Narkolepsie. Mit neuen Erkenntnissen! Eine Information für Patienten, Angehörige und Ärzte. Herausgeber: Deutsche Narkolepsie-Gesellschaft e.v.

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Transkript:

w Mit Narkolepsie aufgeweckt durchs Leben. Bitte beachten Sie die Urheberrechte. Fragen zur Veröffentlichung und Weitergabe richten Sie bitte an info@dng-ev.de. Narkolepsie Eine Information für Patienten, Angehörige und Ärzte Mit neuen Erkenntnissen! Herausgeber: Deutsche Narkolepsie-Gesellschaft e.v.

Inhalt Vorwort 3 Bitte beachten Sie die Urheberrechte. Fragen zur Veröffentlichung und Weitergabe richten Sie bitte an info@dng-ev.de. I. Die Krankheit 5 1. Wie äußert sich die Narkolepsie? Die Symptome 5 2. Wie häufig und wann tritt die Narkolepsie auf? Epidemiologie und Krankheitsverlauf 3. Wie kann man die Narkolepsie verstehen? Pathophysiologie und Ätiologie der Narkolepsie Typ 1 (mit Kataplexie) 4. Wie stellt man die Krankheit fest? Diagnostik 26 5. Von welchen anderen Krankheiten ist die Narkolepsie zu unterscheiden? Differentialdiagnose II. Behandlung Therapie 35 1. Behandlung ohne Arzneimittel Nichtmedikamentöse Therapie 2. Behandlung mit Arzneimitteln Medikamentöse Therapie 37 3. Perspektiven für neue Behandlungsformen 44 III. Psychosoziale und rechtliche Aspekte 46 1. Ausmaß der Beeinträchtigung 46 2. Narkolepsie als Behinderung 46 3. Narkolepsie und Schwerbehinderung 47 4. Schule 48 5. Studium und Beruf 50 6. Autofahren 51 IV. Die Deutsche Narkolepsie-Gesellschaft e.v. (DNG) 54 V. Weiterführende Literatur 55 15 16 31 35

Vorwort Bitte beachten Sie die Urheberrechte. Fragen zur Veröffentlichung und Weitergabe richten Sie bitte an info@dng-ev.de. Die Narkolepsie ist eine seltene, immer noch zu wenig wahrgenommene neurologische Erkrankung. Durch die Öffentlichkeitsarbeit der Deutschen Narkolepsie-Gesellschaft e.v. (DNG) und die besseren Informationsmöglichkeiten über das Internet ist die Narkolepsie bei Laien und Ärzten sehr viel bekannter geworden. Die Impfung gegen die sogenannte Schweinegrippe im Jahr 2009, die in den europäischen Ländern tragischerweise zu einer vorübergehenden Zunahme der Erkrankungshäufigkeit führte, hat durch die damit verbundene Berichterstattung in den Medien dazu beigetragen, dass die Narkolepsie stärker in das Bewusstsein der Bevölkerung gerückt ist. Die Deutsche Narkolepsie-Gesellschaft e.v. und die Mitglieder ihres wissenschaftlichen Beirats haben diese Broschüre verfasst, um Betroffenen, Angehörigen und interessierten Laien und Fachleuten einen eingehenderen Überblick über die Erkrankung zu geben. Das Krankheitsbild der Narkolepsie wurde 1877 von Carl Friedrich Otto Westphal, einem Arzt an der Vorwort 3

Klinik Charité in Berlin, in seiner Arbeit Über eigenthümliche mit dem Einschlafen verbundene Anfälle erstmals beschrieben. Drei Jahre später prägte Jean-Baptiste-Édouard Gélineau in Frankreich den Begriff Narkolepsie und bezeichnete damit ein Krankheitsbild, das von Tagesschläfrigkeit und kurzen Anfällen mit Verlust der Muskelkraft (Kataplexien) ge - kennzeichnet ist. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die Bezeichnung Narkolepsie häufig in einem weiteren Sinne für alle Formen gesteigerter Tagesschläfrigkeit verwendet. Mit dem Beginn der modernen, auf die Polysomnographie gestützten Schlafforschung setzte sich dann wieder eine engere Begriffsbestimmung durch. In den letzten Jahren wurden grund legend neue Erkenntnisse zur Ursache der Narkolepsie gewonnen. Auf dieser Basis wurden neben 4 der ursprünglichen Form der Narkolepsie mit Kataplexien auch die Kriterien festgelegt, nach denen eine Narkolepsie ohne Kataplexien diagnostiziert werden kann. Neben den beiden Hauptmerkmalen Tagesschläfrigkeit mit Schlafat tacken und Kataplexien gibt es unspezifische Nebensymptome (Schlafähmungen, schlafbezogene Hallu zinationen, gestörter Nachtschlaf, nächtliche Bewegungsstörungen, Schlafwandeln), die bei Patienten mit Narkolepsie häufig auftreten. Im Folgenden werden die Symptome der Krankheit, mögliche Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten eingehender dargestellt. Für die vorliegende vierte Aufage wurde diese Broschüre in allen Teilen kritisch durchgesehen und, wo erforderlich, an den neuesten Kenntnisstand angepasst. Vorwort

I. Die Krankheit Bitte beachten Sie die Urheberrechte. Fragen zur Veröffentlichung und Weitergabe richten Sie bitte an info@dng-ev.de. 1. Wie äußert sich die Narkolepsie? Die Symptome Das Hauptmerkmal der Narkolepsie ist die extreme Müdigkeit und Schläfrigkeit am Tage. Die Patienten kämpfen dauernd dagegen an und schlafen doch immer wieder ein, sogar in Situationen, in denen es störend oder gefährlich ist. Neben dieser Tagesschläfrigkeit kommt es mehr oder weniger häufig zu einem kurzen Verlust der Muskelkraft, meist ausgelöst durch plötzliche, starke Gefühle, wie Lachen, Freude oder bei Überraschung. Der plötzliche Verlust der Muskelkraft ohne Bewusstseinsstörung wird als Kataplexie bezeichnet. Diese beiden Hauptsymptome prägen das Bild der Narkolepsie. Darüber hinaus gibt es noch weitere typische Symp tome der Narkolepsie, die aber nicht bei allen Patienten auftreten. Bei der Narkolepsie wird zwischen zwei verschiedenen Formen unterschieden. Die Narkolepsie Typ 1 wird dann diagnostiziert, wenn ein Patient sowohl an Tagesschläfrigkeit als auch Kataplexien leidet ( Narkolepsie mit Kataplexien ). Der Typ 1 liegt auch vor, wenn im Nervenwasser der Botenstoff Die Krankheit Hypocretin-1 vollständig fehlt oder stark vermindert ist. Wenn keine eindeutigen Kataplexien vorhanden sind und der Hypocretin-1-Spiegel im Normalbereich liegt, wird die Erkrankung als Narkolepsie Typ 2 (Narkolepsie ohne Kataplexien) eingeordnet. Die Narkolepsie beginnt meist in der Jugend oder dem jungen Erwachsenenalter, am häufigsten im zweiten Lebensjahrzehnt. Sie kann aber auch zu jedem anderen Zeitpunkt auftreten. Die Symptome entwickeln sich unterschiedlich schnell, über einen Zeitraum von einigen Tagen bis zu Jahren. Bei Kindern und Jugendlichen sind die Symptome zu Beginn der Erkrankung oft sehr stark ausgeprägt und bessern sich nach einigen Wochen bis Monaten. Wenn die Entwicklung zum Stillstand gekommen ist, bleibt der Zustand meist dauerhaft mit oftmals nur geringen Veränderungen lebenslang bestehen. Die Kataplexien können abhängig von den jeweiligen Lebenssituationen an Intensität zu- oder abnehmen. Obwohl der Schweregrad der Erkrankung sehr unterschiedlich sein kann, sind die meisten Patienten mit Narkolepsie im Alltag an erster Stelle durch die Tagesschläfrigkeit erheblich beein- 5

trächtigt. Die Narkolepsie ist überdurchschnittlich häufig mit anderen Schlafstörungen, wie dem Syndrom der unruhigen Beine, Schlafwandeln und der REM Schlafverhaltensstörung assoziiert. Sie führt jedoch weder direkt zu Folgeerkrankungen noch beeinfusst sie die Lebenserwartung. Im Folgenden werden die Krankheitssymptome einzeln genannt und beschrieben. a) Tagesschläfrigkeit und Schlafattacken Die Tagesschläfrigkeit ist das in der Regel erste und für die Diagnose wegweisende Symptom der Narkolepsie. Bereits kurz nach dem morgendlichen Erwachen kann eine Müdigkeit oder Schläfrigkeit einsetzen, die über weite Teile des Tages mit wechselnder Intensität anhält. In Ruhesituationen oder bei Monotonie wird der Schlafdruck häufig so stark, dass ihm der Patient nicht mehr widerstehen kann und einschläft, auch wenn er das in dieser Situation unbedingt vermeiden will. Man spricht dann von einer Schlafattacke. Die Dauer des ungewollten Schlafes ist von der Situation abhängig, und meist ist dieser Schlaf erholsam. Prinzipiell ist es möglich, einen Narkolepsiepatienten in einer Schlafattacke zu wecken. Das kann allerdings schwierig sein, weil Narkolepsiepatienten innerhalb kurzer Zeit einen sehr tiefen Schlaf erreichen können. In Situationen, in denen auch Gesunde leicht einnicken, z.b. am Abend vor dem Fernseher oder während eines Vortrags, schlafen Narkolepsiepatienten fast immer ein. Unbehandelt sind nur wenige in der Lage, einen Kinofilm oder ein Theaterstück in ganzer Länge zu verfolgen. Besonders kritisch sind monotone, gleichförmige Situationen und solche, die ein passives Verhalten, wie Sitzen oder Zuhören, verlangen. Das ungewollte Einschlafen kann aber auch in vielen anderen Situationen eintreten und dann sozial unangemessen sein, etwa am Arbeitsplatz, mitten in einer wichtigen Geschäftsbesprechung oder sogar beim Essen und beim Sex. Die Tagesschläfrigkeit schränkt die Leistungsfähigkeit auch dann erheblich ein, wenn es nicht bis zum Einschlafen kommt. Aufgrund der Unfähigkeit, anhaltend wach zu bleiben, sind die Aufmerksamkeit, die Konzentration und die Reaktionsgeschwindigkeit beeinträchtigt. Der Narkolepsiepatient kann nicht alles aufnehmen, was um ihn herum vorgeht. Dadurch entsteht für viele Betroffene der Eindruck, dass ihr Gedächtnis gestört sei. Anschaulich beschreibt ein Patient den Zustand ausgeprägter Tagesschläfrigkeit: 6 Die Krankheit

Als ich Anfang dreißig war, musste ich beobachten, dass ich in zunächst unregelmäßigen Abständen von einer bis dahin nicht bekannten Müdigkeit befallen wurde. Meine Anstrengungen, dagegen anzukommen, ließen bald nach, als ich feststellen musste, dass sie zwecklos waren. In Situationen, in denen ich nur Zuschauer oder Zuhörer war, fielen mir plötzlich die Augen zu. Auch beim Essen schlief ich ein den letzten Bissen noch im Mund. Schließlich war es so weit, dass ich auch mitten im Gespräch einschlief. Bitte beachten Sie die Urheberrechte. Fragen zur Veröffentlichung und Weitergabe richten Sie bitte an info@dng-ev.de. b) Kataplexie: Plötzlicher, durch Affekte ausgelöster Verlust der Muskelkraft Ein Merkmal, das die Narkolepsie von anderen Erkrankungen mit Tagesschläfrigkeit, die als Hypersomnie oder Hypersomnolenz bezeichnet werden, unterscheidet, sind die Kataplexien. Das ist ein kurzzeitiger kompletter oder teilweiser Verlust der Muskelspannung, der durch plötzliche, starke Gefühlsregungen (Affekte) ausgelöst wird. Auslöser sind vor allem Freude, Ärger, Lachen oder Überraschung. Die Patienten verlieren dann plötzlich ganz oder teilweise die Kontrolle über die Muskulatur. Das Ausmaß der Störung reicht von einer für Sekunden verwaschenen Sprache bis zu einer minutenlangen, meist weniger als zwei Minuten dauernden, vollständigen Lähmung des ganzen Körpers. Der Patient kann z.b. langsam zu Boden sinken, unkontrollierte Stürze mit Verletzungen sind aber die Ausnahme. Gelegentlich sind Zuckungen zu Die Krankheit beobachten, wenn der Patient vergeblich versucht, sich zu bewegen. Manchmal können die Betroffenen lallende Laute von sich geben. Kataplexien enden nach einigen Sekunden bis maximal einigen Minuten von selbst ebenso plötzlich, wie sie begonnen haben. Die Muskulatur der inneren Organe einschließlich der Schließmuskeln und die Atmung bleiben nicht betroffen. Das Bewusstsein und die Wahrnehmung der Umwelt sind in der Kataplexie erhalten. Die Patienten erinnern sich mehr oder weniger vollständig an alles, was während der Kataplexie um sie herum vorgegangen ist. Dadurch ist eine Unterscheidung von einem kurzen Bewusstseinsverlust (Syn kope) oder einem epileptischen Anfall ( Krampf - anfall ) häufig gut möglich. Die Häufigkeit der Kataplexien ist sehr variabel und reicht von wenigen Ereignissen im Jahr bis zu 30 oder mehr Attacken am Tag. Viele Patienten geben an, dass die Kata- 7

plexien gehäuft auftreten, wenn sie müde sind. Die Kataplexien werden sehr bewusst erlebt und werden meist ganz typisch geschildert. Kataplexien entstehen meist in sozialen Situationen, bevorzugt in Gegenwart von vertrauten Personen. Da die Kataplexien oft großes Aufsehen erregen, was von den Patienten als sehr unangenehm erlebt wird, ziehen sie sich oft sozial zurück und vermeiden Auslöser von Kataplexien. Du fällst um, ohne dass du etwas dagegen tun kannst; aber man ist noch voll da, bekommt alles mit, was um einen herum passiert. Man kann nur nichts sagen, sich nicht bewegen Bitte beachten Sie die Urheberrechte. Fragen zur Veröffentlichung und Weitergabe richten Sie bitte an info@dng-ev.de. 8 Es gab aber noch eine andere unangenehme Sache. Ich musste beim Witze erzählen, bei plötzlichem Anruf, bei überraschendem Sehen eines Bekannten oder wenn mich beim Lesen etwas besonders rührte und ergriff, höllisch aufpassen, weil dann plötzlich auch die Muskeln versagten. Passierte das beim Gehen, musste ich stehen bleiben und mich ganz darauf konzentrieren, nicht zusammenzusacken. c) Schlafbezogene Halluzinationen Beim Einschlafen ( hypnagoge Halluzinationen ) und seltener beim Aufwachen ( hypnopompe Halluzinationen ) können intensive, sehr realitätsnahe, traumartige Erlebnisse auftreten. Meist handelt es sich um sehr unangenehme und beängstigende Szenen. Die Patienten haben z.b. das Gefühl, dass eine Person den Raum betritt, sie eventuell berührt oder bedroht, und sie diesem Zustand wehrlos ausgesetzt sind. Erst nach dem vollständigen Aufwachen werden sich die Patienten über den Trugcharakter der Wahrnehmung bewusst. Sie treten in Rückenlage häufiger auf als in Seitenlage. Diese Einbildungen kannte ich schon; sie traten auch beim Einschlafen auf, wenn ich entgegen meiner Gewohnheit auf dem Rücken einschlief. Dann meinte ich zu hören, wie die Tür aufging, ein Einbrecher sich langsam ins Zimmer tastete, oder meinte sogar den Schein einer Taschenlampe zu sehen. Oder aber ich konnte mich keinen Zentimeter im Bett rühren, oder ich meinte im Nachbarzimmer zu hören, wie sich jemand an der Verandatür zu schaffen machte. Die Krankheit

