Der Ausgleichanspruch des Handelsvertreters. Nr. 126/13



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Der Ausgleichanspruch des Handelsvertreters Nr. 126/13

Ansprechpartner: RA Oliver Baumbach Geschäftsbereich Recht Steuern der IHK Nürnberg für Mittelfranken Ulmenstraße 52, 90443 Nürnberg Tel.: 0911/13 35-388 Fax: 0911/13 35-463 E-Mail: oliver.baumbach@nuernberg.ihk.de Internet: www.ihk-nuernberg.de Mit freundlicher Genehmigung der IHK Schwaben Stand: April 2013 Hinweis: Die Veröffentlichung von Merkblättern ist ein Service der IHK Nürnberg für ihre Mitgliedsunternehmen. Dabei handelt es sich um eine zusammenfassende Darstellung der rechtlichen Grundlagen, die nur erste Hinweise enthält und keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Richtigkeit erhebt. Obwohl es mit größtmöglicher Sorgfalt erstellt wurde, kann eine Haftung für die inhaltliche Richtigkeit nicht übernommen werden, es sei denn, der IHK wird vorsätzliche oder grob fahrlässige Pflichtverletzung nachgewiesen. Die Merkblätter können eine anwaltliche Beratung im Einzelfall nicht ersetzen.

DER AUSGLEICHSANSPRUCH DES HANDELSVERTRETERS 1 1. Vorbemerkung In Folge eines Urteils des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 26.03.2009 war durch den Bundesgesetzgeber 89 b des Handelsgesetzbuchs (HGB), der im deutschenrecht den Ausgleichsanspruch behandelt, mit Wirkung zum 5. August 2009 geändert worden. Die Provisionsverluste des Handelsvertreters, bisher neben den verbleibenden Unternehmervorteilen und der Billigkeitskontrolle drittes Tatbestandselement des 89 b Abs. 1 S. 1 HGB, wurden zu einem Beispielsfall innerhalb der Billigkeitskontrolle herabgestuft. Heute, mehr als drei Jahre nach der Gesetzesänderung, kann gesagt werden, dass sich an der Praxis der deutschen Gerichte, und damit auch der Handhabung der Berechnungen durch Handelsvertreter/Unternehmer und ihre Anwälte, wenig geändert hat. Urteile höherer Gerichte, wonach die Ermittlung des Ausgleichsanspruchs auf die konkrete Berechnung von Unternehmervorteilen gestützt wurde,sind bisher nicht bekannt geworden. Dies dürfte vor allem daran liegen, dass es für die Berechnung der Unternehmervorteile anders als bei den Provisionsverlusten keinen einheitlichen Lösungsansatz gibt und vor allem der Zeitund Kostenaufwand (inklusive aufwendiger Sachverständigengutachten) für den Handelsvertreter, der ja den Anspruch selbst errechnen (lassen) muss, zu hoch ist. 2. Definition, Rechtsgrundlage und Abgrenzung Der Ausgleichsanspruch ist ein zentrales Institut des deutschen Handelsvertreterrechts. Der Handelsvertreter, der seine Tätigkeit nicht nur im Nebenberuf ausübt ( 92 b HGB), kann nach Beendigung des Vertragsverhältnisses von dem Unternehmer, dem er einen von ihm aufgebauten oder intensivierten Kundenstamm hinterlässt, gem. 89 b HGB eine angemessene Ausgleichszahlung verlangen. Einzelheiten und Hinweise hierzu finden sich im nachfolgenden Text. Im vorliegenden Merkblatt kann nur der Ausgleichsanspruch des Warenvertreters abgehandelt werden. Zwar gilt 89 b HGB mit einigen Einschränkungen grundsätzlich auch für Versicherungs- und Bausparkassenvertreter sowie die Vermittler von Finanzdienstleistungen; hier wurde durch die EuGH-Entscheidung und die Reaktion des deutschen Gesetzgebers die Situation aber noch unüberschaubarer als bereits zuvor. Gleiches gilt für den in bestimmter Konstellation möglichen Ausgleichsanspruch von Vertragshändlern, Franchisenehmern und Kommissionsagenten, bisher behandelt analog 89 b HGB; hier ist die neue Entwicklung bis heute noch weniger absehbar als beim Warenvertreter. Des weiteren wird darauf hingewiesen, dass sich die nachfolgenden Ausführungen nur auf inländische Handelsvertreterverhältnisse beziehen können, da sich die Rechtslage bei Vertretungen im Ausland bzw. mit ausländischen Unternehmen, insbesondere außerhalb der EU und des EWR, völlig anders darstellen kann.

