Fallbesprechung Grundkurs BGB II Sommersemester 2012 Kolper/Roßmanith/Koller Fallbesprechung 3 Surena Koller, Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Prof. Dr. Martin Maties, Professur für Bürgerliches Recht, Wirtschafts- und Arbeitsrecht Juristische Fakultät Augsburg Universitätsstraße 24 86159 Augsburg Zimmer 1050 Tel +49 821 598 4596 surena.koller@jura.uni-augsburg.de Gliederung Hinweise zum Auffinden der Anspruchsgrundlagen: 1. Es liegt keine mangelhafte Kaufsache bei Gefahrübergang vor Allgemeines Leistungsstörungsrecht anwendbar, das Kaufrecht dagegen nicht. 2. Zum Auffinden der möglichen Anspruchsgrundlagen siehe Übersicht AG 2 S.1: Hier sind alle Pflichtverletzungen, die einen Schadensersatz auslösen können, aufgelistet. Hier nun die Zuordnung zu den jeweiligen Anspruchsgrundlagen: 280 I allein, wenn Schadensersatz NEBEN der Leistung ( Integritätsinteresse betroffen) Oder 280 I, II, 286 bei Verzögerung als Unterfall des Schadensersatz NEBEN der Leistung Oder Schadensersatz statt der Leistung wenn Äquivalentinteressebetroffen gem. 280 I, III i.v.m.: Nicht-/Schlechtleistung Verletzung einer Nebenpflicht Unmöglichkeit 281 282 283 Kann außerdem zum Rücktritt nach 323 324 326 V berechtigen (auch nebeneinander, vgl. 325) 1
Fall 1: A) Anspruch K gegen V auf Zahlung von 500 Schadensersatz statt der Leistung gem. 280 I, III, 283 BGB I. Wirksames Schuldverhältnis Kaufvertrag über eine Vase (+) II. Pflichtverletzung? Hier: Nichterbringung der geschuldeten Leistung Befreiung des V von seiner Leistungspflicht nach 275 I BGB, da geschuldete Leistung (Übergabe und Übereignung der Vase nach 433 I 1 BGB) durch Diebstahl subjektiv unmöglich Leistungshindernis trat nach Vertragsschluss ein (ansonsten 311a!) III. Vertretenmüssen 280 I 2 BGB? Vss.: V müsste die Umstände zu vertreten haben, die zur Unmöglichkeit geführt haben 1. Vertretenmüssen Gem. 280 I 2 BGB vermutet, es sei denn V kann sich entlasten 2. Verantwortlichkeit Richtet sich nach 276 I 1 BGB: V hat Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten a) Vorsatz (-) b) Fahrlässigkeit, 276 II BGB? V müsste diejenige Sorgfalt missachtet haben, die im Verkehr erforderlich ist Hier: V hat nicht gehandelt, sondern Vase wurde gestohlen. Damit: Verschulden des V (-) 2
3. ABER Strengere Haftung nach 276 I 1 BGB auch für Zufallsschäden? Vss.: Vorliegen von Schuldnerverzug 287 S.2 BGB während des schadensverursachenden Ereignisses Def.: Schuldnerverzug: Die vom Schuldner zu vertretene Nichtleistung trotz Möglichkeit, Fälligkeit, Durchsetzbarkeit und Mahnung. a) Nichtleistung? (+) b) Trotz Möglichkeit, Fälligkeit und Durchsetzbarkeit des Anspruchs? (+) c) Mahnung? aa) Def.: Mahnung = Die eindeutige und bestimmte Leistungsaufforderung des Gläubigers an den Schuldner. Eine Fristsetzung ist nicht erforderlich. Eine vor Fälligkeit erklärte Mahnung ist unwirksam. Hier demnach Mahnung (-) bb) Entbehrlichkeit der Mahnung nach 286 II Nr. 1 BGB? Vss.: Für die Leistung muss ein Tag nach dem Kalender bestimmt sein Hier: K und V vereinbarten die Lieferung am nächsten Tag Damit: 286 II Nr. 1 BGB (+) d) Vertretenmüssen der Verzögerung 286 IV BGB? aa) Vertretenmüssen wird auch bei gem. 286 IV BGB vermutet, es sei denn V kann sich entlasten bb) 276 I 1, II BGB: Vorsatz bzw. Fahrlässigkeit Hier: V vergaß den Termin Vorsatz (-), aber Fahrlässigkeit (+) Damit: Vertretenmüssen (+) 3