Die Krankheit 9

e) Automatische Handlungen Automatische Handlungen stehen in engem Zusammenhang mit Schläfrigkeitsphasen. Bei starker und lang dauernder Tagesschläfrigkeit kann sich der Patient in einer Art Halbschlaf befinden und Handlungen ohne bewusste Kontrolle ausführen oder fortsetzen. 10 d) Schlaflähmung Als Schlafähmung wird eine vollständige Bewegungsunfähigkeit beim Erwachen bezeichnet. Sie tritt, wie die eben geschilderten Halluzinationen, bevorzugt in Rückenlage auf. Dieser Zustand wird in der Regel als extrem beängstigend erlebt und kann einige Sekunden, selten auch Minuten, anhalten. Durch Ansprechen oder leichte Berührung kann die Lähmung meist unterbrochen werden. Häufig sind Schlafähmungen mit Halluzinationen verbunden. Schlafähmungen als seltenes, isoliertes Phänomen, kommen vereinzelt auch bei Gesunden vor. Wiederholt auftretende Schlafähmungen, ohne weitere Symptome einer Narkolepsie stellen ein eigenständiges Krankheitsbild dar. Eine sehr anschauliche Beschreibung selbst erlebter Schlafähmungen stammt von dem Philosophen Moses Mendelssohn (1729 1786): Im Anfalle, der mich beim ersten Erwachen aus einem unruhigen Schlaf anzuwandeln pfegte, hatte ich mein völliges Bewusstsein, war imstande, jede Gedankenreihe, die ich mir vornahm, mit Ordnung und Deutlichkeit zu verfolgen, nur dass ich aller willkürlichen Bewegungen unfähig war, weder ein Glied am Leibe regen noch einen Laut von mir geben oder die Augen auftun konnte; und jede Bemühung, die ich aufwandte, irgendein Glied zu bewegen, war völlig fruchtlos und vermehrte nur die sehr widrige Empfindung, von welcher der Zustand begleitet war. Das Ergebnis dieser Tätigkeiten ist dann meist sinnlos oder fehlerhaft. Das reicht von einfachem Verkritzeln beim Schreiben oder Sprechen ohne sinnvollen Zusammenhang bis hin zu unsinnigen Handlungen. Die Patienten können sich später an diese Handlungen nicht erinnern. Die Krankheit

Das automatische Verhalten machte mir vor allem um die Mittagszeit viel zu schaffen. Da lagen auf dem gedeckten Tisch nur die Gabeln, da stand der volle Aschenbecher im Kühlschrank, da steckten die Johannisbeeren, als Nachtisch gedacht, in dem Fleischküchle. Oder ich kochte das Mittagsessen und musste zum Schluss feststellen, dass sich im Topf nur Wasser befand. Das war für mich immer der Horror, weil ich als Kundenberaterin tätig bin und es untragbar ist, wenn man im Beratungsgespräch plötzlich ständig gähnen muss, völlig übermüdete Augen hat und Sachen redet, die überhaupt nicht zum Thema passen. Bitte beachten Sie die Urheberrechte. Fragen zur Veröffentlichung und Weitergabe richten Sie bitte an info@dng-ev.de. f) Gestörter Nachtschlaf Bei jüngeren Narkolepsiepatienten und bei solchen, die erst wenige Jahre an der Erkrankung leiden, ist der Nachtschlaf oft noch lang und tief. Im Laufe der Zeit ist der Nachtschlaf jedoch zunehmend gestört. Die Patienten können zwar weiterhin rasch einschlafen, wachen aber nach kurzer Zeit bereits wieder auf und haben Schwierigkeiten, erneut einzuschlafen. Schließlich kann es zu einem fragmentierten (häufig unterbrochenen) Schlafmuster kommen. Berücksichtigt man jedoch auch den Schlaf am Tage, dann liegt die Gesamtschlafdauer pro 24 Stunden meist im normalen Bereich. g) Albträume Fast alle Narkolepsiepatienten träumen sehr häufig, bzw. können sich sehr oft an ihre Träume erinnern. Diese Träume sind sehr intensiv und überwiegend unangenehm, Alb träu me sind weit verbreitet. Für Die Krankheit einzelne Patienten sind die Albträume sogar das Symptom, das sie am stärksten belastet. h) Kopfschmerzen Manche Narkolepsiepatienten berichten über besonders häufige, starke und anhaltende Kopfschmerzen, die zum Teil vom Migränetyp (einseitig pulsierend), zum Teil vom Typ des Spannungskopfschmerzes sind (beidseitig, anhaltend ziehend). Es wird vermutet, dass die relativ häufigen Kopfschmerzen, insbesondere vom Migränetyp, im Zusammenhang mit der Narkolepsie selbst stehen könnten. Es könnte aber auch sein, dass vor allem die Schlafstörungen und die psychischen Belastungen durch die Erkrankung den Kopfschmerz fördern. Auch die zur Behandlung der Narkolepsie verordneten Medikamente können eine Rolle spielen: Antidepressiva können Kopfschmerzen reduzieren, während Stimulanzien (wachheits- 11

fördernde Medikamente) Kopfschmerzen gelegentlich verstärken oder auslösen können. Daher sollte bei Medikamenteneinstellung auch auf diese Wirkungen oder Nebenwirkungen geachtet werden, wobei im Einzelfall die Effekte sehr unterschiedlich sein können. i) Gewichtszunahme Narkolepsiepatienten sind häufig übergewichtig. Viele nehmen gerade in der Zeit erheblich zu, wenn die ersten Symptome der Narkolepsie auftreten. Dazu trägt vermutlich die Veränderung im Hypocretin-System (siehe unter I, 3 e) bei, welches neben der Wachheit auch den Appetit und die Bewegung steuert. Möglicherweise sind auch noch weitere Regelsysteme des Stoffwechsels bei Narkolepsiepatienten gestört. Zudem können Bewegungsmangel, vermehrtes Essen (zum Teil als Mittel gegen die Müdigkeit) und Medikamenteneinfüsse zu einer Verschärfung der Gewichtsprobleme beitragen. Narkolepsiepatienten leiden nicht nur vermehrt unter Übergewicht, sondern auch häufiger als Andere unter der erworbenen Form der Zuckerkrankheit (Typ II-Diabetes). Ob dies eine Folge des Übergewichts ist oder ob unabhängig vom Gewicht ein Problem des Zuckerstoffwechsels vorliegt, ist noch unklar. Es ist sehr wichtig, bei Narkolepsiepatienten auf Übergewicht und Diabetes zu achten und diese Komplikation zu behandeln, weil sie mit erheblichen, zusätzlichen Gesundheitsrisiken (vor allem Herzinfarkt und Schlaganfall) verbunden sind. j) Psychische Symptome Die Erkrankung wirkt sich in vielfältiger Art auf das psychische Befinden der Betroffenen aus. Zunächst sind die direkten Folgen der Schläfrigkeit zu nennen, die auch Gesunde bei starker Müdigkeit kennen. Beispiele hierfür sind Reizbarkeit, übermäßige Stimmungsschwankungen, aber auch Lethargie, Entschlusslosigkeit, Desinteresse und Verschlossenheit. Auf längere Sicht wirken sich aber auch die vielen negativen Erlebnisse und Frustrationen aus, die mit der Erkrankung verbunden sind. Besonders gravierend ist es, wenn die Narkolepsie noch nicht erkannt wurde und die Symptome fälschlich auf Faulheit oder fehlende Motivation zurückgeführt werden. Die Folge ist, dass bei Narkolepsiepatienten Depressionen in allen Schweregraden erheblich häufiger auftreten als bei der Durchschnittsbevölkerung k) Sonstige müdigkeitsbedingte Symptome Müdigkeit ist mit einer Reihe von körperlichen und vegetativen Symptomen verbunden. Diese Symptome kommen sowohl beim Gesunden in entsprechenden Situationen wie auch beim Narkolepsiepatienten 12 Die Krankheit

vor, bei letzterem allerdings wegen der erhöhten Tagesschläfrigkeit natürlich wesentlich häufiger und intensiver. Bei Schläfrigkeit treten unscharfes Sehen, Augenbrennen, schwere Augenlider, Muskelschwäche, diffuse Schmerzen, Frösteln und Zittern häufig auf. Unterschiedliche Ausprägung der Symptome Die geschilderten Symptome müssen nicht bei jedem Patienten auftreten. Sie können sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Obligatorisch für die Diagnose ist immer die Tagesschläfrigkeit mit Schlafattacken. In den meisten Fällen ist dies auch das erste Anzeichen der Erkrankung. Kataplexien und andere Symptome kommen oft erst später dazu, manchmal sogar erst nach vielen Jahren. Die Narkolepsie kann aber auch mit Kataplexien beginnen. Die Kombination aus den vier Symptomen Tagesschläfrigkeit mit Schlafattacken, Kataplexien, hypnagogen Halluzinationen, Schlafähmungen und gestörtem Nachtschlaf wird als narkoleptische Pentade bezeichnet. Diagnosekriterien der Narkolepsie In der aktuellen dritten Ausgabe der Internationalen Klassifikation der Schlafstörungen ( International Classification of Sleep Disorders, ICSD-3 ) von 2014 unterscheidet man eine Narkolepsie Typ 1 (mit Kataplexien) und eine Narkolepsie Typ 2 (ohne Kataplexien). Für beide Diag nosen ist genau definiert, welche Symptome und Untersuchungsbefunde außer der Tagesschläfrigkeit noch vorliegen müssen (Diagnosekriterien gekürzt, nach ICSD-3): Narkolepsie Typ 1 (mit Kataplexien): Die Kriterien A und B müssen erfüllt sein A) Der Patient hat mindestens drei Monate lang täglich Phasen von unwiderstehlichem Schlafbedürfnis oder nickt am Tag ein (Schlafattacken). B) Mindestens eines von beiden folgenden liegt vor: 1) Gesicherte Kataplexien und im MSLT eine mittlere Schlafatenz von höchstens 8 Minuten und zwei oder mehr Einschlaf-REM-Perioden (Sleep Onset REM Period, SOREMP). Ein SOREMP (innerhalb von 15 Minuten nach dem Einschlafen) in der Nacht vor dem MSLT kann einen SOREMP im MSLT ersetzen. 2) Die Hypocretin-1 Konzentration im Liquor liegt nicht über 110 pg/ml oder ist kleiner als 1/3 des Normalwerts für den verwendeten Test. Die Krankheit 13

14 Narkolepsie Typ 2 (ohne Kataplexien): Die Kriterien A E müssen erfüllt sein A) Der Patient hat mindestens drei Monate lang täglich Phasen von unwiderstehlichem Schlafbedürfnis oder nickt am Tag ein (Schlafattacken). B) Im MSLT eine mittlere Schlafatenz von höchstens 8 Minuten und zwei oder mehr Einschlaf-REM-Perioden (Sleep Onset REM Period, SOREMP). Ein SOREMP (innerhalb von 15 Minuten nach dem Einschlafen) in der Nacht vor dem MSLT kann einen SOREMP im MSLT ersetzen. C) Der Patient hat keine Kataplexie. D) Entweder die Hypocretin-1 Konzentration im Liquor wurde nicht gemessen oder sie liegt über 110 pg/ml oder ist größer als 1/3 des Normalwerts für den verwendeten Test. E) Die Tagesschläfrigkeit (Hypersomnolenz) und die Befunde im MSLT können nicht durch andere Ursachen besser erklärt werden (z. B. Schlafmangel, Schlafapnoe, Syndrom der verzögerten Schlafphase, Wirkung oder Entzug von Medikamenten oder Drogen) Die Krankheit

2. Wie häufig und wann tritt die Narkolepsie auf? Epidemiologie und Krankheitsverlauf Die Häufigkeit der Narkolepsie ist schwer zu ermitteln, da die Krankheit bei vielen Patienten erst nach Jahren oder auch gar nicht erkannt wird. Die Angaben für die Häufigkeit aus verschiedenen Ländern liegen zwischen 1 und 5 pro 10.000 der Bevölkerung. Ein Wert von etwa 2 pro 10.000 ist am wahrscheinlichsten. Frauen und Männer sind annähernd gleich häufig betroffen. Die Narkolepsie zählt damit definitionsgemäß zu den seltenen Krankheiten. Die Krankheit Die Erkrankung kann in jedem Lebensalter beginnen, ein Erkrankungsbeginn vor dem fünften und nach dem 60. Lebensjahr ist allerdings eine Seltenheit. Der genaue Beginn der Erkrankung ist nachträglich oft schwer festzustellen, da die Symptome häufig über Jahre langsam einsetzen. Der Gipfel des Erkrankungsbeginns liegt zwischen dem 15. und 30. Lebensjahr. Die Kataplexien treten in der Regel erst nach der Tagesschläfrigkeit auf, so dass anfangs die genaue Diagnose oft noch offen bleiben muss. Die Erkrankung kann langsam und schleichend beginnen, aber auch abrupt von einem Tag auf den anderen. Nachdem sich das Krankheitsbild stabilisiert hat, bleibt die Symptomatik normalerweise über viele Jahre stabil und verändert sich nur aufgrund geänderter Lebensumstände. Ein Rückgang der Kataplexien wurde in Einzelfällen, vor allem im höheren Alter, beobachtet, während ein vollständiges Abklingen der Symptome eine Rarität darstellt. Der Schweregrad der Narkolepsie kann erheblich variieren. In leichten Fällen können die Betroffenen unter günstigen Umständen ein ungestörtes Arbeits- und Berufsleben durchlaufen, andere Patienten werden schon in jungen Jahren erwerbsunfähig und sind auch in ihrem sozialen Leben massiv beeinträchtigt. Eine familiäre Häufung der Narkolepsie ist seit langem bekannt. Angehörige ersten Grades (Eltern, Geschwister, Kinder) von Patienten haben ein im Vergleich zur Normalbevölkerung 60 bis 200-fach erhöhtes Erkrankungsrisiko. Daraus lässt sich errechnen, dass das Risiko für Kinder eines Narkolepsiepatienten, ebenfalls diese Krankheit zu entwickeln, bei etwa 1 4 % liegt. 15

