Besonderheiten der Pflege innerhalb der Familie Onkologie-Kongress des Landes Brandenburg Potsdam 2017 Dr. phil. Hartmut Jäckel Jedermann-Gruppe e. V. Brandenburg a. d. Havel
Wollen wir in der Familie gepflegt werden? Nein! Was wollen wir dann? Wir wollen alt werden. Wir wollen gesund sein. Wir wollen selbstbestimmt sein. Wir wollen niemandem zur Last fallen. Wir wollen 2
Wollen wir zu Hause sterben? Nein! Wir wollen nicht sterben. Wir wollen so lange wie möglich zu Hause bleiben. 3
Und wenn wir doch sterben müssen? Dann wollen wir wenigstens nicht dabei sein, wenn es soweit ist. nach Woody Allen 4
Faktisch sterben 60-80 % der Menschen in Organisationen, d. h. im Krankenhaus und im Pflegeheim. Also dort wo sie dezidiert nicht sterben wollen. Heller, A./ Heimerl, K. (2007): Zur Institutionalisierung und Deinstitutionalisierung des Sterbens oder: Wollen wir wirklich alle zu Hause sterben? In: Heller, Heimerl, Husebö (Hrsg.): Wenn nichts mehr zu machen ist, ist noch viel zu tun. Freiburg im Breisgau: Lambertus 5
Was braucht es, dass wir bis zum Schluss zu Hause bleiben können? Es muss ein eigenes zu Hause geben. Es muss immer jemand zu Hause sein. Patient und Angehörige müssen wollen, dass der Patient zu Hause ist. Hauskrankenpflege muss die nötige Fachkompetenz, Motivation und Ressourcen haben bei Tag und Nacht. Ein Arzt mit Engagement und palliativer Kompetenz muss die medizinische Verantwortung tragen bei Tag und Nacht. Nach Husebö, S. u. B. Sandgathe Husebö, 2004 6
Einen Angehörigen zu pflegen ist nicht einfach, weil: meist Vorerfahrungen fehlen, keiner weiß, wie lange es dauern wird, das soziale Netz manchmal nicht groß genug oder nicht tragfähig ist, auch noch die Rollen der/des zu Pflegenden übernommen werden müssen, nun auch noch Fremde in der Wohnung sind und den Tagesablauf (mit~) bestimmen, 7
An- und Zugehörige unterliegen hohen Belastungen Druck, weil das Zuhause mit Attributen, wie Normalität, Sicherheit und Geborgenheit konnotiert wird Hilflosigkeit gegenüber dem progressiven Fortschreiten der Krankheit und das Mitansehen des körperlichen Verfalls Schmerz und Leiden auf körperlicher Ebene mit ansehen zu müssen Keine Gewissheit darüber zu haben, wie die nächsten Tage, Wochen oder Monate sich gestalten, und dennoch zu wissen, dass irgendwann der Tod des geliebten Menschen eintritt Wenzel & Pleschberger (2012): Sterben zu Hause-Herausforderungen für An-und Zugehörige. In: Wegleitner, Heimerl, Heller (Hrsg.) Zu Hause sterben-der Tod hält sich nicht an Dienstpläne. Ludwigsburg: der Hospiz verlag 8
Trotz aller Belastungen: Die Angehörigen bleiben immer die primär Verantwortlichen für einen Hilfs- oder Pflegebedürftigen. Und sie wollen ihre Verantwortung so gut wie nie von hundert Prozent auf null Prozent herunterfahren, sondern in aller Regel nur von hundert Prozent, wenn sie nicht mehr können, auf achtzig, vierzig, dreißig oder zehn Prozent. Dörner, K. (2009): Die Angehörigen sind die geborenen Feinde der Profis. In: Praxis Palliative Care 3/09 9
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Was heißt das für uns? Angehörige ernst nehmen (alle!) deren Vorerfahrungen würdigen und nutzen keine Arbeit wegnehmen Informationen teilen Hilfe Bedarf erkennen Ressourcen nutzen (auch dritter Sozialraum Nachbarschaft) 11
Haben wir auch Belastungen auszuhalten? Die Familie gibt Regeln und Normen vor, die von unseren stark abweichen können. Dabei gibt es selten nur den sondern meist die Angehörigen. Beziehungen wachsen sehr schnell. Zugleich sind Möglichkeiten der Distanzierung geringer als im stationären Kontext. Wir werden mit eigenen Grenzen direkt konfrontiert. Der Tod der Patient/innen sorgt (je nach Tiefe der Beziehung) zu Trauer. Und dennoch sollen und wollen wir trösten. 12
Zu den zentralen Aufgaben von Palliative Care gehört es, Informationen verstehbar zu machen, Situationen handhabbar zu gestalten und den Raum und die Möglichkeit zu geben, sich seine Rolle und das Leben als wichtig und sinnvoll zu erkennen und emotional zu erleben Gasper-Paetz, A. (2013): Es sind ja nicht nur die Patienten In: Müller, M./Pfister, D. (Hrsg.): Wieviel Tod verträgt das Team? Belastungs- und Schutzfaktoren in Hospizarbeit und Palliativmedizin. Göttingen: Vandenhoeck & Rupprecht 13
Fragen die wir uns stellen sollten: Sprechen wir die gleiche Sprache? Gehen wir im gleichen Tempo? Haben wir Bedürfnisse und Erwartungen geklärt? Sind wir ein Team? Vom Nebeneinander zum Miteinander Haben wir die Ziele in der Arbeit mit Zugehörigen geklärt? (ebenda) 14
Fazit In der Familie gepflegt zu werden ist ein hoher Anspruch, für die Betroffenen, deren An- und Zugehörige und die professionell Pflegenden. Alle gehen Beziehungen ein und Verluste führen bei allen zu Trauer. Rollen werden neu vergeben/eingenommen, häufig unabhängig vom Willen der jeweiligen Person. Entscheidungen sind oft unter schwierigen emotionalen Belastungen zu treffen. 15
Unsere wichtigste Aufgabe besteht nicht darin, zu pflegen oder Behandlungen durchzuführen, sondern: die An- und Zugehörigen dabei zu unterstützen, Ihrer Rolle/n gerecht werden zu können und erstrangig Anund Zugehörige sein zu können. 16