1.2 Das strukturelle Modell des psychischen Apparats

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1 Das psychoanalytische Paradigma 1.1 Überblick Sigmund Freud (1856-1939) Die Psychoanalyse ist dreierlei zugleich: Persönlichkeitstheorie Untersuchungsmethode Therapiemethode (kann als Tiefenhermeneutik verstanden werden) Psychoanalyse ist kein einheitliches Paradigma, es lassen sich viele verschiedene Sub- Paradigmen identifizieren, z.b. psychodynamisches tiefenpsychologisches Die Psychoanalyse beschäftigt sich bei den aktuellen Prozessen vor allem mit der Motivation, wobei diese überwiegend unbewusst sein soll. Das individuelle Verhalten und Erleben ergibt sich aus den Dispositionen (Charakterzügen), die ein Mensch bezüglich der drei Instanzen Ich - Es - Über-Ich besitzt (z.b."schwaches Ich", "strenges Über-Ich") und die ihrerseits auf frühkindliche Erfahrungen zurück geführt werden. Die personalen Faktoren spielen in der Psychoanalyse eine weit größere Rolle als die situativen. [ Übertragung liegt vor, wenn früher erworbene Interaktionsmuster in einer späteren Beziehung wiederholt werden. Ist wichtig, weil dann Chance besteht, frühere und verdrängte Konflikte durchzuarbeiten bzw. darüber zu reflektieren. ] [ Gegenübertragung ist unerwünscht deshalb Lehranalyse, um eigene unbewusste oder verdrängte Konflikte kennen zu lernen und zu bearbeiten ] 1.2 Das strukturelle Modell des psychischen Apparats Persönlichkeitstheorie Relativ späte Entwicklung, 1923 in der Schrift Das Ich und das Es dargelegt Abriss der Psychologie (1940 posthum erschienen): Integration von Trieblehre, Energiemodell und topografischem Modell (unbewusst vorbewusst bewusst) in das strukturelle Modell des psychischen Apparats Mensch ist ein Energiesystem, dessen Basis in angeborenen Trieben besteht. Es zielt darauf ab, Spannungen zu reduzieren und einen Gleichgewichtszustand herzustellen. Spannungen entstehen, wenn libidinöse oder destruktive Motivenergien nach Umsetzung streben. Weil sie nicht oder nicht sofort umgesetzt werden können (Realität, Über-Ich), kommt es zu zusätzlichen Spannungen Zwei Triebe: Sexual- und Aggressionstrieb (Eros und Thanatos) Zwei psychische Regionen: Unbewusstes und Bewusstsein Drei Instanzen ergeben den "psychischen Apparat": 1 / 13

Es - die erste Instanz: enthält die unbewussten Impulse des Sexual- und Aggressionstriebs, die auf sofortige Triebbefriedigung bzw. maximalen Lustgewinn drängen (Lustprinzip) sowie ein sogenanntes primärprozesshaftes (impulsives, alogisches) Denken Ebene der genetisch bedingten Triebe bzw. Motive zwei Triebe: Eros zielt auf Bindung ab, Thanatos strebt nach Auflösung (Todestrieb, Destruktion) können gegeneinander oder in Kombination wirken Die Energie des Eros ist die Libido (ursprünglich sexuelle Energie, später allgemein Bindungs- und Lebensenergie) "Es" kennt kein gut, kennt kein Böse, weder Moral noch Ethik "Es" will nur eines: seinen Impulsen nachgeben und zwar subito presto Es ist: fordernd, blind, impulsiv, irrational, asozial, egoistisch und lustorientiert "Es" enthält auch aus dem Ich verdrängte konflikthafte Inhalte, die die Tendenz haben, bewusst werden zu wollen. Ich - die zweite Instanz Ich entsteht aus einer Rindenschicht des Es durch den Kontakt mit der Realität Ist am Realitätsprinzip und am sekundärprozesshaften, logischen Denke orientiert Prozesse im Ich sind entweder bewusst oder vorbewusst (= bewusstseinsfähig) umfasst vorwiegend bewusste Funktionen wie Wahrnehmen und Denken, die der Realitätsanpassung dienen Aufgabe ist die Selbsterhaltung, was ein bisschen schwierig ist, weil das arme Ich ständig hin- und hergerissen wird von den sich widersprechenden Anforderungen der anderen beiden Instanzen ist daher Schauplatz der Kompromissbildung, weil es zwischen den Impulsen des Es und den Realitätserfordernissen vermitteln muss wenn "Es mit einem durchgeht", dann hat das Ich die Kontrolle über das impulsive Es verloren (Analogie Pferd-Es / Reiter-Ich) muss auch die Anforderungen des Über-Ich berücksichtigen Im Zweifelsfall greift das Ich auf seine vielfältigen Abwehrmechanismen zurück, um endlich Ruhe zu haben Über-Ich - die dritte Instanz repräsentiert moralische Gebote und Verbote, Einfluss der Eltern normative und moralische Ansprüche Werte und Normen, die man im Laufe seiner Sozialisation erwirbt 2 / 13

