Auswirkungen der abkommensrechtlichen Tie-Breaker- Regel auf die unbeschränkte Steuerpflicht?

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Transkript:

ISR 2017, 155 (Heft 05) StB Dr. Tobias Hagemann, M.Sc., LL.M., Frankfurt/O. Auswirkungen der abkommensrechtlichen Tie-Breaker- Regel auf die unbeschränkte Steuerpflicht? EStG 2002 1 Abs. 1, 1 Abs. 4, 21 Abs. 1; EStG 2009 1 Abs. 1, 1 Abs. 4, 21 Abs. 1; AO 8 1. Ein inländischer Wohnsitz i.s.d. 8 AO führt nicht zur unbeschränkten Steuerpflicht, wenn der Steuerpflichtige nach dem DBA im Ausland als ansässig gilt, weil er dort neben einem weiteren Wohnsitz auch seinen Lebensmittelpunkt unterhält. 2. In diesem Fall unterliegt der Steuerpflichtige nur der beschränkten Steuerpflicht mit seinen inländischen Einkünften. (nicht amtliche Leitsätze) FG Baden-Württemberg Urt. v. 7.10.2015 1 K 2833/12 Das Problem: Für die Besteuerung internationaler Sachverhalte sind das Welteinkommensprinzip einerseits und das Territorialitätsprinzip andererseits wegweisend. Während Ersteres bei Vorliegen eines persönlichen Bezugs (d.h. eines Wohnsitzes i.s.v. 8 AO oder des gewöhnlichen Aufenthalts i.s.v. 9 AO) im Rahmen der unbeschränkten Steuerpflicht ( 1 Abs. 1 Satz 1 EStG) umgesetzt wird (s. auch H 1a Allgemeines EStH: sämtliche inländische und ausländische Einkünfte ), geht Letzteres bei Vorliegen eines sachlichen Bezugspunkts (inländische Einkünfte i.s.v. 49 EStG) i.d.r. mit der beschränkten Steuerpflicht ( 1 Abs. 4 EStG) einher (grundlegend Schaumburg in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. 2017, Rz. 6.2). Stoßen Welteinkommens- und Territorialitätsprinzip aufeinander, droht hieraus die Gefahr internationaler Doppelbesteuerungen. Besonders problematisch in Bezug auf internationale Doppelbesteuerungen sind Fälle der unbeschränkten Steuerpflicht in mehr als einem Staat, weil in nämlichen Fällen regelmäßig beide Staaten nicht nur auf Teile des Einkommens, sondern auf das Welteinkommen zugreifen möchten. Im Besprechungsfall war der Kläger seit 2002 in Rumänien wohnhaft, wo er auch beruflich tätig war. Der Kläger unterhielt in einem seiner inländischen

Vermietungsobjekte eine eigene Wohnung. Ab 2003 gab der Kläger jeweils eine Einkommensteuererklärung für beschränkt Steuerpflichtige ab, in denen er neben Einkünften aus Gewerbebetrieb (Tonstudio) und selbständiger Arbeit (Architekt) auch Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung diverser inländischer Immobilien deklarierte, wobei für einzelne Vermietungsobjekte langjährige Verluste erklärt wurden. Streitbefangen war, inwieweit bezüglich einiger leerstehender Objekte eine Einkünfteerzielungsabsicht gegeben war. Die Entscheidung des Gerichts: Der Rechtsstreit wurde auf eine Einzelrichterin übertragen, die der Klage teilweise stattgab. Vorliegend sollen die diesbezüglichen Ausführungen zum Vorliegen der Einkünfteerzielungsab- ISR 2017, 156 sicht nicht vertieft besprochen werden. Einerseits wurden die Werbungskosten des Klägers erhöht. Andererseits wurde dem Finanzamt darin zugestimmt, die Einkünfteerzielungsabsicht in Bezug auf einzelne Vermietungsobjekte zu verneinen. Zwar werde bei einer auf Dauer angelegten Vermietung die Einkünfteerzielungsabsicht im Regelfall unwiderlegbar vermutet. Im Streitfall lag dagegen teilweise keine Einkünfteerzielungsabsicht vor, weil der Steuerpflichtige aufgrund eintretender Veräußerungsabsicht oder längeren Leerstands keine Vermietungsabsicht (mehr) hatte. Insoweit wurde die Revision ( zutreffend, vgl. Kühnen, EFG 2017, 412) nicht zugelassen. Nach Auffassung der Einzelrichterin war der Kläger lediglich beschränkt steuerpflichtig i.s.v. 1 Abs. 4 EStG i.v.m. 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG. Zwar verfüge er über eine zum dauerhaften Wohnen geeignete Wohnung, weshalb er einen Wohnsitz i.s.d. 8 AO im Inland habe. Entgegen dem in 1 Abs. 1 EStG angelegten Grundsatz der unbeschränkten Steuerpflicht in diesen Fällen habe der Kläger jedoch auch einen Wohnsitz in Rumänien und dort seinen Lebensmittelpunkt. Folglich gelte der Kläger nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. a DBA- Rumänien als in Rumänien ansässig und sei nicht im Inland unbeschränkt steuerpflichtig. Somit seien seine in Rumänien erzielten Einkünfte nicht in die steuerliche Bemessungsgrundlage einzubeziehen. Es könne deshalb dahinstehen, dass im Fall einer unbeschränkten Steuerpflicht des Klägers infolge des Welteinkommensprinzips auch die vom Kläger erzielten Einkünfte aus Kapitalvermögen sowie ggf. seine in Rumänien erzielten Einkünfte in die steuerliche Bemessungsgrundlage einfließen würden. Konsequenzen für die Praxis: Wenngleich die Einzelrichterin die Revision nicht zuließ, weil die Gründe des 115 FGO nicht vorlägen, hat der BFH auf Rechtsmittel der Verwaltung hin die Revision zu der Rechtsfrage zugelassen, ob ein inländischer Wohnsitz auch dann zur unbeschränkten Einkommensteuerpflicht [führt], wenn auch im Ausland ein Wohnsitz unterhalten wird und sich dort der Mittelpunkt der Lebensinteressen befindet (Az. I R 74/16). Die Entscheidung der Einzelrichterin mag zwar aus Sicht des eingehend dargestellten Problems doppelter Zugriffe zweier Staaten im Rahmen des