Das folgende Kapitel bezieht sich auf die Narkolepsie mit Kataplexien, also den Typ 1 der Erkrankung. Über die Ursachen der Narkolepsie ohne Kataplexien (Typ 2) ist viel weniger bekannt. Möglicherweise gibt es bei der Narkolepsie Typ 2 verschiedene Formen, bei denen das Hypocretin-System in unterschiedlichem Ausmaß betroffen ist. Ein Übergang vom Typ 2 zum Typ 1 ist möglich, weil sich Kataplexien teilweise erst im Lauf der Erkrankung entwickeln. a) Der gesunde Schlaf von Erwachsenen Der Schlaf ist nicht einfach Abwesenheit von Wachheit, sondern eine aktive und in sich strukturierte Leistung des Gehirns. Schlaf zeichnet sich nach außen hin durch eine allgemeine Verringerung von Bewegungen aus sowie durch eine stark eingeschränkte Reaktion auf Umweltreize: eine äußerlich erkennbare Reaktion folgt je nach Schlafstadium nur auf sehr bedeutsame oder starke Reize. Das Bewusstsein ist stark reduziert oder ist im Traumgeschehen verändert. Die meisten Körperfunktionen, angefangen von einzelnen Nervenzellen bis hin zu 16 3. Wie kann man die Narkolepsie verstehen? - Pathophysiologie und Ätiologie der Narkolepsie Typ 1 (mit Kataplexie) hormonellen Systemen, Stoffwechsel oder die Regelung der Körpertemperatur, verändern ihre Aktivität während des Schlafes. Die Aktivitätsänderung des Gehirns im Schlaf lässt sich mittels Gehirnstrommessungen (Elektroenzephalogramm, EEG) nachweisen. Die regelmäßige EEG-Aktivität des Wachzustands mit einer Frequenz von 8 12 Hertz (Abb. 1) geht beim Einschlafen in langsamere, unregelmäßigere Wellen über. Mittels Messungen von EEG, Muskelaktivität, Augenbewegungen, Herzfrequenz und Atmung lassen sich Schlafstadien und motorische und autonome Störungen im Schlaf erfassen. Innerhalb des Schlafes werden die Zustände REM Schlaf und NREM Schlaf unterschieden. Ein Unterscheidungsmerkmal, das leicht aufgezeichnet werden kann, ist die Abwesenheit bzw. das Auftreten von raschen Augenbewegungen (engl. Rapid Eye Movements, abgekürzt REM). Daher werden die beiden Zustände als Non-REM-Schlaf und REM-Schlaf bezeichnet. Der Non-REM-Schlaf wird in Schlafstadien mit zunehmender Schlaftiefe unterteilt. Das Non-REM Stadium 1 (N1) und das Non-REM Stadium 2 (N2) werden als Leichtschlaf und das Non-REM Stadium 3 (N3) wird als Tiefschlaf oder als Slow Wave Sleep (Schlaf mit langsamen Wellen) bezeichnet. Im EEG findet Die Krankheit

sich mit zunehmender Schlaftiefe ein immer höherer Anteil von hochgespannten, langsamen Wellen, die Atmung ist ruhig, die Herzfrequenz stabil. Die Muskelspannung ist meist niedrig. Beim Einschlafen kommen noch langsame, rollende Augenbewegungen vor, danach sind die Augen unbewegt (Abb. 2). Im REM-Schlaf ist das EEG fach und schnell, ähnlich dem Wachzustand oder dem Stadium N1. Die Augen bewegen sich in unregelmäßigen Abständen rasch hin und her, wobei diese Augenbewegungen in kurzen Gruppen auftreten. Atmung und Herzfrequenz werden unregelmäßig. Die Willkürmuskulatur ist durch eine aktive Hemmung der Weiterleitung von Nervenimpulsen im Hirnstamm wie gelähmt. Die Muskelspannung erreicht ein Minimum, durchbrochen von kurzen Zuckungen (Abb. 3). Die Atmung und die Herzfrequenz werden unregelmäßig. Beim Mann treten unwillkürliche Erektionen auf. Wenn man Schläfer aus diesem Zustand weckt, berichten sie meist von lebhaften, bunten und bizarren Träumen. Abb. 1 30-Sekunden Ausschnitt aus einer Polysomnographie im Wachzustand. Kanäle von oben nach unten: Augenbewegungen (EOG) waagrecht (2x) und senkrecht (2x), Muskelspannung am Kinn (EMG), Hirnstromkurve (EEG) (4x), EKG: Das EEG ist regelmäßig mit Alphawellen, Frequenz ca. 10 Hz, das EMG ist relativ niedrig, im EOG Blinzeln und rasche, willkürliche Blickbewegungen. Die Krankheit 17

Abb. 2 30-Sekunden Ausschnitt aus einer Polysomnographie mit Tiefschlaf (Stadium 4). Kanäle wie Abb. 1. Das EEG zeigt hohe, langsame Wellen, das EMG ist mittelhoch gespannt, im EOG keine Augenbewegungen. Die Ausschläge in den EOG-Kanälen sind durch die EEG-Aktivität verursacht. 18 Die Krankheit

Abb. 3 30-Sekunden Ausschnitt aus einer Polysomnographie mit REM-Schlaf. Kanäle wie Abb. 1. Das EEG ist niedrig gespannt mit relativ schnellen Wellen unterschiedlicher Frequenzen, das EMG ist sehr niedrig, im EOG rasche Augenbewegungen. Die Aufeinanderfolge der beiden Funktionszustände des Gehirns (Non-REM-Schlaf und REM-Schlaf) ist in etwa 90 bis 100 min langen Zyklen organisiert, die sich im Lauf der Nacht mehrmals wiederholen und jeweils mit REM-Phasen zu einem Ende kommen. Ohne vorausgehenden Non-REM-Schlaf gibt es beim gesunden Erwachsenen normalerweise keinen REM-Schlaf. Der erste Schlafzyklus beginnt mit dem Einschlafen, durchläuft nacheinander die Stadien 1, 2 und 3 und endet mit dem ersten REM-Schlaf. Die weiteren Zyklen folgen dem gleichen Ablauf. Im ersten Drittel Die Krankheit der Nacht, d. h. in den ersten beiden Schlafzyklen, dominieren die Tiefschlafstadien (N3), während die REM-Phasen eher kurz sind. Im letzten Nachtdrittel, meist die Zyklen 5 und 6, tritt kaum mehr Tiefschlaf auf, dagegen sind die REM-Phasen deutlich länger (Abb. 4). Jeder Mensch wacht nachts mehrfach auf, bis zu 10 Aufwachreaktionen pro Stunde Schlaf gelten noch als normal. Besonders am Ende der REM-Phasen (und damit der Schlafzyklen) wachen die meisten Menschen kurz auf. An Wachphasen von weniger als ca. fünf Minuten kann 19

sich der Schläfer normalerweise am nächsten Morgen nicht mehr erinnern. Andererseits werden auch Schlafphasen von weniger als 20 Minuten am Stück oft nicht wahrgenommen, der Schläfer glaubt dann, durchgehend wach gelegen zu sein. Bitte beachten Sie die Urheberrechte. Fragen zur Veröffentlichung und Weitergabe richten Sie bitte an info@dng-ev.de. Abb. 4 Schematisiertes Schlafprofil eines gesunden, jungen Menschen (mit freundl. Genehmigung von J. Zulley) 20 b) Veränderte Schlaf-wach-Regulation bei Narkolepsie Pathophysiologie Bei der Narkolepsie handelt es sich vor allem um eine Störung der Schlaf-wach-Regulation. Offensichtlich ist bei Narkolepsiepatienten der Übergang zwischen den Zuständen Wach, Non-REM-Schlaf und REM- Schlaf erleichtert, die Zustände sind instabil. Die Grenzen zwischen Wach, NREM- und REM-Schlaf können nicht mehr jederzeit klar gezogen werden. Als Folge ist neben der gestörten Fähigkeit, wach zu bleiben, auch der Übergang vom Wachen in den REM-Schlaf viel leichter möglich. Durch die Instabilität der Schlaf-wach-Grenzen werden viele Symptome der Narkolepsie als Auswirkung von unvollständigem und zur Unzeit auftretendem REM- Schlaf erklärbar: Die Kataplexie wird erklärt durch eine Hemmung der Willkürmuskulatur (Muskelatonie), die durch den schnellen Eintritt von REM Schlaf aus dem Wachen heraus ausgelöst wird. Die Schlafähmung gilt entsprechend als ein Fortbestehen der zum REM- Schlaf gehörenden Muskelatonie in den Wachzustand hinein. Die hyp- Die Krankheit

nagogen Halluzinationen werden als REM-Schlaf typische traumartige Wahrnehmungen erklärt. Der Tag-Nacht-Rhythmus verschiedener Körperfunktionen (zirkadiane Rhythmik) bleibt bei Narkolepsie erhalten. In der Schlafaufzeichnung im Schlafabor (Polysomnographie) ist die Narkolepsie durch eine sehr kurze Schlafatenz (Zeit bis zum Einschlafen) und das Auftreten von vorzeitigen REM-Perioden innerhalb von höchstens 15 Minuten nach dem Einschlafen, sog. Einschlaf-REM-Perioden (Sleep Onset REM Perioden, SOREM) charakterisiert (Abb. 5). Im Multiplen Schlafatenz-Test (MSLT) liegt die Schlafatenz bei Narkolepsiepatienten im Mittel von 4 oder 5 Einzeltests bei weniger als 8 Minuten, und es treten mindestens zwei SOREM Perioden auf. Während beim Gesunden die erste REM-Periode fast immer erst nach Ablauf der ersten Non-REM-Periode, und damit frühestens 40 Minuten nach dem Einschlafen beginnt, tritt bei Narkolepsiepatienten in mehr als der Hälfte der Nächte ein SOREM innerhalb von weniger als 15 Minuten nach dem Einschlafen auf. Als Ursache für den erleichterten Übergang zwischen den Zuständen Wach, Non-REM-Schlaf und REM- Schlaf und die Instabilität dieser Zustände gilt der teilweise oder vollständige Ausfall des Hypocretin-Systems im Gehirn. Wenn mehr Die Krankheit als 80% der Hypocretin-produzierenden Neurone zerstört sind, treten Kataplexien auf. c) Idiopathische und Symptomatische Narkolepsie Da die Entstehung der Erkrankung, die Ätiologie, nach wie vor nicht restlos geklärt ist, kann man in den meisten Fällen auch von einer idiopathischen Narkolepsie sprechen (idiopathisch: von sich aus entstanden, also ohne erkennbare Ursache). Zudem sind aber auch vereinzelt Fälle von Narkolepsie beschrieben worden, die beispielsweise nach Schlaganfällen oder Gehirnverletzungen aufgetreten sind man spricht dann von einer symptomatischen Narkolepsie. Zur Entstehung der Narkolepsie tragen sowohl genetische als auch nicht-genetische Faktoren bei. Von eineiigen Zwillingen ist häufig nur einer an Narkolepsie erkrankt. Daraus kann geschlossen werden, dass neben erblichen Faktoren noch andere, äußere Einfüsse für den Ausbruch der Erkrankung verantwortlich sein müssen. d) Genetische (erbliche) Faktoren, HLA-Bindung Bereits 1877, in der ersten Veröffentlichung über Narkolepsie, beschrieb der berliner Arzt Carl Westphal zwei Patienten innerhalb einer Familie. Aufgrund der teilweise familiären Häufung der Narkolepsie 21

wurde schon früh eine erbliche, genetische Ursache der Narkolepsie vermutet. Daten aus Familienstudien legen am ehesten Einfüsse von verschiedenen Genen und zusätzlichen Umwelteinfüssen, also eine multifaktorielle Entstehung, nahe. Bei der systematischen Suche nach genetischen Merkmalen (Markern) für die Erkrankung wurde man erstmals 1984 fündig: Etwa 95% aller Narkolepsiepatienten weisen eine bestimmte Genvariante auf, während die Häufigkeit in der Durchschnittsbevölkerung regional unterschiedlich bei 15 bis 33% liegt. Diese Genvariante erscheint also als eine notwendige Voraussetzung, dass die Erkrankung entsteht, führt jedoch nicht automatisch zu einer Narkolepsie. Das Gen trägt die Bezeichnung HLA DQB1 und liegt auf dem Chromosom 6, die Risiko-Variante für die Narkolepsie wird mit der Nummer *0602 bezeichnet, die komplette Bezeichnung lautet damit HLA DQB1*0602. Wenn diese Genvariante homozygot, also auf dem väterlichen und dem mütterlichen Chromosom 6, vorliegt, ist das Risiko, an Narkolepsie zu erkranken, besonders hoch. Andere Varianten des gleichen Gens haben vermutlich eine schützende Funktion, da sie bei Narkolepsiepatienten extrem selten vorkommen, vor allem der Typ HLA DQB1*0603. Das Gen HLA DQB1 ist Teil des Human Leukocyte Antigen Systems, kurz HLA-System, das eine 22 Die Krankheit

wichtige Rolle im Immunsystem spielt. Für die zahlreichen Gene des HLA-Systems gibt es jeweils viele verschiedene Formen, die sich oft nur minimal unterscheiden und die sich in unterschiedlicher Häufigkeit in der Bevölkerung finden. Nur sehr selten haben zwei Menschen eine völlig identische Konstellation für die Genvarianten an allen Genen des HLA-Systems. Das HLA-System erlaubt es den Körperzellen, zwischen körpereigenen und körperfremden Substanzen zu unterscheiden. Manchmal kann es vorkommen, dass das Immunsystem aufgrund einer falschen Zuordnung von körperfremden Zellen gesunde, körpereigene Strukturen angreift. Die daraus resultierenden Erkrankungen nennt man Autoimmunerkrankungen. Für diese Erkrankungen ist es typisch, dass die Patienten überzufällig häufig ganz bestimmte HLA-Genvarianten aufweisen. Die Assoziation des HLA DQB1*0602 mit der Narkolepsie Typ 1 ist die stärkste bisher bekannte Bindung einer Erkrankung an eine bestimmten HLA-Variante. Weitergehende Untersuchungen des gesamten Erbgutes ( Genomweite Untersuchungen ) fanden zusätzlich eine starke Assoziation der Narkolepsie Typ 1 mit einer bestimmten Variante des Gens für die Aktivierung von Rezeptoren (T-Zellen Rezeptor a), die in der Immunabwehr eine wichtige Rolle spielen. Die Krankheit f) Mangel an Hypocretin (Orexin) Das Hypocretin bzw. Orexin ist ein Botenstoff im Nervensystem (Neurotransmitter), der eine zentrale Rolle in der Regulation von Schlafen und Wachen spielt. Zudem ist Hypocretin bei der Steuerung von Bewegungen, aber auch des Appetits und des Essverhaltens beteiligt. Es handelt sich um einen Eiweißstoff (Neuropeptid), der 1998 von zwei Forschergruppen gleichzeitig entdeckt wurde. Beide Gruppen gaben der gleichen Substanz unabhängig voneinander einen Namen, deshalb werden die Bezeichnungen Hypocretin und Orexin bis heute nebeneinander für den gleichen Stoff verwendet. Das Hypocretin kommt im Gehirn in zwei verschiedenen Formen vor, die als Hypocretin-1 und Hypocretin-2 (bzw. Orexin-A und Orexin-B) bezeichnet werden. Auch die Andockstellen für das Hypocretin (Rezeptoren) kommen in zwei Varianten vor (Hypocretin-1- Rezeptor und Hypocretin-2-Rezeptor). Das Hypocretin wird im Zentralnervensystem von einer kleinen Gruppe von spezialisierten Zellen des dorsolateralen Hypothalamus (Teil des Zwischenhirns) gebildet. Diese haben direkte Verbindungen (Projektionen) zu vielen Hirnregionen, welche mit der Schlaf-wach-Regulation in Verbindung gebracht werden. 23