Zitate Wo Es war, soll Ich werden (Ziel der psychoanalytischen Behandlungsmethode) Das Unbewusste als dritte Kränkung der Menschheit (Galileo: die Erde ist nicht der Mittelpunkt des Universums, Darwin: der Mensch stammt nicht von Gott sondern vom Affen ab, Freud: Der Mensch ist nicht sein eigener Herr, sozusagen) These: Unser Denken, Fühlen und Handeln wird in erster Linie durch unbewusste Prozesse beeinflusst und nicht so sehr durch bewusstes Planen oder Denken. 3 / 13

1.3 Das Ich und seine Abwehrmechanismen Abwehrmechanismen regulieren die Angst, die bei Konflikten zwischen Es, Über-Ich und Realität entsteht. Verdrängung Unerwünschte / gefährliche Triebimpulse werden ins Unbewusste abgeschoben bzw. daran gehindert wieder bewusst zu werden. Der verdrängte Inhalt ist damit nicht weg, sondern gärt weiter im Unbewussten. Um ihn dort zu halten, braucht es eine Menge Energie. Er muss auch in Zukunft daran gehindert werden, dass er wieder bewusst oder gar handlungsleitend wird. ist der wichtigste Abwehrmechanismus, den das Ich zur Regulierung der Angst einsetzen kann Reaktionsbildung Nicht akzeptable Impulse werden durch Betonung des Gegenteils in Gedanken oder im handeln abgewehrt. (Mutter hasst ihr Kind, wehrt ab durch besondere Zuwendung). Projektion Eigene nicht akzeptable Impulse werden anderen zugeschrieben (ich selbst fühle Aggression und behaupte, mein Gegenüber sei aggressiv) Regression Eine Person fällt auf eine frühere Entwicklungsstufe mit primitiveren Reaktionen zurück (stubenreines Kind macht wieder ins Bett, wenn ein neues Geschwisterchen eingetroffen ist) Rationalisierung Ein problematisches Verhalten wird gerechtfertigt mit scheinbar vernünftigen, tatsächlich aber unzutreffenden fadenscheinigen Gründen (Kind wird geschlagen, "um es auf die Härten des Lebens" vorzubereiten) Verschiebung der Triebimpuls wird auf ein anderes Objekt verschoben, z.b. die Wut, die dem Chef gilt, auf den als weniger bedrohlich empfundenen Partner Sublimierung Triebenergie wird in sozial und kulturell hoch bewertete Handlungen umgewandelt (Werke von Künstlern und Wissenschaftlern als umgewandelte libidinöse / aggressive Triebenergie) für Freud der einzig akzeptable Abwehrmechanismus Ständige Abwehr macht auf Dauer krank, d.h. alle Abwehrmechanismen (außer Sublimierung) wirken bei chronischem Gebrauch pathogen und führen auf Sicht zu psychischen Störungen (zu Freuds Zeiten: Neurosen) Einige Abwehrmechanismen sind in der zeitgenössischen Psychologie als intrapsychische Bewältigungsformen in die Stressforschung eingegangen und werden nicht per se als dysfunktional charakterisiert. In besonderen Stresssituationen, z.b. vor einer schwierigen OP, können Abwehrmechanismen (bzw. Abziehen von Aufmerksamkeit ) hilfreich sein, sie verhindern, dass man sich unnötig "verrückt macht". 4 / 13

