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Transkript:

http://www.selbsthilfe-be.ch/shbe/de.html Vernetzungstreffen und Mitgliederversammlung am Dienstag, 21. März 2017 um 18 Uhr 00 in Bern, Hotel Bern, Zeughausgasse 9 Eine tragende Säule im Gesundheitswesen? Herr Präsident [Dr. iur. Gian Sandro Genna] Frau Geschäftsleiterin [Corinne Affolter Krebs] Liebe Mitglieder der Beratungszentren Meine Damen und Herren Zuallererst besten Dank für Ihre freundliche Einladung, an Ihrer heutigen Versammlung teilzunehmen. Als politisch Verantwortlicher, der seit neun Monaten im Regierungsrat mitarbeitet, ist es mir ein grosses Anliegen, auch mit Ihnen gute Beziehungen zu pflegen. Zudem ist es für mich eine willkommene Gelegenheit, im direkten Austausch einiges zu den Hintergründen der Selbsthilfe zu erfahren. Denn diesen Zweig, man darf wohl auch sagen: diese Säule des Gesundheitswesens kenne ich bisher nur flüchtig, das gebe ich gerne zu. Umso wichtiger ist es für mich, am heutigen Abend von Ihnen zu hören, mit welchen Schwierigkeiten Sie konfrontiert sind, wo Sie Probleme orten, was Sie von der Politik erwarten. Ich werde Ihnen also nicht erklären, was aus Sicht der Regierung zu tun wäre. Hingegen werde ich versuchen, Ihnen meine Analyse der Ausgangslage sowie meine Absichten zu erläutern. Liebe Anwesende, vielleicht haben Sie sich auch schon gefragt: Was unternimmt ein neuer Gesundheits- und

S e i t e 2 Fürsorgedirektor, der mitten in der laufenden Legislatur einsteigt und zahlreiche laufende Projekte übernimmt? Wesentlich für mich in diesen ersten Monaten war und ist weiterhin eine umfassende Standortbestimmung: Die Bevölkerung erwartet viel von uns, und ich spüre in aller Deutlichkeit, dass viele Partner der Gesundheits- und Fürsorgedirektion eine Art Neuanfang herbeisehnen. Diese Erwartungshaltung ist nicht als Zeichen eines Misstrauens gegenüber der GEF zu werten. Ich habe mich bei der Einarbeitung in die vielseitigen Geschäfte meiner Direktion, bei der Analyse der zahlreichen offenen Baustellen davon überzeugen können, dass meine Kader und unsere Mitarbeitenden sich beherzt einsetzen: pflichtbewusst, motiviert und kompetent. Gleichzeitig habe ich grundlegende Defizite feststellen müssen, die mich erstaunt und auch gewisse Sorgen bei mir ausgelöst haben: Die Prozesse sind oft aufwendig, kompliziert und häufig nicht digitalisiert. Die Auflagen an die Leistungserbringer sind meistens zu hoch. Die Ziele des staatlichen Handelns sind zu wenig klar und messbar. Und: Die Zusammenarbeit ist auf allen Ebenen verbesserungsfähig. Ich bin mir sicher, dass es hier ein grosses Verbesserungspotenzial gibt, dass die GEF effizienter arbeiten kann, und es wird eine meiner prioritären Zielsetzungen sein, unsere Arbeitsprozesse zu optimieren und zu beschleunigen.

S e i t e 3 Dafür brauche ich jedoch ein wenig Zeit, das werden Sie verstehen. * * * * * * * Meine Damen und Herren, ich habe seit dem letzten Sommer auch viele Institutionen, Unternehmen und andere Partner des Gesundheitswesens besucht. Ein jedes Mal spüre ich dabei das dringende Anliegen, von mir zu erfahren, was ich für die Zukunft vorhabe. Wo, Herr Regierungsrat, sehen Sie die dringendsten Probleme, und was gedenken Sie zu unternehmen, um diese Probleme zu lösen? Im Rahmen des Referates, das ich hier halten darf, kann ich natürlich nur ansatzweise Antwort auf diese Fragen geben. Ich versuche trotzdem, Ihnen in groben Zügen die Herausforderungen zu schildern, die wir anpacken müssen und zwar gemeinsam anpacken, das möchte ich unterstrichen haben: Die Lösungen werden nicht nur aus dem Rathaus kommen, sie erwachsen auch aus dem intensiven Dialog zwischen der Politik und den Akteuren vor Ort. Das erste Kernproblem sind die Finanzen. Der Druck auf das kantonale Budget wird in den nächsten Jahren weiter zunehmen. Um Massnahmen für eine bessere Steuerung der öffentlichen Ausgaben kommen wir nicht herum. Bessere Steuerung heisst dabei nicht zwingend Ausgabenkürzungen und Einsparungen, so unvermeidlich einige solche auch sein werden.