4. Zwischenergebnis: V haftet damit auch für Zufall während des Verzuges. Vertretenmüssen (+) IV. Rechtsfolge Als Rechtsfolge ordnet 280 I 1 BGB den Ersatz des durch die Pflichtverletzung entstandenen Schadens an. 1. Definition und Umfang Schaden = Jede unfreiwillige Einbuße an materiellen und immateriellen Gütern und Interessen Aufwendungen = Freiwillige Vermögensopfer Hier: Unfreiwilliges Vermögensopfer durch Ausbleiben der Einnahmen von Drittem Käufer Der Umfang eines Schadens wird mit der Differenzhypothese berechnet: Differenzhypothese: = Vergleich der jetzigen Vermögenslage mit der hypothetischen Vermögenslage, die ohne die Pflichtverletzung bestehen würde Die Schadenshöhe richtet sich nach dem negativen Saldo auf Seiten des Gläubigers. Bei Schadensersatz statt der Leistung ist das positive Interesse (=Erfüllungsschaden) zu ersetzen: Geschädigte ist so zu stellen, wie er bei ordnungsgemäßer Erfüllung gestanden hätte Hier: Bei ordnungsgemäßer Erfüllung Gewinn von 500, dieser ist dem K unfreiwillig entgangen 2. Kausalität Dieses unfreiwillige Vermögensopfer i.h.v. 500,- beruht gerade auf der Nichterbringung der Leistung, die Pflichtverletzung ist somit kausal. 3. Art Art des Schadensersatzes: Grundsatz Naturalrestitution, 249 I BGB Siehe Übersicht zu den 249 ff in AG 2 4
Aber: Hier ist die Herstellung des tatsächlichen Zustandes, der ohne das schädigende Ereignis bestehen würde, nicht möglich. Daher: Schadenskompensation, Ausgleich der Vermögenseinbuße Entgangener Gewinn fällt unter 252 S.1 BGB B) Ergebnis: K hat gegen V einen Anspruch auf Zahlung von 500 Schadensersatz gem. 280 I, III, 283 S.1 BGB Fall 2: Frage 1: Anspruch des V gegen K gem. 433 II BGB auf Kaufpreiszahlung A) Anspruch entstanden? Wirksamer Kaufvertrag (+) B) Anspruch auf die Gegenleistung (teilweise) erloschen, 326 I 1, 2. HS, 441 III BGB Vss.: Gegenseitiger Vertrag, Ausschluss der Leistungspflicht des Schuldners V gem. 275 I- III BGB I. Unmöglichkeit Def. WH: Dauerhafte Nichterbringbarkeit des geschuldeten Leistungserfolges. Hier: Übergabe und Übereignung der zerstörten Bände nicht mehr möglich, 275 I 2. Alt. BGB Aber: Hinsichtlich der unbeschädigten Bände wäre die Leistung noch möglich Fall der sog. Teilunmöglichkeit Leistungspflicht entfällt nur hinsichtlich der zerstörten Bücher (vgl. Wortlaut des 275 I BGB soweit ). 5
Hinsichtlich der übrigen Bücher bleibt die Leistungspflicht bestehen und V kann Bezahlung und Abnahme verlangen. Der Kaufpreis wird jedoch entsprechend 326 I 1, 2HS., 441 III BGB reduziert. II. Ergebnis: V kann den reduzierten Kaufpreis nach 433 II BGB verlangen. Frage 2: Rücktrittsrecht des K vom ganzen Vertrag gem. 326 V, 323 BGB wegen teilweiser Unmöglichkeit? Vorteil des Rücktritts: Rücktritt vom ganzen Vertrag, trotz Teilunmöglichkeit, so dass K es vermeiden kann, den geminderten Kaufpreis zu bezahlen A) Rücktrittsrecht nach 326 V BGB? Hier: Leistungspflicht des V wegen nachträglicher objektiver Unmöglichkeit der Leistung hinsichtlich der 2 ins Wasser gefallenen Bücher entfallen Damit ist 326 V BGB und nicht 323 BGB einschlägig I. Gegenseitiger Vertrag (+) Kaufvertrag (+) II. Leistung ist fällig und durchsetzbar? Fälligkeit: 271? (+), bestimmt für den nächsten Tag Ungeschrieben: Durchsetzbarkeit? (+), da keine Einreden ersichtlich Hier: Beides ist gegeben 6
