlegung soll künftig auch zum Tragen kommen, wenn sich die Verbände nicht auf eine Erneuerung eines bestehenden Tarifvertrages einigen können. Der Dachverband wirft in diesem Zusammenhang die Frage auf, ob darunter ein Interventionsrecht der Regierung während laufender Verhandlungen über einen neuen Tarifvertrag, obwohl ein gültiger Tarifvertrag besteht, zu verstehen ist; dies lehnt er ab. Hierzu führt die Regierung an, dass unter Erneuerung der Fall einer Kündigung des geltenden Vertrages (bzw. bei einem befristeten Vertrag der Fall des Auslaufens) und das dadurch entstehende Erfordernis nach einer Erneuerung im Sinne einer neuen Einigung der Tarifpartner zu verstehen ist. Bereits nach geltendem Recht kann die Regierung im Nichteinigungsfall den Tarif festlegen; heute ist im Vorfeld von den Verbänden ein Schiedsgericht anzurufen, was zu grossen Verzögerungen im Tariffindungsprozess führen kann. Der Dachverband plädiert für eine Beibehaltung des schiedsgerichtlichen Verfahrens und schlägt vor, für die Erstellung eines Einigungsvorschlages eine Frist von 12 Monaten ab Bestellung des Schiedsgerichts-Vorsitzenden zu normieren. Die Regierung gibt diesbezüglich Folgendes zu bedenken: Es darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass dann, wenn die Anrufung eines paritätisch besetzten Schiedsgerichtes erforderlich wird, aus den Verhandlungspartnern zumeist Streitparteien geworden sind; mitunter kann daher bereits die Anrufung des Schiedsgerichtes selbst bzw. die Bestellung des neutralen Vorsitzenden zu Schwierigkeiten und Verschleppungen führen. Ganz abgesehen davon besteht die Möglichkeit, dass der Einigungsvorschlag des Schiedsgerichtes schliesslich gar nicht angenommen wird. Übrigens sehen die einschlägig relevanten Bestimmungen zum Tariffindungsprozess im KVG-CH ebenfalls kein Schiedsgerichtsverfahren vor. Weiters hat der Dachverband einen Formulierungsvorschlag betreffend das automatische Ausserkrafttreten der behördlichen Tarifanordnung bei (nachträgli-
16 cher) Einigung der Verbände gemacht. Die Regierung hält jedoch an ihrer Formulierung fest, wonach sie ihre Tarifregelung bis zu einem bestimmten Datum oder bis zur Vorlage eines genehmigungsfähigen Tarifvertrages durch die Tarifpartner - befristen kann; dies entspricht geltendem Recht. Der Abs. 6a sieht vor, dass die Regierung die Anpassung eines bestehenden Tarifvertrages verlangen kann, sofern sich dieser als nicht mehr sachgerecht erweist. Das KVG-CH enthält in Art. 43 Abs. 5bis eine ähnliche Regelung für Eingriffe in die Tarifstruktur. Allerdings macht die für Liechtenstein vorgeschlagene Formulierung, welche vorsieht, dass die Regierung den Tarifpartnern ausdrücklich Gelegenheit einzuräumen hat, binnen angemessener Frist Anpassungen selbst vorzunehmen, der Regierung genauere Vorgaben, was aus rechtsstaatlichen Überlegungen zu begrüssen ist. An dieser Stelle ist nochmals auf die aktuelle Situation in der Schweiz zu verweisen, wo die TARMED-Tarifpartner innerhalb der vom Eidgenössischen Departement des Innern (EDI) gesetzten - und verlängerten - Frist keinen gemeinsamen Vorschlag betreffend die vom EDI als notwendig erachteten Tarifanpassungen zustande gebracht haben, sodass nunmehr ein entsprechender Verordnungsentwurf vorliegt. Hinsichtlich der Definition des Begriffes sachgerecht ist auf die Ausführungen oben bei Abs. 1 zu verweisen, wo auf die Schweizer Auslegung Bezug genommen wird. In diesem Sinne wird eine Anpassung etwa dann zu verlangen sein, wenn es Anhaltspunkte gibt, dass die Struktur des Tarifs nicht mehr zweckmässig oder wirtschaftlich ist, oder wenn die Tarifierung einer betriebswirtschaftlichen Bemessung der Leistungserbringung durch einen effizienten Leistungserbringer nicht entspricht. Zu den möglichen Eingriffen in die Höhe des Tarifs (Taxpunktwert), die im BuA Nr. 17/2014 auf S. 14 beschrieben werden, hat der Dachverband eingebracht, die Regierung habe übersehen, dass dies in der Schweiz ausdrücklich der Kompetenz
