FACHSTUDIENBERATUNG JURA Fallfundus Zwischenprüfungsklausuren Einführung in das Bürgerliche Recht und Allgemeiner Teil des BGB Wintersemester 2012/13 Inhalte und Schwerpunkte dieser Klausur: - Willenserklärung und Anfechtung - Vertragsschluss - Vertretung und Vollmacht
1 Fallfundus Zwischenprüfungsklausuren Sachverhalt: M ist alleinerziehende Mutter und wohnt mit ihrem 9-jährigen Sohn (S) gegenüber von einem Lebensmittelhändler (L). Gelegentlich erledigt S die Familieneinkäufe bei L. Sowohl L als auch die in seinem Geschäft als Verkäuferin eingestellte Verkäuferin (V) haben das routinierte Einkaufsgeschick des S der M gegenüber mehrfach lobend erwähnt. Eines Tages bittet M den S, bei L einzukaufen. Sie erinnert ihn daran, keinesfalls das übrig bleibende Geld wie M es ihm beim letzten Einkauf erlaubte für Süßigkeiten auszugeben. Obst jedoch dürfe er sich nach freiem Belieben auswählen. Im Laden des L trifft s auf den Schulkameraden K, der S einen Streich spielen will. Wahrheitswidrig behauptet er gegenüber S, die Äpfel seien heute von besonders erlesener Qualität, sodass er davon für seine Mutter in großer Menge einkaufen solle. Daraufhin zögert S nicht lange und lässt sich von V, die den Schwindel zwar mit angehört hat, sich aber nichts anmerken lässt, 4 kg Äpfel zu 10 abwiegen und in einem Vakuumbeutel verschweißen. Neben Brot, Butter, Eiern und Mehl legt S noch zwei Karamellbonbons zu 5 in seinen Einkaufskorb. An der Kasse legt S die Ware vor und L nennt ihm den Gesamtbetrag. Da muss S feststellen, dass er sein Einkaufsgeld vergessen hat. L händigt ihm die Ware dennoch aus und meint, S oder seine Mutter könnten ja beim nächsten Mal bezahlen. Als S nach Hause kommt, reagiert M wenig begeistert, da sie die Äpfel nicht mag. Verärgert bringt sie umgehend die Äpfel und die Karamellbonbons zu L zurück und verweigert unter Darlegung des Sachverhalts die Zahlung der 15. Muss M die 10 für die Äpfel zahlen? Muss M die 5 für die Karamellbonbons zahlen?
2 Fallfundus Zwischenprüfungsklausuren Die Überschrift Gutachten fehlt. Bearbeitung des Studenten: A. L könnte von M Zahlung der 10 aus 433 II BGB0F1 verlangen. I. Dazu müsste ein wirksamer Kaufvertrag* zwischen L und M zustande gekommen sein. Ein Kaufvertrag ist ein Rechtsgeschäft, das aus mindestens zwei übereinstimmenden, mit Bezug aufeinander abgegebenen Willenserklärungen von mindestens zwei Parteien besteht. 1. Fraglich ist, ob es eine Einigung zwischen L und M gibt. M und L trafen bezüglich des vorliegenden Einkaufs nicht aufeinander. Sie hatten diesbezüglich unmittelbar keinen Kontakt. Es gibt keine Einigung zwischen L und M. 2. Es könnte eine Einigung zwischen L und S geben. a) Dazu müsste es zunächst ein Angebot geben, 145 ff. Ein Angebot ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die dem Vertragspartner einen Vertrag so genau anträgt, dass er für das Zustandekommen nur noch zustimmen muss. aa) Ein Angebot des L könnte im Auslegen der Äpfel in seinem Geschäft liegen. L will durch Präsentieren der Äpfel wohl noch kein bindendes Angebot abgeben. Gerade für den Fall, dass er nicht genügend Äpfel hat, fehlt ihm der Rechtsbindungswille. Es handelt sich also lediglich um eine Invitatio ad offerendum. Damit gibt es zunächst noch kein Angebot des L. Auf das Verhalten der Beteiligten beim Abwiegen wird nicht eingegangen. Bisher keine Ausführung zur Stellvertretung. bb) Ein Angebot des S könnte im Vorlegen der Äpfel an der Kasse des L liegen. Ausdrücklich spricht S hier zwar kein Angebot aus, jedoch könnte er konkludent erklärt haben, er wolle die Äpfel haben. Allgemein lässt sich darin ein Angebot erkennen. Auch der Rechtsbindungswille liegt hier vor. Damit hat s ein Angebot abgegeben, indem er die Äpfel an der Kasse vorlegte. b) Es müsste außerdem eine Annahme geben. Eine Annahme ist die auf ein Angebot gerichtete Zustimmung. Sie ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung. aa) Eine Annahme könnte durch L erklärt worden sein, indem er den Gesamtbetrag nennt. 1 Alle aus dem BGB, wenn nicht anders gekennzeichnet.
