4. Konstruktivistische Theorie: der strukturgenetische Ansatz nach Jean Piaget

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Transkript:

4. Konstruktivistische Theorie: der strukturgenetische Ansatz nach Jean Piaget 4.1 Entwicklungsverständnis Entwicklung wird verstanden als ein Prozess von zwei gegenläufigen Bewegungen, d.h. der Anpassung des Kindes an die Umwelt und die Auseinandersetzung des Kindes mit den Anforderungen der Umwelt, wodurch wiederum Anpassung möglich und (Weiter-)Entwicklung eingeleitet wird. Dabei wird dem Individuum selbst die Hauptrolle in diesem Prozess zugewiesen. Das Individuum konstruiert sich seine eigene Realität über Handlungen. Entwicklung stellt die ständige Erweiterung von Handlungsfähigkeit dar. Ausgangspunkt für Entwicklung sind für ihn Handlungspläne, die nicht zu einem erwünschten Ergebnis oder zu widerspruchsfreien Problemlösungen führen. 4.2 Entwicklungsfaktoren a) Reifung als vorprogrammierter Entfaltungsprozess: Aus organischen (auch physischen) Strukturen ergeben sich Reflexe, andere entwickeln sich zu psychologischen Strukturen weiter. Reifung kann nicht alles erklären. b) Erfahrung mit der materiellen Umwelt: Darunter verstehen wir den Kontakt zur und den Umgang mit der Aussenwelt. Bei allen Erfahrungen geht es a) um dinglich-konkrete Erfahrung: Erfahrung physikalischer Eigenschaften. Bsp. Das Kind weiss, dass ein Klotz rund und rot ist. Es hebt den Klotz und merkt, dass dieser schwer ist. b) um logisch-mathematische Erfahrung: innere Verknüpfung und Koordination. Bsp. Wenn das Kind jedoch zwei Klötze aufhebt und erkennt, dass der eine schwerer ist als der andere, handelt es sich nicht mehr bloss um ein dinglich-konkretes Erkennen. Im Vergleich stellt das Kind eine Beziehung zwischen mehr und weniger her. c) Soziale Vermittlung: Das Kind kann aus den Erfahrungen der anderen lernen. Bsp. Ein Problem wird erklärt, ein Buch wird gelesen, schulischer Unterricht, Nachahmung eines Vorbildes, Erörterung einer Frage mit einem gleichaltrigen Kind Das Kind aber muss, um die Informationen aufzunehmen, über kognitive Strukturen verfügen, die diese assimilieren können. d) Äquilibration (Herstellung von Gleichgewichten): Es handelt sich um die sich selbst regulierenden Prozesse des Kindes, aufgrund derer es von Entwicklungsstadium zu Entwicklungsstadium zunehmend höhere und bessere Formen des Gleichgewichts erreicht. Unter der Bedingung, dass diese Faktoren vorausgesetzt werden können, wird der Entwicklungsprozess als universal gültig angesehen. Piaget begründet dies damit, dass die Denkstrukturen abstrakte Tiefenstrukturen sind und unabhängig von den jeweiligen Denkinhalten gesehen werden müssen. 4.3 Entwicklung als Prozess logischer struktureller Veränderungen Der Entwicklungsprozess zeichnet sich aus als Abfolge von Entwicklungsschritten, die logisch der Entwicklung folgend, also entwicklungslogisch verankert und begründbar sind. Veränderung vollzieht sich demnach entlang einer Entwicklungslinie.

