Das Mikrobiom und die Medizin der Zukunft

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Transkript:

Das Mikrobiom und die Medizin der Zukunft In unserem Darm befindet sich das größte und wichtigste Mikrobiom des Menschen. Was genau ist das? Es setzt sich aus über 1000 verschiedenen bakteriellen Arten, der sogenannten Mikrobiota zusammen. Diese wiederum verfügen über Millionen Gene, das nennen Wissenschaftler das Mikrobiom. Es ist ein unglaubliches genetisches Reservoir, von dem wir noch gar nicht so genau wissen, was da schlummert, so Prof. Dr. med. Stephan C. Bischoff vom Institut für Ernährungsmedizin und Prävention an der Universität Hohenheim in Stuttgart. Der Ernährungsmediziner und Gastroenterologe ist sich jedoch sicher: Die Mikrobiomforschung ist so revolutionär, dass sie die Medizin verändern wird. Im Rahmen seiner Vorträge beim Yakult Seminar am 23. Juni in Almere (Amsterdam) sowie am 27. Juni in Stuttgart stellte er aktuelle Erkenntnisse rund um die intestinale Mikrobiota und Probiotika dar. Noch vor kurzem ging man davon aus, dass das Verhältnis von Körperzellen zu Bakterienzellen wäre 10 : 1. Doch eine Untersuchung von Sender, Fuchs und Milo 1 zeigte: Auf eine Körperzelle kommt etwa eine Bakterienzelle. Dieses Mikrobiom beeinflusst uns auf allen Ebenen physiologisch, pathologisch und therapeutisch, so Stephan Bischoff. Es gibt 150-mal mehr mikrobielle Gene als menschliche. Der Anteil bakterieller Gene, der bei allen Menschen gleich ist, nennt man das Core Mibrobiom. Der variable Teil hängt unter anderem vom Lebensstil, von den jeweiligen Umwelteinflüssen und von Erkrankungen des einzelnen Menschen ab. Die Schlüsselfunktionen der Darm-Mikrobiota beim Menschen Dazu gehören die Immunabwehr, die Regulation des zentralen Nervensystems (ZNS) und des Nervensystems im Darm, dem sogenannten enterischen Nervensystem (ENS) sowie die Unterstützung der Verdauung. Immunabwehr: Es macht Sinn, dass die meisten Immunzellen im Darm sitzen. Denn dort sind die größten Aufgaben fürs Immunsystem zu bewältigen. Eine immunkompetente Zelle muss dort etwa 100 Bakterien in Schach halten und verhindern, dass Keime die Darmschleimhaut durchdringen und in den Körper gelangen. Das ist selbst dann gefährlich, wenn es sich um gute Bakterien handelt und endet in 50 Prozent der Fälle tödlich, so Prof. Bischoff. Wir werden nicht mit einem fertigen Immunsystem geboren, sondern erwerben es anfangs durch die Auseinandersetzung mit den Vaginalbakterien der Mutter bei der Geburt, später dann mit der Umwelt. Das Immunsystem erneuert sich im Verlauf des Lebens immer wieder. Prof. Bischoff: Mittlerweile weiß man, dass zu viel Hygiene das Immunsystem schwächer werden lässt. ZNS- und ENS-Regulation: Eine Übersicht von Mayer 2 belegt, dass Gehirn und Mikrobiota miteinander kommunizieren und sich die beiden gegenseitig beeinflussen. Man nennt das die Darm-Hirn-Achse. Das Mikrobiom reagiert auf psychologische und physikalische Stressoren. Veränderungen im Mikrobiom wirken sich wiederum auf unser emotionales Verhalten aus. Es gibt auch Hinweise, dass zerebrale Erkrankungen wie Autismus, Angstzustände, Depressionen und chronischer Schmerz mit dem Mikrobiom zusammenhängen. 1 Sender R, Fuchs S, Milo R. Revised Estimates for the Number of Human and Bacteria Cells in the Body. PLoS Biol. 2016 Aug 19;14:e1002533. 2 Mayer E, et al. J. Neurosci. 2014 1