3 Fallfundus Zwischenprüfungsklausuren Durch Kassieren der Ware zeigt L schon konkludent, dass er das Angebot annimmt. Spätestens durch Nennung des Gesamtpreises nimmt er das Angebot für die Waren, die Äpfel inbegriffen, an. bb) Eine Annahme liegt damit vor. Damit gibt es eine Einigung zwischen L und S. Das hätte vorher geprüft werden müssen. 3. Die Einigung wirkt für und gegen M, wenn S die M wirksam als Stellvertreter vertreten hat, 164 ff. a) Dazu müsste die Stellvertretung zulässig sein. Hier sind keine Gründe, wie höchstpersönliche Rechtsgeschäfte oder Realakte ersichtlich, aus denen die Zulässigkeit zu verneinen wäre. Die Stellvertretung ist zulässig. b) S müsste eine eigene Willenserklärung abgegeben haben, 164 I 1. Hier war nur auf die Auswahl der Äpfel einzugehen. irrelevant Fraglich ist, ob ein objektiver Empfänger das Auftreten des S do interpretieren durfte, dass er eine eigene Willenserklärung abgegeben hat. S hat hier erheblichen Entscheidungsspielraum. Für einen Dritten sieht es aus, als dürfte er alle Waren kaufen, die er will. Er kann damit nicht als Bote gesehen werden. Fraglich ist auch, ob S als beschränkt Geschäftsfähiger eine eigene wirksame Willenserklärung abgeben konnte, die nicht lediglich rechtlich vorteilhaft ist. 165 stellt hier klar, dass ein beschränkt Geschäftsfähiger wirksam als Stellvertreter auftreten kann. Er ruft keine Rechtsfolgen für sich, sondern nur für den Vertretenen hervor. Damit hat S eine eigene Willenserklärung abgegeben, die auch wirksam ist. c) S müsste im Namen der M gehandelt haben, 164 I 1. Hier hätte man auf die Kenntnis bei V abstellen können. Außerdem wird ohne Begründung und Zitat von 164 Abs. 1 S. 2 BGB subsumiert. Dafür müsste klar geworden sein, dass S für M handelt. Dies ist aus Sicht des objektiven Empfängers zu beurteilen. L weiß, dass S öfter für M einkauft und lobte sogar gegenüber M sein Geschick. Auch diesmal wird für M deutlich, dass S im Namen seiner Mutter M handelt. Die Stellvertretung ist offenkundig. d) Fraglich ist, ob S im Rahmen seiner Vertretungsmacht gehandelt hat, 164 I 1. Hier kommt eine Vollmacht in Betracht. M erklärte gegenüber S, er könne Obst nach freiem Belieben aussuchen. Damit hat sie eine Innenvollmacht erteilt. S hat im Rahmen dieser Vollmacht gehandelt, was die Äpfel betrifft.