1.4 Freuds Modell der Entwicklung der Sexualität Freuds Vorstellungen zur Entwicklung der Sexualfunktion waren besonders umstritten und provozierend Seine Phasenlehre konnte in empirischen Studien nicht gestützt werden und gilt heute unter Psychoanalytikern als überholt Erhalten geblieben ist aber die Grundidee, dass Erfahrungen in der frühen Kindheit Einfluss auf das Interaktionsmuster im Erwachsenenalter haben Psychosexuelle Phasen Orale Phase Mund fungiert als erogene Zone Anale Phase Lustgewinn durch Zurückhalten oder Loslassen der Exkremente Phallische Phase Lustgewinn durch Stimulation der Genitalien Erich Fromm: hat die von Freud vorgeschlagenen psychosexuellen Phasen im Sinne psychosozialer Grundkonflikte interpretiert, d.h. die Phasen können auch symbolisch im Sinne einer Auseinandersetzung des Kindes mit den Anforderungen der Gesellschaft interpretiert werden Ödipuskomplex Frühkindliche Sexualentwicklung endet mit dem Ödipuskomplex: Knabe begehrt Mutter, erlebt Vater als Rivalen Kastrationsangst, weil Mutter mit Abschneiden der Genitalien droht, wenn Knabe weiter damit spielt Knabe löst Komplex und Kastrationsangst durch die Identifikation mit dem Vater, d.h. mit den Normen und Werten, die durch ihn repräsentiert werden Durch die Identifikation setzt die Entwicklung des Über-Ichs ein, sowie eine Latenzzeit für die Entwicklung der Sexualfunktion Erst in der Pubertät wird die Entwicklung der Sexualfunktion in der genitalen Phase wieder aufgenommen und abgeschlossen Mädchen entwickeln Penisneid und begehren den Vater als Liebesobjekt. Die auftretenden Konflikte werden durch Identifikation mit der Mutter gelöst. Diese Identifikation mit der Mutter ist aber nicht so stark wie des Knaben mit dem Vater, weshalb Mädchen kein derart ausgeprägtes Über-Ich entwickeln. Karen Horney: weibliche Minderwertigkeitskomplexe sind nicht auf einen fehlenden Penis zurück zu führen, sondern auf tatsächliche Benachteiligung der Frauen im sozialen und gesellschaftlichen Leben 5 / 13

1.5 Entwicklung der Psychoanalyse nach Freud Freuds abtrünnige Schüler Alfred Adler Individualpsychologie bereits in den frühesten Interaktionen eines Kindes entwickelt sich ein Gemeinschaftsgefühl, ein Gefühl des Aufgehobenseins mit und bei Anderen, das auch im späteren Leben mit psychischer Gesundheit einhergeht Carl Gustav Jung Analytische Psychologie Kritisierten die Überbetonung der Sexualität bei Freud und entwickelten eigene Theorein, in denen soziale Bedingungen der Persönlichkeitsentwicklung deutlich stärker berücksichtigt wurden Weitere Entwicklungen Ich-Psychologie (Heinz Hartmann, Erik Erikson) Ich wird stärker autonom gesehen als bei Freud, es durchläuft verschiedene Entwicklungsstadien entwickelt sich von Anfang als eigene Instanz mit eigenen, z.b. wahrnehmungsbezogenen Funktionen (entwickelt sich nicht wie bei Freud aus einer Rindenschicht) Erik Erikson: Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung umfasst gesamte Lebensspanne Entwicklung der menschlichen Ich-Identität in acht Phasen mit jeweils spezifischen Konflikten bzw. Krisen zwischen den Bedürfnissen des Individuums und den Anforderungen der Gesellschaft im mittleren Erwachsenenalter: Konflikt zwischen Generativität (Kinder aufziehen, andere unterrichten, soziales Engagement) und Stagnation (sich nur ums ich selbst kümmern) beides muss im Sinne einer Entwicklungsaufgabe integriert werden, so dass die Fähigkeit entsteht, für andere zu sorgen ohne dabei die eigenen Bedürfnisse aus den Augen zu verlieren 6 / 13