Welteinkommensprinzips eine wünschenswerte Lösung darstellen. Sie widerspricht aber sowohl der geltenden Rechtslage als auch der BFH-Rechtsprechung (s. z.b. BFH v. 28.1.2004 I R 56/02, BFH/NV 2004, 917 m.w.n.) und wird daher vom I. Senat aufgehoben werden. Ausgangspunkt der Auslegung ist der Wortlaut einer Vorschrift. Mit dem Wortlaut von 1 EStG lässt sich die Entscheidung nicht vereinbaren. Denn grammatikalisch knüpft die unbeschränkte Steuerpflicht gem. 1 Abs. 1 EStG an einen Wohnsitz an und geht somit anders als in Bezug auf den gewöhnlichen Aufenthalt ( ihren, vgl. auch Tiede in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 1 EStG Rz. 73 [Stand: Juni 2016]) von der Möglichkeit weiterer Wohnsitze aus, ohne diesbezügliche Einschränkungen der Rechtsfolge für die unbeschränkte Steuerpflicht erkennen zu lassen (BFH v. 28.1.2004 I R 56/02, BFH/NV 2004, 917). Gleichzeitig erfasst die beschränkte Steuerpflicht nach 1 Abs. 4 EStG nur [n]atürliche Personen, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Da der Kläger einen Wohnsitz i.s.v. 8 AO im Inland unterhielt, konnte er folglich entgegen der Entscheidung nur als unbeschränkt Steuerpflichtiger, nicht aber als beschränkt Steuerpflichtiger qualifizieren (zutreffend Kühnen, EFG 2017, 412). Das Abkommensrecht kann die Entscheidung nicht stützen, sondern steht ihr ebenfalls entgegen. Dies ergibt sich aus der Zugehörigkeit des Begriffs Ansässigkeit zum Abkommensrecht, das als eigener Rechtskreis mit eigenen Begrifflichkeiten neben dem innerstaatlichen Recht steht (Gosch, ISR 2013, 87). Die unbeschränkte Steuerpflicht ist dagegen ein rein innerstaatlicher Rechtsbegriff (Wassermeyer/Kaeser in Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 4 OECD-MA Rz. 2 [Stand: Oktober 2013]). Ferner ergibt sich dies aus dem Zweck der DBA, lediglich festzulegen, in welchem Umfang die nach innerstaatlichem Recht bestehende Steuerpflicht entfallen soll (BFH v. 20.7.2016 I R 50/15, ISR 2016, 424 m. Anm. Kahlenberg). Dies wird durch die sog. Schrankenwirkung des Abkommensrechts erreicht, deren Ausmaß sich an der sachlich-wirtschaftlichen Verbindung zu einem Staat orientiert (Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. 2017, Rz. 19.5). Die Tie-Breaker-Rule zur Bestimmung des maßgeblichen Ansässigkeitsstaats verfolgt den Zweck, die Verteilungsnormen zweifelsfrei anwenden zu können, indem die Ansässigkeit einem Staat zugewiesen wird (Wilke in Gosch/Kroppen/Grotherr, DBA, Art. 4 OECD-MA Rz. 38; Tumpel in Aigner/Kofler/Tumpel, DBA, 2017, Art. 4 OECD-MA Rz. 26). Zwar ist es abkommensrechtlich zulässig, wenn Staaten nach innerstaatlichem Recht Steuerpflichtige wie Steuerausländer behandeln, sofern diese nach dem DBA als im anderen Staat ansässig gelten (Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Art. 4 OECD-MA Rz. 32). Allerdings ergibt sich diese Rechtsfolge nicht bereits durch Auslegung des DBA. Denn wenn nach der in der Tie-Breaker-Rule angelegten Fiktion (s. Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Kempermann, DBA-Schweiz, Art. 4 Rz. 24 [Stand: Oktober 2004]) nur ein Staat als Ansässigkeitsstaat gilt, ändert dies nichts daran, dass auch der andere Staat weiterhin nach Art. 4 Abs. 1 OECD- MA Ansässigkeitsstaat ist. Da Letzteres eine unbeschränkte Steuerpflicht nach nationalem Recht voraussetzt (Tumpel in Aigner/Kofler/Tumpel, DBA, 2017, Art. 4

