8 Pflegebedürftig? Vom Antrag bis zur Leistung Pflegebedürftigkeit ist Definitionssache Die Pflegeversicherung ist keine Vollversicherung. Im elften Sozialgesetzbuch (häufig abgekürzt als SGB XI) und in den Richtlinien zu seiner Ausführung ist genau festgelegt, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um Anspruch auf Leistungen aus den Töpfen der Pflegeversicherung zu haben. Den Begriff der Pflegebedürftigkeit fasst das Pflegeversicherungsgesetz dabei sehr eng. Grundsätzlich ist man nach dem Gesetz nur dann pflegebedürftig, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind. Der Hilfebedarf besteht wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung, ist für alltägliche Verrichtungen nötig, die bei jedem Menschen gewöhnlich und regelmäßig im Tagesablauf anfallen, liegt auf Dauer, also nicht nur gelegentlich, in einem bestimmten Umfang vor. Der Begriff auf Dauer ist vom Gesetzgeber vorgegeben und bedeutet, dass der Hilfebedarf für voraussichtlich mindestens sechs Monate bestehen muss. Außerdem muss der Umfang der Hilfestellungen ein bestimmtes Maß überschreiten: Der Gesetzgeber spricht von erheblicher Pflegebedürftigkeit. Was es damit auf sich hat, wird auf Seite 19 ausführlicher dargestellt. Die sogenannten gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auch als Katalog-Verrichtungen bezeichnet sind ebenfalls im Gesetz aufgelistet. Hiernach erhält nur Leistungen, wer
Der Antrag bei der Pflegekasse 9 bei der Körperpflege, bei der Nahrungsaufnahme, beim Aufstehen und Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen und Stehen (Mobilität genannt) und bei der hauswirtschaftlichen Versorgung auf regelmäßige Hilfe angewiesen ist. Der Antrag bei der Pflegekasse Leistungen aus der Pflegeversicherung müssen schriftlich bei der Pflegekasse beantragt werden. Die Pflegekasse ist immer bei der jeweiligen Krankenkasse angesiedelt, bei der der Pflegebedürftige versichert ist. Dort erhalten Sie die notwendigen Formulare und können sich auch über die Antragstellung selbst und die verschiedenen Leistungen informieren. Damit die Kasse den Antrag reibungslos bearbeiten kann, sollten Sie möglichst vollständige Angaben über den gesundheitlichen Zustand und die behandelnden Ärzte machen. Zunächst überprüft die Kasse, ob die Voraussetzungen für eine Pflegestufe erfüllt sind, also zumindest eine erhebliche Pflegebedürftigkeit vorliegt. Zu diesem Zweck sagen sich Mitarbeiter des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) oder von der Kasse beauftragte freie Gutachter zum Hausbesuch an. Sie klären ab, welche Tätigkeiten des täglichen Lebens die pflegebedürftige Person noch selber erledigen kann und wo dauerhafte Hilfe benötigt wird. Der Gutachter leitet das Gutachten an die Pflegekasse weiter. Und auf Grundlage dieses Gutachtens entscheidet die Kasse, ob Pflegebedürftigkeit vorliegt und welche Pflegestufe anerkannt wird.
10 Pflegebedürftig? Vom Antrag bis zur Leistung» Ablauf des Verfahrens Pflegebedürftiger 1. Antrag 5. Bescheid über Pflegestufe 3. Hausbesuch + Gutachten Pflegekasse 4. Übermittlung des Gutachtens 2. Auftrag Gutachter Gut zu wissen Die Leistungen werden rückwirkend bis zum Datum der Antragstellung gewährt. Aus diesem Grund sollten Sie einen Antrag auf jeden Fall frühzeitig stellen, damit Sie bestehende Ansprüche nicht verfallen lassen. Mit welchen Wartezeiten müssen Sie rechnen? Den Antrag zu bearbeiten und zu prüfen, die Begutachtung und den Leistungsbescheid zu erstellen, das braucht Zeit. Doch niemand muss sich in endloser Geduld üben, bis die Leistungen bewilligt werden. Hing die Wartezeit früher noch zum Teil davon ab, in welcher Region man wohnte oder wie viele Begutachtungsaufträge der MDK gerade in Bearbeitung hatte, gibt es mittlerweile konkrete gesetzliche Vorgaben zu den maximal zulässigen Wartezeiten.