Objektbeziehungstheorien (Melanie Klein, Otto Kernberg, Heinz Kohut) Freuds Modell des psychischen Apparats ist ein intrapsychischer Ansatz (die drei Instanzen beschäftigen sich weitgehend mit sich selbst). Seine Behandlungsmethode beruhte aber auf Übertragung und Gegenübertragung, also einem interpsychischen Ansatz (Psychologie der Bezogenheit) Beides stand bei Freud (theoretisch) unverbunden nebeneinander. Die Objektbeziehungstheorien versuchen, diese Lücke zu schließen. Sie gehen davon aus, dass die realen frühkindlichen Beziehungen für die Entwicklung des Kindes von entscheidender Bedeutung sind. In ihnen verwirklicht das Kind seine angeborenen Neigungen, kognitive und affektive Bindungen zu den Objekten in der Welt herzustellen. Sind entstanden, als zunehmend mehr Patienten mit Persönlichkeitsstörungen behandelt werden mussten (Leute, die unfähig sind, befriedigende Beziehungen zu knüpfen und aufrecht zu erhalten) stellen das Bedürfnis des Subjekts, sich auf Objekte zu beziehen in den Mittelpunkt im Gegensatz zur klassischen Triebtheorie, die sich auf das Bedürfnis des Subjekts, Triebspannungen zu reduzieren, konzentriert Bindungsverhalten wird als evolutionsbiologisch verankert eingestuft Diese Theorien wollen ein besseres Verständnis für die in der heutigen Praxis häufig anzutreffenden psychischen Störungen bieten, bei denen es um Beziehungs-, Selbstwertund Selbstgefühlsprobleme geht. Die Störungen lassen sich nach diesem Ansatz auf reale Konflikte zwischen Selbst, äußerer Umgebung und innerem Milieu der betroffenen Person zurückführen, wie sie in den frühen Beziehungsformen der Kindheit bestanden haben. Narzissmus libidinöse Besetzung des Selbst primärer Narzissmus: normales Durchgangsstadium im Säuglingsalter, bevor das Kind nach und nach seine Libido auf Objekte seiner Umwelt richtet sekundärer Narzissmus =Libido wird wieder von den Objekten abgezogen und auf das eigene Selbst gerichtet Nach Freud haben Heinz Kohut und Otto Kernberg die Narzissmustheorie weiterentwickelt und Kriterien zur Diagnose von narzisstischen Persönlichkeitsstörungen erarbeitet. Zusammenfassend werden die Störungen so beschrieben: ein tiefgreifendes Muster von Großartigkeit (in Phantasie oder Verhalten), Bedürfnis nach Bewunderung und Mangel an Empathie. Otto Kernberg: Narzissmus-Konzeption hat Kriteriensetzung zur Diagnose narzisstischer Persönlichkeitsstörung entscheidend beeinflusst seit 1980 im DSM 7 / 13

Aktuell im DSM-IV-TR: 1. hat ein grandioses Gefühl der eigenen Wichtigkeit (übertreibt z.b. die eigenen Fähigkeiten und Talente; erwartet, ohne entsprechende Leistung als überlegen anerkannt zu werden) 2. ist stark eingenommen von Phantasien grenzenlosen Erfolges, Macht, Glanz, Schönheit oder idealer Liebe 3. glaubt von sich, besonders und einzigartig zu sein und nur von anderen besonderen und angesehenen Personen (oder Institutionen) verstanden zu werden oder nur mit diesen verkehren zu können 4. verlangt nach übermäßiger Bewunderung 5. legt ein Anspruchsdenken an den Tag, d.h. übertriebene Erwartungen an eine bevorzugte Behandlung oder automatisches Eingehen auf die eigene Erwartungen 6. ist in zwischenmenschlichen Beziehungen ausbeuterisch, d.h. zieht Nutzen aus anderen, um die eigenen Ziele zu erreichen 7. zeigt einen Mangel an Empathie: ist nicht willens, die Bedürfnisse und Gefühle anderer zu erkennen oder sich mit ihnen zu identifizieren 8. ist häufig neidisch auf andere oder glaubt, andere seien neidisch auf ihn / sie, 9. zeigt arrogante oder überhebliche Verhaltensweisen oder Haltungen Narzissmus wird in erster Linie als Störung der Beziehungsfähigkeit aufgefasst. "Ich bin allmächtig und vollkommen" "Mein Wille geschehe" Gemeinsame Merkmale psychodynamischer Theorien (Westen und Gabbard, 1999) 1. Viele kognitive, affektive und motivationale Prozesse sind unbewusst und können das Verhalten jenseits bewusster Intentionen und Handlungspläne beeinflussen ( Dritte Kränkung der Menschheit ) z.b. wird prozedurales Wissen [= Wissen wie] in den meisten Fällen ohne bewusste Kontrolle in Verhalten umgesetzt Autofahren, Schuhe binden 2. Psychische, z.b. affektive und motivationale Prozesse laufen parallel ab und können in widerstreitenden, konfligierenden Tendenzen resultieren, die dann durch Kompromissbildungen gelöst werden 3. Abwehr und Selbsttäuschung 4. Der Einfluss vergangener Erfahrungen auf das gegenwärtige Funktionsniveau 5. Die chronischen Wirkungen von Interaktionsmustern, die in der Kindheit erworben wurden 6. Der bewusste oder unbewusste Einfluss sexueller, aggressiver und anderer Wünsche bzw. Ängste (z.b. auch Bedürfnis nach Selbstwertschätzung und Bindung) auf das Erleben und Verhalten 8 / 13

