Fahrtüchtigkeit unter Medikamenteneinfluss

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Transkript:

Fahrtüchtigkeit unter Medikamenteneinfluss gibt es objektive Daten? Peter H. Tonner Klinik für Anästhesie, Allgemeine und Operative Intensivmedizin, Notfallmedizin Klinikum Links der Weser Bremen

Update S3-Leitlinie Sedierung in der gastrointestinalen Endoskopie Riphaus et al. Z Gastroenterol 2015, 53: 802-42

Update S3-Leitlinie Sedierung in der gastrointestinalen Endoskopie Riphaus et al. Z Gastroenterol 2015, 53: 802-42

Fallbericht Männlich, 45 Jahre, keine wesentlichen Vorerkrankungen Magenspiegelung, ambulant Sedierung geplant Aufklärung über postprozedurale Fahruntüchtigkeit Patient sagt am Vortag, dass ihn die Ehefrau fahren wird Ehefrau am Tag des Eingriffs verhindert, da Tochter erkrankt Patient fährt selbst ins Krankenhaus Patient verspricht erneut, sich nach dem Eingriff mit dem Taxi nach Hause fahren zu lassen

Fallbericht Sedierung mit 30 mg Midazolam Nach Ende der Untersuchung Überwachung für 30 min In dieser Zeit 0,5 mg Flumazenil Dann Anweisung: auf dem Flur zu warten Mehrfach Blickkontakt zum Behandler Nach 2 h entlässt sich der Patient selbst Fährt mit eigenem PKW Nach einigen Kilometern gerät er auf die Gegenfahrbahn, kollidiert frontal mit LKW Patient verstirbt noch an der Unfallstelle

Fallbericht Klage der Witwe auf Schadensersatz wird in 1. und 2. Instanz abgewiesen Patient hätte ärztlichen Rat ignoriert und sich selbst in Todesgefahr begeben Anders der Bundesgerichtshof: Behandler hatte Überwachungspflicht, hätte Sorge tragen müssen, dass der Patient nicht in das Auto steigt eine Bewusstseinstrübung und Einschränkung der Einsichtsfähigkeit konnte nicht ausgeschlossen werden, und damit war der Patient möglicherweise nicht in der Lage, abgewogene und eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen

Fallbericht Der Patient hätte in einem Raum untergebracht werden müssen, in dem er unter ständiger Überwachung stand und gegebenenfalls daran erinnert werden konnte, dass er das Krankenhaus nicht eigenmächtig verlassen durfte. Schulte-Sasse et al. ArztR 2005, 5: 116-123

Aldrete Score

Fahrtüchtigkeit Nur gegeben bei uneingeschränkter Funktion von: Visuellem System Kognition Motorischem System Systeme müssen harmonisch zusammenarbeiten

Tests zur Überprüfung der Fahrtüchtigkeit (psychomotorischer Fähigkeiten) Trail Making Test A / B Maze Completion Test Freud Clock Drawing Test Kognitionstest: Digital Symbol Substitution Test

Fahrsimulator n = 96 Propofol Midazolam + Pethidin Reaktionszeit nach 60 min Prop 1,1 ± 0,46 s Mid + Peth 1,39 ± 0,44 s Riphaus et al. Endoscopy 2006, 38: 677-83

Bolusinjektion Miller; Anesthesia 2014

Pharmakokinetische Modellbildung k e1 k 1e k 12 k 21 Zentrales Kompartment k 13 k 31 Peripheres Kompartment (schnell) k 10 Peripheres Kompartment (langsam) Elimination

Pharmakokinetik Konzentration c(t) = A * e -at + B * e -bt + C * e -gt Zeit

Eliminationshalbwertszeit von Hypnotika Miller; Anesthesia 2014

Dauer der Wirkung 0 HWZ 100 % 1 HWZ 50 % 2 HWZ 25 % 3 HWZ 12,5 % 4 HWZ 6,25 % 5 HWZ 3,125 % Ca. 4-5 HWZ bis zum Ende der klinischen Wirkung Initiale HWZ von Propofol 1 8 min => 5 40 min bis Aufwachen

Propofolkonzentration nach Einzelbolus Horiuchi et al. Digestion 2008, 78: 190-4

Propofol Lernen und Reaktionszeit Leslie et al. Anesth Analg 1995, 81: 1269-74 Grant et al. Br J Anaesth 2000, 85: 396-400

Kontext-sensitive Halbwertszeit von intravenösen Anästhetika Kontext-sensitive Halbwertszeit (min) 150 100 50 0 Diazepam Thiopental Midazolam Ketamin Propofol Etomidat 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Infusionsdauer (h) Reves et al. In Miller; Anesthesia 2000

Target-controlled-infusion (TCI) Infusionsrate (mg/kg/h) 200 Konzentration (µg/ml) 6 160 Plasmakonzentration 5 120 80 Effektkonzentration Therapeutischer Bereich 4 3 2 40 Infusionsrate 1 0,5 0 0,5 1 30 60 90 120 150 180 Zeit (min) 0

Gemessene Konzentration (µg/ml) Target controlled infusion (TCI) Berechnete Konzentration (µg/ml) Swinhoe et al: Anaesthesia 53, 1998: 61-67

Kontinuierliche Propofolinfusion Kazama et al. Anesthesiology 1998, 88: 928-34

Messung von Propofol in der Atemluft Takita et al. Anesthesiology 2007, 106: 659-64

Hysterese Miller; Anesthesia 2014

Neural inertia Mashour et al. Front Syst Neurosci, 2014, 8, 115 Joiner et al. PLOS Genetics 2013, 9: e1003605

Anästhesie Lernen und Gedächtnis n = 30 Allgemein- oder Spinalanästhesie Hüft-TEP Erinnerung nach 24 h gleichermaßen reduziert Hughes et al. Anaesthesia 1988, 43: 114-7

Medikation und Verkehrsunfälle 8 Odds ratio für Unfall 7 6 5 4 3 2 1 0 Barbiturate Benzodiazepine Opioide Muskelrelaxantien Antiemetika Antidiabetika Antidepressiva SSRI Antiepileptika NSAIDs 33.159 Verkehrsunfälle 100.000 Kontrollen Matched pairs Dosisabhängig Bei Benzos Unterschiede zwischen anxiolytischen und hypnotischen Substanzen LeRoy, Morse: NTSHA 2008

Update S3-Leitlinie Sedierung in der gastrointestinalen Endoskopie Riphaus et al. Z Gastroenterol 2015, 53: 802-42

Update S3-Leitlinie Sedierung in der gastrointestinalen Endoskopie Riphaus et al. Z Gastroenterol 2015, 53: 802-42

Fazit: Pharmakologisch oder medikolegal Schulte-Sasse et al. ArztR 2005, 5: 116-123