Die psychosoziale Diagnostik und wie wir zum traumapädagogischen Verstehen kamen

Ähnliche Dokumente
Klassifikation versus Fallverstehen

Traumapädagogische Diagnostik

Inhalt. Glemser

Beratung und Begleitung traumatisierter KlientInnen unter bindungstheoretischen Gesichtspunkten

Beratung von traumatisierten Klientinnen und Klienten

Neue Bindungen wagen

Vertrauen schaffen in der Begleitung gewaltbetroffener Frauen und Ma dchen

5. Tagung Soziale Diagnostik

Programm Prisma DUK 10.16_: :22 Seite 1 Prof. Dr. phil. habil. Silke Birgitta Gahleitner

Was braucht die postmoderne Gesellschaft an psychosozialer Beratung? Prof. Dr. Silke Birgitta Gahleitner -

Welches Wissen brauchen wir?

Professionelle traumapa dagogische Beziehungsgestaltung und Einbettung

Soziale Diagnostik theoretische Grundlagen Prof. Dr. Dieter Röh

Diagnostik und Soziale Arbeit - eine unendliche Geschichte? Christian Schrapper Berlin, Oktober 2012

Kindern und Jugendlichen gerecht werden durch eine professionelle Gestaltung des Heimalltags: Erfahrungen aus Forschung und Praxis

Einleitung Literatur Biopsychosoziale Diagnostik aus Sicht der Sozialen Arbeit Silke Birgitta Gahleitner

Einleitung 11. Literatur Biopsychosoziale Diagnostik aus Sicht der Sozialen Arbeit Silke Birgitta Gahleitner

Missbrauch und Life - events

Das therapeutische Milieu in der stationären Arbeit mit Kindern und Jugendlichen

Wirkung von Trauma im System Familie

Depression ist keine Diagnose Diagnostik in der Psychotherapie und Psychosomatik

Gemeinsames Fallverstehen: Gestaltung der Kooperation mit KlientInnen bei sozialer Diagnostik

Gewalterfahrungen und Trauma bei Flüchtlingen

Fachtagung. anlässlich der. Eröffnung der salus Frauenklinik Hürth. Wann ist es eine Traumafolgestörung

IV Der personzentrierte Ansatz und die Bindungstheorie

Together against Violence. Nationale Konferenz Übersicht. Hintergrund. Ergebnisse der Studie (österreichischer Teil) Schlussfolgerungen

Wann und warum ist eine Fluchtgeschichte traumatisierend?

Inhaltsverzeichnis.

Möglichkeiten der Traumapädagogik im System der Jugendhilfe

Inhalt. Bibliografische Informationen digitalisiert durch

Silke B. Gahleitner / Dorothea Zimmermann / Dima Zito. Psychosoziale und traumapädagogische Arbeit mit geflüchteten Menschen

Grundbedingungen nach Jaspers (1965)

Störungsbereiche der komplexen posttraumatischen Belastungsstörung

Vorgehen im Umgang mit suchtbelasteten Familien in der Jugendhilfe

Allgemeine und spezielle Diagnostik in der Sozialen Arbeit - Funktionen, Kontexte, Verfahren

Berufsbild dipl. Naturheilpraktiker/in MV hfnh Manuelle Verfahren staatlich anerkannt vom Kanton Zug

Trauma und Bindung. Wie Betreuung im Kontext gelingen kann...

Titelformat zu bearbeiten

foederatio Paedo-medicorum helveticorum fpmh Ärztliche Union für Kinder und Jugendliche Union des Médecins d Enfants et d Adolescents

Psycho-soziale soziale Diagnostik in der Klinischen Sozialarbeit

FOSUMOS Persönlichkeitsstörungen: Ein alternativer Blick. Felix Altorfer 1

Besonderheiten der diagnostischen Praxis im Klein-und Kleinstkindalter. Mag.Dr. Andrea Koschier

Selbstverletzendes Verhalten

Sucht und Trauma. Die schwarzen Brüder

Die insoweit erfahrene Fachkraft nach SGB VIII auch für uns?