1.6 Methodik und empirische Befunde zum psychoanalytischen Paradigma Freie Assoziation sagen, was durch den Kopf geht Couch-Setting soll Regression fördern Die empirischen Daten, die Freud zur Rekonstruktion der unbewussten Triebdynamik seiner Patienten heranzog, waren in erster Linie freie Assoziationen Traumdeutung Veröffentlichung eigener Träume (1900 Traumdeutung ) Träume als via regia, weil darin die Erfüllung von unbewussten, insbesondere sexuellen Triebwünschen zum Ausdruck kommt, allerdings nicht unmittelbar Manifester Trauminhalt: das, was man erinnert, wovon man erzählen kann. Ist das Ergebnis der Traumarbeit, die darin besteht, den eigentlichen latenten Trauminhalt in einen manifesten umzuwandeln Traumarbeit nötig, weil der Traum der Hüter des Schlafes ist: würde die triebbedingte Wunscherfüllung im Traum unmittelbar, d.h. unverschleiert, erfolgen, wäre dies bedrohlich für den Träumer, er würde aufwachen, um den Traum abzubrechen (siehe Alptraum) durch die Traumarbeit wird ein Kompromiss hergestellt zwischen der Erfüllung von Triebwünschen und dem Bedürfnis zu schlafen Traumdeutung: Erschließung des latenten Inhalts durch den manifesten Inhalt Verschiebung des latenten in den manifesten Trauminhalt: z.b. längliche Objekte für Penis, Höhlen, Öffnungen für Vagina Der kleine Hans Einzelfallstudie, Ödipus- und Kastrationskomplex Tradition der markanten Betitelung wurde in den Fallbüchern zum DSM übernommen Kritik: keine Falsifizierbarkeit und Immunisierung Freuds Methodik aus Sicht des Kritischen Rationalismus nicht akzeptabel Hauptkritikpunkt: durch Freuds Methodik sind seine theoretischen Annahmen nicht falsifizierbar und zudem beinahe immunisiert Psychoanalytische Hypothesen sind empirisch kaum zum Scheitern zu bringen, weil alle empirischen Reaktionen von Patienten oder auch Menschen außerhalb des Settings im Sinne einer Bestätigung der Hypothesen interpretiert werden können. 9 / 13