III. Fristsetzung? Gem. 326 V 2. HS BGB nicht erforderlich! IV. Achtung: Teilleistung - Rücktritts vom ganzen Vertrag möglich? 323 V 1 BGB: Vss.: Kein Interesse an der Teilleistung K wollte nur das komplette zusammengehöriges Werk des Brockhaus, daher (+) Ausschluss nach 323 VI BGB? (-) B) Rücktrittserklärung 349 BGB C) Ergebnis: K kann vorliegend wirksam den Rücktritt vom ganzen Vertrag erklären gem. 326 V, 323 BGB Frage 3: Ersatz der Kosten für das Pflegemittel A) Anspruch K gegen V auf Schadensersatz statt der ganzen Leistung nach 280 I, III, 283 S.1 und 2, 281 I 2 BGB? Beachte: Gem. 325 BGB können Schadensersatz und Rücktritt kumulativ geltend gemacht werden. I. Voraussetzungen des 280 I BGB 1. Schuldverhältnis, 280 I 1 (+) 2. Pflichtverletzung 280 I 1, 283? Pflichtverletzung liegt in der teilweisen Nichterbringung der geschuldeten Leistung 3. Vertretenmüssen, 280 I 2 BGB? Verschuldensvermutung, es sei denn V kann sich entlasten, 280 I 2 BGB 7
Hier: V hat nicht selbst die Pflichtverletzung begangen Aber: Evtl. Zurechnung des Verschuldens seines Erfüllungsgehilfen nach 278 S. 1 BGB? Def. WH: Erfüllungsgehilfe ist, wer mit Wissen und Wollen des Schuldners zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit tätig geworden ist. Hier: Verschulden des L (+), da Außerachtlassen der erforderlichen Sorgfalt nach 276 II BGB Zurechnung des Verschuldens an V nach 278 S.1 BGB. II. Zusätzliche Voraussetzungen des 283 BGB 1. (Teilweise) Befreiung von der Leistungspflicht 275 I BGB (+) 2. Kein Interesse an der Teilleistung (+) Damit kann K nach 283 S.2, 281 I 2 BGB Schadensersatz statt der ganzen Leistung verlangen III. P.: Schaden? K hat das Pflegemittel freiwillig erworben unfreiwilliges Vermögensopfer (-) Schaden (-), vgl. Def. oben. B) Anspruch K gegen V auf Ersatz der Kosten für die Pflegemittel nach 284 BGB I. Bestehen eines Anspruchs auf Schadensersatz statt der Leistung (+) II. Anstelle des Schadensersatzes tritt der Aufwendungsersatz III. Ergebnis: K steht ein Aufwendungsersatzanspruch gem. 284 BGB zu. 8
Fall 3: Teil 1: Anspruch K gegen X auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 1000 gem. 280 I, III, 281 I 1 BGB? A) Schuldverhältnis? Wirksamer Kaufvertrag? I. Zurechnung der WE des Vertreter V nach 164 I BGB II. V ist Angestellter im Möbelhaus X, Vollmacht (+), vgl. 56 HGB. III. Eigene WE IV. Im fremden Namen 164 I 2 BGB B) Pflichtverletzung? Hier: In der Nichtleistung bis zum vereinbarten Zeitpunkt trotz Möglichkeit, Fälligkeit und Durchsetzbarkeit. C) Vertretenmüssen 280 I 2 BGB? X selbst trifft kein Verschulden, da Lieferant nicht pünktlich geliefert hat ABER: Übernahme eines Beschaffungsrisikos, 276 I 1 a.e. BGB ( = verschuldensunabhängige Haftung)!! Lest die Paragraphen bzw. die Sätze IMMER zu Ende wer hier nicht bis zum Schluss gelesen hat, wäre ab hier in die falsche Richtung gegangen! Der Verkäufer trägt dabei vor allem das Risiko der rechtzeitigen Beschaffung solcher Güter, die in großer Zahl erhältlich sind und deren Beschaffung auf keine großen Hindernisse stößt. Hier: Bett ist marktbezogene Gattungsschuld im Sinne des 243 BGB. 9
