Forum B Schwerbehindertenrecht und betriebliches Gesundheitsmanagement Diskussionsbeitrag Nr. 4/2009

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A. Klagemuster Bund. Ihr Zeichen, Ihre Nachricht vom Unser Zeichen, unsere Nachricht vom Telefon, Name Datum. K l a g e

Transkript:

Diskussionsforum Teilhabe und Prävention Herausgegeben von: Dr. Alexander Gagel & Dr. Hans-Martin Schian in Kooperation mit: Prof. Dr. Wolfhard Kohte Prof. Dr. Ulrich Preis Prof. Dr. Felix Welti Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Institut für Deutsches und Europäisches Sozialrecht, Universität zu Köln Hochschule Neubrandenburg Forum B Schwerbehindertenrecht und betriebliches Gesundheitsmanagement Diskussionsbeitrag Nr. 4/2009 Januar 2009 Benachteiligung wegen Behinderung Diskriminierungsverbot vor Inkrafttreten des AGG Anmerkung zur Entscheidung: BAG vom 3.4.2007, Az.: 9 AZR 823/06 von Nadja Suhre (wiss. Mitarbeiterin am Institut für Deutsches und Europäisches Arbeits- und Sozialrecht der Universität zu Köln, Prof. Dr. Ulrich Preis) Wesentliche Thesen: 1. 81 Abs. 2 SGB IX a.f. steht im Widerspruch zur Richtlinie 78/2000/EG und setzt diese nur unvollständig um. 2. Im Verhältnis zu staatlichen Einrichtungen im Sinne der Rechtsprechung des EuGH findet die Richtlinie unmittelbare Anwendung. 3. Die Form der Sanktionierung des Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot der Richtlinie ist anhand des nationalen Rechts zu ermitteln. Wegen der Regelungen in 81 Abs. 2 SGB IX a.f. und in 611a BGB a.f. ist auf eine Schadensersatzpflicht zu erkennen. Dr. Alexander Gagel Anja Hillmann Dr. Hans-Martin Schian Wir möchten Sie auch auf die Sammlung aller bisher erschienenen Diskussionsbeiträge im Internet unter www.iqpr.de aufmerksam machen und Sie herzlich einladen sich an der Diskussion durch eigene Beiträge und Stellungnahmen zu beteiligen.