OECD-MA Rz. 7), kann (und muss) die Tie-Breaker-Rule nicht dazu führen, einen Steuerpflichtigen als nicht mehr unbeschränkt steuerpflichtig anzusehen. Die abkommensrechtliche Ansässigkeit selbst lässt die (persönliche) unbeschränkte Steuerpflicht unberührt (Wilke in Gosch/Kroppen/Grotherr, DBA, Art. 4 OECD-MA Rz. 38). Für eine andere Handhabe ist eine konkrete (innerstaatliche) Regelung erforderlich. Da es im innerstaatlichen Recht keine entsprechende Regelung gibt, bleibt es auch im Fall der Doppelansässigkeit bei der unbeschränkten Steuerpflicht. ISR 2017, 157 Dieses Ergebnis wird durch jüngere BFH-Rechtsprechung gestützt. In dem Beschl. v. 25.5.2016 (BFH, Beschl. v. 25.5.2016 I B 139/11, BFH/NV 2016, 1453, Tz. 12) führt der I. Senat aus: An der unbeschränkten Steuerpflicht nach 1 Abs. 1 Satz 1 EStG i.v.m. 8 AO ändert sich auch nichts, wenn man [...] davon ausgeht, dass der Kläger mehrere Wohnsitze hatte und sich der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen im Streitjahr nicht in Deutschland, sondern in China befunden hat. Folglich bejahte der BFH auch eine Anwendung des nur unbeschränkt Steuerpflichtige betreffenden 50d Abs. 8 Satz 1 EStG, wenn der Steuerpflichtige nach der Tie-Breaker-Rule als im anderen Staat als ansässig gilt (vgl. auch Cloer/Hagemann in Bordewin/Brandt, 50d EStG Rz. 270 [Stand: Januar 2016]). Die unbeschränkte Steuerpflicht hängt folglich nicht von der abkommensrechtlichen Ansässigkeit ab. Beraterhinweis: Die Entscheidung betrifft lediglich die Auslegung des innerstaatlichen Rechts im Zwei-Staaten-Sachverhalt. Möglicherweise wäre die Einzelrichterin zu einer anderen Entscheidung gelangt, wenn nach einem anderen DBA Deutschland aufgrund des dortigen Wohnsitzes der Ansässigkeitsstaat gewesen wäre. Da der BFH die Entscheidung vermutlich aufheben wird, braucht dieser Frage zwar nicht weiter nachgegangen zu werden. Eine ähnliche Rechtsfrage namentlich: Welchen Einfluss hat die Tie-Breaker-Regelung eines DBA auf andere DBA lässt sich aber im reinen DBA-Kontakt kontrovers diskutieren. Seit der Änderung in 2008 lautet Tz. 8.2 des OECD-MK zu Art. 4 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA: According to its wording and spirit the second sentence also excludes from the definition of a resident of a Contracting State [...] companies and other persons who are not subject to comprehensive liability to tax in a Contracting State because these persons, whilst being residents of that State under that State s tax law, are considered to be residents of another State pursuant to a treaty between these two States. Folglich soll eine DBA-Ansässigkeit nach Art. 4 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA in einem Staat ausgeschlossen sein, wenn nach einem anderen DBA ein anderer Staat als Ansässigkeitsstaat gilt. Der BFH hat indes auch in einem solchen Fall eine abkommensübergreifende Wirkung der Tie-Breaker-Regelung verneint (BFH v. 4.11.2014 I R 19/13, ISR 2015, 178 m. Anm. Kempermann). Wenngleich das diesem Urteil zugrunde liegende DBA-Frankreich noch keine Art. 4 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA entsprechende Regelung enthält, scheint der BFH die Rechtsauffassung der OECD nicht zu teilen (Gosch, IWB 2015, 112 [113 f.]; M. Lang, SWI 2015, 198 [199 f.]). Tie-Breaker-Regelungen wirken somit nur

zwischen den beteiligten Vertragsstaaten (Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Art. 4 OECD-MA Rz. 20; im Ergebnis auch Frotscher in Haase, AStG/DBA, 3. Aufl. 2016, Art. 4 OECD-MA Rz. 9). Dagegen ergeben sich aus der Anwendung einer Tie-Breaker-Regelung weder Rückschlüsse auf das innerstaatliche Recht noch auf andere Abkommen. Parallelfundstelle(n): EFG 2017, 411 Verlag Dr. Otto Schmidt KG