Invaliditätstagung Die privatrechtliche Rechtsprechung zur Invalidität

Ähnliche Dokumente
Hilfsmittel für die Berechnung von Personenschäden. 5. GMTTB Jahrestagung 16./17. April 2015 Stephan Weber

HAVE. Leonardos erste Schritte am Gericht 244 3/2008 HAVE/REAS. Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom ZR 2008 Nr. 14, 33 ff.

Schadenminderungspflicht im Haftpflichtrecht

Pflegeschaden. Marc Schaetzle 22. Februar

Tables pour la fixation des allocations journalières APG

I. Konzeption der Studie

Schulstruktur Kindergarten und Grundschule

Übungen im Haftpflichtrecht

Frühjahrsemester 2009 / Übungen im Privatrecht, OR / Fall 6 Danielle Gauthey Ladner LÖSUNGSVORSCHLAG FALL 6

KG 51R F K. 1 Informations concernant la personne qui fait la demande

Personenschaden im Rück- und Ausblick eine kritische Standortbestimmung

Pflegebedarfsabklärung aus haftpflicht- und versicherungsrechtlicher Sicht. 5. St. Galler Pflegerechtstagung

Übungen Öffentliches Recht Gruppen K-M und W-Z

Regulierung von Kinderschäden

Aufgabe: Que faut-il faire? SK-Beispielaufgabe_Haustiere.docx

Liebe Kolleginnen Liebe Kollegen

Umrechnung von Nettolöhnen in Bruttolöhne AHV/IV/EO/ALV. Conversion des salaires nets en salaires bruts AVS/AI/APG/AC

Neue Rechnungsgrundlagen und Hilfsmittel für die Berechnung von Kapital und Rente. (c) HAVE/REAS. Stephan Weber. Stephan Weber

Le bail d'habitation. Der Mietvertrag

Workshop neuer Leitfaden Velostationen

Vorlesung Obligationenrecht Besonderer Teil

Magische weiße Karten

Musterbericht Bürgerentlastungsgesetz. für Herrn Bert Bürgerentlastungsgesetz. Musterstraße, Musterstraße

Conditions de travail Arbeitsbedingungen

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL. 29. April 2008 Böhringer-Mangold Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

Französisch Niveau I. La communication professionnelle en français

Die vorprozessuale unentgeltliche Verbeiständung im Zivilprozessrecht

MIT UNS KÖNNEN SIE FESTE FEIERN! AVEC NOUS, VOUS POUVEZ ORGANISER VOS FÊTES!

Richtlinien für die Berechnung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums (Notbedarf) nach Art. 93 SchKG

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL. in dem Rechtsstreit

Grober Behandlungsfehler und Kausalitätsvermutung

Der entgangene Gewinn

Die Berechnung des Versorgungsschadens. Drei neue Faktoren. Bernhard Stehle (Dr. iur., Rechtsanwalt, Leonardo Productions AG) Berücksichtigung

Pulling Team Zimmerwald Tel: Daniel Guggisberg Zimmerwald

Legierungsgruppe I / Groupe d'alliages I : Legierungsgruppe II / Groupe d'alliages II :

Consigne - Aufgabestellung Production écrite - Schreiben

Kinderabzug. Entscheid der Steuerrekurskommission des Kantons Basel-Stadt Nr. 86/2005 vom 17. November 2005

Vorrechte der geschädigten Person

Un projet phare, basé sur la norme ISO 50001, pour Buchs, Cité de l énergie GOLD Hagen Pöhnert, Directeur des SI de Buchs SG

PAG en vigueur partie graphique

Richtlinien für die Berechnung des

Vaisselle. Color CO.1211

VKF Brandschutzanwendung Nr

VKF Brandschutzanwendung Nr

< und mehr

Dr. Olivier Kern und Marc-André Röthlisberger Eidg. dipl. Pensionsversicherungsexperten. Pittet Associates AG Bern