Bei Patienten, die an Narkolepsie mit Kataplexien (Narkolepsie Typ 1) leiden, ist das Hypocretin im Liquor (Nervenwasser) meist extrem niedrig oder nicht nachweisbar. Bei Patienten mit Narkolepsie ohne Kataplexie sind die Hypocretinspiegel dagegen nicht oder nur mäßig vermindert, während der Spiegel von Hypocretin im Liquor bei Patienten mit anderen Formen von Tagesschläfrigkeit in der Regel normal ist. Im Gehirn von verstorbenen Narkolepsiepatienten konnten nur noch wenige dieser Hypocretinzellen nach gewiesen werden. Dies bedeutet, dass sie entweder zu Grunde gegangen sind oder aber ihre Funktion verloren haben. Bei Narkolepsie ohne Kataplexie sind diese Zellen teilweise (noch) vorhanden. Bei bestimmten Hunderassen, die an einer erblichen Form der Narkolepsie leiden, funktioniert die Andockstelle für den Botenstoff (Hypocretin-2-Rezeptor) aufgrund eines Gendefekts nicht. Bei Mäusen, denen das Gen für die Bildung von Hypocretin fehlt, treten ebenfalls Symptome auf, die einer Narkolepsie beim Menschen sehr ähneln. Ein teilweiser Verlust dieser Hypocretin-produzierenden Zellen führt zu exzessiver Schläfrigkeit, ein fast vollständiger Verlust zu Kataplexien. Aus all diesen Ergebnissen wird deutlich, dass das Hypocretin eine zentrale Rolle in der Entwicklung der Narkolepsie spielt. Für unser Verständnis der Erkrankung, aber auch der Schlaf-wach-Regulation allgemein sowie für neue Ansätze zur Behandlung, ist dieses System von zentraler Bedeutung. An einer ursachenorientierten Behandlung der Narkolepsie durch den Ersatz des fehlenden Hypocretins wird geforscht. e) Ist der Auslöser der Narkolepsie eine Störung des Immunsystems? Autoimmun-Hypothese Der Mangel an Hypocretin ist einer der wichtigsten Faktoren in der Entstehung der Narkolepsie Typ 1. Die Hypocretin-produzierenden Zellen sind vermutlich teilweise oder komplett zerstört oder funktionieren nicht mehr. Als wahrscheinlichste Ursache für den Untergang dieser Zellen wird angenommen, dass es bei der Narkolepsie zu einem fehlgeleiteten Angriff des eigenen Immunsystems auf körpereigene Zellen die Hypocretin-produzierenden Nerven- 24 Die Krankheit

zellen kommt. Dieser Vorgang wird als Autoimmunreaktion bezeichnet. Auffällige Zeichen eines allgemeinen entzündlichen Prozesses, wie sie bei anderen Autoimmunerkrankungen, wie z.b. dem rheumatischen Fieber vorkommen, konnten bei Narkolepsiepatienten jedoch bisher nicht gefunden werden. Bei einigen Narkolepsiepatienten konnten erhöhte Antikörper gegen das körpereigene Eiweiß Tribbles homolog 2 nachgewiesen werden. Tribbles ist in Hypocretin-produzierenden Zellen anzutreffen. Am stärksten sind die Antikörper gegen Tribbles-Proteine in den ersten drei Jahren nach Erkrankungsbeginn erhöht. Dies gilt als erster, direkter Nachweis einer für die Narkolepsie spezifischen, veränderten Autoimmunreaktion. Wodurch solch ein sehr spezifischer Angriff ausgelöst sein könnte und warum die meisten Patienten im Jugendalter erkranken, ist unklar. Patienten berichten nicht selten von einem schweren Infekt oder drastischen Veränderungen der Lebensumstände im Zeitraum vor dem Auftreten der ersten Narkolepsiesymptome. In den ersten Jahren nach Beginn der Narkolepsie liegen bei der Mehrzahl von Narkolepsiepatienten erhöhte Antikörper gegen Streptokokken vor, womöglich könnte also eine bakterielle Infektion mit Streptokokken dazu beitragen, dass die Erkrankung ausgelöst wird. Die Krankheit Vor allem in den nordischen Ländern kam es im Jahre 2009 nach der Impfung gegen den H1N1-Grippevirus (Schweinegrippeimpfung) mit einem bestimmten Impfstoff (Pandemrix ) zu einem drastischen Anstieg von Narkolepsiefällen im Kindes- und Jugendalter. Ebenso kam es in China nach der H1N1-Epidemie zu auffällig mehr Fällen von Narkolepsie. Dies hat zu einer intensiven Suche nach den Auslösern der Narkolepsie geführt. Alle geimpften Personen, die eine Narkolepsie entwickelten, hatten die gleiche HLA Konstellation, die gleichen Symptome, allerdings einen anfänglich schwereren Verlauf als Narkolepsiepatienten ohne Impfung. Aufgrund des vermuteten Zusammenhangs der Narkolepsie mit einem Autoimmunprozess wurde in einigen Fällen versucht, die Erkrankung mit Medikamenten zu behandeln, welche die Immunreaktionen unterdrücken. Leider konnte die Gabe von Immunglobulinen direkt zu Beginn der Erkrankung die Narkolepsiesymptome nur subjektiv reduzieren, die Hypocretinwerte im Nervenwasser und der Verlauf konnte nach den Ergebnissen objektiver Untersuchungen nicht gebessert werden. 25

4. Wie stellt man die Krankheit fest? Diagnostik a) Anamnese Die eindeutige Diagnose einer Narkolepsie ist im typischen Fall bereits aufgrund der Anamnese (Krankengeschichte) möglich. Im Gegensatz zu allen anderen Erkrankungen mit Tagesschläfrigkeit berichten die Nar kolepsiepatienten nicht nur von Schläfrigkeit und Einschlafneigung, sondern auch von tatsächlichem Einschlafen in ungewöhnlichen Situationen. Wenn Patienten bereits eine Kataplexie erlitten haben, können sie diese meist recht präzise beschreiben. Andere Zustände von Muskelschwäche lassen sich durch Betonung der Kriterien des plötzlichen Auftretens, der Bindung an einen emotionalen Auslöser und das voll erhaltene Bewusstsein gegen Kataplexien abgrenzen. Wegen der für den Patienten weit reichenden Konsequenzen sollte in jedem Fall eine Sicherung der Diagnose im Schlafabor angestrebt werden. b) Polysomnographie Die Schlafaufzeichnung unter Videokontrolle im Schlafabor (Polysomnographie, PSG) hat die Aufgaben, die Diagnose Narkolepsie zu sichern, andere Ursachen der Symptome, wie z. B. eine Schlafapnoe (Atmungsstörung im Schlaf mit Atempausen) auszuschließen und begleitende Schlafstörungen, wie beispielsweise Periodische Beinbewegungen im Schlaf (PLMS) zu erkennen. Deshalb muss zur Diagnostik eine volle kardiorespiratorische PSG mit Registrierung von Hirnstromkurven, Augenbewegungen (EOG), Muskelaktivität (EMG), Atmung, EKG und Beinbewegungen durchgeführt werden. Das Schlafprofil (Hypnogramm) des Narkolepsiepatienten weicht cha rakteristisch von dem eines Gesunden ab: Die Einschlafatenz, also die Zeit vom Lichtlöschen bis zum Einschlafen, ist verkürzt. Eine Einschlafatenz von mehr als zehn Minuten ist bei Narkolepsiepatienten sehr ungewöhnlich. Die REM-Latenz, das ist die Zeit zwischen dem ersten Einschlafen und dem Beginn der ersten REM-Phase, ist ebenfalls verkürzt. Dieses Kennzeichen der Narkolepsie, die verfrühte REM-Periode (SOREM = sleep onset REM-Phase), muss jedoch nicht in jeder Nacht nachweisbar sein. Im positiven Falle kommt ihm allerdings 26 Die Krankheit

eine hohe diagnostische Wertigkeit zu, da SOREMs im Nachtschlaf bei Gesunden nur bei starkem Schlafmangel auftreten. Es treten vermehrt Körperbewegungen auf. Der Anteil der Tiefschlafphase (Schlafstadium N3) ist oft vermindert Vermehrtes Erwachen und Wachliegen in der Nacht sind häufig zu finden Die Unterschiede zwischen dem Schlafprofil eines Gesunden und Wake REM S 1 S 2 S 3 S 4 MT Die Krankheit Hypnogramm dem eines Narkolepsiepatienten lassen sich in der Abb. 5 gut erkennen. Eine Polysomnographie kann auch schon ab dem Kleinkindesalter durchgeführt werden. Dafür ist ein auf Kinder spezialisiertes Schlafabor erforderlich. Eine Liste solcher Schlafabore finden Sie im Internet unter der Adresse www.dgsm.de/ dgsm_arbeitsgruppen_paediatrie. php 21:00 22:00 23:00 00:00 01:00 02:00 03:00 04:00 05:00 06:00 07:00 Wake REM S 1 S 2 S 3 S 4 MT Hypnogramm 22:00 23:00 00:00 01:00 02:00 03:00 04:00 05:00 06:00 07:00 Abb. 5 Schlafprofil einer 31-jährigen gesunden Kontrollperson (oben) und einer 17-jährigen Narkolepsie-Patientin (unten) im Vergleich. Beachte die kurze Schlaflatenz und die REM-Latenz (11,5 min. ab dem ersten Einschlafen) bei der Narkolepsiepatientin. 27

c) Multipler Schlaflatenz-Test (MSLT) Bei dem Multiplen Schlafatenz-Test (MSLT) soll der Patient vier oder fünf Mal am Tag im Abstand von zwei Stunden versuchen, unter polysomnographischer Kontrolle einzuschlafen. Gemessen werden die Einschlafatenz und das Auftreten von REM-Schlaf kurz nach dem Einschlafen (Sleep Onset REM, SOREM). Die Bandbreite der Ergebnisse ist auch bei Gesunden sehr hoch, so dass der MSLT vorsichtig und immer in Verbindung mit der klinischen Symptomatik interpretiert werden muss. Für die Narkolepsie ist es typisch, dass 28 die Schlafatenz sehr kurz ist (acht Minuten oder kürzer). 80% der Nar kolepsiepatienten weisen zwei oder mehr SOREM-Phasen im MSLT auf (Abb. 6). Bei Gesunden gibt es zwei SOREM Phasen meist nur nach Schlafentzug. Der MSLT kann schon ab dem Grundschulalter eingesetzt werden, ist jedoch bei Kindern vor der Pubertät oft noch schwierig durchzuführen. Auch hierfür ist ein auf Kinder spezialisiertes Schlafabor (www.dgsm.de/dgsm_arbeitsgruppen_paediatrie.php) erforderlich. Die Krankheit

W MT REM 12 3 4 W MT REM 12 3 4 W MT REM 12 3 4 Bitte beachten Sie die Urheberrechte. Fragen zur Veröffentlichung und Weitergabe richten Sie bitte an info@dng-ev.de. W MT REM 12 3 4 W MT REM 12 3 4 0 5 10 15 20 25 30 (min.) Abb. 6 Befund des Multiplen Schlaflatenztests (MSLT) bei einer 18-jährigen Narkolepsiepatientin. Die einzelnen Tests beginnen um 9, 11, 13, 15 und 17:00 und dauern jeweils 30 Minuten. Aufgetragen sind die Schlafstadien (von oben nach unten: Wach, Movement Time, REM, Schlafstadium 1, 2, 3, 4). Die mittlere Schlaflatenz (Zeit bis zum Einschlafen) beträgt 0,7 Minuten, fünfmal tritt Sleep Onset REM auf (schwarze Balken) Die Krankheit d) Maintenance of Wakefulness Test (MWT) Der Mehrfach-Wachbleibe-Test (MWT, engl.: Maintenance of Wakefulness Test) ist gewissermaßen die Umkehrung des MSLT. Der Ablauf ist ähnlich dem MSLT, aber der Patient soll versuchen, während der Testdauer von 20 oder 40 Minuten nicht einzuschlafen, sondern wach zu bleiben. Im Gegensatz zum MSLT sitzt der Patient bequem angelehnt im Bett oder in einem Sessel und der Raum ist abgedunkelt. Die Unfähigkeit, unter den Bedingungen dieses Tests wach zu bleiben, gilt als Indiz für eine erhöhte Schläfrigkeit. e) Fragebögen Mit verschiedenen, zum Teil international vergleichbaren Fragebögen, können die Symptome der Narkolepsie standardisiert abgefragt werden. Den aktuellen Grad der Müdigkeit gibt z. B. die Stanford Sleepiness Scale (SSS) auf einer siebenstufigen Skala an. Die Wahrscheinlichkeit des Einschlafens in Alltagssituationen 29