Entwicklungslogische Veränderungen: - zeigen eine natürliche Abfolge (Sequentialität) - sind unveränderlich (Irreversibilität) - sie verlaufen in eine Richtung (Unidirektionalität) - sie verlaufen für alle Personen ähnlich (Universalität) - bei diesen Veränderungen handelt es sich um qualitativ-strukturelle Transformationen (Strukturalismus) Piaget stellt in seinem Entwicklungsmodell nicht die Beschreibung von Inhalten des Denkens in den Vordergrund, sondern die Prozesse, Mechanismen und Strukturen, die diesen Inhalten zugrunde liegen und unterscheidet damit zwischen veränderlichen und unveränderlichen Elementen der Entwicklung. 4.4 Unveränderliche Elemente in der geistigen Entwicklung Anpassung und zur Organisation sind unveränderlich und werden deshalb von ihm als funktionelle Invarianten bezeichnet. Unter Organisation versteht Piaget Strukturbildung, d.h. das Streben, Strukturen, die physisch oder psychologisch sein mögen, in Systemen oder Strukturen höherer Ordnung zu integrieren. Die Anpassung wird als das Streben nach Gleichgewicht verstanden und in der Wechselwirkung des Organismus mit seiner Umwelt gesehen. Dieser Prozess der Gleichgewichtsherstellung ist die Grundlage für geistiges Wachstum. Piaget geht davon aus, dass Anpassung als der dynamische Ausdruck der Organisation zwei untrennbar verknüpfte Mechanismen beinhaltet, bzw. dass sich Entwicklungsfortschritte aus dem Wechselspiel von zwei komplementär wirkenden Prozessen ergeben Unter Assimilation wird jener Prozess verstanden, durch welchen jede neue Erfahrensgegebenheit in die schon vorhandenen geistigen Strukturen einverleibt wird, ohne dass diese Strukturen verändert werden. Unter Akkommodation wird die Tendenz des Kindes verstanden, sich in Antwort auf die Anforderungen der Umwelt zu verändern. Durch Akkommodation wird es möglich, dass sich ausgebildete Strukturen differenzieren und neue Strukturen entstehen können. In diesem Bestreben entstehen immer wieder Spannungen, welche zu einem Ungleichgewicht zwischen Assimilation und Akkommodation führen. Tritt ein Ungleichgewicht ein, so ist das Kind gezwungen, seine Schemata an die Erfordernisse der Aussenwelt zu akkommodieren, damit die Assimilationsschemata wieder gebraucht werden können. Dieses andauernde Herbeiführen und Finden von Gleichgewichten nennt Piaget Äquilibration. Ein einmal (wieder-)gefundener Gleichgewichtszustand hat nie eine endgültige Form. 4.5 Entwicklung als Prozess der Veränderung von Strukturen durch Handlung Zu Beginn seines Lebens ist ein Mensch durch Vererbung ausgestattet mit physischen Strukturen, mit automatischen Verhaltensweisen und mit Reflexen, die durch (sprech-)handelnde Auseinandersetzung mit den Widersprüchen der Umwelt zu psychologischen Strukturen (Schemata) umgebaut werden. Piaget charakterisiert die Veränderungen von Strukturen in einer Folge von vier qualitativ unterschiedlichen Entwicklungsstufen. Eine Entwicklungsstufe wird durch verschiedene Merkmale charakterisiert bzw. erfüllt die folgenden Kriterien: 1 Die kognitiven Schemata der einzelnen Stufen sind qualitativ voneinander unterschieden und bilden ein strukturiertes Ganzes, das in sich relativ stabil ist... 2 Gleichzeitig bauen die Stufen hierarchisch aufeinander auf. Frühere Stufen werden dabei in die späteren integriert. Zeitlich frühere Formen der Kognition bleiben also erhalten...

3 Die einzelnen Stufen bilden eine invariante Sequenz, d.h. die Entwicklung folgt einer immanenten Logik von Strukturtransformationen und Entwicklung 4.6 Entwicklungsstufen im Überblick ungefähres Alter Entwicklungsstadium Beschreibung Geburt bis 2 Jahre 1. Stufe sensomotorische Handlungspläne 2-7 Jahre 2. präoperationale Stufe 2 4 Jahre Vorbegrifflichsymbolisches Denken Hauptmerkmal dieses Stadiums sind die Koordination sensorischer Wahrnehmung und einfachen motorischen Verhaltens. Der Säugling lernt die Welt durch seine eigenen Handlungen kennen. Er begreift, dass es eine äussere Welt mit gewissen Gesetzmässigkeiten gibt, und beginnt, mit dieser gezielt zu interagieren. Das Stadium endet mit dem Beginn des Denkens und dem Einsetzen der Sprache. Die Kinder verstehen dass die Welt in der Vorstellung repräsentiert werden kann. Gegenstände und Ereignisse müssen nicht länger tatsächlich vorhanden oder wahr sein, um über sie nachzudenken. Ihr Egozentrismus macht es ihnen noch schwer, die Sichtweise anderer einzunehmen. Das Kind kann mit Symbolen, später mit Zeichen, die für Handlungen und Gegenstände stehen, umgehen. Spracherwerb und gebrauch, Gebrauch von Gesten Symbolspiel und Nachahmung. 4-7 Jahre Anschauliches Denken Anschauungen und Denken stimmen noch nicht überein, z.b. sind 3 Mäuse weniger als 2 Elefanten. Es können nicht gleichzeitig mehrere Dimensionen berücksichtigt werden, z. B. hat es in der (gemischten) Kindergartengruppe mehr Mädchen oder mehr Kinder. Denkvorgang ist nicht umkehrbar. 7-11 Jahre 3. Konkret-logische Operationen Ca. 11 Jahre und älter 4. formale Operationen Der Denkvorgang ist nun umkehrbar. Das Kind kann bereits logisch über konkrete Probleme im Hier und Jetzt nachdenken. Es ist fähig, im Geiste zu kombinieren, zu trennen oder zu ordnen. Die Kinder führen diese mentalen Operationen mit konkreten, greifbaren Gegenständen durch, jedoch nicht mit abstrakten Aussagen. Es wird die Fähigkeit erworben, über alle logischen Beziehungen eines Problems systematisch nachzudenken. Die Jugendlichen zeigen Interesse an abstrakten Problemen. Schlussfolgerndes Denken gelingt nun auch beim Denken über das Nachdenken. Unter der Bedingung, dass die Faktoren zur Entwicklung (Kap. 4.2) vorausgesetzt werden können, wird der Entwicklungsprozess als universal gültig angesehen. Piaget begründet dies damit, dass die Denkstrukturen abstrakte Tiefenstrukturen sind und unabhängig von den jeweiligen Denkinhalten gesehen werden müssen. 4.7 Kritik an Piaget - Die Altersangaben stimmen nicht, Akzeleration und Veränderung der Umwelten - die Entwicklung in Stufen wird in Frage gestellt: Entwicklung sei kontinuierlich (im Entwicklungstempo,