Neue Herausforderungen für Professionelle im Eingliederungsmanagement

Kriegs- und Fluchterfahrungen bei

Trauma und Gruppe. Zentrum für Traumapädagogik

Psychosoziale Unterstützung für die Helfer zur Prävention von tätigkeitsbedingten Erkrankungen

Praxis der Psychosomatischen Grundversorgung

Keine Gesundheit ohne psychische Gesundheit - 10 Folien zum 10. Geburtstag am

Psychische Störungen Einführung. PD Dr. Peter Schönknecht Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Universitätsklinikum Leipzig

1 Einführung in das Störungsbild und die

Qualitätssicherung in der Diagnostik der Kinder- und Jugendhilfe. Rolf Glemser M.A. Klinischer Sozialarbeiter

Flucht & Trauma. Stefan Lehmeier Stellv. Landesdirektor. From Harm to Home Rescue.org

Borderlinepersönlichkeitsstörung

Beratung für Familien mit einem psychisch erkrankten Elternteil

Wie gehen (ältere) Menschen mit Veränderungen um?

Inhalt. Kapitel 1. Kapitel 2. Kapitel 3

Therapiebedürftige Kinder und Jugendliche im Schulalter. Erfahrungen aus psychotherapeutischer Sicht und präventive Ansätze

Stabilität und Veränderung psychologischer Aspekte im höheren Erwachsenenalter. Dr. Stefanie Becker

Inhaltsverzeichnis. Einführung 8

Kinder und Jugendliche im Gefühlschaos

- Traumapädagogik in der Praxis

Curriculum des Fachspezifikums Verhaltenstherapie an der Sigmund Freud PrivatUniversität Wien

Elke Garbe. überlebt? 1

Bindungen im Lebenslauf. Frühjahrstrimester 2017 Prof. Dr. Kerstin Dietzel

Voraussetzungen wirksamer Präventionsprojekte

Frühes Lernen: Kindergarten & Schule kooperieren

Kindertageseinrichtungen auf dem Weg

LERNEN, EMOTIONALE BELASTUNG UND DIE BEDEUTUNG DER SCHULE

Psychotherapie. noch einmal zur Erinnerung! Posttraumatische Belastungsstörungen

1 Psychodynamische Psychotherapie eine Begriffsbestimmung ... 1

«Kooperative Soziale Diagnostik» Wer leistet hier was?

Onkologische Schulung

TRAUMAPÄDAGOGIK IN DER FRÜHEN KINDHEIT

Was fördert die positive Entwicklung von Kindern und Jugendlichen? Zwischenergebnisse der COCON-Studie

Eltern sein plus! Beispiele von Elternbegleitung aus der Erfahrungswelt einer Praxis für f medizinische Genetik und vorgeburtliche Diagnostik

Blickwinkel und Reichweiten von Sozialdiagnostik: , der Einzelne, die Familie, die Gruppe, das Netzwerk, der Sozialraum,

Vorwort Vorwort zur dritten Auflage Inhaltsverzeichnis Einleitung... 15

Beratungsangebote für Mädchen und Jungs jump& jumpina

Vorwort 5. 1 Einleitung 13

Posttraumatische Belastungsstörungen

Gibt es Kriterien für heilsame Systeme? Salutogenese: Verwirklichungschancen in Systemen des Sozial- und Gesundheitswesens

Prinzip Nachhaltigkeit PädagogischeÜberlegungen zum professionellen Selbstverständnis von Jugendsozialarbeit an Schulen

Aktivierung und Palliative Care. Bedeutung der Aktivierung im Bereich von Palliative Care

Sexuelle Gewalterfahrung die Kraft der Betroffenen

Klinische Sozialarbeit im rehabilitativen Rahmen. Inhalt heute und in Zukunft?!

Psychotherapeutische Praxis und Institut für Supervision und Weiterbildung. Trauma und Bindung

Inhaltsverzeichnis. O. Einleitung I. Problemdarstellung... 23

Würde als handlungsleitendes Konzept in der klinischen Ethikberatung

Die Behandlung Suchtkranker mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung bzw. Traumafolgestörung Isabel Esch

ANNA KONSUMIERT ANDERS. Frauenspezifische Angebote in der Suchthilfe. 11. Fachtagung Drogen & Justiz 23. Mai 2012 in Recklinghausen

Dissoziative Störungen und Konversion

Weiterbildung für Approbierte PP/KJP. Zusatzbezeichnung Systemische Therapie. Baustein. Theorie

Die Bedeutung von Bindung in Sozialer Arbeit, Pädagogik und Beratung

Auswirkungen von Armut und anderen belastenden Lebenslagen in der frühen Kindheit. Prof. Dr. Silke Birgitta Gahleitner -