D) Fristsetzung? I. Fristsetzung (-) II. Evtl. Entbehrlichkeit der Fristsetzung nach 281 II BGB? (+), wenn Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Geltendmachung der Schadensersatzanspruchs rechtfertigen. Hier: K hat hier gegenüber V deutlich gemacht, dass er das Bett bis zum 1.6. geliefert haben möchte Vereinbarung eines relativen Fixgeschäfts im Sinne des 323 II Nr. 2 BGB? Def. relatives Fixgeschäft: Der Gläubiger hat im Vertrag den Fortbestand seines Leistungsinteresses an die Rechtzeitigkeit der Leistung gebunden. Es genügt dafür nicht, dass die Leistungszeit genau bestimmt ist. Die Einhaltung der Leistungszeit muss nach dem Parteiwillen derart wesentlich sein, dass mit der zeitgerechten Leistung das Geschäft stehen und fallen soll (Fixabrede). Merkmale sind Klauseln wie fix oder spätestens. ABER: Bei 281 II BGB fehlt eine solche Regelung Zwischenergebnis: Somit war eine Fristsetzung nicht entbehrlich und es fehlt an einer Voraussetzung des 281 BGB. Ergebnis: K hat keinen Anspruch gegen X auf Zahlung von 1000 Schadensersatz nach 280 I, III, 281 BGB. Abwandlung: A) Anspruch K gegen X auf Zahlung von 60 gem. 280 I, II, 286 BGB (Verzögerungsschaden)? Zur Erinnerung: Bei dem Anspruch nach 280 I, II, 286 BGB handelt es sich um einen Anspruch auf Schadensersatz neben der Leistung. 10
I. Schuldverhältnis (+) II. Pflichtverletzung? Nichtleistung als Pflichtverletzung III. Schuldnerverzug 286 BGB? 1. Nichtleistung (+) 2. Trotz Fälligkeit, Durchsetzbarkeit des Anspruchs (+) 3. Mahnung Def. s.o. Diese erfolgte am 02.6. und hatte eine Frist von einer Woche zum Inhalt. Mit Ablauf der Woche tritt automatisch Verzug ein. Problem: Jedoch entstand der Schaden nicht nach Ablauf der Woche, sondern während des Fristlaufs. Zu klären ist somit, ob sich X bereits vorher, also ab dem 02.06. in Verzug befunden hat. Nach 286 II Nr. 1 BGB tritt automatisch Verzug ein, wenn für die Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt war. Hier: Lieferung bis zum 01.06. Zwischenergebnis: X befand sich ab dem 02.06. im Verzug. 4. Vertretenmüssen des Verzugs X hatte den Verzug auch zu vertreten nach 286 IV BGB, da er das Beschaffungsrisiko übernommen hat, 276 I BGB (s.o.). IV. Rechtsfolge 280 II ordnet den Ersatz des Schadens an, der aufgrund der Verzögerung entsteht. 1. Def. (+, vgl. o.) und Umfang Nach der Differenzhypothese (vgl. o.) Übernachtungskosten in Höhe von 60. 11
Geldschulden sind zusätzlich nach 288 BGB zu verzinsen. Mehrkosten für den Deckungskauf (-), da dieser Schaden nicht neben der weiterhin bestehenden Primärleistung (Lieferung des Bettes) tritt. 2. Kausalität Das unfreiwillige Vermögensopfer wurde gerade deshalb von K getätigt, weil sich X im Verzug befand. 3. Art Da 249 I BGB nicht möglich ist, ist gem. 251 I BGB Geldersatz zu leisten. Ergebnis: K hat gegen X einen Anspruch auf Zahlung von 60 gem. 280 I, II, 286 BGB B) Anspruch des K gegen X auf Zahlung von 1000 gem. 280 I, III, 281 I 1 BGB? I. Schuldverhältnis (+) II. Pflichtverletzung? Leistung nicht rechtzeitig erbracht (+) III. Fristsetzung, 281 I 1? - Frist angemessen(+) - Erfolgloser Ablauf der Frist(+) IV. Vertretenmüssen? Übernahme des Beschaffungsrisikos(+) V. Rechtsfolge Ersatz der kausalen Mehrkosten 12
C) Ergebnis: K hat gegen X einen Anspruch auf Zahlung von 1000 gem. 280 I, III, 281 I 1 BGB 13