S e i t e 4 Sondern es geht darum, das Geld noch gezielter auszugeben: im Bemühen darum, mit den Ressourcen, die nicht wachsen werden, einen grösseren Effekt zu erzielen. Das ist genau das, geschätzter Herr Präsident 1, was auch auf Ihre Organisation zukommt. Gegenwärtig besteht kein Spielraum, der es erlauben würde, den Finanzbeitrag an Selbsthilfezentren Bern im Rahmen der Leistungsvereinbarung mit dem Alters- und Behindertenamt der GEF zu erhöhen. Die zweite Knacknuss ist der drohende Personalmangel, ganz besonders im Gesundheitssektor. Die jüngsten Rechenszenarien weisen für das Jahr 2030 auf nationaler Ebene einen Bedarf von 244 000 Pflegenden aus, was gegenüber dem Personalbestand von 2014 einer Steigerung von 36% entspricht. Die Indikatoren zeigen uns, dass wir es vorderhand höchstens schaffen, etwas mehr als die Hälfte des zusätzlich benötigten Personals auszubilden, obwohl in dieser Beziehung seit einigen Jahren enorme Anstrengungen unternommen wurden. Unser Gesundheitssystem bleibt also in hohem Mass auf Immigration angewiesen; zugezogene Fachkräfte stopfen die Lücken auf dem heimischen Arbeitsmarkt. Aber niemand vermag zu sagen, wie lange dieser Rückgriff auf ausländische Arbeitskraft noch funktionieren wird. Mit einiger Wahrscheinlichkeit werden wir schon in 15 Jahren mit einem gravierenden Mangel an qualifiziertem 1 Ndlr: Il te faut savoir que le président, dans le rapport d activités 2015, a écrit : «Avec la démission du conseiller d Etat Philippe Perrenoud, au printemps, c est le «père» et protecteur de notre organisation qui s en va. Il s est engagé à fond pour notre contrat de prestations. Avec son/sa successeur-euse, nous espérons gagner de même un parrain / une marraine convaincu-e des avantages et de l utilité de l entraide autogérée.»

S e i t e 5 Personal konfrontiert sein. 2030 scheint weit weg, aber fürs Gesundheitswesen heisst in 15 Jahren übermorgen. Ohne radikale Rationalisierungsmassnahmen wird es hier nicht gehen. Die dritte grosse Herausforderung ist die demografische Alterung. Keine Angst, ich werde Sie nicht mit Zahlen überschütten, sondern einfach diese eine Feststellung machen: Die Zahl der hochbetagten Menschen, die spezifische Pflegebedürfnisse haben und vielfach Hilfe bei den alltäglichen Verrichtungen benötigen, wird steigen und steigen. Umgekehrt, und das ist natürlich ein sehr positiver Faktor, werden wir auch immer mehr alte Menschen unter uns haben, die sich bester Gesundheit erfreuen, mehrheitlich nichts von ihren früheren Fähigkeiten eingebüsst haben und über viel Zeit verfügen. Für den Bereich, der uns heute speziell interessiert, ziehe ich daraus den folgenden Schluss: Die Weiterentwicklung der Freiwilligenarbeit muss im nächsten Jahrzehnt in erster Linie auf die frisch Pensionierten und jene abzielen, die dabei sind, sich auf den Ruhestand vorzubereiten. Wenn diese sich in grosser Zahl für ein institutionelles Engagement gewinnen lassen nebst dem, was sie an informellem Freiwilligeneinsatz leisten, dann werden wir den Druck, der auf dem Gesundheitssystem lastet, verringern und die Kostensteigerung bremsen können. Werte Frau Geschäftsführerin, liebe Mitglieder der Beratungszentren, genau bei diesem letzten Punkt beim informellen Freiwilligeneinsatz hat Ihr Verband eine wichtige Rolle zu spielen, wage ich zu behaupten.