über einen längeren Zeitraum fragt die Epworth Sleepiness Scale (ESS) ab. Hier erreichen Narkolepsiepatienten regelmäßig extrem hohe Werte, entsprechend ihrer Neigung, in beinahe jeder Situation einzuschlafen. Der Höchstwert der Skala liegt bei 24 Punkten. Bis zu 10 Punkte gelten als normal. Narkolepsiepatienten erreichen oft Werte über 16 Punkten. Die ESS existiert auch in einer auf Kinder angepassten Version (ESS-K). Abb. 7 Vigilanztest bei einer gesunden Kontrollperson (oben) und einem Narkolepsiepatienten (unten). Die Testdauer beträgt 25 Minuten. Links ist der Anteil der richtigen Reaktionen in Prozent (Auslassungen nach unten) aufgetragen, rechts die mittlere Reaktionszeit, jeweils für einen Zeitabschnitt von ca. 1 Minute. Beim Gesunden bleiben die Reaktionszuverlässigkeit und die Reaktionszeit stabil, beim Narkolepsiepatienten nimmt die Reaktionszeit zu, die Reaktionszuverlässigkeit schwankt in der zweiten Testhälfte sehr stark. 30 %RI 100 50 0 %RI 100 50 0 5 5 10 10 15 15 20 Teilzeit 20 Teilzeit f) Vigilanztests Vigilanztests messen die Fähigkeit, unter monotonen Bedingungen über längere Zeit auf seltene Reize zu reagieren. Diese Tests werden normalerweise am Computer durchgeführt. Bei diesen Tests schneiden Narkolepsiepatienten meistens ex trem schlecht ab, weil hier eine ihrer am stärksten beeinträchtigten Funktionen spezifisch getestet wird (Abb. 7). Bei anderen Leistungstests, die keine Monotonie beinhalten, können die Ergebnisse dagegen unauffällig sein. RT (sec.) 1.6 0.8 0.0 RT (sec.) 1.6 0.8 0.0 5 5 10 10 15 15 20 Teilzeit 20 Teilzeit Die Krankheit

g) HLA-Typisierung Der Nachweis des HLA-Typs DQB1* 0602 aus dem Blut (siehe 3 d) kann für die Diagnose einer Narkolepsie hilfreich sein. Ein positiver Testbefund ist bei Narkolepsie Typ 1 in mehr als 98% der Fälle zu erwarten. Das Fehlen dieses Typs sollte dagegen Anlass sein, die Diagnose nochmals sehr kritisch zu prüfen, da negative Befunde bei Narkolepsie Typ 1 in weniger als 2% der Fälle vorkommen. Ein sicherer Nachweis einer Narkolepsie ist aber durch den HLA-Befund nicht möglich, da auch etwa jeder dritte Gesunde in dem Test positiv reagiert. h) Bestimmung von Hypocretin im Liquor Die Messung des Neuropeptids (Bo tenstoff) Hypocretin im Liquor (Nervenwasser) wird inzwischen als Laborroutine durchgeführt. In bestimmten Fällen ist die Hypocretinbestimmung für die Differentialdiagnostik gegenüber anderen Erkrankungen mit Tagesschläfrigkeit wertvoll. Das Fehlen bzw. die starke Verminderung von Hypocretin kann die Diagnose einer Narkolepsie Typ 1 bestätigen, wenn alle anderen diag nostischen Kriterien erfüllt sind, da diese Form der Erkrankung nicht unbedingt mit Kataplexien einhergehen muss. Die Krankheit i) Provokation von Kataplexien bei Kindern Für Kinder wurde ein Verfahren beschrieben, um Kataplexien aus diagnostischen Zwecken zu provozieren. Hierbei werden die Patienten vor ein Comedy-Video gesetzt, und der Patient wird, während er das Video ansieht, gefilmt. Oft gelingt es damit, Kataplexien aufzunehmen, was sonst im Alltag oft schwierig ist. Das Vorhandensein von sicheren Kataplexien kann die Diagnosesicherheit, insbesondere bei Kindern, bei denen der MSLT nicht durchgeführt werden kann, erhöhen. 5. Von welchen anderen Krankheiten ist die Narkolepsie zu unterscheiden? Differentialdiagnose Auf Grund der vom Patienten angegebenen Symptome ist nicht immer klar, ob tatsächlich eine Narkolepsie die Ursache der Beschwerden ist. Außerdem kommt es überdurchschnittlich häufig vor, dass neben einer Narkolepsie noch eine andere relevante Erkrankung vorliegt, die zusätzliche, schlafbezogene Symptome verursacht, und die ebenfalls behandelt werden muss. Die Abgrenzung und die Erkennung von Begleiterkrankungen ist die Aufgabe der Differentialdiagnostik. a) Schlaf-Apnoe-Syndrom Die mit Abstand häufigste Ursache von Tagesschläfrigkeit in der Durchschnittsbevölkerung ist eine gestör- 31

te Atmung im Schlaf, vorwiegend in Form der obstruktiven Schlafapnoe. Bei dieser Krankheit wird der Atemfuss während des Nachtschlafes immer wieder durch eine Verlegung der Atemwege im Rachenbereich unterbrochen. Dies führt zu Weckreaktionen. Die Folge der häufigen Weckreaktionen ist eine starke Tagesschläfrigkeit. Bei Patienten, die über Tagesschläfrigkeit in Verbindung mit Schnarchen und/oder Atempausen im Schlaf berichten, sollte als erster Schritt eine ambulante kardiorespiratorische Polygraphie ( Apnoe-Screening ) durchgeführt werden. Dadurch kann häufig eine Schlafapnoe bewiesen oder aber unwahrscheinlich gemacht werden. Schlafapnoe und Narkolepsie, die gemeinsam das Leitsymptom der Tagesschläfrigkeit haben, treten jedoch nicht selten gemeinsam bei einem Patienten auf. Da beide Krankheiten unterschiedlich behandelt werden müssen, ist es wichtig, sie diagnostisch voneinander zu trennen. b) Andere Hypersomnien Die Unterscheidung zwischen einer Narkolepsie ohne Kataplexien bzw. einer beginnenden Narkolepsie und weiteren Hypersomnie-Formen (idio pathische Hypersomnie, rezidivierende Hypersomnie, posttraumatische Hypersomnie usw.) kann im Einzelfall schwierig sein. Das liegt unter anderem daran, dass wir über viele Formen der Tagesschläfrigkeit bisher nur wenig wissen. Zur Differentialdiagnose ist in der Regel mindestens eine Polysomnographie erforderlich. Die weiteren Hypersomnie-Formen können aufgrund der Symptome von der Narkolepsie mit Kataplexien meist klar abgegrenzt werden. Die endgültige Differentialdiagnose zur Narkolepsie ohne Kataplexien sollte aber immer polysomnographisch erfolgen. c) Epileptische und nichtepileptische Sturzanfälle Kataplexien können bei ungenauen Angaben aus der Krankheitsgeschichte mit epileptischen Anfällen verwechselt werden. Zur Unterscheidung dienen die Kriterien der Auslösung durch Affekte und des ungetrübten Bewusstseins bei der Kataplexie. Synkopen, die mitunter ebenfalls durch heftiges Lachen ausgelöst werden können, zeigen immer einen kurzzeitigen Bewusstseinsverlust oder zumindest eine Bewusstseinstrübung. Von den Pati- 32 Die Krankheit

enten wird meist ein Schwarzwerden vor den Augen und oft auch Schwindel im Zusammenhang mit diesen Ereignissen erlebt. d) Psychogene Störung Gerade durch die Bindung der Kataplexien an Affekte wird manchmal fälschlicherweise eine rein psychische Ursache der Beschwerden vermutet. Andererseits können z.b. Schwächeanfälle tatsächlich im Rahmen von Konversionsstörungen (Neurosen) auftreten. Die Krankheit Viele Narkolepsiepatienten vermeiden Situationen, in denen Einschlafen oder Kataplexien kompromittierend oder gefährlich sein können. Dieses Vermeidungsverhalten kann Anlass zur Verwechslung mit Angststörungen geben, die ebenfalls dadurch gekennzeichnet sind, dass angstbesetzte Situationen gemieden werden. Schlaftrunkenheit kann als Zeichen von Alkoholkonsum fehlgedeutet werden. Angsterkrankungen, Depressionen, Suchterkrankungen sowie weitere psychische Störungen sind im Übrigen in der Allgemeinbevölkerung relativ häufig und können auch Narkolepsiepatienten betreffen. Eine differenzierte, psychiatrische und schlafmedizinische Untersuchung ist in unklaren Fällen angezeigt. e) Depression Müdigkeit wird oft von Patienten mit Depressionen als Symptom genannt. Tatsächlich handelt es sich aber häufig eher um Antriebslosigkeit und Apathie. Ungewolltes Einschlafen ist bei Depressionen aufgrund des erhöhten Erregungsniveaus dagegen eher ungewöhnlich. Allerdings kommt es auch immer wieder zu Überschneidungen von Hypersomnien und Depressionen. Auf der anderen Seite entwickeln Narkolepsiepatienten aufgrund der mannigfachen psychosozialen Belastungen und Frustrationserlebnisse depressive Symptome. Dies ist besonders dann der Fall, wenn sie die Ursache ihrer dauernden Schläfrigkeit und Leistungsbeeinträchtigung noch nicht kennen. Diese Symptome sind meist als verständliche Reaktion auf die Belastung einzustufen, die sich bessert, wenn die Narkolepsie angemessen behandelt wird. In einigen Fällen kann sich aber aus dieser Situation eine Depression als eigenständige Erkrankung entwickeln. Diese muss dann natürlich auch entsprechend behandelt werden. 33

f) Psychose, Schizophrenie Die hypnagogen Halluzinationen können, besonders wenn sie sehr intensiv sind, unter Umständen mit Symptomen einer Psychose, wie etwa einer Schizophrenie, verwechselt werden. Ein entscheidender Unterschied ist, dass die Narkolepsiepatienten rasch und spontan die Realitätskontrolle wieder erlangen, das heißt, dass sie erkennen, dass es sich um Halluzinationen und nicht um tatsächliche Wahrnehmungen gehandelt hat. g) Hyperkinetisches Syndrom (ADHS, ADS) Es kommt nicht selten vor, dass die Narkolepsie schon vor dem 10. Lebensjahr beginnt, die Diagnose aber erst einige Jahre später gestellt wird. Bei erwachsenen Narkolepsiepatienten wurde relativ häufig (13%) in der Kindheit die Diagnose eines hyperkinetischen Syndroms bzw. eines Aufmerksamkeits-Defizit-Syndroms gestellt, wobei die Symptome im Rückblick als erste Anzeichen der Narkolepsie angesehen werden konnten. Besonders jüngere Kinder unter fünf Jahren äußern Tagesschläfrigkeit kaum als Symptom. Häufig wurde in dieser Altersgruppe über Stürze, sozialen Rückzug, Erregbarkeit und Aggressivität berichtet. 34 Die Krankheit

II. Behandlung Therapie Bitte beachten Sie die Urheberrechte. Fragen zur Veröffentlichung und Weitergabe richten Sie bitte an info@dng-ev.de. 1. Behandlung ohne Arzneimittel Nichtmedikamentöse Therapie Die nicht medikamentöse Therapie spielt in der Behandlung der Tagesschläfrigkeit bei Narkolepsie eine entscheidende Rolle. In leichten Fällen der Narkolepsie können eine bewusste Tagesgestaltung und die Einhaltung von Bewältigungsstrategien ausreichen, um ohne Medikamente ein halbwegs normales Leben zu führen. Nur bei den wenigsten Patienten ist es möglich, durch Medikamente dauerhaft einen Grad der Wachheit zu erreichen, der mit dem von Gesunden vergleichbar ist. Daher muss auch bei Patienten, die mit Medikamenten behandelt werden, die nichtmedikamentöse Therapie ergänzend eingesetzt werden. Diese kann auch dazu beitragen, den Medikamentenbedarf zu senken. Behandlung Therapie a) Lernen, die Störung zu akzeptieren Vielen Patienten fällt es schwer, die Erkrankung anzunehmen und die damit verbundenen Einschränkungen zu akzeptieren. Im vergeblichen Kampf gegen die Schläfrigkeit verbrauchen sie viele ihrer beschränkten Ressourcen und versäumen es gleichzeitig, durch Anpassung an die Störung die verbliebenen Möglichkeiten zu nutzen. Es ist für den behandelnden Arzt eine wichtige therapeutische Aufgabe, den Patienten in dem Prozess der Krankheitsbewältigung zu begleiten und zu unterstützen. Dabei sollten keine unrealistischen Hoffnungen auf Heilung geweckt werden, aber auch nicht schwarzgemalt werden. Hier kann auch die Unterstützung durch Patienten-Selbsthilfegruppen sehr viel Positives bewirken. Das Akzeptieren der eigenen Erkrankung setzt voraus, dass auch die nächste Umgebung darüber Bescheid weiß. Die Entscheidung dafür, andere über seine Krankheit zu informieren, ist nicht immer einfach. Man weiß ja nicht, wie die nicht betroffenen Mitmenschen reagieren. Gelegentlich kann der Patient leider auch Unverständnis und Spott erfahren. Ganz überwiegend zeigen aber die Menschen, die von der Krankheit erfahren, Verständnis. So verstummen dann die ausgesprochenen und häufig nicht ausgesprochenen Vorwürfe über das zuweilen seltsame Verhalten des Patienten. Das Verständnis und die dann doch 35

häufig erfahrenen Hilfestellungen der Umwelt erleichtern die Krankheitsbewältigung. Für seine Erkrankung kann der Patient nicht verantwortlich gemacht werden. Für die Art und Weise, wie er mit den Symptomen umgeht und welche Haltung er zu seiner Erkrankung einnimmt, bleibt er gleichwohl verantwortlich. b) Tagesgestaltung und Pausen Die wichtigste einzelne Maßnahme zur Verminderung der Schläfrigkeit sind ausreichend viele, rechtzeitige Pausen, in denen der Patient die Gelegenheit hat, wenigstens kurz zu schlafen. Je nach Schweregrad ist dies ein oder mehrmals pro Tag nötig. Oft kann allein dadurch eine annähernd normale berufiche Leistungsfähigkeit erreicht bzw. wieder hergestellt werden. Leider gibt es dagegen oft hartnäckige Widerstände von Arbeitgebern, aber auch die Patienten scheinen sich manchmal dagegen innerlich zu wehren. Sie werten vermehrte Pausen als Eingeständnis einer Schwäche, die ihrer eigenen Leistungsorientierung widerspricht. Die nötigen Pausen können ärztlich attestiert werden (Ausgleichsregelungen), und die rechtlichen Möglichkeiten des Schwerbehindertenrechts sollten, wenn nötig, genutzt werden. 36 Soweit der Patient die Möglichkeit dazu hat, sollte er seinen Tagesablauf so gestalten, dass notwendige monotone Tätigkeiten in wachen Phasen erledigt werden und bei Müdigkeit eher körperliche Aktivität oder eine Pause eingeplant werden. c) Ernährung und Lebensweise Übergewicht stellt für viele Narkolepsiepatienten ein Problem dar. Dies hat vielfältige Ursachen, unter anderem die Veränderungen im Hypocretin-System. Deswegen müssen Narkolepsiepatienten noch mehr als andere auf eine gesunde Lebensweise achten: viel körperliche Aktivität, ausgeglichene Ernährung mit reduziertem Anteil an Fett und Kohlenhydraten. Eine kohlehydratreiche Mahlzeit (z.b. der Schokoriegel) kann zwar kurzfristig die Wachheit etwas verbessern, insgesamt wird aber die Müdigkeit dadurch sogar verstärkt, wie einige Patienten berichten. Nikotin kann einen kurzen, wachmachenden Effekt ausüben. Trotz seines wachmachenden Effekts treffen alle gesundheitlichen Risi ken des Rauchens (Herzinfarkt, Schlaganfall, Raucherbeine, Lungen krebs, Blasenkrebs usw.) auch die Narkolepsiepatienten. Wenn es schon nicht ohne Nikotin geht, ist ein Nikotinkaugummi sicher die weniger schädliche Alternative. Durch Einschlafen beim Rauchen kann es schließlich auch zu Verbrennungen und Bränden kommen. Behandlung Therapie