Das alles befindet sich noch auf der Forschungsebene, hat aber Potenzial für die Entwicklung neuer Einsatzmöglichkeiten von Probiotika. Diese müssten allerdings erst noch gefunden werden, damit diese Aufgaben bewältigt werden können, erläutert Prof. Bischoff. Es gibt jedoch erste Pilotstudien mit Probiotika. Eine doppelblind, Placebo-kontrollierte und randomisierte Studie von Kato-Kataoka 3 mit 47 gesunden Medizinstudenten zeigte: Lactobacillus casei Shirota (LcS) senkt typische Prüfungsstress-Symptome wie Magen- Darm- und Erkältungsbeschwerden. Die LcS-Gruppe hatte auch bessere biochemische Stressmarker. Nur bei der Placebo-Gruppe stieg das Stresshormon Kortisol im Speichel signifikant an. Eine andere, ebenfalls doppelblind und Placebo-kontrollierte Studie 4 kam zu dem Ergebnis, dass Lactobacillus casei Shirota gegen Schlafstörungen bei Stress schützt. Sowohl die Schlafdauer wie die -qualität waren in der LcS-Gruppe besser. Unterstützung der Verdauung: Ohne Darmbakterien wären wir sehr ineffiziente Verdauer. Viele bakterielle Gene codieren Verdauungsenzyme. Nur mit ihrer Hilfe können wir immer wieder neue Lebensmittel vertragen oder unsere Ernährung rigoros umstellen, erläutert Prof. Bischoff. Die friedliche Koexistenz mit der Mikrobiota konnte sich im Laufe der Evolution nur durchsetzen, weil wir Menschen davon profitiert haben. Sie war sogar überlebenswichtig. Denn als Jäger und Sammler wussten die Menschen der Steinzeit nie, wann es das nächste Mal wieder etwas zu essen gab. Also mussten aus einer Mahlzeit so viele Nährstoffe wie nur möglich herausgeholt werden, erklärt Prof. Bischoff. War die optimale Verwertung der Nährstoffe früher bei Mangelernährung ein Segen, kann sie heute in unserer Überflussgesellschaft ein Fluch sein und zu Adipositas führen. Der Gastroenterologe wies auf eine weitere, neuere Erkenntnis hin. Die Zusammensetzung der Darm-Mikrobiota scheint sich durch Kälte zu verändern 5. Diese Veränderungen bewirken u.a., dass sich aus weißem Fettgewebe braunes Fettgewebe entwickelt. Dieses hat den großen Vorteil, dass es Wärme bilden kann. Zum anderen fängt der Darm bei Kälte an zu wachsen. Was wiederum dazu führt, dass mehr Nahrung aufgenommen und dadurch mehr Energie gewonnen werden kann. Diese Effekte waren für unsere Vorfahren, die ja noch in eiskalten Höhlen wohnten, ein klarer Überlebensvorteil, betont Prof. Bischoff. Bei Wärme passiert genau das Gegenteil. Prof. Bischoff: Auch diese mögliche Adaption an Kälte, eröffnet eine neue Forschungsrichtung. Vielleicht lässt sich ja irgendwann mithilfe von Bakterien das Kurzdarmsyndrom behandeln. Schlüsselfunktion der Darm-Mikrobiota bei Krankheiten Es gibt viele Erkrankungen, bei denen die Mikrobiota eine Rolle spielt. Neben Adipositas und metabolischem Syndrom sind das z.b. entzündliche Darm-, Tumor- und Infektionserkrankungen, Allergien sowie neurologisch-psychiatrische Erkrankungen. Professor Bischoff beleuchtet hier u.a. Adipositas und CED näher. Adipositas: Je größer die bakterielle Vielfalt im Darm ist, desto gesünder ist die Mikrobiota für den Menschen und desto leichter fällt es ihm, schlank zu bleiben. Ernährung ist mit Abstand der größte Regulator für die Zusammensetzung der Bakterien im Darm, sagt Prof. Bischoff. Das zeige eine Studie, die das Mikrobiom von Kindern aus Burkino Faso mit Kindern aus Europa verglich 6. 3 Kato-Kataoka A, et al. Benef Microbes 2016;7:153-6 4 Takada M, et al. Benef. Microbes 2017: 153-62 5 Chevalier et al. Cell 2015;163:1360-74 6 De Filippo et al. PNAS 2010 2