S e i t e 6 * * * * * * * Liebe Anwesende, die gemeinschaftliche Selbsthilfe ist sinnvoll, das wird niemand bestreiten wollen. Wer chronisch krank ist, mit einer Behinderung zu leben hat oder unter anderen Belastungen oder Beeinträchtigungen leidet, ist häufig eingeschränkt, im Alltag, im Beruf. Eingeschränkt durch die Beeinträchtigung selber oft aber genauso durch die damit verbundenen Unsicherheiten und Ängste und vielleicht auch durch Gefühle der Hilflosigkeit und des Alleinseins. Menschen kommen in der Regel umso besser zurecht mit ihrer Krankheit, Behinderung oder anderweitigen Belastung, je mehr sie darüber wissen. Dieses Wissen umfasst medizinische, psychologische oder andere Kenntnisse, vermittelt durch Fachpersonen wie Ärzte, Psychologinnen, Therapeuten, Sozialarbeitende, usw. Genauso wichtig sind jedoch eigene Erfahrungen und die Erfahrungen von anderen. Durch den Austausch untereinander können Betroffene sich gegenseitig unterstützen. Niemand weiss es besser als Sie hier in diesem Saal: Selbsthilfegruppen schaffen einerseits ein Zusammengehörigkeitsgefühl, sie tragen aber auch dazu bei, das Wissen über bestimmte Krankheiten zu erweitern. Davon profitieren einerseits die Betroffenen selbst, andererseits aber auch das medizinisch-therapeutische Fachpersonal. Die Selbsthilfe leistet so einen nicht zu unterschätzenden Beitrag dazu, dass wir einerseits Krankheiten besser ver-

S e i t e 7 stehen und besser behandeln können und dass anderseits Beeinträchtigungen weniger stark ins Gewicht fallen. All dies wissen Sie sehr wohl. Was hingegen weder Sie noch meine Direktion wissen, ist, inwieweit dies Wirkung entfaltet der Stellenwert der Selbsthilfe in quantitativer Hinsicht ist eine unbekannte Grösse. Auch wenn ich mich bisher noch nicht in der notwendigen Tiefe mit der Selbsthilfe auseinandersetzen konnte, habe ich hinsichtlich ihrer realen Wirksamkeit gewisse Zweifel zumindest setze ich einige Fragezeichen. Ich glaube auch nicht, dass die Selbsthilfe als solche einen Beitrag zur Senkung der Gesundheitskosten leistet beziehungsweise leisten würde, sollte sie durch die Behörden stärker unterstützt werden. Frau Nationalrätin Maja Ingold meint es mit ihrem entsprechenden Vorstoss 2 selbstverständlich gut, aber seien wir realistisch. Wie werden, allein schon aufgrund des rasanten technologischen Fortschritts in der Medizin und der kontinuierlichen Alterung der Bevölkerung, die Gesundheitskosten nicht senken können. Denkbar ist eine deutliche Kostensenkung fast nur unter Umständen, die sich niemand wünscht: als Symptom einer schlimmen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise. Das Gesundheitswesen gehört in der Schweiz zu den gewichtigsten Wirtschaftszweigen: Jede und jeder zwölfte Beschäftigte arbeitet, alle Kategorien zusammenge- 2 Siehe: Maja Ingold, Motion «Gesundheitskosten durch Hilfe zur Selbsthilfe senken» https://www.parlament.ch/fr/ratsbetrieb/suche-curiavista/geschaeft?affairid=20163709