I. Der Fall Institut für Qualitätssicherung in Prävention und Rehabilitation GmbH Die Parteien streiten um die Zahlung einer Entschädigung wegen Benachteiligung einer behinderten Bewerberin bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses. Die Klägerin leidet an einer schweren Neurodermitis, die auch zur Einschränkung der körperlichen Beweglichkeit geführt hat (GdB von 40). Einen Antrag auf Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen hat die Klägerin nicht gestellt. Sie bewarb sich im Oktober 2003 bei dem beklagten Land um die Einstellung für den Bereich Parkraumbewirtschaftung (u.a. Überwachung). Sie erhielt nach Durchführung einer ärztlichen Untersuchung im April 2004 die Mitteilung, dass eine Einstellung nicht erfolgen könne, da sie gesundheitlich für die in Aussicht genommene Aufgabe nicht geeignet sei. Ein Antrag auf Entschädigung wegen Diskriminierung wurde abgelehnt. Mit der Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie stützt sich auf die Richtlinie 2000/78/EG. In erster Instanz obsiegte die Klägerin, das Urteil wurde aber in der Berufungsinstanz aufgehoben. II. Die Entscheidung Auf die Revision der Klägerin hob das BAG das Berufungsurteil auf und verwies die Sache wegen zu klärender Tatsachenfragen zur Entscheidung an das Berufungsgericht zurück. Dabei gelangt es zu dem Ergebnis, dass der Klägerin trotz fehlender Schwerbehinderung oder Gleichstellung ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Diskriminierung aus 81 Abs. 2 S. 1 SGB IX a.f. zustehen könne. Denn die Regelung stelle keine gemeinschaftsrechtskonforme Umsetzung der Richtlinie 2000/78/EG dar, weil sie sonstige behinderte Menschen unberücksichtigt lasse. Auf Abs. 18 der Erwägungen zu der Richtlinie mit Sonderregelungen für die Polizei könne sich das beklagte Land nicht mit Erfolg berufen. Insoweit sei bereits fraglich, ob die Parkraumbewirtschaftung hierunter subsumiert werden könne, ferner sei auch der Bereich der Polizei nicht grundsätzlich vom Verbot der Diskriminierung befreit. Nach Auffassung des BAG habe die unzureichende Umsetzung der Richtlinie zur Folge, dass die nicht gemeinschaftskonforme Beschränkung der Entschädigung auf schwerbehinderte Menschen und Gleichgestellte nicht anzuwenden sei. Jedenfalls im Verhältnis zu staatlichen Einrichtungen im Sinne der Rechtsprechung des EuGH sei die Richtlinie unmittelbar anzuwenden. Das Berufungsgericht habe zu prüfen, ob wie die Beklagte meint der Klägerin eine bestimmte körperliche Funktion fehle, die wesentliche und entscheidende berufliche Voraussetzung für die Tätigkeit in der Parkraumbewirtschaftung sei. Dies habe die Beklagte darzulegen und ggf. zu beweisen. Zu beachten sei, dass das Interesse des Arbeitgebers, Arbeitsunfähigkeitszeiten gering zu halten, noch keine berufliche Anforderung darstelle. III. Anmerkung Das Berufungsgericht hat im Anschluss an die Entscheidung des BAG die Berufung zurückgewiesen, so dass die Klage im Ergebnis Erfolg hatte und das Land zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 12.000 nebst Zinsen verurteilt wurde. Diskussionsforum Teilhabe und Prävention, Forum B, Beitrag 4-2009 2