Geflüchtete Kinder - Herausforderungen und Chancen kultureller Vielfalt in der frühen Bildung

Transkript:

Silke Birgitta Gahleitner Die psychosoziale Diagnostik und wie wir zum traumapädagogischen Verstehen kamen Diagnostik hat...... in der Sozialen Arbeit und Pädagogik keineswegs überall einen guten Stand... Im Zeichen der neoliberalen Restrukturierung... hat sich in der Sozialpolitik und der Sozialen Arbeit ein... folgenreicher Wandel... vollzogen: Eine Politik der Verhältnisse... wird von einer Politik des Verhaltens verdrängt. Letztere richtet den Fokus in erster Linie auf die Diagnose und Behandlung von individuellen Verhaltensdispositionen, Persönlichkeitsmerkmalen, Wertorientierungen, subjektiven Einstellungen und Fähigkeiten.... Möglichkeiten der Teilhabe werden damit zunehmend versperrt. 1

Und die Studierenden...? Diagnose gehört bei mir ins ärztliche Feld... dafür werde ich nicht bezahlt! Die Kompetenz erlangt man sicher nicht im Studium. "Diagnosen sind nichts anderes als üble Nachrede!" Ich würde mich darauf beschränken, zu beschreiben was ich sehe oder was mir erzählt wird. Schlimm genug, dass überhaupt so viele Diagnosen gestellt werden. Diagnosen stellen war für meine Arbeit noch nie notwendig. Ich arbeite mit Menschen... Diagnosen sind... verallgemeinernd, zuschreibend, eingrenzend, beengend, diskriminierend, defizitorientiert. Übersicht 1 2 3 4 5 Historie rekonstruktiv klassifikatorisch kooperativ Integration in die Traumapädagogik 2

Übersicht 1 Historie 2 rekonstruktiv 3 klassifikatorisch 4 kooperativ 5 Integration in die Traumapädagogik Es fing eigentlich gut an... Mary Richmond (1917) und Alice Salomon (1926/2004): Von Bewertung und Verurteilung zu Ermittlung und Unterstützung Johann Heinrich Pestalozzi (1799/2010): von Dressur und Nothilfe zu Liebe und sittlicher Bildung 3

Individuenzentrierung? Eine soziale Diagnose kann als Versuch beschrieben werden, die exaktest mögliche Definition einer Situation und Persönlichkeit eines Menschen... vorzunehmen, und zwar im Zusammenhang mit anderen Menschen, von denen er in jeder möglichen Hinsicht abhängig ist oder die von ihm abhängen, aber auch im Zusammenhang mit den sozialen Institutionen seines Gemeinwesens. (Richmond, 1917, S. 357) Die Forderung, dass nie wieder Auschwitz sei, ist die allererste an Erziehung... sie zu begründen hätte etwas Ungeheuerliches angesichts des Ungeheuerlichen, was sich zutrug. (Adorno, 1977, S. 674) 4

... auch in der Diagnostik Reinigung des Volkskörpers, minderwertiges Erbgut soll ausgeschaltet werden Gesetz zur Vereinheitlichung des Gesundheitswesens (1934): Fürsorgerinnen werden den Ärzten unterstellt und mit der Auslese beauftragt Zwangs-Sterilisation von fast einer Millionen Menschen Die Nachkriegszeit * Verwahrlosung : im Benehmen frech, unverschämt, patzig, verstockt, ist besonders auf geschlechtlichem Gebiet, oberflächlich, leer, gemütsmäßig gar nicht ansprechbar. Sie ist prädestiniert für das Dirnenleben und würde auch sofort, wenn sie wieder in Freiheit käme, ohne Hemmungen der Prostitution anheim fallen. Die Notwendigkeit von Arbeit und Pflichten ist ihr noch nicht aufgegangen, eine weitere Erziehung halte ich für aussichtslos. (Geißler-Piltz, 2007) 5