S e i t e 8 nommen, in diesem Bereich. Einzig die Bauwirtschaft und der Detailhandel überflügeln ihn in der Arbeitsplatzstatistik. Wir geben für unsere Gesundheit einen Betrag aus, der 11% des Bruttoinlandprodukts entspricht mehr als 65 Milliarden Franken pro Jahr. Unser System ist zweifellos leistungsfähig, und es trägt zum allgemeinen Wohlstand bei. Aber man könnte, davon bin ich überzeugt, noch mehr herausholen, was eben nicht heissen muss, noch mehr Gelder auszugeben. Es ist wohl so, dass wir die Gesundheitskosten bestenfalls stabilisieren können wie, diskutieren wir vielleicht später, schon dies ist eine riesige Herausforderung. Mittelfristig ist dies allerdings schlicht und einfach eine Notwendigkeit. Oder kann sich jemand ernsthaft vorstellen, dass unsere Gesellschaft in zwanzig Jahren einen Fünftel ihres Bruttoinlandprodukts allein für die Gesundheitsausgaben opfern mag? * * * * * * * Liebe Anwesende, selbstverständlich dürfen Sie stolz sein auf das, was Sie in den letzten Jahren erreicht haben. Die Eckwerte sind uns bekannt: im Schnitt mehr als tausend Personen pro Jahr, die sich an eines der Beratungszentren wenden. Ungefähr die Hälfte davon findet Anschluss an eine Selbsthilfegruppe. Und rund 250 Gruppen auf Kantonsgebiet. Gesamtschweizerisch sind es in etwa 2300 Selbsthilfegruppen mit rund 43 000 Teilnehmenden.

S e i t e 9 Eine Bilanz, die sich sehen lässt, das anerkenne ich gerne. Unser Kanton wird Ihre Bestrebungen in diesem Jahr mit einem Unterstützungsbeitrag von maximal 700 000 Franken fördern. Und: Die öffentliche Hand finanziert die Selbsthilfe Bern zu 95%, fast 87% entfallen auf den Kanton Bern. Diese paar Zahlen werfen nun doch die eine oder andere grundlegende Frage auf. Warum bekommt die Selbsthilfe heute längst noch nicht die Aufmerksamkeit, die ihr angesichts ihres Stellenwerts für die betroffenen Menschen eigentlich gebührt? Muss der Kanton wirklich rund 700 Franken pro Konsultation in einem Ihrer Beratungszentren beisteuern? Machen Sie oder machen wir als Partner etwas nicht richtig oder nicht gut genug? Die Selbsthilfetätigkeiten sind heute noch ein sehr marginaler Faktor gemessen an der Bevölkerungszahl von einer Million Einwohnerinnen und Einwohner oder am kantonalen Budget für Gesundheit und Fürsorge, das sich auf annähernd 2,2 Milliarden Franken beläuft. Noch eine andere Vergleichszahl: In unserem Kanton gibt es für Menschen mit einer Behinderung, die intensive Pflege brauchen: für sie gibt es ungefähr zehntausend Plätze in spezialisierten Institutionen, was etwa 5800 Vollzeitäquivalenten Pflegestellen entspricht. Wer genau hinschaut, wird nüchtern den Schluss ziehen, dass das niederschwellige Angebot der Selbsthilfe zwar sinnvoll ist, jedoch keine echt tragende Säule im Gesundheitssystem darstellt oder, weniger hart formuliert: nur eine ganz dünne tragende Säule.

S e i t e 10 Sind Sie anderer Ansicht? Ich hoffe, Sie schätzen es, wenn ich ehrlich bin, und glauben mir, dass ich nicht etwa die Qualität Ihres Einsatzes in Frage stellen will. Sie haben es, das ist mir bewusst, nicht einfach: Die schwach ausgebildete Präventionskultur in unserem Gesundheitssystem hemmt die Selbsthilfe in ihrer Entfaltung. Wir leben in einer Gesellschaft, die eine in der ganzen Menschheitsgeschichte einzigartige Versorgungsqualität erreicht hat, mit ständigen technischen Fortschritten und einer Vervielfachung spezialisierter Behandlungsangebote für alle möglichen Krankheitsbilder. Vielleicht könnten wir die Qualität des Ganzen verbessern, wenn wir mehr Mittel in die Präventionsarbeit stecken würden. Vielleicht auch da bin ich mir nicht so sicher. Wissen Sie, es stimmt mich doch relativ skeptisch, wenn ich von den Akteuren im Gesundheitswesen übrigens auch im Sozialwesen immer und immer wieder zu hören bekomme: «Wir könnten bessere Resultate erzielen, würden wir nur über mehr Ressourcen verfügen.» So einfach ist es nicht. Ich würde die Lage und die Probleme eher so umreissen: Die Tätigkeiten der gemeinschaftlichen Selbsthilfe entsprechen einem Bedürfnis von vielen Menschen, die mit einer Krankheit oder einer Behinderung konfrontiert sind. Es bleibt indessen das Bedürfnis einer Minderheit. Die Selbsthilfegruppen funktionieren gut und weisen ein echtes Entwicklungspotenzial auf, es