Zu den in unserer Gesellschaft üblichen Genussgiften zählt auch das Koffein, das meist in Form von Kaffee konsumiert wird. Es ist auch in schwarzem und grünem Tee, Kakao (also auch in Schokolade) und in Cola-Getränken enthalten. Aus pharmakologischer Sicht gehört Koffein eindeutig zu den Stimulanzien, es ist verhältnismäßig kurz wirksam. Gegen einen mäßigen Kaffeekonsum gibt es wohl keine Bedenken. Wenn Kaffee oder Tee aber in großen Mengen als Ersatz für Medikamente eingesetzt werden, können die Nebenwirkungen des Koffeins, wie Herzrasen, Zittern, Unruhe und Schlafstörungen in den Vordergrund treten. Auch Wirkungsverlust und Entzugserscheinungen sind möglich. 2. Behandlung mit Arzneimitteln Medikamentöse Therapie Die medikamentöse Therapie der Narkolepsie ist bis jetzt nur als Behandlung der Symptome möglich. Eine Beeinfussung der Ursachen oder des Verlaufs der Erkrankung durch die Medikation, im positiven wie im negativen Sinn, konnte bisher nie bewiesen werden. Die Entscheidung über die Behandlung der einzelnen Symptome Schläfrigkeit, Kataplexien, hypnagoge Halluzinationen, Schlafähmungen Behandlung Therapie und gestörter Nachtschlaf muss in Abhängigkeit vom Schweregrad der einzelnen Symptome und der Situation des Patienten getroffen werden. Da es sich um eine lebenslange Erkrankung handelt, ist es notwendig, dass der Patient lernt, mit den verfügbaren Medikamenten verantwortungsvoll und ohne Angst umzugehen, und sie unter Umständen nach Bedarf sinnvoll einzusetzen. Die Angaben in dieser Broschüre entsprechen dem Stand bei Abschluss der redaktionellen Bearbeitung nach bestem Wissen der Autoren. Da sich in Bezug auf Medikamente laufend Veränderungen ergeben, sind vor der Verordnung und der Einnahme von Medikamenten die aktuellen Fachinformationen und die Beipackzettel zu beachten. a) Kombiniert wirksame Mittel Das Natriumsalz der Gamma-Hydroxy-Buttersäure (GHB = Natriumoxybat) ist unter dem Namen XYREM zur Behandlung von Narkolepsie mit Kataplexien zugelassen. Dieses Medikament wurde ursprünglich als Narkosemittel bei Kindern verwendet. Es wurde schon seit über 30 Jahren bei Narkolepsiepatienten eingesetzt, aber erst in den letzten Jahren wurden systematische Untersuchungen durchgeführt, die zeigten, dass es sowohl den Tiefschlaf vermehrt und die Schlafqualität verbessert als auch die Tagesschläfrigkeit vermindert, 37

und darüber hinaus nach längerer Einnahme (einige Tage bis Wochen) die Häufigkeit von Kataplexien reduziert. Es wird aber im Körper sehr rasch abgebaut und muss deshalb normalerweise zweimal im Lauf der Nacht eingenommen werden, erzeugt dafür aber kaum einen Überhang am nächsten Morgen. Die Wirkung gegen Kataplexien klingt bei abruptem Absetzen im Gegensatz zu den Antidepressiva nur langsam ab, deshalb ist eine krisenhafte Häufung von Kataplexien (Status kataplecticus) beim Weglassen des Medikaments im Gegensatz zu den Antidepressiva nicht zu befürchten. Wegen möglicher, schwerer Nebenwirkungen und Missbrauchsgefahr unterliegt es der Betäubungsmittelverordnung und sollte nur unter sorgfältiger Überwachung des Patienten verordnet werden. 38 Es gibt nur wenige Einzelfallberichte über die Anwendung von GHB (Xyrem) gegen Narkolepsie bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren mit wechselndem Erfolg. In der EU und in Deutschland ist das Medikament für Patienten unter 18 Jahren nicht zugelassen. Der Einsatz erfolgt formal off-label. Aktuell ermitteln unterschiedliche Studien die Verwedung mit dem Ziel der Zulassung für Kinder. Die Anwendung bei Kindern ist oft auch deshalb schwierig, da wegen der noch fehlenden Schlaffragmentierung ein Wecken zur erforderlichen zweiten Dosis nach Mitternacht häufig nicht möglich ist. b) Mittel zur Behandlung der Tagesschläfrigkeit Stimulanzien Die Tagesschläfrigkeit ist bei den meisten Narkolepsiepatienten das Behandlung Therapie

größte Problem und damit auch das wichtigste Zielsymptom. Zu die sem Zweck (Indikation) werden Stimulanzien (wachheitsfördernde Medi kamente) verschiedener chemischer Gruppen und Medikamente mit stimulierender Nebenwirkung aus anderen Stoffklassen eingesetzt. Das Ziel einer völlig ungestörten Wachheit über den ganzen Tag ist bei den meisten Patienten unrealistisch. Der Versuch, die Schläfrigkeit mit Medikamenten völlig zu beheben, führt meist zu einer überhöhten Dosierung und zu einem raschen Wirkungsverlust. Oft gelingt es nur, das Auftreten von Müdigkeit zeitlich zu verzögern, so dass die sozialen Folgen abgemildert werden. Ob eine regelmäßige Dauerbehandlung, ei ne bedarfsorientierte Dosierung oder eine Kombination beider Schemata gewählt wird, hängt im Wesentlichen von Behandlung Therapie dem Schweregrad der Symptome und der persönlichen Situation des Patienten ab. Wie Narkolepsiepatienten auf die se Medikamente ansprechen, ist individuell sehr unterschiedlich und kaum vorhersagbar, auch innerhalb einer Substanzgruppe. Es lohnt sich deshalb, mehrere verschiedene Präparate zu erproben, um die optimale Behandlung zu erreichen. Sogar die Reaktion auf die gleiche Substanz in verschiedenen Darreichungsformen (z.b. Tabletten vs. Kapseln mit verzögerter Freisetzung) kann ganz verschieden sein. Auch die erforderliche Dosis ist sehr unterschiedlich. Bei einer Dauerbehandlung können regelmäßige Einnahmepausen (sog. drug holidays ) zur Verminderung von Toleranzentwicklung (Wirkungsverlust durch Gewöhnung) bei tragen. Obwohl viele Narkolep- 39

siepatienten zum Teil über Jahre mit hohen Dosen von Stimulanzien behandelt werden, sind Fälle einer echten Sucht oder Abhängigkeit eine Ausnahme und sollten deshalb kein Grund sein, Patienten mit Narkolepsie eine notwendige und wirksame Therapie vorzuenthalten. Chemisch gehören die meisten herkömmlichen Stimulanzien zur Gruppe der Amphetaminabkömmlinge und haben ähnliche Wirkungen und Nebenwirkungen. Sie erhöhen vor allem das Angebot der Botenstoffe (Transmitter) Noradrenalin und Dopamin im Gehirn. Der Wirkungsmechanismus von Modafinil (Handelsname Vigil ) ist noch nicht endgültig aufgeklärt. Koffein und ähnliche Wirkstoffe (z.b. Theophyllin) wirken über die Hemmung der Signalübertragung (Rezeptorblockade) durch Adenosin, einem Endprodukt im Energiestoffwechsel. Der im Jahr 2016 neu auf den Markt gekommene Wirkstoff Pitolisant (Handelsname Wakix ) erhöht die Verfügbarkeit des Botenstoffs Histamin im Gehirn. In Deutschland sind derzeit (Stand 2016) neben Natriumoxybat nur drei Wirkstoffe zur Behandlung der Tagesschläfrigkeit bei Narkolepsie zugelassen (Methylphenidat, Modafinil, Pitolisant). Einige andere geeignete Medikamente können aus dem Ausland importiert werden. Weitere, erfahrungsgemäß gut 40 wirksame Medikamente sind zwar in Deutschland auf dem Markt, sie sind zur Behandlung der Narkolepsie nicht zugelassen. Sie dürfen nach Aufklärung des Patienten außerhalb des zugelassenen Indikationsbereiches zwar vom Arzt verordnet werden ( off label use ), die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten aber häufig nicht oder nur auf gesonderten Antrag. Ohne vorherige Genehmigung durch die gesetzliche Krankenkasse läuft der Arzt Gefahr, die Kosten für das Medikament selbst bezahlen zu müssen, wenn er es auf Kassenrezept verordnet ( Regress ). Die Kosten für Medikamente aus dem Ausland, die der Betäubungsmittelverordnung unterliegen, dürfen von den gesetzlichen Krankenkassen allerdings grundsätzlich nicht erstattet werden. Als Mittel der ersten Wahl wird bei der Erstbehandlung der Narkolepsie überwiegend Modafinil (Vigil ) bevorzugt. In den derzeitigen Behandlungsleitlinien ist das Pitolisant noch nicht berücksichtigt, da es bei der Erstellung dieser Leitlinien noch nicht zugelassen war. Es werden aktuell neue Leitlinien, zuerst auf europäischer Ebene erstellt (Veröffentlichung Anfang 2019). Anschließend werden diese dann weiter auf nationaler Ebene angepasst. Eine Übersicht der in Frage kommenden Medikamente gibt Tabelle 1. Behandlung Therapie

Generischer Name Handelsname z.b. Bemerkung Dosis/Tag Modafinil Vigil bis 400 mg Natriumoxybat Xyrem BTM bis 9 g Methylphenidat Methylphenidat retardiert Ritalin, Equasym, Medikinet BTM bis 60 mg Concerta, Equasym ret., Medikinet ret., Ritalin LA OL, BTM 18 72 mg 20 60 mg Pitolisant Wakix bis 36 mg Ephedrin OL, R, 1 bis 150 mg Amphetamin - OL, BTM, R, 2 bis 60 mg Dexamphetamin retardiert Dexedrine (USA) OL, BTM, A bis 60 mg Bitte beachten Sie die Urheberrechte. Fragen zur Veröffentlichung und Weitergabe richten Sie bitte an info@dng-ev.de. Lisdexamphetamin Elvanse OL, BTM Koffein Coffeinum N 0,2 OL bis 400 mg Selegilin Movergan OL bis 40 mg Atomoxetin Strattera OL Tab. 1 Medikamente zur Behandlung der Tagesschläfrigkeit OL: Off-Label Gebrauch: Das Medikament ist nicht zur Behandlung der Narkolepsie zugelassen. Der Einsatz gegen Narkolepsie erfolgt außerhalb des Indikationsgebietes BTM: Unterliegt dem Betäubungsmittel-Gesetz, Verordnung nur mit besonderem Rezept A: In anderen Ländern im Handel, kann als Importarzneimittel bezogen werden. Die Kosten für importierte Betäubungsmittel dürfen von den gesetzlichen Krankenkassen nicht übernommen werden. R: Verordnung als Rezepturarzneimittel. 1 Als Ephedrin-HCl 2 Als Amphetaminsulfat Behandlung Therapie Für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren ist ausschließlich Methylphenidat zugelassen, daher ist es für diese Altersgruppe die erste Wahl. Dieses Medikament ist wegen der Anwendung bei ADHS bereits seit über 50 Jahren in Verwendung und hat auch deshalb ein sehr gutes Sicherheitsprofil. Die Anwendung von Modafinil ist bei Kindern und Jugendlichen kritisch zu sehen es handelt sich um eine Anwendung außerhalb der Zulassung (Off-Label-Anwendung). In einem Warnschreiben ( Rote-Hand-Brief ) vom 7. Februar 2011 wurden die Ärzte wegen der möglichen Nebenwirkungen (hier besonders Herz-Kreislauf-Nebenwirkungen, Hautreaktionen und psychiatrische Störungen) nochmals darauf hingewiesen. Für Pitolisant (Wakix ) gibt es ebenfalls noch keine Zulassung für Kinder und Jugendliche. Studien dazu haben gerade erst begonnen. 41

c) Mittel zur Behandlung der Kataplexien Antikataplektika Zur Behandlung der Kataplexien ist neben dem Natriumoxybat (s.o.) in Deutschland nur ein weiteres Medikament zugelassen, das Clomipramin. Grundsätzlich sind gegen dieses Symptom auch andere Substanzen wirksam, die den REM-Schlaf unterdrücken. Es handelt sich dabei um Medikamente, die ursprünglich zum Einsatz gegen Depressionen entwickelt wurden (Fluoxetin, Venlafaxin und andere). Die Wirkung Generischer Name Handelsname z.b. Bemerkung Dosis/Tag Trizyklische Antidepressiva Clomipramin Anafranil bis 225 mg Imipramin Tofranil OL bis 200 mg Andere Antidepressiva (Serotonin- / Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer) Fluoxetin OL, 1 bis 60 mg Fluvoxamin Fevarin OL bis 600 mg Venlafaxin Trevilor OL bis 375 mg Atomoxetin Strattera OL bis 80 mg Monoaminoxidase-Hemmer (MAO-Hemmer) Moclobemid Aurorix OL 450 600 mg Tranylcypromin Jatrosom N OL, 2 40 60 mg Selegilin Movergan OL 20 30 mg Andere Substanzen Natriumoxybat Xyrem BTM bis 9 g Tab. 2 Medikamente zur Behandlung von Kataplexien, schlafbezogenen Halluzinationen und Schlaflähmungen OL: Off-Label Gebrauch: Das Medikament ist nicht zur Behandlung der Narkolepsie zugelassen. Der Einsatz gegen Narkolepsie erfolgt außerhalb des Indikationsgebietes BTM: Unterliegt dem Betäubungsmittel-Gesetz, Verordnung nur mit besonderem Rezept 1 Sehr lange Halbwertszeit (Verweildauer im Körper bis zu mehrere Wochen) 2 Tyraminarme Diät erforderlich 42 beruht vorwiegend darauf, dass im Gehirn das Angebot der Botenstoffe Noradrenalin und Serotonin erhöht wird. Die Medikamente unterscheiden sich beim einzelnen Patienten teilweise deutlich in ihrer Wirkung und den Nebenwirkungen. Deshalb kann die Suche nach dem besten Medikament gegen Kataplexien unter Umständen schwierig und langwierig sein. Es gibt hier aber glücklicherweise eine breitere Auswahl von Substanzen, die in Frage kommen (Tabelle. 2). Behandlung Therapie