70-er Jahre Heimkampagne und Psychiatriereform Protestbewegungen gegen Diagnostik abweichendes Verhalten wird als stigmatisierend in Frage gestellt psychische Krankheiten = soziales Konstrukt Problem: Es entsteht ein methodisches Vakuum... * Folge: people-helper and society-changer (Goldstein, 1980) Übersicht 1 2 3 4 5 Historie rekonstruktiv klassifikatorisch kooperativ Integration in die Traumapädagogik 6

rekonstruktiv Expansion professioneller und disziplinärer Entwicklungen sozialer Arbeit seit Anfang der 70-er 1. Schritt: intersubjektiv geteiltes, bedeutungsorientiertes Fallverstehen Rekonstruktion von biographischen Verläufen und Konstruktionen vor einem professionellen Hintergrund Pro und Contra... originär sozialpädagogisch: Abweichung als Ausdruck einer Lebensleistung (Völter, 2012) kommunikatives, (selbst-)reflexives, zirkuläres Geschehen, fördert Selbstaneignung Rückführung auf den Einzel-Fall? Diagnostik wird von der 0bjektivität bzw. der Suche nach Standardisierungen befreit? implizite Kriterien? 7

Beispiel: Dissoziation (Schmid, 2009) Übersicht 1 2 3 4 5 Historie rekonstruktiv klassifikatorisch kooperativ Integration in die Traumapädagogik 8

Psychodiagnostik MAS OPD-KJ Tabellen ICF PIE Testverfahren, Symptomlisten (Röh, 2013) Pro und Contra Informationsreduktion Informationsverlust Wissensakkumulation Wissen (und Werten) statt Verstehen handlungsleitend Agieren statt Ätiologie erkennen 9

Beispiel: Horizontverlust Übersicht 1 2 3 4 5 Historie rekonstruktiv klassifikatorisch kooperativ Integration in die Traumapädagogik 10

Kooperative Prozessgestaltung (Hochuli Freund & Stotz 2013, S. 136; Diagnostischer Prozess (Schrapper, 2005) vgl. auch Schrapper, 2005) 11

Was tue ich wann mit wem? Orientierungsdiagnostik Exploration psychopathologischer, biografischer und lebensweltlicher Wissensbestände Bestandsaufnahme und Generierung von Komplexität, Übersicht und Strukturierung, Risikoscreening Gestaltungsdiagnostik Exploration psychopathologischer, biografischer und lebensweltlicher Wissensbestände Komplexität und Tiefung, Kontextualisierung, Spezifikation, Bearbeitungsentscheidung und Interventionsplanung Evaluationsdiagnostik Exploration psychopathologischer, biografischer und lebensweltlicher Wissensbestände Überprüfung der Wirksamkeit der Interventionen, Messung, Bewertung und Aktualisierung Psychosozialer Diagnostikprozess (intersubjektives multidimensionales Fallverstehen) Fallkonzeptionalisierung Interventionen (Glemser, 2011 auf der Basis von Heiner, 2010, 2013) Übersicht 1 Historie 2 rekonstruktiv 3 klassifikatorisch 4 kooperativ 5 Integration in die Traumapädagogik 12

Diagnostisches Fallverstehen Rekonstruktion von biographischen Verläufen und Konstruktionen vor einem professionellen Hintergrund erfordert intersubjektiv geteiltes, bedeutungsorientiertes Verstehen, aber auch pragmatisches Handeln (Heiner, 2012; Buttner, 2012; Röh, 2013) Diagnostik sollte (1) Komplexität abbilden und Strukturierung ermöglichen (2) (Nicht-)Intervention fachlich begründen (3) sich an Fragen der Inklusion orientieren (4) Selbstaneignungsprozesse fördern (5)... den Dialog unterstützen (Pantucek, 2006) Psychosoziale Diagnostik...... ist im Sinne Diagnostischen Fallverstehens (Heiner 2010) sowohl orientierend und gestaltend als auch evaluativ tätig. Sie bezieht dabei interdisziplinäre Wissensbestände aus der klassifikatorischen Diagnostik heuristisch mit ein. Dabei wird der traditionelle Dualismus von Psychischem als Inneres und Sozialem als Äußeres antinomisch aufgelöst. Angestrebt wird ein produktives Wechselspiel zwischen interdisziplinärem Fachwissen und alltagskritischen Rekonstruktionen, um psychosoziale Anschlussmöglichkeiten zu bieten und auf gesellschaftliche Teilhabe hinzuwirken. (Gahleitner & Schulze, i. D.; vgl. auch Sommerfeld, Hollenstein & Calzaferri, 2011; zu den Antinomien und Paradoxien professionellen Handelns vgl. Helsper, 2000, Oevermann, 1996; Schütze, 2002) 13