Invaliditätsgrad. Invaliditätsgrad. Valideneinkommen: Einkommen ohne Unfall. Invalideneinkommen: Einkommen mit Unfall

Zertifikat AKB NEBENWERTE BASKET VZAKN / CH-Valorennummer

LE PORTABLE C EST LA MOBILITÉ , CH-3000

Fonds microprojets ETB: L ETB au service de ses citoyens TEB-Kleinprojektefonds: Der TEB setzt sich für seine BürgerInnen ein

Test Abschlusstest 62

Öffentliche Trainingsprogramme Programmes inter-entreprises

Lösungen zur Prüfung in diskreter Mathematik vom 15. Januar 2008

1IDSal DF PRAKTIKUM 1 Collège Calvin

Beurteilende Statistik

VOLKER PRIBNOW/BARBARA A. MÖRI Adäquanz im Gefechtsstand - Tinnitus nach Knalltrauma und anderen Unfällen HAVE/REAS 2015, 48-56

BEDIENUNGSANLEITUNG Internes 5.25'' Multi Panel 6 in 1 Card Reader mit USB Hub USB 2 Port Port + Audio

Pädagogische und didaktische Ausbildung und Einführung in die praktische Ausbildung

COMPUTER: Mission Berlin. Le 9 novembre 1989, vingt heures, trente minutes. Vous avez trente minutes pour sauver l Allemagne. Vous devez faire vite.

Bedienungsanleitung / Mode d emploi

Facade isolante système WDVS, habitat sain, combat contre la moisissure, peintures WDVS, Gesund Wohnen, AntiSchimmelsystem, Farben

Bekanntmachung. 1 Allgemeine Vorschriften

APERO DOC FRANCO-ALLEMAND Forbach, Bérénice Kimpe Chargée de mission ABG-UFA / Referentin ABG-DFH

Kongruenz zwischen Leistungen der Sozial- und Haftpflicht-Versicherer. Referent: Thomas Frei, AXA-Winterthur UVG-Tagung 2014, Chavannes-de-Bogis

A. vertreten durch Fürsprecher X Kläger/Widerbeklagter/Appellant/Anschlussappellat

2 IP X4 WLS/FL IP24. Montage-Anleitung Instructions de montage Assembling instructions. 225 cm. 60 cm 0

PASSEPORT IMPLANTAIRE

LANGUE VIVANTE ANGLAIS - ALLEMAND - ARABE - ESPAGNOL - ITALIEN PORTUGAIS - RUSSE

ITICITY. Generator für ausgemessene Strecken. start

Erster Teil Allgemeines 1 Geltungsbereich 2

Wichtige Entwicklungen in den Jahren 2002 und 2003

Leistungsdiagnostik Diagnostic de la performance

Neue SECO-Weisung Vorgehen zum internationalen Lohnvergleich

Top Panama Farbkarte Carte de couleurs

Schulinternes Curriculum Stützkurs Französisch in Jahrgangsstufe 7

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL. 20. Dezember 2006 Kirchgeßner, Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

Steuerrecht - BGE vom 19. November C_355/2009. Stempelabgaben

Europäischer Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) Fonds Européen de Développement Régional (FEDER)

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS. vom. 15. Februar in dem Rechtsstreit

Einführung / Introduction

Übungen im Familienrecht Nachehelicher Unterhalt und Vorsorgeausgleich

ZKD FITT & FLEXX. Die Flexibilität des Designs. La flexibilité du design.

Klaus Egli, Präsident SAB/CLP Michel Gorin, Vice Président SAB/CLP (BIS, , Konstanz)

Zusammenfassung Analyse der Vorsorgesituation der bäuerlichen Familien in der Schweiz Ausgangslage

ZyWALL VPN DynDNS-SoftRemoteLT

MINISTÈRE DE L ÉDUCATION NATIONALE MINISTÈRE DE L ENSEIGNEMENT SUPÉRIEUR ET DE LA RECHERCHE. Test autocorrectif d Allemand.

