Niklas Luhmann ( )

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Transkript:

Niklas Luhmann (1927-1998) Durch Luhmanns Blick auf die Gesellschaft haben sich viele ihrer umkämpften (rechts-) philosophischen Probleme als alteuropäische, in einem rationalen Sinne unlösbare Spiegelfechtereien erwiesen, an denen etwas anderes als ihre jeweilige Funktion nicht interessant ist. Deshalb ist es für (rechts-)philosophisch Interessierte unabdingbar, sich diesen Blick anzueignen. Dafür geeignet: N. Luhmann, Evolution des Rechts, Rechtstheorie 1, 1970, 3-22. N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, Neuwied: Luchterhand, 1969, 261 S. Daten: Luhmann, geb. 1927 (Lüneburg), 1944 Luftwaffenhelfer, 1946-1949: StudiumFreiburg (röm. Recht), 1953 Assessorexamen, 1954-1962: Verwaltungsbeamter, 1962-1965: Sozialforschungsstelle Uni Münster; 1966: promoviert; 1966: habilitiert; 1968-1993 Uni Bielefeld. Systemtheorie: Strukturfunktionalismus: Anthropologie, Stammesgesellschaften Strukturell-funktionale Systemtheorie: Handlung als konstitutives Element (Talcott Parsons) Funktional-strukturelle Systemtheorie: Kommunikation als konstitutives Element (Luhmann) Erkenntnistheorie: Radikaler Konstruktivismus Wirklichkeit als Resultat eines Erkenntnisprozesses keine erkenntnisunabhängige, erkenntnisauslösende Realität.

Ebene der Konstitution und Ebene der Beobachtung Kommunikation: Neufassung unter Abkehr vom Üblichen (= Info-Übertragung oder gemeinsch. Handeln) als Einheit (!) dreier Selektionen (!): Information, Mitteilung, Verstehen. Legitimation durch Verfahren (pol. Wahl; parlamentarische Gesetzgebung; gerichtlicher Prozess): 1. klass. Konzeption des Verfahrens (=Einheitlichkeit der Vorurteile) a)verfahren ist zwar kein Wahrheitskriterium, fördert aber die Richtigkeit der Entscheidung; ermöglicht und kanalisiert die Kommunikation; garantiert das Zustandekommen von Entscheidungen; Störungen bei der Wahrheitsfindung werden ausgemerzt. b) Zwecke: Politische Wahl: Besetzung aller Entscheidungsinstanzen mit dafür besonders befähigten Personen Deshalb: Konkurrenz um das Amt, freie, allgemeine, gleiche und geheime Wahl. Ideologie: Volonté générale; informierter, rational entscheidender Einzelwähler Gesetzgebung: Richtige Leitentscheidungen in nicht programmierter Situation. Deshalb: Keine Weisungsgebundenheit, keine Rollenverflechtung; Lobbyismus und Fraktionszwang suspekt; freie Diskussion Ideologie: Meinungskonkurrenz als Wahrheitssicherung; Allgemeingültigkeit des Gesetzes Gerichtsverfahren: Expliziter Wahrheitsbezug

Ideologie: Rechtsschutz UND Rechtsfrieden Ein System, das die Entscheidbarkeit aller aufgeworfenen Probleme garantieren muss, kann nicht zugleich die Richtigkeit der Entscheidung garantieren (21) Fazit aus 1: Wahrheit als tragende Funktion? Unplausibel! Vorschlag: Wahrheit nicht mehr als Wert, sondern als sozialen Mechanismus betrachten. Was Wahrheit im sozialen Verkehr leistet, ist Übertragung reduzierter Komplexität (23) (Neuzeitliche Differenzierung! Vgl. Überzeugungsübernahme aufgrund intersubjektiv zwingender Gewissheit anstatt persönlicher Sympathie, Mitgliedschaft, Machtunterlegenheit etc., die ihre Wahrheitsfähigkeit verloren hat) Funktionales Äquivalent zum sozialen Mechanismus Wahrheit: Macht Ziel rechtlich geregelter Verfahren {ist es}, Reduktion von Komplexität intersubjektiv übertragbar zu machen sei es mit Hilfe von Wahrheit, sei es durch Bildung legitimer Macht zur Entscheidung (26) 2. Legitimität Legitimität? Standarddefinition: Die rein faktisch verbreitete Überzeugung von der Geltung des Rechts, von der Verbindlichkeit bestimmter Normen oder Entscheidungen. Überzeugung? Es ist unmöglich, sich zu allen Entscheidungsthemen Überzeugungen zu bilden. Es genügt ein motivfreies

Akzeptieren, die Anerkennung, als Gegensatz zum Protest, dem Festhalten an enttäuschter Erwartung. Anerkennung ist ein Lernprozess, der sich nicht freiwillig, sondern als Folge sozialen Klimas ereignet. Fazit: Legitimation ist nicht Rechtfertigung etwa durch Verfahrensrecht es geht überhaupt nicht um eine normative Sinnbeziehung, sondern um ein reales Geschehen: Umstrukturierung des Erwartens. 3. Verfahren als soz. System {Anm.: Abschn.3 wurde am 22.1. nicht mehr erläutert - Zeitfrage} Verfahren und Ritual: Ritual ist eine Folge festgelegter Handlungen (vgl. Verlegenheitsrituale etwa: Eröffnung einer Verhandlung). In den erörterten Verfahren gibt es ritualistische Elemente, aber der alternativlose Ablauf fehlt. Die juristische Dogmatik kennt drei Grundbegriffe für Verfahren in ihrer Prozesstheorie: Handlung, Situation ( Rechtslage ), Beziehung. Soziologisch gesehen gehen diese Begriffe im Begriff des sozialen Systems auf. Wichtigste Merkmale eines soz. Systems: Verhältnis zur Komplexität der Welt System erfasst einen Ausschnitt aus der Gesamtheit aller Möglichkeiten für das faktische Verstehen (=Komplexität) und konstituiert einen Unterschied von Innen (Handlungsermöglichung) und Außen (Unkontrollierbar). Reduktion von Komplexität durch Strukturbildung (= Generalisierung von Verhaltenserwartungen) Struktur ist selbst Selektion und selegiert (=steuert) die Selektion des Systems: Doppelte Selektivität.

Struktur eines sozialen Systems ist durch Normen vorgezeichnet, die weder das Verfahren selbst sind noch ist Rechtfertigung durch sie =Legitimation. Jedes Verfahren hat eine eigene Geschichte. Verfahrensgeschichte reduziert Komplexität und verleiht (begrenzte) Autonomie (44). Ausbildung von Verfahrensrollen und Trennung zwischen dem Verfahren und seiner Umwelt (Kläger erscheint als Kläger nicht als Briefträger, Ehemann etc.) Klass. Bestimmung, die die Wahrheit als Zweck des Verfahrens ansieht, wird ersetzt durch die Vorstellung von einer begrenzten systemeigenen Komplexität des Verfahrens (52) Folgen: Einzelanalysen der drei Verfahrenstypen: 57-253.