Traumapädagogisch diagnostisches Verstehen... muss in der Lage sein, dialogisch und prozessual die Gleichzeitigkeit individueller, sozialer, psychischer, medizinischer, ökonomischer und politischer Aspekte und Prozesse sowie deren gegenseitige Wechselwirkung (z. B. soziale Chancenstruktur) interdisziplinär zu erfassen... sollte die Kontroverse zwischen rekonstruktiven und kategorialen Ansätzen in ein produktives Diskurs- und Ergänzungsverhältnis integrieren*... sollte Diagnostik als unabdingbare Voraussetzung für Intervention begreifen, sich darin etablieren und die Erkenntnisse wiss. evaluativ untermauern (Gahleitner & Weiß, 2016) Integratives Rahmenmodell 1. operationalisierbare Diagnostik 2. biographische Diagnostik (rekonstruktiv) 3. Sozial- und Lebenswelt-Diagnostik (rekonstruktiv) Psychosoziale Diagnose (mehrdimensionale Problem- und Ressourcenmatrix) (Gahleitner & Pauls, 2013; Gahleitner & Weiß, 2016) 14

Traumaspektrum Ausmaß der Ausmaß der Traumatisierung Unterstützung PersönlichkeitsStörungen, Trauma Typ II DIS Komorbiditäten Komplextrauma Trauma Typ I Ausmaß der Strukturschädigung 15

Diagnostik - ICD 10 Komplexe Posttr. Belastungsstörung im ICD11? A. Störungen der Regulierung des affektiven Erregungsniveaus 1. chronische Affektdysregulation 2. Schwierigkeit, Ärger zu modulieren 3. selbstdestruktives Verhalten 4. Schwierigkeiten im Bereich des sexuellen Erlebens, vor allem der Hingabefähigkeit 5. impulsive und risikoreiche Verhaltensweisen B. Störungen der Aufmerksamkeit und des Bewusstseins 1. Amnesie, 2. Dissoziation C. Somatisierung D. Chronische Persönlichkeitsveränderungen 1. Änderung der Selbstwahrnehmung: chronische Schuldgefühle; Selbstvorwürfe; Gefühle, nichts bewirken zu können; Gefühle, fortgesetzt geschädigt zu werden 2. Änderungen der Wahrnehmung des Schädigers: verzerrte Sichtweisen und Idealisierungen des Schädigers 3. Veränderung der Beziehung zu anderen Menschen a. Unfähigkeit zu vertrauen und Beziehungen mit anderen aufrechtzuerhalten b. Tendenz, erneut Opfer zu werden oder c. andere zum Opfer zu machen E. Veränderungen in Bedeutungssystemen 1. Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit 2. Verlust der bisherigen Lebensüberzeugungen 16

II. Biogr. Diagnostik (rekonstruktiv) Frühe Kindheit Kindheit und Jugend Adoleszenz Erwachsenenalter unsicher vermeidende Bindung, Risikofaktor Gewalt Þ Regulationsversuche, erhöhte Vulnerabilität gehemmte em., kog. und soz. Entwicklung Þ Scheitern an Entwicklungshürden (Adoleszenz!) Dysfunktionalität früher Bewältigungsmechanismen (Chronifizierung)... auch Alltagsbeobachtungen nutzen! 17

Rekonstruktiv, aber...... die Rekonstruktion von biographischen Verläufen und Konstruktionen vor einem professionellen Hintergrund erfordert intersubjektiv geteiltes, bedeutungsorientiertes Verstehen, aber auch pragmatisches Handeln (Heiner, 2013) daher Vertiefung entlang der Parameter: - Bindungsverhältnisse - Lebensphasen, Lebensverlauf (Chancen und Risiken) - Schutz und Risikofaktoren - emotionaler, kognitiver und sozialer Entwicklungsverlauf III. Sozial- und Lebensweltdiagnostik Leiblichkeit Soziales Netzwerk Arbeit/Leistung/Freizeit Ökonomisches Kapital Werte - Vertiefung? 18

Wichtigster Einflussfaktor... emotional corrective experiences (Alexander & French, 1949; Rogers, 1957; vgl. auch ; Cremerius, 1979; Crits-Christoph, 2013; Grawe et al., 1994; Orlinsky et al., 1994) schützende Inselerfahrungen (Gahleitner 2005, 63; vgl. bereits Petzold 1969, 4; Katz-Bernstein 1996, 2004) Fortsetzung: Sozial- und Lebensweltdiagnostik Vertiefung Ecomap damals ev. AAI Solange Du Deine Füße unter unseren Tisch tust, solange machst Du, was ich will Vater zum Zeitpunkt der Häuslichen Gewalt Du brauchst Hilfe Familientherapeutin Ich schaffe es nicht Mutter bis16 J Ich sorge mich um Euch Großvater - Kontakt unterbrochen Geschwister (selbst schutzlos) 19

