Studienvereinigung Kartellrecht Arbeitsgruppe Österreich ---------- Kartellrecht quo vadis? Wien, 14. Oktober 2015



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Textgegenüberstellung

Transkript:

Studienvereinigung Kartellrecht Arbeitsgruppe Österreich ---------- Kartellrecht quo vadis? Wien, 14. Oktober 2015 Grundrechtliche Vorgaben für den gerichtlichen Rechtsschutz gegen rechtswidrige Geldbußenbeschlüsse der Kommission nach Art. 23 Abs. 2 Buchst. a) der Verordnung Nr. 1/2003 und ihre Gewährleistung in der Praxis Dr. Georg-Klaus de Bronett

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH (Telefónica, Rn. 39 f.) verfügt das Unionsrecht über Rechtsbehelfe, die einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz im Sinne von Art. 47 der Charta, der Art. 6 Abs. 1 EMRK entspreche, gewährleisten. Dieser Rechtsschutz bestehe aus der in Art. 263 AEUV vorgesehenen Rechtmäßigkeitskontrolle und der in Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 enthaltenen Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung der Höhe der Geldbuße (Schindler, Rn. 38). 2

Der Rechtsschutz ist als adversarisches Verfahren ausgestaltet, in dem sich der Adressat des Geldbußenbeschlusses als Kläger und die Kommission als Beklagte gegenüberstehen (Schindler, Rn. 37). Die vom klagenden Unternehmen zu substantiierenden Rügen und der zugehörige Tatsachenvortrag bestimmen die Kontrollbefugnis des Gerichts, das nicht darüber hinaus gehen darf (non ultra petita). Es muss sogar ggf. trotz erkannter Rechtswidrigkeit des Beschlusses die Klage zurückweisen. 3

GLIEDERUNG Die Kontrolle der Rechtmäßigkeit - Die Fairness des Verfahrens - Art. 47 Abs. 2 Satz 1 der Charta / Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der EMRK - Die Unschuldsvermutung - Art. 48 Abs. 1 der Charta / Art. 6 Abs. 2 EMRK Die Prüfung der Angemessenheit - Die Fairness bei der gerichtlichen Prüfung der Angemessenheit - Art. 47 Abs. 2 Satz 1 der Charta / Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der EMRK - Die Unbestimmtheit des quantitativen Geldbußenrahmens - Art. 49 Abs. 1 Satz 1 der Charta / Art. 7 Abs. 1 Satz 1 EMRK 4

Die Fairness des Verfahrens Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK erfordert die Fairness eines Gerichtsverfahrens über eine strafrechtliche Anklage, dass der Richter für die Prüfung der Rechtmäßigkeit des streitigen Beschlusses über eine Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung verfügt. Zu den Merkmalen einer solchen Befugnis gehört, dass das Gericht die Befugnis hat, die angefochtene Entscheidung in allen tatsächlichen und rechtlichen Punkten zu prüfen. (Menarini, 59). Aber: Der Gerichtshof weist darauf hin, dass in vorliegender Sache die Verwaltungsgerichte die rechtlichen und faktischen Argumente der Klägerin geprüft haben (Menarini, 63). 5

Die Fairness des Verfahrens Menarini, 63 Satz 1 = obiter dictum - eine auf die Anträge der Parteien beschränkte richterliche Nachprüfungsbefugnis # eine Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung. - Janosevic, 8: [they] have jurisdiction to examine all aspects of the matters before them. If they disagree with the findings of the Tax Authority, they have the power to quash the decisions appealed against. For these reasons, the Court finds that the judicial proceedings in the case have been conducted by courts that afford the safeguards required by Article 6 1. - Jussila, insbesondere 43: Die Garantien des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK können nur dann eingeschränkt werden, wenn die strafrechtliche Anklage von minderem Gewicht ist. 6

Die Unschuldsvermutung Der Grundsatz der Unschuldsvermutung ist eine der bedeutendsten Verfahrensregelungen im Rechtsstaat, ein Wert, auf den sich nach Art. 2 EUV die EU gründet. GAin Trstenjak, C-62/06, Rn. 66: Der Grundsatz der Unschuldsvermutung verlangt vom Staatsanwalt, die Schuld des Angeklagten zweifelsfrei zu beweisen. Navalnyy, 83) that the prosecution has to prove its case [is] one of the fundamental principles of criminal law. Janosevic, 96 f. : the members of a court should not start with the preconceived idea that the accused has committed the offence charged; the prosecution has to show that there are grounds, under the relevant laws, for imposing the tax surcharges. 7

Die Fairness bei der Prüfung der Angemessenheit der Geldbußen Parker-Hannifin, Rn. 76: Die Ausübung der Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung nach Art. 31 Verordnung Nr. 1/2003 hat den Verfahrensregeln der Kontrolle der Rechtmäßigkeit zu folgen. 8

Die Unbestimmtheit des quantitativen Geldbußenrahmens Dansk Rorindustri, Rn. 280 ff.: Die 10 %-Obergrenze weist keinen Bezug zu den Kriterien der Schwere und der Dauer der Zuwiderhandlung auf. Diese Norm bewirkt allein, dass eine anhand der Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung bestimmte höhere Geldbuße ohne jede Wertung auf die 10 %- Grenze gesenkt wird Was ist eine der Tat angemessene Geldbuße, wenn kein gesetzlicher quantitativer Geldbußenrahmen besteht? 9

Die Autonomie des EU-Primärrechts Schindler, Rn. 38: Der Rechtsschutz gegen Geldbußenbeschlüsse der Kommission in Kartellsachen gehört zum EU-Primärrecht ( die in den Verträgen vorgesehene Kontrolle ). Gutachten Nr. 2/13, Rn. 170: Die Autonomie, über die das Unionsrecht im Verhältnis zum Völkerrecht verfügt, gebietet, dass die Auslegung [der Grundrechte] im Rahmen der Struktur und der Ziele der Union gewährleistet ist. 10

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 11