46 EnWG in der Anwendung: Kommunale Selbstverwaltung in der Komplexitätsfalle

Ähnliche Dokumente
Aktuelle rechtliche Baustellen bei Konzessionen und Netzübernahmen

Rechtliche Rahmenbedingungen Chancen und Fallstricke jenseits von 27 EEG

Rechtliche Kriterien für ein diskriminierungsfreies und transparentes Verfahren bei der Vergabe von Strom-, Gas-, Fernwärme- und Wasserkonzessionen

Rechtliche Kriterien bei der Vergabe von Strom- und Gaskonzessionen

Vergabe von Konzessionen für kommunale Strom- und Leitungsnetze

Arbeitskreis Kartellrecht

Gliederung. Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur...13

Herzlich Willkommen!

23. Fachgespräch der Clearingstelle EEG / BECKER BÜTTNER HELD Rechtsanwälte Wirtschaftsprüfer Steuerberater PartGmbB

Kick-off-Meeting Biogasregister Deutschland

Stromkonzession Bedingungen für ein diskriminierungsfreies Vergabeverfahren

Senatsverwaltung für Finanzen Der Senator

Zurück zur kommunalen Energieversorgung? 12. Januar 2010, Hannover Referenten: Reinhard Kehr Ritz, Dr. Sven Höhne

Gestaltung der Energieversorgung durch die Gründung neuer Stadt- und Gemeindewerke und die Vergabe von Konzessionen

Vorschläge für eine Novelle des KWKG

(Re-)Kommunalisierung erfolgreich umgesetzt

Neuordnung der Straßenbeleuchtung

beck-shop.de Energie- und Infrastrukturrecht Band 19

Die Haftung der Netzbetreiber im Rahmen der Kaskade BDEW/VKU-Praxisleitfaden 13 Abs. 2 EnWG

B.KWK-Jahrestagung am in Berlin

Expertenanhörung im Abgeordnetenhaus von Berlin 12. Dezember 2012

A. Begriff des Regulierungsrechts

Rechtliche Vorgaben für Konzessionierungsverfahren und Netzübernahmen

Erfahrungen mit dem Musterkonzessionsvertrag BW

Die Umsetzung der Liberalisierung in Deutschland Welcher Rahmen für das zukünftige Strommarktdesign? 02. Juni 2016

Energiewende in Deutschland. IHK München, Energiewende Bayern München, 12. Juli 2012

Konversatorium zum Grundkurs Öffentliches Recht I. Staatsorganisationsrecht. Fall 5: Der ausgeschlossene Abgeordnete H

Informationen: Strompreise für Haushaltskunden 2015

Konzessionierungsverfahren Strom & Gas. (Stand: )

Wollen wir wirklich mehr Wettbewerb? Eine persönliche Nachlese zum 18. Hauptgutachten der Monopolkommission

Christian Athenstaedt. Zur Zulässigkeit entwicklungspolitischer Maßnahmen deutscher Bundesländer und Kommunen

Powertage 2014 Rechtliche Aspekte der Zukunft der Netze im liberalisierten Markt

Rechtliche Rahmenbedingungen: Energiepotenziale der Abwasserentsorgung

Veräußerung öfentlicher Unternehmen und Vergaberecht

Stolpersteine bei der Konzessionsvergabe

Fachkundig beraten. Bewertung und Finanzierung von Strom- und Gasnetzen im Kontext von Netztransaktionen. Christoph Beer Hamburg

Schriftenreihe Energie- und Infrastrukturrecht 12. Anreizregulierung. Eine kritische Untersuchung

Stadtkonzerne vor stürmischen Zeiten? Dr. Christian Becker, 13. Mai 2015

Stadtwerke als Plattform der Energiewende

Öffentliches Wirtschaftsrecht. Privatisierung und Kommunalisierung

Finanzierung der Rekommunalisierung von Netzen

Gemeinderatssitzung der Gemeinden Andechs, Herrsching, Inning, Seefeld, Pähl, Wielenbach und Wörthsee am Rechtsanwalt Matthias Albrecht

Dezentrale Energiewende

Rechtliche Rahmenbedingungen der Konzessionsvergabe

Besonders geeignet für Neu- und Quereinsteiger! KOMPAKTWISSEN STROM

Vergabe von Strom- und Gaskonzessionen

Biogasregister-Nutzerforum: EEG 2016 Ausschreibungsdesign und Übergangsregelungen bei Biomethan-Anlagen

Direktvermarktungsverträge rechtssicher gestalten und verhandeln

Rechtliche Rahmenbedingungen für die korrekte Gestaltung von Strom- und Gasnetz-Ausschreibungen

Vergleich zwischen dem alternativen Musterkonzessionsvertrag der Grünen und dem Musterkonzessionsvertrag der EnviaM

LET S GET TO THE POINT.