IV. Würdigung/Kritik: Der Entscheidung des BAG ist im Ergebnis zuzustimmen, wenn auch die Entscheidungsgründe nicht vollständig zu überzeugen vermögen. Zunächst einmal ist in Übereinstimmung mit dem BAG festzustellen, dass 81 Abs. 2 SGB IX in Widerspruch zur Rahmenrichtlinie 200/78/EG zur Verwirklichung von Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf vom 27. November 2000 steht und die Richtlinie somit defizitär umgesetzt wurde. Art. 2 i.v.m. Art. 1 der Richtlinie verbietet allgemein - die unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen einer Behinderung. Der Begriff der Behinderung wird dabei durch die Richtlinie nicht definiert. Dennoch ist die Begriffsausfüllung nicht den Mitgliedsstaaten überlassen, sondern autonom und einheitlich am Gemeinschaftsrecht selbst zu entwickeln (EuGH vom 11.07.2006 Rs. 13/05 AP Nr. 3 zu RL 2000/78/EG, Rn. 40). Dies ergibt sich schon daraus, dass nur bei einer europaweiten einheitlichen Auslegung der Zweck der Richtlinie - also die Schaffung eines verbindlichen Rahmens für den Schutz vor Benachteiligungen - erreicht und der Richtlinie nur so zu größtmöglicher Wirksamkeit verholfen werden kann (Ausprägung des Grundsatzes Effet utile ). Dabei hat die Auslegung unter Berücksichtigung des Zusammenhangs der Vorschrift und des mit der jeweiligen Regelung verfolgten Zieles zu erfolgen. Daher ist nach der Rechtsprechung des EuGH der Begriff der Behinderung im Sinne der Richtlinie so zu verstehen, dass er eine Einschränkung bezeichnet, die insbesondere auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist und die ein Hindernis für die Teilhabe des Betroffenen am Berufsleben bildet. In Abgrenzung zu einer Krankheit muss für die Einschränkung, damit sie unter den Begriff Behinderung fällt, wahrscheinlich sein, dass sie von langer Dauer ist (EuGH vom 11.07.2006 Rs. C-13/05 Navas AP Nr. 3 zu RL 2000/78/EG, Rn. 43 ff.). Eine dementsprechende Definition des Begriffs der Behinderung wird auch durch das SGB IX in 2 Abs. 1 gewählt. Eine Einschränkung oder Differenzierung im Hinblick auf die Intensität also einfache Behinderung oder Schwerbehinderung ist der Richtlinie nicht zu entnehmen. Vielmehr lässt auch der in Art. 1 festgelegte Zweck der Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung u.a. wegen einer Behinderung auf einen umfassenden Schutz aller Menschen mit Behinderungen unabhängig vom Grad der Behinderung schließen. Die Vorschrift des 81 Abs. 2 SGB IX, die Menschen mit einfacher Behinderung aus dem Schutzbereich ausklammert, steht insoweit also im Widerspruch zur Richtlinie. Nun stellt sich die Frage, wie hinsichtlich dieser defizitären Umsetzung der Richtlinie nun weiter zu verfahren ist. Die Rechtsprechung des EuGH eröffnet insoweit verschiedene Möglichkeiten. Darunter die Methode der richtlinienkonformen bzw. europarechtskonformen Auslegung. Diese Methode hat der EuGH in erster Linie für diejenigen Fallgestaltungen entwickelt, in denen eine unmittelbare Anwendung der Richtlinie ausscheidet, etwa weil es sich bei den Parteien jeweils um Privatleute handelt. Danach trifft die nationalen Gerichte die Verpflichtung, nationales Recht im Lichte der Richtlinien bzw. des Europarechts auszulegen, um den Richtlinien zu größtmöglicher Wirksamkeit zu verhelfen ( Effet utile ). Die Grenze der konformen Auslegung ist jedoch dort erreicht, wo sie zu einer Auslegung contra legem führen würde (EuGH vom 16.06.2005 Rs. C-105/03 Pupino, Rn. 47). Genau aus diesem Grunde hat das BAG zu Recht die Methode der richtlinienkonformen Auslegung missverständlich insoweit der Leitsatz im zu entscheidenden Fall nicht angewendet. Der Diskussionsforum Teilhabe und Prävention, Forum B, Beitrag 4-2009 3