Besonders günstig auf die Diversität wirkt sich eine Diät mit Microbiota-Accessible Carbohydrates oder kurz MACs aus, berichtet der Ernährungsmediziner. Diese neu definierte Form der Kohlenhydrate kann von der Mikrobiota verstoffwechselt werden, wir selbst sind aber kaum in der Lage dazu. Die MACs sind dennoch nicht eins zu eins mit Ballaststoffen gleichzusetzen, auch wenn z.b. Cellulose, Oligosaccharide oder Pektin dazugehören können. Früchte, Gemüse und Hülsenfrüchte enthalten ebenfalls potentielle MACs. Inwieweit unverdauliche Nahrungsbestandteile MACs sind, hängt von der jeweiligen metabolischen Aktivität der Darmmikrobiota eines Individuums ab. Zudem fehlen noch Studien, welche Pflanzenfasern die besten für die Mikrobiota sind. Gesichert scheint jedoch, dass MACs von der Mikrobiota u.a. zu Buttersäure umgebaut werden. Diese fördert nicht nur die bakterielle Vielfalt, sondern hat auch für den Menschen positive Effekte, indem sie z.b. antientzündlich wirkt 7. Empfehlenswert ist also, die Vielfalt an Obst, Gemüse und Hülsenfrüchten zu nutzen. Negativ wirkt sich dagegen eine anhaltende Low-MAC-Diät aus. Erste Studien weisen darauf hin, dass die bakterielle Artenvielfalt verloren gehen könnte, sich dies über Generationen vererbt und allein durch eine Ernährungsumstellung nicht mehr umkehrbar wäre 8. Prof. Bischoff: Das Mikrobiom ist also nicht nur der Spiegel dessen, was wir essen. Es entwickelt auch ein Gedächtnis dafür, wie sich die Generationen ernährt haben. Angesichts dieser Fakten wird klar, warum nicht nur die USA mit einer Adipositas-Epidemie kämpfen: Unsere einseitige Western-style-Ernährung mit zu viel Zucker, zu viel Fett, zu viel Alkohol, zu wenigen Ballaststoffen und zu wenigen MACs reduziert die bakterielle Artenvielfalt im Darm und ist der Hauptübeltäter für Adipositas. Hinzu kommt noch ein Mangel an Bewegung. Dadurch entwickelt sich eine Adipositas-Darm-Mikrobiota, die zu fünf bis zehn Prozent höherer Energieaufnahme führt als eine normale Mikrobiota 9. Interessanterweise bleiben aber 20 bis 30 Prozent der Personen mit einem BMI über 30 dennoch gesund, während der Rest erkrankt, z.b. am Metabolischen Syndrom. Wie lässt sich dieser Widerspruch erklären? Eine Studie, die das untersuchte 10 kam zu dem Schluss: Die gesunden Dicken ernähren sich vielfältig und bleiben in Bewegung. Die Folge: Ihre Mikrobiota ähnelt der von schlanken Menschen mehr als der von den ungesunden Adipösen, die einseitig essen und sich nicht bewegen. Ein früher Indikator für das Metabolische Syndrom ist die Nicht-alkoholische Fettleber (NAFLD). Diese führt zu nicht spürbaren Entzündungen. Auslöser dafür sind Bakterienbestandteile, die in den Körper gelangen. Denn bei Menschen, die übermäßig viel essen, ist die Darmbarriere gestört, erklärt Gastroenterologe Bischoff. Die gute Nachricht ist: Die Darmbarrierestörung lässt sich durch eine deutliche und nachhaltige Gewichtabnahme rückgängig machen, wie wir in einer Studie 11 zeigen konnten. 7 Starving our Microbial Self: The Deleterious Consequences of a Diet Deficient in Microbiota-Accessible Carbohydrates, Cell Metabolism 2014 8 Sonnenburg et al. Nature 2016;529:212-5 9 Tremaroli V, Bäckhed F. Nature. 2012;489:242-9 10 Stefan N, et al. Arch Intern Med. 2008;168:1609-1616 2; Pischon T, et al. N Engl J Med. 2008;359:2105-20 11 Damms-Machado A, et al. Am J Clin Nutr 2017;105:127-135 3

Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED): Etwa ein Prozent der Bevölkerung in den westlichen Industrienationen leidet an Erkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa Tendenz steigend. Eine Studie von Chu 12 konnte zeigen, dass es CEDassoziierte Gene gibt. Menschen mit den Genen ATG16L1 und NOD2 sind geschützt vor einer Erkrankung. Denn bei ihnen können Bacteroides fragilis entzündungshemmende Signale auslösen. Fehlen diese Gene, fehlt auch die bakterielle Entzündungskontrolle. Prof. Bischoff: Aus dieser Erkenntnis könnte sich ein zukünftiges Konzept ergeben etwa durch ein B. fragilis-probiotikum. Mikrobiom und Probiotika Meta-Analysen zeigen, dass ausgewählte Probiotika bei Antibiotika-assoziierter Diarrhö eingesetzt werden können. Außerdem wurden Probiotika in die ärztlichen Leitlinie Obstipation aufgenommen, etwa der Stamm Lactobacillus casei Shirota. Die Reizdarm Leitlinien empfehlen beispielsweise die Stämme Bifidobacterium infantis 35624, Bifidobacterium animalis ssp. lactis DN-173 010 und Lactobacillus casei Shirota beim Schmerz-/Bläh-Typ mit Evidenzklasse B. Damit sind sie eine hervorragende Alternative, denn es gibt kaum Empfehlungen mit Klassifikation A, sagt Prof. Bischoff. Zurzeit werde die Reizdarm Leitlinien überarbeitet. Es sei zu erwarten, dass Probiotika dabei eine noch größere Rolle spielen werden. Beim Reizdarmsyndrom hat sich zudem gezeigt, dass sich beim Bläh-Typ durch eine FODMAP-arme Diät die Mikrobiota günstig verändert 13. FODMAP bedeutet: fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide sowie Polyole. Das alles sind schlecht resorbierbare, kurzkettige Kohlenhydrate, die Symptome wie Blähungen und Diarrhö verursachen können. Wichtig: Die Patienten sollten diese Diät nur unter ärztlicher Aufsicht machen. Zudem ist FODMAP nicht als Dauerdiät geeignet. Bei allem, was man bis heute über das Mikrobiom weiß, wäre auch vorstellbar, dass Probiotika bei Adipositas eingesetzt werden. Eine Meta-Analyse verschiedener Studien zu diesem Thema 14 zeigte jedoch keine signifikanten Effekte. Prof. Bischoff wendet ein: Die Studien wurden mit herkömmlichen Probiotika durchgeführt, die für ganz andere Zwecke entwickelt wurden. Ein positives Ergebnis wäre also ein Glückstreffer gewesen. Deshalb brauchen wir neue Probiotika, die es noch zu entwickeln gilt. Dennoch gibt es erste Pilotstudien, die durchaus auf einen positiven Einfluss von Probiotika auf den Stoffwechsel (metabolische Situation) hinweisen. So zeigte sich beispielsweise: Dass bei einer fettreichen Ernährung durch die Einnahme von Lactobacillus casei Shirota die Sensitivität gegenüber Insulin stabil und somit die Blutzuckerkontrolle erhalten bleibt 15. Dass sich der Nüchternblutzucker durch bestimmte Probiotika senken lässt, wie eine Meta-Analyse zeige 16. Dass probiotischer Joghurt-Verzehr bei Patienten mit einer Nicht-alkoholischen Fettleber die Leberenzyme und das LDL-Cholesterin verbessert 17. 12 Chu et al. Science 2016;352:1116-20 13 Halmos EP, Gut 2015; Staudacher HM, J Nutr 2012 14 Park S, Bae JH. Nutr Res. 2015 Jul;35:566-75 15 Hulston CJ, et al. Br J Nutr 2015 16 Ruan Y, et al. PLoS One. 2015;10:e0132121 17 Nabavi S, et al. J Dairy Sci. 2014;97:7386-93 4