TRAAM-TLSE-ALL004 / Katrin Unser Haus

DIS 2446 Inspektion der Eigenkontrolle im Einzel-und Großhandel [2446] v5

11. AHV-Revision. Stellungnahme des Schweizerischen Anwaltsverbandes (SAV) Prise de position de la Fédération Suisse des Avocats (FSA)

Beilagen zu den Ausgangslagen

Reelle Kosten der Nutzung eines PKWs. im Vergleich. zum luxemburger Mindestlohn

Die SAKE-Tabellen 2004

3.1 Der Brief. 3.1 Lettre. Le logo du canton est placé à gauche. La base de la barre noire horizontale partage la page en deux.

Umrechnung von Nettolöhnen in Bruttolöhne AHV/IV/EO/ALV. Conversion des salaires nets en salaires bruts AVS/AI/APG/AC

4. Die Renteninformation Alles klar! Oder doch nicht?

Wichtige Informationen zum Masterstudium. Informations importantes pour vos études de Master

Exemple de configuration

Quick guide

Bathymetrische Untersuchen in CH Seen Analyses bathymétriques dans les lacs CH. Kolloquium Colloque /

Landgericht Trier. Urteil

Transkript:

Invaliditätstagung 2007 Die privatrechtliche Rechtsprechung zur Invalidität

Entwicklungen Normativierung Abstrahierung Dynamisierung Substanzierung

Normativierung und Abstrahierung

Normativierung und Abstrahierung Normativierung: Wertungsentscheid über die Ersatzfähigkeit Abstrahierung: Ablösung der Schadensberechnung von den individuellen Verhältnissen und Schematisierung der Berechnung

Normativierung von Haushalts- und Pflegeschaden Haushaltsschaden als normativer Schaden: Pra 1995 Nr. 172 Pflegeschaden als normativer Schaden: Pra 2002 Nr. 212

Normativierung des Erwerbsschadens Es beginnt beim (welschen) Bauernstand: 4C.324/2005 vom 5.1.2006: Normativierter Erwerbsschaden des Landwirts 4C.83/2006 vom 26.6.2006: Normativierter Erwerbsschaden der mitarbeitenden Landwirtsehefrau - und was wird aus BGE 127 III 403?

Unbezahlte Arbeit als normativer Schaden Christa Kissling, Dogmatische Begründung des Haushaltsschaden, Bern 2006 Andreas Sidler, Personenschäden bei unbezahlter Arbeit, Bern 2006

Keine Normativierung beim ungeplanten Kind BGE 132 III 359: Ersatz der tatsächlichen Unterhaltskosten, aber kein Ersatzlohn für den Betreuungsaufwand: Die Vorinstanz hat Pflege und Erziehung" abgezogen, da die persönliche elterliche Fürsorge für das eigene Kind im Rahmen des Schadenersatzes nicht abzugelten sei. Die Höhe der von der Vorinstanz als Ersatz für die durch tatsächliche Ausgaben bedingten durchschnittlichen Unterhaltskosten (für das dritte Kind der Klägerin bis zum 18. Lebensjahr) wird im vorliegenden Verfahren nicht beanstandet. Es kann daher offen bleiben, nach welchen Kriterien der Schaden zu berechnen ist. Immerhin ist festzuhalten, dass gute Gründe bestehen, Unterhaltsersatz - wie im angefochtenen Urteil - nur für effektive Auslagen zu gewähren und dabei allenfalls auf den durchschnittlichen Grundunterhalt abzustellen.

Abstrahierung beim: Haushaltsaufwand: Aufwand nach Statistik: SAKE-Tabellen 1997 (2002, FAA-HSG) SAKE-Tabellen 2004 (2006, BFS) Als Ausgangspunkt richterlicher Beweiswürdigung oder als alleinige Berechnungsgrundlage (BGE 131 III 360) Unterhalt für das ungeplante Kind

Keine Abstrahierung bei: Ersatzlohn im Haushalt: Weiterhin verunglückter Qualitätszuschlag anstatt verlässlicher, nach Berufsgruppen bestimmter Ersatzlohn. Pflegeaufwand: wegen der Individualität des Pflegeaufwands.