Informationen: Strompreise für Haushaltskunden 2014

Deutsche Städte und Gemeinden und ihre Konzessionen

Demokratisierung der Energieversorgung in Wolfhagen. Energieeffiziente Stadt, 100 % Erneuerbare Energien und BürgerEnergie-Genossenschaft Wolfhagen

Die rechtliche Verantwortlichkeit der Richter des Bundesverfassungsgerichts

Der Wahlgüterstand der Gütertrennung für die Europäische Ehe

Preisblatt 5 Konzessionsabgabe und Umlagen

Inhaltsübersicht ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS...11

DUNCKER & H U M B L O T / BERLIN. Von. Dr. Dietmar Breer

H F K R E C H T S A N W Ä L T E L L P W W W. H F K. D E. Ausgewählte Rechtsfragen zur Elektro-Ladeinfrastruktur

Staatliche Neutralität bei der Vergabe öffentlicher Aufträge

Wirkungsmechanismen der Investitionsbudgets in der Anreizregulierung

Die Gefahr von Urheberrechtsverletzungen durch Umgehungsmittel nach Wettbewerbsrecht und Urheberrecht

Konzessionswettbewerb Rechtliche Rahmenbedingungen und aktuelle Entwicklungen

Konzessionsvergabe als Chance für die Kommunen

Aktuelle Netzregulierung

Entflechtungsvorgaben für den Betrieb von Stromspeichern

Vergaben unterhalb der EU- Schwellenwerte Wie wirken sich die Neuerungen aus?

Kooperation kommunaler Energieversorger im Zeitalter der (Anreiz-) Regulierung

Rekommunalisierung von Versorgungsnetzen und erneuerbare Energien

100 %-Versorgung mit erneuerbaren Energien

Regionale Windstromvermarktung: Regionalnachweise im EEG 2017 und Änderungen bei der Stromsteuer

Landgericht München I: Zur Wirksamkeit von Wegenutzungsverträgen gemäß 46 Absatz 2 und dem Nebenleistungsverbot gemäß 3 KAV

(8 x 25,4 cm) (Position: H 0; V 2,52)

Haupttitel. Die Wettbewerbsphilosophie des neuen Stromversorgungsgesetzes. 19. März 2010, Carlo Schmid Sutter, Präsident ElCom

Vergaberechtliche Rahmenbedingungen der nachhaltigen Beschaffung

2. Historische Entwicklung des Energiewirtschaftsrechts

Regulatorische Herausforderungen beim Einsatz von Speichern im Verteilnetz?

Die Energiewende im ländlichen Verteilnetz. Uelzen, 28. Mai 2013 Thorsten Gross, E.ON Avacon AG

Biomethan als Kraftstoff: Nachweisführung gemäß der Biokraft-NachV. Berlin,

Code of Conduct Compliance. Verhaltensrichtlinien für die Vöhringer GmbH & Co. KG. und. ihre Kunden, Lieferanten und Geschäftspartner

Energiewende in Deutschland Wo

Die Ablösung des Grundgesetzes durch Art. 146 GG

Herausforderungen an den Netzausbau aus ökonomischer Sicht. Wissenschaftsdialog der BNetzA Professor Dr. Justus Haucap Bonn, 17.

ene't Anwendertage 2011

EU-Rechtsentwicklung: Interkommunale Zusammenarbeit, ÖPP und Dienstleistungskonzessionen. Kommunaler Spitzenverband in Deutschland und Europa

Energiewende für die Politik? Kanton Luzern konkret!

Vergabe von Strom- und Gaskonzessionen

Zentral Dezentral: Verschiedene Dimensionen und Abbildung in der Modellierung

Roadshow Energieeffiziente Straßenbeleuchtung. Rechtliche Anforderungen bei Vergabe von Straßenbeleuchtung und Dienstleistungen

6. Studientag 8. GWB-Novelle Spezifische Missbrauchsaufsicht über Energie- und Wasserwirtschaft

biogaspartner das podium. Zukunft Biomethan der Auftakt.

15. Weimarer Baurechtstage

Verteilnetzausbau in Baden- Württemberg Notwendigkeit und Bedarf

Rechtswissenschaftliches Institut V. Schutz der Persönlichkeit und des Namens

Was muss sich ändern, damit Kommunen einen anderen Stellenwert im föderalen System erhalten?