4 Fallfundus Zwischenprüfungsklausuren Damit hat S auch im Rahmen seiner Vertretungsmacht gehandelt. nur für und gegen M Somit hat S die M wirksam vertreten, sodass der Kaufvertrag für und gegen M wirkt. Es ist ein wirksamer Kaufvertrag zwischen M und L zustande gekommen. II. Der Kaufvertrag könnte gemäß 142 I ex tunc unwirksam sein, wenn M erfolgreich angefochten hat. 1. Dazu müsste es eine Anfechtungserklärung geben, 143. M geht zu L und verweigert die Zahlung der Äpfel, worin eine Anfechtungserklärung gesehen werden kann. Die ausdrückliche Nutzung des Wortes Anfechtung ist nicht nötig. Eine Anfechtungserklärung liegt also vor. 2. Es müsste dem richtigen Anfechtungsgegner gegenüber erklärt worden sein. Gemäß 143 II ist das beim Kaufvertrag der andere Teil. M erklärte hier dem L, ihrem Vertragspartner. Der richtige Anfechtungsgegner wurde also gewählt. 3. Es müsste ein Anfechtungsgrund vorliegen. a) Gemäß 166 I kommt hier ein Irrtum des Stellvertreters in Betracht. Ein Irrtum der M wäre also unerheblich. Maßgeblich ist das Wissen und Wollen des S. Auch 166 II, der eine Ausnahme zu 166 I machen würde, ist nicht einschlägig, da S nicht auf Weisung der M handelt. b) In Betracht kommt hier ein Eigenschaftsirrtum, 119 II. S irrt über die Qualität der Äpfel. Fraglich ist, ob dies eine verkehrswesentliche Eigenschaft ist. Nach herrschender Meinung ist dies jeder wertbildende Faktor. Die Qualität von Obst ist ein maßgeblicher Faktor für den Wert. Vor allem darauf kommt es an. Je nach Qualität können auch hohe Preisunterschiede entstehen. S irrt damit über eine verkehrswesentliche Eigenschaft im Sinne des 119 II. gut vertretbar. Damit liegt ein Eigenschaftsirrtum vor. c) Fraglich ist, ob eine arglistige Täuschung gemäß 123 vorliegt. aa) Täuschung ist jedes Hervorrufen oder Steigern eines Irrtums durch Vorspiegeln oder Unterdrücken von Tatsachen. K erzählte dem S, die Äpfel seien von guter Qualität, was nicht stimmte. Dies bedingte S Irrtum.
5 Fallfundus Zwischenprüfungsklausuren S wurde also getäuscht. bb) Die Täuschung müsste arglistig gewesen sein. Arglist ist Wissen und Wollen, dass die Erklärung ohne Täuschung nicht abgegeben worden wäre. K weiß und will, dass S sich irrt und die Äpfel deshalb kauft. Er will ihm einen Streich spielen. Die Täuschung war arglistig. cc) Er müsste Kausalität bestehen. Diese muss nur subjektiv vorliegen. S kauft nur deshalb die Äpfel, weil er glaubt, sie seien von besonderer Qualität. Kausalität liegt also vor. Eine arglistige Täuschung ist also vorhanden. dd) Fraglich ist, aber, ob L sich die Täuschung des K zurechnen lassen muss. Nach 123 II muss sich L die Täuschung zurechnen lassen, wenn er sie kannte oder kennen musste, wenn ein Dritter, hioer K, die Täuschung verübt hat. Hier muss mehr argumentiert werden, weil es ein Hauptproblem ist. Auf 166 I BGB wird nicht eingegangen, obwohl V Stellvertreterin des L ist. Zwar musste L die Täuschung auch nicht erkennen, doch V war die täuschung bekannt. Sie hörte laut Sachverhalt den Schwindel mit an. Auch wenn L selbst nicht wusste oder fahrlässig nicht wusste, dass S getäuscht wurde, so muss er sich doch das Wissen der V zurechnen lassen. Sie ist schließlich seine Angestellte. Damit muss sich L auch die Täuschung des K zurechnen lassen. Mithin liegt eine arglistige Täuschung vor. Es liegen also Anfechtungsgründe nach 119 II und 123 vor. 4. Die Anfechtungsfrist müsste gewahrt sein. a) Bei 119 II ist das gemäß 121 unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern. M geht umgehend zu L. Damit ist die Frist nach 121 gewahrt. Bezüglich 123 besteht nach 124 I eine Jahresfrist. Da M sofort zu L geht, hat sie auch diese Frist eingehalten. Die Fristen sind also gewahrt. Der Kaufvertrag ist damit gemäß 142 I ex tunc unwirksam.