Dynamisierung

Dynamisierung Stephan Weber/Marc Schaetzle, Von Einkommensstatistiken zum Kapitalisierungszinsfuss oder warum jüngere Geschädigte zu wenig Schadenersatz erhalten und ältere zu viel, AJP 1997, 1106 ff.

Dynamisierung des Pflegeschadens Anpassung der Schadenersatzrente an den Nominallohnindex (Pra 2002, Nr. 212; Kramis)

Noch keine Dynamisierung des Erwerbsschadens BGE 129 III 135: Point n'est besoin, pour les motifs indiqués ci-après (cf. consid. 2.3.2.1), de rechercher plus avant si une attitude prudente reste toujours de mise en ce domaine ou s'il ne conviendrait pas d'opter plutôt pour une approche dynamique du problème, comme le préconisent SCHAETZLE/WEBER qui recommandent de tabler sur une augmentation générale des salaires de 1 % en moyenne par an et de tenir compte, en sus, de l'évolution individuelle du revenu.

Dynamisierung des Haushaltsschadens BGE 131 III 360: Es gibt keinen Grund, den Ersatzlohn im Haushalt nicht der Reallohnerhöhung (pauschal) anzupassen. BGE 132 III 321: Jährliche Reallohnsteigerung von 1%, bis Rentenalter

Immer noch keine Dynamisierung des Erwerbsschadens BGE 132 III 321: Während sich die künftige Entwicklung des Lohnniveaus von Ersatzkräften als Berechnungsfaktor des Haushaltschadens sich weitgehend nur abstrakt ermitteln lässt, können beim Erwerbsschaden die konkreten Umstände des Einzelfalls, insbesondere die berufliche Situation des Geschädigten berücksichtigt werden, aufgrund derer sich auf dessen künftige hypothetische Lohnentwicklung schliessen lässt.

Künftige Dynamisierung des Erwerbsschadens? BGE 132 III 321: Die entsprechende Annahme [genereller Reallohnsteigerungen] lässt sich vergangenheitsbezogen auf statistische Grundlagen und zukunftsbezogen auf eine Reihe von Szenarien und Prognosen von Konjunktur- und Wirtschaftsexperten stützen und erscheint als fundierter begründet als die Meinung, Reallohnsteigerungen seien in Zukunft überhaupt unwahrscheinlich.

Rechtsdurchsetzung: Substanzierung des Abstrahierten

Rechtsdurchsetzung: Substanzierung des Abstrahierten Normativierung = kein Nachweis eines Schadens; Abstrahierung = kein Nachweis konkreter Sachverhaltselemente Aber: Behauptungs- und Beweisanforderungen bleiben bestehen und werden nicht geringer.

Substanzierunsanforderungen Keine Normhypothese dafür, dass jeder Erwachsene entschädigungsrelevante Haushaltsarbeit verrichtet (4C.166/2006 vom 25.8.2006) Keine Schadensschätzung für Fahrtkosten, vorübergehende Pflege und Haushaltsschaden (4C.283/2005 vom 18.1.2006)

Substanzierungsanforderungen Keine Genugtuung ohne Darlegung der besonderen Umstände und Arztzeugnis (4C.283/2005 vom 18.1.2006). Kein Erwerbsschaden, wo Anfangslohn im gewählten Beruf nicht behauptet, sondern auf Richtlinien abgestellt wurde, die eher nicht passen; dabei keine Pflicht des Beklagten, eigene Schadensberechnung anzustellen (4C.55/2006 vom 12.5.2006)

Substanzierungsanforderungen Substanzierte Bestreitung von Nominallohnbestreitung; substanzierte Behauptung von künftigen Reallohnsteigerungen, auch wo vorübergehende Nominallohnsteigerung angenommen wurde; substanzierte Behauptung von Interdependenz von Haushalt und Erwerb (ZR 2003 Nr. 36).