Studien zum verbalen Konditionieren zeigen, dass Patienten in der psychoanalytischen Behandlung deshalb so häufig über Kindheitserlebnisse und sexuelle Erfahrungen sprechen, weil sie vom Analytiker lerntheoretisch gesehen verstärkt werden, wenn sie darüber erzählen. Analytiker reagieren offensichtlich mit verbalen Verstärkern (z.b. zustimmenden Signalen wie Ja, Mmmhh oder entsprechenden Deutungen), sobald die freien Assoziationen des Patienten in eine Richtung gehen, die zur psychoanalytischen Theorie passt. Bei nichttheoriekonformen Inhalten schweigt der Analytiker. Patienten berichten in der Psychoanalyse also nicht unbedingt deshalb so häufig von Kindheitserinnerungen und sexuellen Erfahrungen, weil diese Erlebnisse so bedeutsam sind, sondern weil sie der Analytiker dazu ermuntert und zustimmende Signale sendet, wenn der Patient das psychoanalytische Spiel richtig mitspielt. Empirische Studien zu psychoanalytischen Konzepten psychosexuelle Stufenlehre konnte empirisch nicht belegt werden Annahmen zur Verschiebung des latenten in den manifesten Trauminhalt auch nicht Bisheriges neuropsychologisches Argument, dass Träume nur zufällige Entladungen von Hirnaktivität seien, ist durch neuere Befunde überholt: auf bestimmte Art hirngeschädigte Patienten (Stirnhirn, Motivationszentren, Frontalcortex) träumen nicht mehr Träume sind nicht vollkommen arbiträr, sondern eng mit solchen Hirnareale verknüpft, die Motive und innere Antriebe steuern Unbewusste emotionale Prozesse neurologische Befunde belegen unbewusste emotionale Prozesse Patient H.M.: als Folge eines neurochirurgischen Eingriffs, um Epilepsieleiden zu kurieren, bekam er eine anterograde Amnesie explizites Gedächtnis für neue Ereignisse fehlt an den Besuch seiner Mutter konnte er sich z.b. nicht erinnern, hatte aber ein vages Gefühl, dass etwas mit ihr passiert sei Studien zum affektiven Konditionieren Ein weiterer Beleg für unbewusste affektive Prozesse liefern Studien zum affektiven Konditionieren (vgl. behavioristisches Paradigma) Lazarus und McCleary (1951) verabreichten ihren Probanden gleichzeitig mit der Darbietung sinnloser Silben leichte Elektroschocks Nach einigen Durchgängen wurden aus den zuvor unkonditionierten Stimuli (den sinnlosen Silben) sogenannte konditionierte Stimuli, d.h. schon die Darbietung der sinnlosen Silben löste bei den Probanden physiologische Reaktionen (Erhöhung der Hautleitfähigkeit) aus, die mit negativem Affekt einhergehen Als Beleg für unbewusste emotionale Prozesse kann nun gewertet werden, dass die Probanden von Lazarus und McCleary die physiologischen Reaktionen auch dann messbar zeigten, wenn ihnen die konditionierten Stimuli subliminal, also unterhalb der Bewusstseinsschwelle, dargeboten wurden. Zusammenfassend kann festgehalten werden: Die unbewussten emotionalen, motivationalen und kognitiven Prozesse, die in den kognitions- und neurowissenschaftlich orientierten Studien empirisch nachgewiesen werden konnten, sind zwar nicht unmittelbare Überprüfungen des Unbewussten im Sinne von Freud (etwa unbewusster sexueller Triebimpulse); sie zeigen aber, dass Freud mit seiner Grundidee (unbewusste Prozesse beeinflussen Verhalten) richtig lag. 10 / 13

Empirische Befunde zum Narzissmus Psychoanalytisches Narzissmus-Konzept seit Anfang der 1980er Jahre auch in der empirisch-akademischen Psychologie etabliert zahlreiche empirische Studien angeregt. Aufnahme der narzisstischen Persönlichkeitsstörung in das DSM-III Raskin und Hall konstruierten 1979 das NPI, das Narcissistic Personality Inventory. deutsche Version, das Narzissmus-Persönlichkeits-Inventar, seit 2004 NPI Fragebogen, der Narzissmus als mehrdimensionales subklinisches Persönlichkeitsmerkmal erfassen soll. Als subklinisches Persönlichkeitsmerkmal wird der mit dem NPI erfasste Narzissmus vor dem Hintergrund einer Kontinuumsannahme verstanden. Kontinuumsannahme besagt, dass es sich bei Persönlichkeitsstörungen um Extremvarianten normaler Persönlichkeitsmerkmale handelt die Kriterien der narzisstischen Persönlichkeitsstörung lassen sich im Wesentlichen auch beim Narzissmus als Persönlichkeitsmerkmal oder Persönlichkeitsstil identifizieren, aber in schwächerer, klinisch unauffälliger Form Personen mit hohen NPI-Werten grandiose Selbstsicht Überschätzung der eigenen Fähigkeiten und Attraktivität problematisches Beziehungsverhalten (z.b. Streben nach Macht in Beziehungen) mangelnde Empathie äußerst empfindlich und aggressiv bei Niederlagen und Kritik Diese empirischen Befunde stützen die strukturellen Komponenten des Narzissmus und konvergieren weitgehend mit den psychoanalytischen Kriterien zur narzisstischen Persönlichkeitsstörung. 11 / 13