Das müssen wir abwarten Jugendamt Du schaffst es Myrrha Das sollten wir besprechen Neue Familientherapieeinrichtung ++ + Haustiere Wir sind auch da Nachsorge Familie + zusammenspaß-haben Freunde und Geschwister Wir halten zu Dir FreundInnen Wir brauchen Dich Geschwister 18 J Psychiaterin + heute Freund +Ausbildungseinrichtung, KollegInnen, Alltagsstruktur etc. Umsetzungsprobleme? 20

Und was jetzt? 1. operationalisierbare Diagnostik 2. biographische Diagnostik (rekonstruktiv) 3. Sozial- und Lebenswelt-Diagnostik (rekonstruktiv) Psychosoziale Diagnose (mehrdimensionale Problem- und Ressourcenmatrix) (Gahleitner & Pauls, 2013; Gahleitner & Weiß, 2016) Stressoren, Belastungen, Defizite schlechter sozioökonomischer Status hochtraumatisches Gewaltsystem (geschl.) Alkoholabusus desorganisierte Bindungsanteile geminderte Lernfähigkeit bei allen Kindern Umgebung Nathalie, 18 Jahre, älteste von 4 Geschwistern, geschütze Ausbildung, Häusliche Gewalt unsicher-vermeidende Bindung, kptsd kein prägn. Selbst- und Identitätserleben ger. kognitive Fähigkeiten (Schule!) undifferenzierter emotionaler Ausdruck mangelnde Selbstregulation, Sucht / Psychosomatik Person Bindungsressourcen (positiv besetzte emotionale Familienszenen) kommunikative Kompetenzen partielle Erziehungskompetenz der Eltern praktische Lebensbewältigung Haustiere keine desorganisierte Bindung in größerem Umfang Beziehungsfähigkeit, FreundInnen Kreativität, Liebe zu Tieren Arbeitsplatz, Tagesstruktur positiver Wertebezug (!) Zukunftspläne, posttraumatisches Wachstum Stärken und Ressourcen 21

Alle reden von Bindung...... aber ist es üblich, in der pyschosozialen Arbeit: den Bindungsstatus bindungsdiagnostisch präzise zu erfassen? die Bindungstypen für die Hilfeplanung zu Rate zu ziehen? den Hilfeverlauf stets bindungssensibel zu reflektieren? möglichst oft feinfühlig zu intervenieren, zu mentalisieren? den pädagogischen Bezug entwicklungssensibel zwischen Nähe und Distanz zu verorten? Alle reden von Netzwerken...... aber wer in der pyschosozialen Arbeit hat Kenntnis über: primäre, sekundäre und tertiäre, totale, partielle und egozentrierte Netzwerke? Größe, Dichte, Reziprozität von Netzwerken funktionale Aspekte wie emotionale, kognitive, materielle bzw. instrumentelle Unterstützung, Begleitung und Bindung, jeweils als Haupt- und Puffereffekte über negative Aspekte von Netzwerken und behutsame dialogische Netzwerkarbeit 22

Alle reden von Kooperation...... aber welche Kooperationsnetzwerke... treffen sich oder tagen regelmäßig? verfügen über geteilte interdisziplinäre Wissensbestände? sind in institutionalisierte Hilfeabläufe dauerhaft eingebettet? überleben vereinzelte persönliche Verbindungsnahtstellen? sind materiell wie institutionell-strukturelle gut ausgestattet? Zum Gedenken... Die Notwendigkeit einer eigensta ndigen, Ziele, Prinzipien und Verfahren theoretisch begru n denden Diagnostik wird immer deutlicher. (Maja Heiner, 2013, S. 18) 23

(Pantucek, 2006) Unterstützung für... das Überleben des Einzelnen in einer konflikthaften Welt (Keupp, 1997; Mielck, 2005)* 24

Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind... Das schreiende Kind wird... in einen Raum verbracht, wo es allein sein kann und so lange nicht beachtet, bis es sein Verhalten ändert. Man glaubt gar nicht, wie früh und wie rasch ein Kind solches Vorgehen begreift. Beispiel: Medizin 25