Für Prof. Bischoff sieht eine moderne und nachhaltige Adipositas-Therapie wie folgt aus: Schritt eins: vorübergehende Kalorienreduktion zur schnellen Gewichtabnahme. Schritt zwei: metabolische Ernährungstherapie für den Rest des Lebens, um das gesunde Gewicht zu halten. Diese Ernährung ist zuckerarm, ballaststoffreich und mediterran 18 mit pflanzlichen Ölen, Nüssen, Joghurt und vielen MACs. Womöglich lässt sie sich durch Pro-, Prä- und Synbiotika ergänzen. Allerdings müssen zuvor neue Probiotika entwickelt werden. Erste vielversprechende Ansätze zum Beispiel mit Christensenella minuta seien vorhanden 19 und sollten weiter erforscht werden. Ein weiteres neues, großes Forschungsfeld sind Probiotika-Metabolite. Dabei wird nicht mehr das Bakterium selbst eingesetzt, sondern nur noch Stoffe, die es produziert, sogenannte Supernatants. Studien konnten bislang zum Beispiel positive Effekte von D- Tryptophan in der Asthmatherapie 20 und sterilem Stuhlfiltrat bei Patienten mit C. difficile- Infektionen 21 belegen. Mikrobiom und die Medizin der Zukunft kurz und bündig zusammengefasst: Das Darm-Mikrobiom hat folgende Schlüsselfunktionen beim Menschen: Immunabwehr, Regulation des zentralen Nervensystems (ZNS) und des enterischen Nervensystem (ENS), Adaption an Kälte sowie die Unterstützung der Verdauung. Je größer die bakterielle Vielfalt im Darm ist, desto gesünder ist das Mikrobiom für den Menschen. Ernährung ist der größte Regulator für die Zusammensetzung der Bakterien im Darm. Besonders günstig auf die Diversität wirkt sich eine Diät mit Microbiota-Accessible Carbohydrates oder kurz MACs aus. Das Mikrobiom ist nicht nur der Spiegel dessen, was wir essen. Es könnte auch ein Gedächtnis dafür entwickeln, wie sich die Generationen ernährt haben: Bei einer Low-MAC-Diät geht die bakterielle Artenvielfalt verloren. Dies vererbt sich nicht nur über Generationen, sondern könnte allein durch Ernährungsumstellung nicht mehr reversibel sein. Es gibt Erkrankungen, bei denen Probiotika bereits eingesetzt werden, etwa beim Reizdarmsyndrom, bei Antibiotika-assoziierter Diarrhö und Obstipation. Experten sehen neue Felder zum Einsatz von Probiotika, etwa bei Diabetes- und NAFLD-Patienten. Neue, zukünftige Forschungsansätze bestehen in noch zu entwickelnden Probiotika für den Einsatz bei Adipositas, entzündlichen Darm- und Tumorerkrankungen. Ein weiteres neues, großes Forschungsfeld sind Probiotika-Metabolite. Dabei wird nicht mehr das Bakterium selbst in der Therapie eingesetzt, sondern nur noch Stoffe, die es produziert, sogenannte Supernatants. Yakult Deutschland GmbH Wissenschaftsabteilung Forumstr. 2, 41468 Neuss E-Mail: wissenschaft@yakult.de www.yakult.de/science Diese Information richtet sich an medizinische Fachkreise und darf nicht an Patienten weitergegeben werden. 18 Ryan MC, et al. J Hepatol. 2013;59:138-43 19 Goodrich JK, et al. Cell 2014;159:789 99, Nov 6 20 Kepert I, et al. JACI 2016 Sep 23. pii: S0091-6749(16)31020-X 21 Ott SJ et al. Gastroenterology (2016), published online November 17, 2016, doi:10.1053/j.gastro.2016.11.010. 5