Wortlaut des 81 Abs. 2 SGB IX ist mit der Beschränkung auf Schwerbehinderte nämlich eindeutig und wird noch durch die systematische Stellung im 8. Kapitel gestützt. Eine Auslegung der Vorschrift dergestalt, richtlinienkonform eine allgemeine Geltung für alle behinderten Menschen anzunehmen, wäre angesichts dessen contra legem. Eine weitere Möglichkeit ist die unmittelbare Anwendung von Richtlinien. Diese ist angesichts der Vorschrift des Art. 249 Abs. 3 EG und in Abgrenzung zum Regelungsinstrumentarium der Verordnung nur in Ausnahmefällen möglich. Die Voraussetzungen, die der EuGH für eine unmittelbare Anwendung von Richtlinien aufstellt, sind daher folgende: (1.) die in der Richtlinie festgelegte Umsetzungsfrist ist abgelaufen oder die Richtlinie ist fehlerhaft umgesetzt; (2.) die Richtlinie ist hinreichend genau formuliert, so dass daraus unmittelbar Rechte abgeleitet werden können; ( 3.) die unmittelbare Anwendung wird gegenüber dem Staat begehrt (vertikale Wirkung). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall zumindest insoweit gegeben, als das Verbot der Diskriminierung wegen einer Behinderung in Rede steht. Hinsichtlich der begehrten Rechtsfolge nämlich der Gewährung von Schadensersatz ist die Richtlinie allerdings nicht hinreichend bestimmt. Sie sieht Art. 17 vor, dass die Mitgliedstaaten die Sanktionen für den Verstoß gegen die einzelstaatlichen Vorschriften festlegen, wobei diese wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen. Lediglich beispielhaft wird die Möglichkeit von Schadensersatzleistungen genannt. In diesem Punkt geraten die Entscheidungsgründe des BAG, die mit keinem Wort auf diese Problematik eingehen, zu kurz. Dennoch ist die Entscheidung im Ergebnis haltbar. Es ist nämlich durchaus vertretbar, in derartigen Konstellationen die bestehende Lücke durch Grundzüge des nationalen Rechts zu schließen. Der deutsche Gesetzgeber hat sich sowohl in 81 Abs. 2 SGB IX a.f. als auch in 611a BGB a.f. dafür entschieden, die Verstöße gegen Diskriminierungsverbote mit Schadensersatzpflichten zu sanktionieren. Eben diese Verpflichtung kann dem Staat nun aufgrund der fehlerhaften Umsetzung der Richtlinie entgegengehalten werden. Im Ergebnis kann mithin diese bestimmte Form der Sanktionierung als Rechtsfolge herangezogen werden und so der Schadensersatz aus der unmittelbaren Anwendung der Richtlinie in Verbindung mit den Grundsätzen nationalen Rechts insb. 81 Abs. 2 SGB IX a.f. - gewährt werden (so auch Schlachter, RdA 2008, 179 ff.). Anstelle dieser Erwägungen hat das BAG wohl den Kniff angestrebt, durch die Rekurrierung der Mangold-Entscheidung zu einer Teil-Nichtanwendung der Vorschrift des 81 Abs. 2 SGB IX zu gelangen und die Vorschrift im Übrigen aufrechtzuerhalten. Lediglich die Beschränkung auf Schwerbehinderte oder denen gleichgestellte Personen sollte unangewendet bleiben und die Vorschrift mithin auf alle behinderten Menschen angewendet werden. Dieser Kniff ist allerdings nicht unproblematisch und war, wie der aufgezeigte Lösungsweg verdeutlicht, auch nicht erforderlich. Das Problem der Rechtssache Mangold lag nämlich zum einen darin, dass eine horizontale Konstellation zur Entscheidung vorlag bei den Streitenden Herren Mangold und Helm handelte es sich jeweils um Privatpersonen und zum anderen darin, dass die Umsetzungsfrist noch nicht abgelaufen war. Aus diesen beiden Gründen schied sowohl eine unmittelbare Anwendung der Richtlinie als auch eine richtlinienkonforme Auslegung nach den bislang vom EuGH aufgestellten Maßgaben aus. Aber gerade in eben diesen Aspekten unterscheidet sich der Fall Mangold auch von der Diskussionsforum Teilhabe und Prävention, Forum B, Beitrag 4-2009 4

streitgegenständlichen Konstellation. Es steht eben keine horizontale Wirkung in Frage und auch war die Umsetzungsfrist zum Zeitpunkt der diskriminierenden Auswahlentscheidung bereits abgelaufen. Unabhängig davon ist fraglich, ob die Mangold- Entscheidung, die zur Frage der Altersdiskriminierung erging und insoweit auf einen allgemeinen europarechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz abstellte, auf Fragen der Diskriminierung wegen einer Behinderung ausgedehnt werden kann. Dass das BAG dennoch die Mangold-Entscheidung für seine Begründung rekurriert hat, legt die Vermutung nahe, dass es gleichermaßen entschieden hätte oder entscheiden wird, wenn eine Konstellation mit Privatleuten vorliegt. Ansprüche der in Rede stehenden Art ergeben sich nunmehr aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), insbesondere aus 15 Abs. 2 AGG. Der Entscheidung des BAG kommt jedoch im Hinblick auf die Rechtsfolgen defizitärer Umsetzung von EG- Richtlinien eine allgemeine Bedeutung zu. Ihre Meinung zu diesem Diskussionsbeitrag ist von großem Interesse für uns. Wir freuen uns auf Ihren Beitrag. Diskussionsforum Teilhabe und Prävention, Forum B, Beitrag 4-2009 5