1.7 Kritik und Würdigung So neu war das alles nicht! eher wissenschaftshistorischer Einwand, der die Bedeutung des Werkes von Sigmund Freud relativiert, ist der Hinweis, dass die meisten Ideen der Psychoanalyse zu Lebzeiten Freuds bereits verbreitet waren. Auch wenn viele der Ideen der Psychoanalyse zu Lebzeiten Freuds schon verbreitet waren, musste doch erst ein Sigmund Freud kommen und diese Ideen in ein einheitliches System bringen und Begriffe erfinden, die ein bis dahin nicht mögliches Sprechen und Reflektieren über psychische Phänomene ermöglichten. Pansexualismus, Frauenfeindlichkeit und Dogmatismus Überbetonung des Sexuellen in Freuds Werken ziemlich deutlich Tendenz, hinter nahezu jeder menschlichen Regung versteckte sexuelle Impulse zu vermuten Romantische Liebe sei nichts anderes als sublimierte Sexualität. dieser Pansexualismus wurde bereits früh von seinen engsten Schüler kritisiert und um nicht-sexuelle, besonders soziale Motive ergänzt problematisch die frauenfeindlichen und sexistischen Anteile in Freuds Theorie, die z.b. in seiner psychosexuellen Phasenlehre deutlich wurden legte gegenüber Andersdenkenden ein ziemlich dogmatisches Verhalten an den Tag Jung und Adler: Trennung von Freud im Streit auch Heinz Kohut, einer der zentralen Narzissmus-Theoretiker nach Freud, sah sich Anfeindungen von Seiten orthodoxer Psychoanalytiker ausgesetzt, als er eine eigenständige psychoanalytische Selbstpsychologie vorlegte, in der er sich von einigen zentralen triebtheoretischen Annahmen trennte. Ist die Psychoanalyse eine (empirische) Wissenschaft? in jüngster Zeit wird der Versuch unternommen psychoanalytische Postulate neuropsychologisch zu fundieren damit geht Wunsch von Sigmund Freud in Erfüllung wollte seine psychoanalytische Methode von Anfang an naturwissenschaftlich betreiben Freud standen die notwendigen neuropsychologischen Untersuchungsmethoden (z.b. Bild gebende Verfahren) noch nicht zur Verfügung versuchte seine Theorie behelfsmäßig auf der Basis der Interpretation von eigenen und fremden Träumen sowie der freien Assoziationen seiner Patienten zu entwickeln Gründung der International Neuropsychoanalysis Society 2000 in London Ziel: Psychoanalyse und die Neurowissenschaften zusammenzuführen viele interessante und teilweise provozierende Hypothesen und Modelle, die sich teilweise als falsch, d.h. durch die etablierten wissenschaftlichen Methoden falsifiziert, teilweise aber auch als sehr fruchtbar und zutreffend erwiesen haben. Die wissenschaftliche Psychologie hat Freud also viele gute Ideen und Einsichten zu verdanken, auch wenn Freuds Methode selbst nach allgemein akzeptierten Kriterien nicht wissenschaftlich war. 12 / 13

Einfluss auf die Kultur des 20. Jahrhunderts Die Psychoanalyse ist nicht nur ein wichtiges Paradigma innerhalb der Psychologie. Wer die Psychoanalyse nicht kennt, der wird weite Bereiche der Kultur des 20. Jahrhunderts nicht verstehen können. Peter Gay (2006) : Wir alle sprechen die Sprache Freuds, ob wir es wissen oder nicht, ob wir ihn hoch verehren oder tief verachten. Die psychoanalytische Lehre oder zumindest der psychoanalytische Jargon ist unaustilgbarer Bestandteil unserer Welt geworden. 1.8 Wichtige Namen Erich Fromm Karen Horney Carl Gustav Jung Alfred Adler Heinz Hartmann Erik Erikson Melanie Klein Otto Kernberg Heinz Kohut 13 / 13