S e i t e 11 ist aber bisher keine Eigendynamik entstanden: ohne externe Subventionierung drohen die Organisationen zu kollabieren. Das Ganze spielt sich noch zu sehr am Rand ab, um den Gang der Dinge im Gesundheits- und im Sozialsystem wesentlich zu beeinflussen. * * * * * * * Liebe Anwesende, wird die Bedeutung der Selbsthilfe in den kommenden Jahren weiter zunehmen? Wird sie bald wirklich zu den tragenden Säulen des Gesundheits- und Sozialsystems zählen? Ehrlich gesagt, ich weiss es nicht. Aber ich möchte es nicht unterlassen, drei mögliche Wege zu skizzieren, die mir vielversprechend erscheinen, bevor ich zum Schluss komme und wir das Ganze im Dialog miteinander vertiefen. Die Öffentlichkeitsarbeit müsste verstärkt werden. Als ich mich auf unser Treffen von heute vorbereitete, stellte ich mit Erstaunen fest, dass Ihr Verein in den Sozialen Netzen wie zum Beispiel Facebook sehr wenig präsent ist. Es muss die finanzielle Unabhängigkeit der Organisationen gefördert werden, welche die Selbsthilfegruppen stützen. Sie zählen dabei zu sehr auf Staatshilfe. Natürlich hat die öffentliche Hand eine Mit-Verantwortung, und es ist richtig, dass sie Beiträge leistet, zumindest in einer Anfangsphase. Eine zu starke Subventionsabhängigkeit aber ist gefährlich.

S e i t e 12 Es wäre sicher gut, wenn eine Allianz mit den Berufsfachleuten im Gesundheitswesen angestrebt würde, denn viele von ihnen stehen der Selbsthilfebewegung sehr positiv gegenüber, begegnen ihr im Berufsalltag aber selten bis nie. Schliesslich sollte der Kontakt mit der Politik aktiv gesucht werden. Es ist guter Anfang, dass wir uns heute begegnen, aber auch kantonale Parlamentarier und Gemeindepolitikerinnen müssen sensibilisiert und informiert werden. * * * * * * * Zum Schluss gestatten Sie mir bestimmt, dass ich mich kurz noch auf Französisch an Sie wende. Mesdames et Messieurs, vous l aurez compris, j éprouve beaucoup de respect pour la qualité du travail mené par votre association. Soyez toutes et tous remerciés de votre engagement! L entraide autogérée est une belle idée. Elle est aussi un soutien effectif à des personnes confrontées à une situation difficile, du fait d une atteinte à leur santé, d un handicap ou d un autre trouble affectant leur qualité de vie. Dans le système de santé, l entraide autogérée ne joue qu un rôle marginal, les grands enjeux sont ailleurs. Il ne faut pas lui demander d atteindre des objectifs irréalistes. Prétendre qu elle pourrait contribuer à une baisse des coûts de la santé, c est entretenir une illusion. Par contre, l entraide autogérée contribue à l amélioration des performances du système de santé, principalement

S e i t e 13 en soutenant des patients de manière ciblée, conforme à leurs besoins, dans une démarche dont ils sont euxmêmes responsables ça, c est très bien. Si j ai ce soir exprimé l un ou l autre doute, posé des questions aussi, c est parce que je crois que c est de ma responsabilité. Les pratiques doivent être interrogées, nous devons en permanence nous demander ce qui peut être amélioré, dans un partenariat constructif, certes, mais où la critique a sa place. Et si je suis volontiers venu à votre rencontre ce soir, c est aussi pour vous entendre, avec vos attentes à l égard de ma direction, vos critiques face à la direction politique de la santé publique, vos espérances pour l avenir. Dans cet esprit, je vous remercie autant de votre accueil que de votre attention et je me réjouis de l échange entre nous qui va suivre. Puissiez-vous conserver intacte votre motivation et persévérer dans votre engagement c est ce que je vous souhaite et vous pouvez compter sur mes encouragements aussi bien que sur ma disponibilité. * * * * * * *