Vergabe der Strom- und Gaskonzessionen

Zum Stand er Energiewende

Stadtwerk der Zukunft: Kommunale Unternehmen machen nachhaltig e-mobil

Transkript:

46 EnWG in der Anwendung: Kommunale Selbstverwaltung in der Komplexitätsfalle Effiziente Governance für Stromverteilnetze im Kontext der Energiewende: Bedeutung und Ausgestaltung von Konzessionen und des 46 EnWG als Ergänzung zur (Anreiz)Regulierung Berlin, 10.02.2017 Rechtsanwalt Prof. Dr. Christian Theobald, Mag. rer. publ. 1

Prof. Dr. Christian Theobald, Mag. rer. publ. Experte für Energie-, Kartell- und Regulierungsrecht. Er betreut u.a. in kommunalwirtschaftlichen Mandaten, bei Konzessionsverfahren und Netzübernahmen. An der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer konzentriert er sich auf die öffentliche Wirtschaft sowie Fragen rund um Energiepolitik, -wirtschaft und -recht. 8 Geboren 1966 in Heidelberg 8 Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Deutschen Bank in Mannheim 8 Seit 1998 Rechtsanwalt, seit 2001 Partner bei BBH Berlin 8 Regelmäßige Sachverständigentätigkeit im Bundestag 8 Mehr als 200 Publikationen, u. a. Herausgeber bzw. Schriftleiter der jeweils im C. H. Beck Verlag erscheinenden Fachzeitschriften EnWZ und IR, Mitherausgeber DÖV und ENLR Rechtsanwalt Partner 10179 Berlin Magazinstraße 15-16 Tel +49 (0)30 611 28 40-171 christian.theobald@bbh-online.de 2

Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Rechtsentwicklung III. Kritische Würdigung IV. Auswege aus der Komplexitätsfalle 3

Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Rechtsentwicklung III. Kritische Würdigung IV. Auswege aus der Komplexitätsfalle 4

Einleitung (1) 4 In Deutschland über fast 200 Jahre historisch bottum up gewachsene, pluralistische Struktur von etwa 900 Gas- und Stromverteilnetzbetreibern. 4 Seit 1998 Liberalisierung und Regulierung des Netzbereichs in mehreren Phasen (1998, 2003, 2005, 2011). 4 Verteilnetzbetreiber/Stadtwerke unterliegen Vorgaben der (Anreiz-) Regulierung und des Unbundling sowie der kartellrechtlichen Missbrauchskontrolle, 19, 20, 29, GWB. 4 Spezifische Netzentgelte in ct/kwh in den letzten Jahren tendenziell gesunken, während Strom- und Gasgesamtpreise stark gestiegen (Ursachen liegen außerhalb des Netzbereichs). 5

Einleitung (2) 4 Verteilnetzbetreiber haben sich trotz zunehmend festgestellter Überregulierung ( Komplexitätsfalle, vgl. Monopolkommission, Sondergutachten 65, Energie 2013: Wettbewerb in Zeiten der Energiewende, Seiten 210 ff.) den veränderten Rahmenbedingungen angepasst und ihre Rolle(n) im Wettbewerb gefunden. 4 Aktuell hohe Zufriedenheit der Bevölkerung mit Stadtwerken. 4 Aktueller Trend zu vielerorts feststellbaren (Re-)Kommunalisierungen; parallel trennen Konzerne sich von regulierten Geschäftsbereichen. 6

Einleitung (3) 4 Energiewende 2011 befördert stärkere Dezentralisierung der Energiewirtschaft. Damit zusammenhängend Ausbau und Umbau insbesondere der Verteilnetze erforderlich: Verteilnetz nicht mehr nur bloßes Transportrohr, sondern zentrale und intelligente Infrastruktur vor Ort zum Ausgleich zwischen E-Lieferung, E-Verbrauch, E-Erzeugung und E-Effizienz bzw. E-Vermeidung. 4 Verteilnetze zentraler Baustein für medienübergreifenden örtliche Energiekonzepte. 4 Zwischenergebnis 2017: Im Zuge der Liberalisierung vielfach prognostiziertes Stadtwerkesterben ist ausgeblieben. 7

Einleitung (4) Konzessionsverfahren führen im Falle einer Wechselentscheidung gar nicht zu einer größeren Zahl von Verteilnetzbetreibern (i.s.v. 4 EnWG), sondern meist nur zur Gründung von neuen Eigentumsgesellschaften: Künftiger Netzeigentümer KonzernEVU Mitgesellschafter? KonzernEVU Netzbewirtschaftung KonzernEVU 1 % SW Tradition DrittEVU SW i. G. SW Tradition DrittEVU SW Tradition + Nachbarkommune(n) alleine 0,1 %? SW Tradition DrittEVU Alleine = neuer Netzbetreiber i.s:v. 4 EnWG 8