Grundsätzlich werden Medikamente ohne müdemachende Nebenwirkungen bevorzugt. Im Übrigen richtet sich die Auswahl nach der individuellen Wirksamkeit und Verträglichkeit. Die erforderliche Dosierung liegt in der Regel erheblich niedriger als in der Behandlung von Depressionen. Dieser Typ von Medikament sollte im Unterschied zu den Stimulanzien regelmäßig eingenommen werden. Ein abruptes Absetzen kann zu einer krisenhaften Häufung von Kataplexien, dem Status kataplecticus, führen. Behandlung Therapie Bei Patienten, die mit Pitolisant behandelt wurden, zeigte sich ebenfalls eine verminderte Zahl von Kataplexien. Die Behandlung von hypnagogen Halluzinationen und Schlafähmungen erfolgt mit den gleichen Medikamenten wie die Behandlung der Kataplexien. d) Mittel zur Behandlung des gestörten Nachtschlafs Hypnotika Durchschlafstörungen sind ein häufiges und quälendes Symptom der Narkolepsie. Die Behandlung ist häufig problematisch, weil eine Verschlimmerung der Tagesschläfrigkeit durch einen Überhang-Effekt vermieden werden muss. Natriumoxybat ist zur Verbesserung des Schlafes sehr wirksam und erhöht den Anteil an Tiefschlaf massiv. Von den herkömmlichen Schlafmitteln kommen kurz wirksame Präparate aus der Gruppe der Benzodiazepin-Rezeptor-Agonisten (Zolpidem, Zopiclon) in Frage (Tabelle 3). Generischer Name Handelsname z.b. Bemerkung Dosis/Tag Zolpidem Stilnox, Bikalm 1 bis 20 mg Zopiclon Ximovan 1 bis 15 mg Natriumoxybat Xyrem BTM bis 9 g Tab. 3 Mittel zur Behandlung des gestörten Nachtschlafs BTM: Unterliegt dem Betäubungsmittel-Gesetz, Verordnung nur mit besonderem Rezept 1 Zugelassen nur zur Kurzzeitbehandlung von Schlafstörungen 43

Die aktuellen Bemühungen, neue Therapieverfahren zur Behandlung der Narkolepsie zu entwickeln, konzentrieren sich auf drei Bereiche: 44 3. Perspektiven für neue Behandlungsformen a) Veränderung der Aktivität des Immunsystems Immunmodulation Der Untergang Hypocretin-produzierender Nervenzellen im Zwischenhirn (Hypothalamus) ist nach derzeitigem Kenntnisstand ein ganz zentraler Grund für das Auftreten der Narkolepsie. Die Ursache dieses Zell untergangs ist bis heute nicht sicher bekannt: Die überzeugendste Hypothese (Vermutung) ist aber derzeit, dass das körpereigene Immunsystem diese Nervenzellen angreift und zerstört (Autoimmunprozess, siehe I, 3 e). Deshalb wurden in den letzten Jahren einige Versuche unternommen, die Narkolepsie durch eine Veränderung der Aktivität des Immunsystems zu behandeln. In jedem Fall dürfte diese Behandlungsform, die noch als experimentell zu betrachten ist, wenn überhaupt, nur kurze Zeit nach Ausbruch der Erkrankung wirkungsvoll sein, weil später die Hypocretin-produzierenden Zellen schon unwiederbringlich zugrunde gegangen sind. Die generelle Unterdrückung der Aktivität des Immunsystems durch bestimmte Hormone (Glucokortikoide) scheint keine Wirkung zu haben. Diese Art von Therapien dürfte erst dann wirklich erfolgreich sein, wenn genauer bekannt ist, ob und in welcher Weise das Immunsystem bei Narkolepsiepatienten gestört ist. Auch der Einsatz von Plasmapherese (Plasmawäsche) wur de erprobt. b) Medikamente, die in das Hypocretin-System eingreifen Hypocretine wirken, wie andere Überträgerstoffe im Gehirn, über spezifische Bindungsstellen (Rezeptoren). Diese sind bei Narkolepsiepatienten in der Regel funktionstüchtig, so dass es therapeutisch viel versprechend ist, Medikamente zu entwickeln, die diese Rezeptoren (Hypocretin-1 und Hypocretin-2 Rezeptoren) stimulieren. Am einfachsten wäre es, Hypocretine direkt zu verabreichen. Dies müsste allerdings intravenös (direkt in die Vene) geschehen, da Hypocretin ein Peptid (Eiweiß) ist, das im Magen-Darm- Trakt sofort zerstört werden würde. Es ist selbst dann unklar, ob die Hypocretine das Gehirn überhaupt erreichen würden, weil der Übergang von Substanzen vom Blut in das Gehirn durch spezielle Mechanismen des Körpers ( Blut-Hirn-Schranke ) behindert wird. Außerdem werden Hypocretine im Körper sehr rasch abgebaut. Deshalb werden, bisher nur in Tierversuchen, andere, künstliche Substanzen untersucht, die an Hypocretin-Rezeptoren binden und auch tatsächlich vermehrte Wach- Behandlung Therapie

heit erzeugen. Solche Substanzen sind bisher aber noch nicht in einem Entwicklungsstadium, das eine Anwendung beim Patienten erlaubt. c) Neue klassische Stimulanzien und Antidepressiva Gegen Kataplexien wirkt eine Reihe alter und neuerer Antidepressiva (siehe Tabelle 2), von denen allerdings nur Clomipramin die Zulassung zur Behandlung der Narkolepsie besitzt. Alle anderen können nur außerhalb ihres Indikationsbereiches für die Therapie der Narkolepsie eingesetzt werden, obwohl für diese Substanzen eindeutige Berichte über ihre Wirksamkeit gegen Kataplexien vorliegen. Einige Behandlung Therapie neue Antidepressiva sind kürzlich auf den Markt gekommen, und weitere werden wahrscheinlich folgen. Ob sie für die Behandlung der Kataplexien sinnvoll eingesetzt werden können, muss die Erfahrung zeigen, weil kaum eines dieser Medikamente vom Hersteller systematisch auf seine Wirksamkeit bei Narkolepsie untersucht wird. Derzeit (2016) wird die Wirksamkeit der Substanz JZP-110 bei Narkolepsie untersucht. Dieses Medi kament sollte ursprünglich als Anti depressivum eingesetzt werden und zeigt dopaminerge und noradrenerge Wirkungen. 45

III. Psychosoziale und rechtliche Aspekte 1. Ausmaß der Beeinträchtigung 2. Narkolepsie als Behinderung Bitte beachten Sie die Urheberrechte. Fragen zur Veröffentlichung und Weitergabe richten Sie bitte an info@dng-ev.de. Die Symptome der Narkolepsie treten bei den einzelnen Patienten sowohl der Art wie auch der Häufigkeit und Stärke nach ganz unterschiedlich auf. Daher kann keine generelle Aussage darüber gemacht werden, welche Folgen die Narkolepsie im psychosozialen und rechtlichen Bereich hat. Das am stärksten behindernde Symptom ist die Tagesschläfrigkeit. Die Kataplexien wirken sich in den meisten Fällen deutlich weniger gravierend aus. Als Reaktion auf die Verminderung der Leistungsfähigkeit, das fehlende Verständnis der Umwelt für die unsichtbare Behinderung und häufige Versagenserlebnisse entwickelt etwa ein Drittel der Narkolepsiepatienten depressive Symptome. Besonders häufig ist das, wenn die richtige Diagnose noch nicht gestellt wurde. Die Erklärung der vorher als rätselhaft und bedrohlich erlebten Symptome und der Austausch mit anderen Betroffenen wirken meist deutlich entlastend. 46 Die Narkolepsie ist auch eine Behinderung im Rechtssinne. Diese liegt dann vor, wenn bei Menschen die körperliche Funktion, die geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Bei der Narkolepsie wird als das am meisten beeinträchtigende Symp tom die Tagesschläfrigkeit empfunden. Hierdurch ist die Vigilanz, die allgemeine Wachheit, herabgesetzt. Die Aufmerksamkeit ist eingeschränkt; der Narkolepsiepatient nimmt nicht alles wahr, was ein Gesunder in der gleichen Situation aufnehmen würde. Auch die Reaktionen sind verlangsamt und die Motivation geringer. Durch das alles kann die Leistungsfähigkeit eingeschränkt sein; der Narkolepsiepatient schafft nicht so viel wie ein Gesunder. Die ständige Müdigkeit und der unwiderstehliche Einschlafzwang führen häufig auch zum sozialen Rückzug des Betroffenen. Psychosoziale und rechtliche Aspekte

Die Kataplexien, das zweite Hauptsymptom, und automatisches Verhalten werden meist als weniger beeinträchtigend erlebt; die Auswirkungen können sehr unterschiedlich sein, es ist dann jeweils der Einzelfall zu bewerten. Wessen Leistungsfähigkeit wegen einer Krankheit eingeschränkt ist, sei es im Beruf, sei es im gesellschaftlichen Leben, der ist bei der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt und damit behindert. Für Behinderte gibt es manche zusätzliche Rechte und Vergünstigungen, die das Ziel haben, die Beeinträchtigungen bei der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft auszugleichen. Was davon für Narkolepsiepatienten zutrifft, muss im Einzelfall gesondert geprüft und ermittelt werden. Hinzuweisen ist auf das Diskriminierungsverbot des Artikels 3, Abs. 3 des Grundgesetzes, wonach niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. Wichtig ist auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Seit 2009 gilt auch in Deutschland die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. 3. Narkolepsie und Schwerbehinderung Ist die Narkolepsie auch eine Schwerbehinderung? Das Maß für die Beeinträchtigung der Teilhabe Psychosoziale und rechtliche Aspekte am Leben in der Gesellschaft ist der Grad der Behinderung (GdB). Erreicht die Behinderung mindestens den GdB-Grad von 50, gilt sie als Schwerbehinderung. Wie die Behinderungen im Einzelnen zu bewerten sind, ist in einer Rechtsverordnung geregelt. In der Anlage zu dieser Verordnung, die als Versorgungsmedizinische Grundsätze bezeichnet werden, sind chronische Krankheiten und Behinderungen mit den für sie in Betracht kommenden Graden der Behinderungen aufgelistet. Für die Narkolepsie heißt es dort in Teil B Nr. 3.2: Je nach Häufigkeit, Ausprägung und Kombination der Symp tome (Tagesschläfrigkeit, Schlafattacken, Kataplexien, automatisches Verhalten im Rahmen von Ermüdungserscheinungen, Schlafähmungen häufig verbunden mit hypnagogen Halluzinationen) ist im Allgemeinen ein GdB von 50 bis 80 anzusetzen. Damit ist gesetzlich festgelegt, dass die Narkolepsie eine Schwerbehinderung ist. In Ausnahmefällen kann von dieser Bewertung abgewichen werden, etwa dann, wenn die Auswirkungen der Narkolepsie nicht stark ausgeprägt sind und mit wirksamer Medikation beherrscht wer- 47

den können. Das muss dann aber eingehend begründet werden, wobei die besonderen Gegebenheiten des Einzelfalles darzustellen sind. Schwerbehinderte Menschen können vor allem im Arbeitsleben Vergünstigungen beanspruchen. Bei der Einstellung und Förderung sind sie bevorzugt zu berücksichtigen; im Kündigungsverfahren sind besondere Verfahrensvorschriften zu beachten. Bei der Arbeitsplatzgestaltung und der Arbeitsorganisa tion ist auf die Behinderung Rücksicht zu nehmen. Für Narkolepsiepatienten bedeutet das, dass sie zusätzliche Schlafpausen beanspruchen können, wenn dies betrieblich möglich ist. Wenn die Kataplexien stark ausgeprägt sind und häufig auftreten, kann unter Umständen wegen erheblicher Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr als besonderer Nachteilsausgleich das Merkzeichen G (für gehbehindert ) zuerkannt werden. Konsequenterweise gehört dann dazu auch das Merkzeichen B, was bedeutet, dass die Notwendigkeit ständiger Begleitung besteht. Anders als bei der Behinderung muss die Schwerbehinderung besonders festgestellt werden. Zuständig dafür sind die mit der Versorgungsverwaltung beauftragten Behörden. Bei der Antragstellung sollte man schildern, wie und in welchem Umfang die Narkolepsie sich behindernd auswirkt. Es reicht nicht, bei der Antragstellung nur die Diagnose Narkolepsie anzugeben. Ist die Schwerbehinderung festgestellt, erhält man einen Ausweis, den sog. Schwerbehindertenausweis. 4. Schule Die Schule und Ausbildung stellen Narkolepsiepatienten vor Pro bleme. In der Auseinandersetzung mit diesen Problemen sollten sich die Betroffenen darüber im Klaren sein, dass die Narkolepsie keine Einschränkung der Intelligenz oder der Motorik zur Folge hat (ausgenommen schwere Kataplexien). Ihr Handikap besteht lediglich da rin, dass sie nicht jederzeit ihre volle Leistungsfähigkeit einsetzen können. Bei Schulkindern beginnen die durch die Erkrankung hervorgerufenen Probleme bereits auf dem Schulweg, weil die Kinder in vielen 48 Psychosoziale und rechtliche Aspekte