in den Strukturmerkmalen, in Strategien) - statt einer festen Stufenfolge: das Können der Kinder hängt vom bereichsspezifischen Wissen ab - Piaget führte nur mit wenigen Kindern seine Untersuchungen durch, die Ergebnisse sind nicht verallgemeinerbar - seine ausgeführten Beispiele belegen immer auch gleich seine Theorie - einige Angaben der Kinder werden durch den Versuchsleiter provoziert - vielleicht verstehen die Kinder die Aufgaben nur sprachlich nicht - durch Training können die Kinder auch schon früher Denkstufen nach Piaget erreichen - Fehlangaben der Kinder werden auch durch die Umwelt provoziert, die beispielsweise animistisches Denken oder die Verwechslung von Alter und Größe ( wenn du mal groß bist ) fördert 5. Entwicklung in Anbetracht von Behinderung 5.1 Erklärungsansätze von Behinderung Der defektorientierte Ansatz Defektorientierte Ansätze stellen die dauerhafte Schädigung in den Vordergrund. Der strukturale Ansatz (strukturelle Veränderungen) Piaget vertritt den Standpunkt, dass zwar manche Kinder aufgrund von Vererbung oder gemachter Erfahrungen fortgeschrittener sind als andere, dass aber das Denken eines Kindes dieselben Entwicklungsstufen durchläuft. Diese Annahme wird im Zusammenhang mit der Entwicklungstheorie zur Geistigen Behinderung im Sinne von Piaget unter zwei verschiedenen Hypothesen betrachtet. - Die 'Hypothese der gleichartigen Sequenz' geht von der Annahme aus, dass die Stufen in einer ordinalen, irreversiblen Abfolge von Menschen mit geistiger Behinderung wie von Nichtbehinderten durchschritten werden. Diese Hypothese ist bestätigt. - Die 'Hypothese gleichartiger Struktur' geht von der Annahme aus, dass die kognitiven Strukturen und Prozesse von Menschen mit geistiger Behinderung und von Nichtbehinderten desselben kognitiven Niveaus die gleichen sind. Dies scheint bei jenen Menschen nicht der Fall zu sein, deren geistige Behinderung auf nachweisbare genetische und/oder hirnorganische Beeinträchtigung zurückzuführen ist. 5.2 Individualität in der Entwicklung Es wird also davon ausgegangen, dass der behinderte Mensch die gleiche ontogenetische Entwicklung durchläuft. Unterschiedlichkeiten sind primär solche der individuellen Genese und Interaktion, aber nicht eigentliche direkte Auswirkungen der Defekte / Schädigung / Behinderung bestehen darin, dass die Entwicklung langsamer und eventuell nach oben begrenzt verläuft Verweisen auf Individualität in der Entwicklung o Individuell sind nicht die Strukturen aber die Inhalte o Individuell ist das Entwicklungstempo o Individuell ist der Antrieb - und damit das Angewiesensein auf Anregung o Individuell ist das Ausmass an Assimilation und Akkommodation o Individuell ist die (Un-)Regelhaftigkeit in der Entwicklung:

6. Zum Begriff der Normalität als Abbild des Lebensalters 'Normalität' wird zumeist untrennbar mit dem Lebensalter verbunden. Ein normaler Entwicklungsverlauf wird mit altersangemessenen Entwicklungsveränderungen gleichgesetzt. Es wird übersehen, dass Entwicklungen immer unter bestimmten äusseren Bedingungen stattfinden. Entwicklungsverläufe altersgleicher Personen könnten nur gleichförmig sein, wenn sich deren bisherige Entwicklung unter identischen Entwicklungsbedingungen vollzogen hätte. Dies heisst: - dass Kinder zu unterschiedlichen Alterszeitpunkten bestimmte Erkenntnisse erwerben und - dass folglich nicht alle Kinder gleichen Alters auf dem gleichen Entwicklungsstand sind; - dass Leistungsunterschiede zwischen Kindern trotz relativ geringer Altersdifferenz gross sein können; - dass Altersnormen keinen verlässlichen Richtwert darstellen und deshalb nur die Funktion sehr grober Orientierungsmarken haben können; - dass Alter-Entwicklung-Beziehungen stets durch in der Zeit wirkende Faktoren bedingt sind, z.b. von den Erwartungen an ein x-jähriges Kind; - dass das Lebensalter als der einfachste, aber auch unsensibelste Indikator des Entwicklungsstandes trotzdem noch am häufigsten verwendet wird; 7. Das Goodness-of-fit-Modell Die Grundannahme besagt, dass Störungen dann auftreten, wenn das Kind und seine Umwelt nicht zueinander passen, weil entweder das Kind den Anforderungen der Umwelt nicht genügt, oder aber die Umwelt nicht auf die Besonderheiten des Kindes zugeschnitten ist. Dieses Nicht-Passen ist weder ausschliesslich in den Eigenschaften des Kindes noch in den Umweltanforderungen lokalisiert. Ein Kind mit einem sehr aktiven Temperament mag beispielsweise in einer Familie, die besonderen Wert auf Rücksichtsnahme und Ruhe legt als auffällig gelten, während es in einer anderen Familie nicht auffallen würde. 8. Die Plastizität des Gehirns In der frühen Kindheit zeigt die Hirnentwicklung umweltabhängige Variabilität, d.h. Plastizität. aus: von Loh, S.: Entwicklungsstörungen bei Kindern, 2003, S. 13.

Wenig Stimulation ermöglicht weniger Ausbildung von Netzwerken im Gehirn (= Verbindungen von Nervenzellen über Synapsenbildung), d.h. das Gehirn des Kindes erhält weniger Impulse und Eindrücke und führen zu einem kleineren Netzwerk. Entwicklungsrisiken, die dadurch entstehen können, können aber aufgrund der biologischen Plastizität durch gezielte Stimulation und Zuwendung nachweislich auch wieder ausgeglichen (kompensiert) werden. Das Gehirn muss aber entwicklungsmässig in der Lage sein, die Anregung verarbeiten zu können. 9. Spezifische Veränderungszeiten Zeiten spezifischer Veränderung implizieren, dass es besondere biologische Entwicklungszeiten einer höheren Bereitschaft für das Lernen spezifischer Fähigkeiten gibt, z.b. die korrekte Aussprache beim Erlernen einer Fremdsprache, das Tiefensehen usw. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Erlernen solcher Fähigkeiten nicht zu anderen Zeiten möglich ist, nur ist es dann mühsamer zu erreichen und erlangt nicht mehr einen vergleichbaren Perfektionsgrad. Verhaltensbiologie: Prägungszeit Maria Montessori: sensible Phasen von Loh: Lernfenster aus: von Loh, S.: Entwicklungsstörungen bei Kindern, 2003, S. 17. 10. Entwicklung und Erfahrung Viele Aspekte der Wahrnehmungsentwicklung, der kognitiven, der sprachlichen und der sozialemotionalen Entwicklung sind in hohem Masse von der Erfahrung abhängig. Folgende Abbildung zeigt, wie Erfahrung die Entwicklung beeinflussen kann: Abb im Ordner 11. Vertiefende Lektüre Flammer, A.: (2009) Entwicklungstheorien. Psychologische Theorien der menschlichen Entwicklung. Bern, Stuttgart, Toronto (Huber), Kap. 1.2. S. 18-23 Von Loh; S. (2003): Entwicklungsstörungen bei Kindern. Stuttgart: Kohlhammer. Mietzel, Gerd: (2002) Wege in die Entwicklungspsychologie. Kindheit und Jugend. Psychologie Verlags Union), 4. Überarb. Auflage. Seiten 13-17, 22-29. Montada; L.: Fragen Konzepte, Perspektiven. In: Oerter, R.; Montada, L.: Entwicklungspsychologie. (2002) Ein Lehrbuch. 5., vollst. überarb. Auflage. Weinheim, Basel, Berlin (Beltz), Seiten 436-442. Perrig-Chiello, P.: (1999) Differenztheoretische versus entwicklungstheoretische Ansätze zur Erklärung der geistigen Behinderung: Neue Erkenntnisse zu einer alten Debatte. In Heilpädagogische Forschung 25(1999)2, Seiten 86-92. abw