6 Fallfundus Zwischenprüfungsklausuren sehr schön gelöst. L kann keine Zahlung der 10 aus 433 II von M verlangen. B. L könnte von M Zahlung der 5 für die Karamellbonbons aus 433 II verlangen. I. Dazu müsste ein wirksamer Kaufvertrag zustande gekommen sein. Dieser Verweis nach oben ist unzulässig. Die oben geprüfte Einigung bezog sich auf die Äpfel, nicht auf die Bonbons. 1. Eine Einigung zwischen M und L gibt es unmittelbar nicht (s. o.). 2. Es gibt eine Einigung zwischen S und L (s. o.). 3. Die Einigung wirkt für und gegen M, wenn S wirksam als Stellvertreter aufgetreten ist, 164 ff. a) Dazu müsste die Vertretung zulässig sein. Die Vertretung ist zulässig (s.o.). b) Auch müsste S eine eigene Willenserklärung abgegeben haben, die auch wirksam ist, 164 I 1. S ist nicht als Bote aufgetreten und kann nach 165 wirksam eigene Willenserklärungen als Vertreter abgeben. (siehe auch oben). c) S müsste im Namen der M aufgetreten sein. S hat offenkundig gehandelt (s. o.), 164 I 1. d) S müsste mit Vertretungsmacht gehandelt haben, 164 I 1. aa) Es kommt eine rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht, die Vollmacht, in Betracht. M hat zwar eine Vollmacht bezüglich der Äpfel erteilt, aber ausdrücklich verboten, auch Süßigkeiten zu kaufen. Eine Vollmacht ist also weder ausdrücklich, noch konkludent erteil worden. bb) Es könnte Vertretungsmacht kraft Rechtsscheins bestehen. Ja, aber immer ohne vorher erteilte Vollmacht, was M geduldet haben müsste. s. o.: so einfach ist das nicht. In Betracht kommt hier eine Duldungsvollmacht. (1) Dazu müsste S mehrfach als Stellvertreter der M aufgetreten sein. Laut Sachverhalt tätigt S regelmäßig Einkäufe für M. Dies genügt, den Rechtsschein hervorzurufen, dass S auch diesmal bevollmächtigt ist. Fraglich ist, ob der Rechtsschein hervorgerufen wurde, S sei zum Kauf von Süßigkeiten bevollmächtigt. S durfte beim vorigen Einkauf das Geld auch für Süßigkeiten ausgeben. Daher durfte ein objektiver Dritter auch diesmal davon ausgehen, dass S eine solche Vollmacht hat.
7 Fallfundus Zwischenprüfungsklausuren Es wurde also auch der Rechtsschein hervorgerufen, dass S bevollmächtigt ist, Süßigkeiten zu kaufen. (2) Des Weiteren müsste M gewusst haben, dass S in ihrem Namen Süßigkeiten kauft. Wenn Sie es ihm aber strikt verbietet, rechnet sie doch indirekt damit. Fernliegend ist das also nicht! M hat dem S hier strikt verboten, das übrig gebliebene Geld für Süßigkeiten auszugeben. Sie konnte nicht wissen, dass ihr Sohn sich über das Verbot hinwegsetzt. M wusste mithin nicht, dass S als ihr Vertreter Süßigkeiten kauft. Eine Duldungsvollmacht liegt damit nicht vor. cc) Es könnte auch eine Anscheinsvollmacht in Betracht kommen. Dazu müsste S in einer der M zurechenbaren Weise den Anschein gesetzt haben, er habe Vollmacht, Süßigkeiten zu kaufen. (1) S hat zwar schon Süßigkeiten im Namen der M gekauft (s. o.). Damit wurde ein Rechtsschein gesetzt. (2) Der Rechtsschein müsste M zurechenbar sein. Dazu müsste M fahrlässig nicht gewusst haben, dass S in ihrem Namen Süßigkeiten kauft. Einerseits hat M dem S verboten, dass er Süßigkeiten kauft. Man könnte davon ausgehen, dass sie vertrauen darf, dass S sich an dieses Verbot hält. Andererseits ist S ein erst neunjähriger Junge, der naturgemäß gerne Süßigkeiten mag und daher nicht ausgeschlossen werden kann, dass er sich über das Verbot hinwegsetzt. Zudem muss M als Mutter die offenbar fehlende Disziplin bekannt sein. vertretbar Mithin hat M fahrlässig nicht gewusst, dass S für sie als Vertreter Süßigkeiten kauft. Sie hat sich den Rechtsschein zurechnen zu lassen. (3) L müsste gutgläubig in Bezug auf das Bestehen der Vollmacht gewesen sein. Vertrauen Wie schon oben erwähnt, trat S bereits als Vertreter mit Vollmacht bezüglich des Kaufs von Süßigkeiten auf. L kann nicht wissen, dass S diesmal eine eingeschränktere Vollmacht erteilt wurde. L wusste es nicht. Somit ist L gutgläubig in Bezug auf die Vollmacht, Süßigkeiten zu kaufen. Es liegt also eine Anscheinsvollmacht vor. Es gibt also Vertretungsmacht kraft Rechtsscheins. S ist damit wirksam Stellvertreter. Ausführungen zu einer mögl. Anfechtung fehlen.
8 Fallfundus Zwischenprüfungsklausuren Der Kaufvertrag ist mithin wirksam. L kann von M Zahlung der 5 für die Karamellbonbons aus 433 II verlangen. Ende der Bearbeitung gut (14 Punkte)