Fällen öffentliche Verkehrsmittel nicht oder nur eingeschränkt benutzen können, da sie die Haltestellen verschlafen. Der Schulunterricht ist als Frontalunterricht meist mit einem erheblichen Maß an Monotonie belastet, und monotone Situa tionen fördern bei Narkolepsiepatienten die Tagesschläfrigkeit. Als Schüler haben sie daher häufig Probleme, einer kompletten Unterrichtsstunde ohne Unterbrechung zu folgen, es kommt zum Einschlafen oder zu Aufmerksamkeitsproblemen. Auch aggressives Verhalten (bedingt durch Müdigkeit) gegenüber Mitschülern oder Lehrern kann vorkommen. Die Lehrer müssen und die Mitschüler sollten über die Erkrankung Bescheid wissen, damit mangelnde Aufmerksamkeit oder kurzes Einschlafen während des Unterrichts nicht als Interesselosigkeit fehlgedeutet wird. In solchen Phasen sollte man von dem betroffenen Schüler keine Leistungen erwarten. Durch zusätzliche Pausen, die Möglichkeit, in den Pausen zu schlafen, und andere Hilfen (z. B. Zurverfügungstellen von Unterrichtsskripten durch den Lehrer) kann es den Patienten aber leichter gemacht werden, einen Abschluss zu erreichen, der ihren intellektuellen Fähigkeiten entspricht. Psychosoziale und rechtliche Aspekte In Deutschland existieren keine einheitlichen Maßstäbe für schulische Nachteilsausgleiche, d.h. die Regelungen hängen vom Bundesland ab und müssen individuell geklärt werden. Ein Rechtsanspruch auf einen konkreten bestimmten, von den Eltern gewünschten Nachteilsausgleich besteht nicht, wohl aber ein allgemeiner Anspruch auf Nachteilsausgleich. Dieser Anspruch leitet sich aus Artikel 3, Abs. 3, Satz 2 des Grundgesetzes und aus 48 des Schwerbehindertengesetzes ab. Er erfordert die besondere Fürsorge der Schule im täglichen Schulleben in und außerhalb vom Unterricht. Mögliche Nachteilsausgleiche sind Zeitverlängerung bei Prüfungen, die Möglichkeit eines Rückzugsraumes für den Patienten sowie die Möglichkeit, Inhalte mit einem Aufnahmegerät mitzuschneiden. Hilfe erhalten betroffene Familien häufig (in Zusammenarbeit mit dem behandelnden Arzt und dem Kinderschlafabor) in Sozialpädiatrischen Zentren oder bei Kinder- und Jugendpsychiatern. Siehe auch www. dng-ev.de/kinderjugend li che/narkolepsie-und-inklusion/informationen-der-laender-zum-nachteilsausgleich/ 49

Für das Studium bietet das Deutsche Studentenwerk über die Informations- und Beratungsstelle Studium und Behinderung Tipps und Hilfen. In Prüfungssituationen ist auf die besonderen Schwierigkeiten von Behinderten Rücksicht zu nehmen. Wenn es erforderlich sein sollte, kann ihnen für die Erledigung von Prüfungsaufgaben eine längere Frist eingeräumt werden. In geeigneten Fällen können schriftliche Prüfungen durch mündliche Prüfungen ersetzt werden, weil es Narkolepsiepatienten oft leichter fällt, in einer Gesprächssituation wach zu bleiben. In den meisten Ländern ist das in den Prüfungsordnungen ausdrücklich geregelt; auf jeden Fall ergibt sich das aber aus dem verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbot für Behinderte. Bei der Berufswahl sollte in erster Linie Interesse und Fähigkeit im Vordergrund stehen. In zweiter Linie muss dann aber genau überlegt 50 5. Studium und Beruf werden, wie die Anforderungen des gewählten Berufs mit den Beeinträchtigungen durch die Narkolepsie-Erkrankung in Einklang gebracht werden können. Es gibt wohl einige Berufe, die für Narkolepsiepatienten wenig geeignet sind. Das sind Berufe, bei denen die volle Leistungsfähigkeit jederzeit abrufbereit sein muss, oder Berufe, bei denen eine Gefährdung für sich oder andere aufgrund von Schläfrigkeit oder Kataplexien gegeben ist. In allen anderen Fällen spielt neben den objektiven Arbeitsbedingungen vor allem die persönliche Motivationslage eine wichtige Rolle. Uninteressante Tätigkeiten führen wesentlich schneller zum Einschlafen als interessante Aufgaben. Die ganz überwiegende Zahl der Narkolepsiepatienten ist in der Lage, einem Beruf nachzugehen und ordentliche Leistungen zu erbringen. Es kommt ganz auf die Ausprägung der Narkolepsie im konkreten Fall an. Ein klug organisiertes Zeitmanagement, eine individuell erprobte Bewältigungsstrategie oder auch individuell festgelegte Arbeitszeiten können manche Narkolepsie-bedingten Beeinträchtigung ausgleichen. Wer wegen seiner Narkolepsie als Schwerbehinderter anerkannt ist, hat auch Anspruch darauf, dass bei der Gestaltung der Arbeitsorganisation und der Arbeitszeit Rücksicht genommen wird. Psychosoziale und rechtliche Aspekte

6. Autofahren Psychosoziale und rechtliche Aspekte Autofahren verlangt von dem Fahrer, dass dieser mit voller Aufmerksamkeit die schnell wechselnden Situationen im Straßenverkehr zuverlässig wahrnimmt und sofort darauf reagieren kann. Ist die Aufmerksamkeit beeinträchtigt, dann ist die Fahreignung in Frage gestellt. Da die Narkolepsie während der phasenweise auftretenden Tagesschläfrigkeit mit einer Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit verbunden ist, ist das Autofahren für Narkolepsiepatienten auch immer ein Problem. Ihnen kann die Fahreignung zwar nicht generell abgesprochen werden; in ihren wachen Phasen können sie unter Umständen so sicher fahren wie gesunde Autofahrer. Sie müssen aber immer damit rechnen, dass bei aufkommender Tagesschläfrigkeit die Aufmerksamkeit nachlässt und das Risiko einzuschlafen schnell ansteigt. Dann ist das Autofahren zu unterlassen. Die Narkolepsie kann oft mit Medikamenten oder mit einer der Krankheit angepassten Lebensweise so behandelt werden, dass die Tagesschläfrigkeit erheblich reduziert wird. Dann ist auch ein Narkolepsiepatient in den wachen Phasen durchaus in der Lage, ein Auto sicher zu fahren. Es besteht aber immer die Gefahr, dass die Tagesschläfrigkeit wieder auftreten kann. Sehr wichtig ist die Frage, ob der 51

Patient die aufkommende Schläfrigkeit so rechtzeitig bemerkt, dass ihm noch genügend Zeit bleibt, die Fahrt rechtzeitig zu unterbrechen. Jeder Narkolepsiepatient muss während einer Autofahrt deshalb sehr genau auf die Signale seines Körpers achten und schon bei geringen Anzeichen von Schläfrigkeit die Fahrt unterbrechen. Erst nach einem erholsamen Nickerchen darf dann die Fahrt fortgesetzt werden. In der Fahrerlaubnisverordnung (FeV, Stand 2016) wird Narkolepsie nicht explizit genannt. In dem Katalog der Bedingungen, die die Fahreignung in Frage stellen (Anlage 4 der FeV), wird vielmehr unter der Nummer 11.2 die Tagesschläfrigkeit genannt. Bei Erkrankungen mit messbarer auffälliger Tagesschläfrigkeit ist die Fahreignung nicht gegeben. Wird die zu Grunde liegende Ursache behandelt und liegt dann keine messbare auffällige Tagesschläfrigkeit mehr vor, dann kann die Fahreignung ggf. unter Aufagen bejaht werden. Für Inhaber einer Fahrerlaubnis der Gruppe 1 (z.b. Pkw) besteht keine Verpfichtung, die Erkrankung an Narkolepsie anzugeben. Beim Erwerb des Führerscheins wird allerdings nach Erkrankungen gefragt, welche die Fahreignung in Frage stellen, dazu gehört auch die Narkolepsie. Bei der Fahrerlaubnis der Gruppe 2 (z. B. Lkw und Taxi) ist 52 eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen; bei der Untersuchung hat der Arzt nach Erkrankungen mit erhöhter Tagesschläfrigkeit zu fragen, diese Frage muss wahrheitsgemäß beantwortet werden. Erfährt die Fahrerlaubnisbehörde davon, dass ein Fahrerlaubnisinhaber an Narkolepsie leidet, hat sie sich über dessen Fahreignung Gewissheit zu verschaffen. Wird der Fahrerlaubnisinhaber wegen seiner Narkolepsie ärztlich betreut und ist er bei langer Fahrpraxis noch nicht im Straßenverkehr aufgefallen, dann mag in Einzelfällen eine Bescheinigung des Arztes ausreichen. In der Regel wird die Fahrerlaubnisbehörde aber anordnen, dass ein ärztliches Gutachten zur Fahreignung beizubringen ist. Der begutachtende Arzt muss eine verkehrsmedizinische Qualifikation haben. Im eigenen Interesse sollte der Patient darauf achten, dass er auch Erfahrungen in der Diagnostik und Therapie der Narkolepsie hat. Für die Begutachtung sind die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung der Bundesanstalt für das Straßenwesen (aktueller Stand Dezember 2016) maßgeblich (www. bast.de/de/verkehrssicherheit/ Fachthemen/BLL/Begutachtungsleitlinien-2016.pdf? blob=publicationfile&v=9). Auch hier wird die Narkolepsie nicht ausdrücklich genannt. Es gelten wiederum die glei- Psychosoziale und rechtliche Aspekte

chen Regeln für alle Erkrankungen mit Tagesschläfrigkeit. Für das Vorgehen bei der Begutachtung ist ein mehrstufiges Verfahren festgelegt, das unter anderem geeignete Testverfahren benennt. Wenn neben der Tagesschläfrigkeit auch Kataplexien bestehen, welche die Fahreignung beeinträchtigen können, muss die Beurteilung sinngemäß wie bei Epilepsien erfolgen. Die Fahreignung ist in diesem Fall nicht gegeben, solange ein wesentliches Risiko von Anfallsrezidiven besteht. Die Begutachtungsleitlinien legen in ihrem allgemeinen Teil auch fest, dass bei der Begutachtung Kompensationsmöglichkeiten des Betroffenen zu berücksichtigen sind (Punkt 2.6). Für die Fahreignung sind unter anderem die Einstellung des Patienten zu seiner Erkrankung und der verantwortungsvolle Umgang Psychosoziale und rechtliche Aspekte mit ihr von hoher Bedeutung. Seine Unzulänglichkeiten kann der Narkolepsiepatient durch eine verantwortungsbewusste Grundeinstellung kom pensieren, die erwarten lässt, dass die Einschränkung des eigenen Leistungsvermögens selbstkritisch refektiert und beim Fahrverhalten berücksichtigt wird. Er muss die Gefährdungen erkennen und bereit sein, entsprechend zu handeln, also das Autofahren zu unterlassen, wenn er spürt, dass seine Aufmerksamkeit nachlässt. Verursacht ein Narkolepsiepatient einen Unfall, der auf seine Erkrankung zurückzuführen ist, dann kann das strafrechtlich als Vergehen und nicht nur als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Damit kann auch der Versicherungsschutz gefährdet sein. Die DNG hat eine Info-Faltblatt zu dem Thema veröffentlicht. 53

IV. Die Deutsche Narkolepsie- Gesellschaft e.v. (DNG) Bitte beachten Sie die Urheberrechte. Fragen zur Veröffentlichung und Weitergabe richten Sie bitte an info@dng-ev.de. Unabhängige Hilfe für Betroffene Seltenen Erkrankungen ist es eigen, dass das Wissen über sie in der Gesellschaft begrenzt ist. Von Narkolepsie Betroffene und deren Angehörige stehen oft ratlos vor den Fragen: Was kann ich tun? Wer kann helfen? Welche Medikamente kommen für mich in Frage? Gibt es nicht medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten? Welche (arbeits-)rechtlichen Konsequenzen hat das für mich? Selbst bei Ärzten ist das Wissen um die Erkrankung oft sehr begrenzt. Was dann hilft, ist, sich selbst zu helfen und mit anderen Betroffenen auszutauschen und voneinander zu lernen. Dies war auch der Ansatz von drei Betroffenen und zwei Ärzten, als sie in den 1980er Jahren die Deutsche Narkolepsie Gesellschaft e.v. (DNG) ins Leben riefen. Ihr Ziel war es, einen Rahmen zu schaffen, in dem Betroffene und Angehörige beraten und unterstützt werden können. Ganz praktisch und lebensnah sollten sie von den Erfahrungen anderer profitieren können. Ein weiterer wichtiger Aspekt war und ist es, die Aufklärung über die Erkrankung in der Öffentlichkeit und auch bei Ärzten und Politikern voranzutreiben. Dabei legt die DNG Wert auf Unabhängigkeit besonders von der Pharmaindustrie. Die DNG ist der älteste Selbsthilfeverband in der Schlafmedizin in Deutschland. Heute zählt der Verein etwa 1.000 Mitglieder, wobei die DNG nicht nur Betroffenen offen steht, sondern auch Angehörigen, Ärzten, die in diesem Fachgebiet forschen und tätig sind, und interessierten Menschen, die die Anliegen der DNG unterstützen möchten. Die Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats sind engagierte Vertreter ihres Fachs und nahe an den Betroffenen. Im gesamten Bundesgebiet gibt es DNG-Selbsthilfegruppen. Die Mitglieder der Selbsthilfegruppen können sich im Rahmen von regelmäßig stattfindenden Treffen austauschen und weiterbilden. Die soziale, informelle Ebene ist aber genauso wichtig. Die DNG organisiert derzeit einmal im Jahr eine überregionale Tagung mit Fachvorträgen und Vereinsinformationen. Ein geselliges Rahmenprogramm begleitet die Veranstaltung. Regional gibt es Informationsveranstaltungen. Es ist 54 Die Deutsche Narkolepsie-Gesellschaft e.v. (DNG)

beabsichtigt, das Angebot kontinuielrich auszubauen. Für Familien mit narkoleptischen Kindern werden bun desweite Familientreffen und eine Kinder- und Jugendtagung angeboten. Die DNG stellt Informationsmaterial zu verschiedenen Themen bereit. Die DNG ist national und international sehr gut vernetzt als Mitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderungen und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e.v. (BAG Selbsthilfe), der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen e.v. (ACHSE) V. Weiterführende Literatur Die Deutsche Narkolepsie-Gesellschaft e.v. (DNG) oder der European Organisation of Rare Diseases (EURORDIS). Über das Forum Selbsthilfe besteht auch ein enger Kontakt zur Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin e.v. (DGSM). Kontakt: Deutsche Narkolepsie- Gesellschaft e.v. (DNG) Tel.: 02921-943 786 4 E-Mail: info@dng-ev.de Mehr Informationen unter: www.dng-ev.de Aktuelle Internet-Links zum Thema finden Sie auf der Homepage der DNG (www.dng-ev.de). www.dng-ev.de 55