Einleitung (5) 4 Gravierende Einschnitte in das fast 200jährige Konzessionsrecht in den letzten Jahren 4 Regelrechter rechtsfreier Raum entstanden 4 Konzessionsvergabe in der Komplexitätsfalle 9

Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Rechtsentwicklung III. Kritische Würdigung IV. Auswege aus der Komplexitätsfalle 10

Rechtsentwicklung (1) Rechtliche Hürden bei der Konzessionsvergabe ab 1941 Begrenzung der Konzessionsabgabenhöhe (KAE) ab 1980 Laufzeitbegrenzung auf 20 Jahre (4. GWB-Novelle) ab 1992 KAV einschließlich Nebenleistungsverbot ( 3) 11

Rechtsentwicklung (2) Rechtliche Hürden bei der Konzessionsvergabe ab 1998 Einführung Bekanntmachungspflichten ( 13 EnWG) Nach welchen Kriterien die Gemeinde ihre Auswahlentscheidung zu treffen hat, wird nicht bestimmt. (BT-Drs. BT-Drs. 13/7274, 21) sie können auch künftig frei entscheiden, ob die Versorgung durch ein eigenes Stadtwerk oder ein anderes Unternehmen erfolgen soll. (ebenda, 32) 12

Rechtsentwicklung (3) Rechtliche Hürden bei der Konzessionsvergabe ab 2005 Reduktion der Konzessionsvergabe auf den Netzbetrieb/Wegenutzung ( 46 EnWG) Über den Grundversorger entscheidet künftig nicht mehr die Kommune ( 36 EnWG) 13

Rechtsentwicklung (4) Rechtliche Hürden bei der Konzessionsvergabe ab 2010 Vergabeprinzipien des europäischen Primärrechts, also Transparenz und Nichtdiskriminierung (Gem. Leitfaden, Rz. 15) 14

Rechtsentwicklung (5) Rechtliche Hürden bei der Konzessionsvergabe 2012/2013 Vorrang der Ziele des 1 EnWG (BGH, Urt. v. 17.12.2013) konfligierende Ziele, Vorrangigkeit?, Kriterienkatalog, Bewertbarkeit, Zukunftsprognosen, Expertenwissen, Verbindlichkeit, Rückwirkung/Rückabwicklungen? 15

Rechtsentwicklung (6) Rechtliche Hürden bei der Konzessionsvergabe ab 2014 Unterkriterien sind zu gewichten (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.04.2014) Richter in eigener Sache? Mitwirkungsverbote 16

Rechtsentwicklung (7) Rechtliche Hürden bei der Konzessionsvergabe ab 2014 Verbot relativer Bewertungsmethode? Bewertungs- und Entscheidungsspielräume 3 KAV, örtliche Energiekonzepte (Sektorkopplung!) unzulässig 17

Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Rechtsentwicklung III. Kritische Würdigung IV. Auswege aus der Komplexitätsfalle 18

Kritische Würdigung 4 Die strengen rechtlichen Vorgaben beruhen ganz überwiegend auf richterlicher Rechtsfortbildung. 4 Faktisch werden die Handlungs- und Entscheidungsspielräume der Gemeinden fortwährend eingeschränkt, so dass von einer wirklichen kommunalen Selbstverwaltung in Konzessionsverfahren nach 46 EnWG heute keine Rede mehr sein kann. 4 Die Beschränkungen laufen sowohl der Rechtstradition als auch dem ausdrücklich erklärten Willen des Gesetzgebers von 1998 zuwider und sind auch nicht etwa durch das EnWG 2011 gerechtfertigt oder durch das EnWG 2017 beseitigt. 4 Die Eingriffe resultieren im Gegenteil aus einem Zusammenspiel von allgemeinen zum Teil sogar widersprüchlichen Gesetzeszielen und kartellrechtlichen Generalklauseln. 4 Keine den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen genügende Schranke der kommunalen Selbstverwaltung erkennbar; ungerechtfertigter Eingriff in das Aufgabenverteilungsprinzip von Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG. 19

Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Rechtsentwicklung III. Kritische Würdigung IV. Auswege aus der Komplexitätsfalle 20

Auswege aus der Komplexitätsfalle 4 Verzicht auf das Berücksichtigungsgebot zu allen Zielen des 1 EnWG 4 Eröffnung der Möglichkeit der In-House-Vergabe 4 Anwendung des Vergaberechts 4 Streichung des Nebenleistungsverbots des 3 Abs. 2 KAV 21

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Prof. Dr. Christian Theobald, BBH Berlin Tel +49 (0)30 611 28 40-113 christian.theobald@bbh-online.de www.bbh-online.de 22