Mit welchen Wartezeiten müssen Sie rechnen? 11 Der Gesetzgeber hat den Pflegekassen und den Gutachtern folgende Vorgaben gemacht: Die Pflegekasse ist grundsätzlich verpflichtet, die eingegangenen Anträge unverzüglich an den MDK bzw. einen Gutachter weiterzuleiten. Spätestens fünf Wochen nach Antragstellung sollen die Antragsteller den Bescheid von der Pflegekasse erhalten. Gut zu wissen Wenn die Pflegekassen die Entscheidung über den Antrag nicht fristgerecht treffen oder halten sie eine der anderen Fristen nicht ein, müssen sie für jede begonnene Woche der Fristüberschreitung unverzüglich 70 Euro als erste Versorgungsleistung zur Verfügung an die Versicherten zahlen. Dies gilt auch für Pflegebedürftige in der privaten Pflege-Pflichtversicherung. Befindet sich der Antragsteller im Krankenhaus oder in einer Reha-Einrichtung und benötigt man die Entscheidung der Kasse, um die pflegerische Versorgung zu Hause oder in einem Heim sicherzustellen, muss es sogar noch schneller gehen: In diesen Fällen muss die Begutachtung so schnell wie möglich und spätestens innerhalb einer Woche nach Antragstellung erfolgen. Diese Frist gilt auch dann, wenn der Antragsteller so schwer erkrankt ist, dass er in einem Hospiz oder durch einen speziellen Pflegedienst palliativ 1 gepflegt wird. Darüber hinaus muss die Begutachtung ebenfalls innerhalb einer Woche erfolgen, wenn ein naher Angehöriger, der die Pflege übernehmen soll, beim Arbeitgeber eine berufliche Auszeit für die Pflege die so genannte Pflegezeit angekündigt hat oder wenn 1 Zum Begriff der Palliativpflege siehe Glossar ab Seite 102
12 Pflegebedürftig? Vom Antrag bis zur Leistung die seit 2012 mögliche Familienpflegezeit in Anspruch genommen werden soll. Möchte ein Angehöriger die Pflegezeit oder Familienpflegezeit für die Pflege in der häuslichen Umgebung nehmen ohne dass der Pflegebedürftige sterbenskrank ist und mit Palliativpflege versorgt wird, gilt eine Begutachtungsfrist von zwei Wochen. In diesen dringen Fällen müssen die Versicherten auch unverzüglich vom Gutachter darüber informiert werden, welche Einschätzung er der Pflegekasse übermitteln wird. Übersicht Mit folgenden Wartezeiten können Sie je nach Ausgangslage rechnen Sie befinden sich zu Hause Entscheidung der Pflegekasse muss spätestens nach fünf Wochen schriftlich mitgeteilt werden Sie sind im Krankenhaus oder in einer Rehaklinik und t eine der folgenden Bedingungen muss zusätzlich erfüllt sein eine schnelle Begutachtung ist zur Sicherstellung der Weiterbetreuung (zu Hause oder in einer Einrichtung) notwendig... ein Angehöriger, der die Pflege übernimmt, möchte Pflegezeit nehmen ein Angehöriger, der die Pflege übernimmt, hat mit seinem Arbeitgeber Familienpflegezeit vereinbart Begutachtung muss so schnell wie möglich, spätestens aber innerhalb einer Woche im Krankenhaus oder der Rehaeinrichtung erfolgen Sie befinden sich in einem Hospiz Oder Sie erhalten Palliativpflege Begutachtung muss so schnell wie möglich, spätestens aber innerhalb einer Woche im Hospiz oder zu Hause erfolgen
Mit welchen Wartezeiten müssen Sie rechnen? 13 Sie befinden sich zu Hause und t eine der folgenden Bedingungen muss zusätzlich erfüllt sein... ein Angehöriger, der die Pflege übernimmt, möchte Pflegezeit nehmen ein Angehöriger, der die Pflege übernimmt, hat mit seinem Arbeitgeber Familienpflegezeit vereinbart Begutachtung muss so schnell wie möglich, spätestens aber innerhalb von zwei Wochen in der häuslichen Umgebung erfolgen Gut zu wissen In der Regel erfolgt die Begutachtung zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit in der häuslichen Umgebung. Nur in Ausnahmefällen darf eine Festlegung der Pflegestufe ohne Begutachtung erfolgen, wenn das Ergebnis schon eindeutig aus den Akten hervorgeht. Pflegezeit und Familienpflegezeit Zugegeben die Begriffe, mit denen man sich als Antragsteller von Sozialleistungen manchmal herumschlagen muss, erklären sich häufig nicht von selbst. Dies gilt besonders dann, wenn sie auch noch (wie in diesem Fall) nahezu identisch klingen. Da beide Begriffe für die Fristen, innerhalb derer die Begutachtung zu erfolgen hat, von Bedeutung sind, möchten wir sie an dieser Stelle kurz erläutern. Pflegezeit Vor allem in der ersten Zeit der Pflegebedürftigkeit muss von Angehörigen in der Regel viel organisiert werden. Für berufstätige Menschen kein leichtes Unterfangen. Um die Situation der Angehörigen in diesem Punkt zu verbessern, hat der Gesetzgeber die sogenannte Pflegezeit eingeführt und den Arbeitnehmern darüber hinaus noch die Möglichkeit gegeben, zur Organisation der Pflege und Betreuungsmaßnahmen für einige Tage von der Arbeit fernzubleiben. Unsere Tabelle gibt Ihnen einen Überblick über Umfang und Grenzen dieser rechtlichen Möglichkeiten: t