17 des Bundes entzogen sei. Darüber hinaus könne eine direkte Einflussnahme auf den Taxpunktwert nur dazu dienen, einen Tarif ganzheitlich zu nivellieren. Dies stehe diametral zur rezipierten Kompetenz, nicht mehr sachgerechte Strukturen anzupassen. Bei einer Kürzung aller Positionen mittels Senkung des Taxpunktwertes müsste die Unwirtschaftlichkeit und Unbilligkeit aller Tarifpositionen nachgewiesen werden. Diesbezüglich hält die Regierung fest, dass es bei der Tariffestsetzung um die Frage der Preisgestaltung geht. Diese umfasst eben auch den Vergütungssatz bzw. Taxpunktwert. Die Regierung möchte sich nicht darauf einschränken lassen, lediglich dann eingreifen zu können, wenn die Struktur nicht mehr sachgerecht ist. Auch in der Schweiz besteht die Möglichkeit einer hoheitlichen Festsetzung des Taxpunktwertes, und zwar auf kantonaler Ebene. Da es in Liechtenstein keine Trennung in Bundes- und Kantonszuständigkeiten gibt, sind die vorgeschlagenen Kompetenzen der Regierung sachlich durchaus gerechtfertigt, um insgesamt einen tragfähigen Tarif zu erzielen. Zur Frage der Angemessenheit einer Frist enthält bereits BuA Nr. 17/2014 auf S. 16 folgende Erläuterung: Welche Frist im Einzelfall angemessen ist, muss je nach Ausmass und Dringlichkeit der erforderlichen Anpassung beurteilt werden, wobei eine Mindestfrist von drei Monaten jedenfalls angebracht scheint. Der Dachverband schlägt vor, in Abs. 6a eine Frist von sechs Monaten aufzunehmen. Aus Sicht der Regierung ist die Normierung einer starren Frist allerdings keinesfalls zweckmässig, da der Anpassungsbedarf von der Senkung einzelner Taxpunkte bis hin zu einer gesamthaften Überarbeitung der Tarifstruktur reichen kann. Sechs Monate können mitunter zu lange sein; grössere Adaptierungen erfordern hingegen sicherlich einen längeren zeitlichen Vorlauf. Von Seiten des Dachverbandes wird in dessen Stellungnahme an anderer Stelle wörtlich vorgebracht, dass Totalrevisionen komplexer Tarife in der Regel mehrere Jahre dau-
18 ern. Es liegt somit wohl auch im Interesse der Tarifpartner, dass die Regierung die Frist im Einzelfall den konkreten Umständen entsprechend festzusetzen hat. Ob die von den Tarifpartnern nach Aufforderung gesetzten Massnahmen hinreichend sind, ist danach zu beurteilen, welche Vorgaben diesbezüglich von der Regierung gemacht wurden. Gelingt es nicht, die in qualitativer oder quantitativer Hinsicht gestellten Anforderungen zu erfüllen und insofern die Sachgerechtigkeit wiederherzustellen (z.b. weil mit den Massnahmen die notwendigen Kosteneinsparungen nicht erreicht werden können), soll ein Eingreifen der Regierung künftig möglich sein. Analog Abs. 6 soll auch hier ein Anhörungsrecht der Verbände respektive Tarifpartner vorgesehen werden. Die Regierung schlägt neu einen Abs. 7a vor, welcher den Rahmen für Tarifverhandlungen bzw. -festlegungen definiert: Ziel ist die Erreichung einer qualitativ hoch stehenden und zweckmässigen gesundheitlichen Versorgung zu möglichst günstigen Kosten (vgl. Art. 43 Abs. 6 KVG-CH).
19 II. ANTRAG DER REGIERUNG Aufgrund der vorstehenden Ausführungen unterbreitet die Regierung dem Landtag den A n t r a g, der Hohe Landtag wolle diese Stellungnahme zur Kenntnis nehmen und die beiliegende Gesetzesvorlage in Behandlung ziehen. Genehmigen Sie, sehr geehrter Herr Landtagspräsident, sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete, den Ausdruck der vorzüglichen Hochachtung. REGIERUNG DES FÜRSTENTUMS LIECHTENSTEIN
21 III. REGIERUNGSVORLAGE Gesetz vom betreffend die Abänderung des Gesetzes über die Krankenversicherung Dem nachstehenden vom Landtag gefassten Beschluss erteile Ich Meine Zustimmung: I. Abänderung bisherigen Rechts Das Gesetz vom 24. November 1971 über die Krankenversicherung (KVG), LGBl. 1971 Nr. 50, in der geltenden Fassung, wird wie folgt abgeändert: Art. 16c Abs. 1, 4, 5, 5a, 6, 6a und 7a 1) Die Leistungserbringer erstellen ihre Rechnungen für die Leistungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung nach Tarifen und Preisen. Diese werden in Tarifverträgen zwischen dem Kassenverband und den Verbänden der Leistungserbringer vereinbart oder in den vom Gesetz bestimmten Fällen von der Regierung vereinbart oder festgelegt. Dabei ist auf eine betriebswirtschaftliche Bemessung und eine sachgerechte Struktur der Tarife zu achten. Die Leistungserbrin-
22 ger dürfen für Leistungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung keine weitergehenden Vergütungen berechnen. 4) Die Regierung kann nach Anhören des Kassenverbandes und der betroffenen Leistungserbringer eine bestimmte Tarifart und eine bestimmte Tarifstruktur vorschreiben oder Grundsätze für eine wirtschaftliche Bemessung und eine sachgerechte Struktur sowie für die Anpassung der Tarife aufstellen. Sie kann sich an Tarifverhandlungen vertreten lassen. 5) Die Tarifverträge bedürfen der Genehmigung der Regierung. Diese prüft, ob die abgeschlossenen Vereinbarungen dem Gebot der Wirtschaftlichkeit und Billigkeit, den Anforderungen an die Qualitätssicherung sowie den übrigen Bestimmungen des Gesetzes entsprechen. 5a) Der Kassenverband macht die von der Regierung genehmigten Tarifverträge auf geeignete Weise öffentlich zugänglich. 6) Kommt zwischen dem Kassenverband und den Verbänden von Leistungserbringern kein Tarifvertrag zustande oder können sie sich nicht auf die Erneuerung eines bestehenden Tarifvertrages einigen, so legt die Regierung nach Anhören der Verbände mit Verordnung den Tarif für die Vergütung der Leistungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung sowie weitere Bedingungen und Auflagen für die Abrechnung mit den Kassen fest; die Regierung setzt den Verbänden vorgängig eine angemessene Frist für den Abschluss eines Tarifvertrages. Sie kann ihre Regelung befristen. 6a) Erweist sich ein bestehender Tarifvertrag als nicht mehr sachgerecht, fordert die Regierung die Tarifpartner auf, binnen einer angemessenen Frist Anpassungen vorzunehmen und zur Genehmigung vorzulegen. Kommen die Tarif-
23 partner der Aufforderung nicht fristgerecht oder nicht hinreichend nach, kann die Regierung nach Anhören der Tarifpartner mit Verordnung Anpassungen vornehmen. 7a) Die Tarifpartner und die Regierung achten darauf, dass eine qualitativ hoch stehende und zweckmässige gesundheitliche Versorgung zu möglichst günstigen Kosten erreicht wird. II. Inkrafttreten Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Kundmachung in Kraft.