2 3. Gesetzliche Voraussetzungen: Der Handelsvertreter kann von dem Unternehmer nach Beendigung des Vertragsverhältnisses einen angemessenen Ausgleich verlangen, wenn und soweit 1. der Unternehmer aus der Geschäftsverbindung mit neuen Kunden, die der Handelsvertreter geworben hat, auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile hat, und 2. die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der dem Handelsvertreter aus Geschäften mit diesen Kunden entgehenden Provisionen, der Billigkeit entspricht. Voraussetzung 1- Beendigung des Vertragsverhältnisses: Die Beendigung des Vertragsverhältnisses ist gleichzeitig Voraussetzung und maßgeblicher Zeitpunkt für das Entstehen des Ausgleichsanspruchs. Beendigungstatbestände sind Kündigung durch den Unternehmer, einverständliche Vertragsaufhebung, Tod (dann Anspruch der Erben) und unter bestimmten Voraussetzungen(s. u.), auch Eigenkündigung des Handelsvertreters. Auch eine wesentliche Bereichsreduzierung kann als (Teil-) Beendigung ausgleichsbegründend sein. Voraussetzung 2 Werbung neuer Kunden bzw. Intensivierung von Altkunden: Der Ausgleichsanspruch knüpft an die Geschäftsverbindung mit neuen Kunden, die der Handelsvertreter geworben hat, an. Neukunden sind Kunden, die bei Vertragsbeginn für den Unternehmer als Kunde noch nicht existierten und während der Zusammenarbeit vom Handelsvertreter geworben wurden. Ausgleichspflichtig sind nach dem Gesetz ausdrücklich auch sogenannte intensivierte Altkunden, wobei davon auszugehen ist, dass ein solcher Altkunde dann ausgleichspflichtig ist, wenn der Umsatz mit ihm während der Tätigkeit des Handelsvertreters im Jahresvergleich um mindestens 100 % (inflationsbereinigt) gewachsen ist. Voraussetzung 3- Erhebliche Unternehmervorteile: Dem Unternehmer müssen Geschäftsverbindungen verbleiben, welche die Aussicht auf weitere Abschlüsse (Nachbestellungen) in einem überschaubaren Zeitraumbegründen. In Betracht kommen nur Kunden, die der Handelsvertreter neu geworben oder mit denen er eine vorhandene Geschäftsverbindung wesentlich erweitert hat (vgl. Voraussetzung 2 ). Die Aussicht auf weitere Abschlüsse ist aus Sicht des Stichtages (Beendigung des Vertragsverhältnisses) zu bewerten, und zwar anhand der Abschlüsse mit den betreffenden Kunden innerhalb der letzten 12 Monate des Vertragsverhältnisses, wobei bei langlebigen Wirtschaftsgütern, die vom Kunden erst nach mehreren Jahren nachbestellt zu werden pflegen, auch ein längerer Zeitraum zugrundegelegt werden kann. Zur Bewertung s. u. bei Ziffer 4.

3 Voraussetzung 4- Billigkeitsprüfung: Der Ausgleichsanspruch kann sich beim Vorliegen besonderer Umstände erhöhen, aber auch vermindern oder ganz ausgeschlossen sein. Vermindern kann er sich u. a. wegen der Sogwirkung eines Markenartikels, bei Leistungen des Unternehmers zur Altersversorgung des Handelsvertreters, bei außergewöhnlichen Beiträgen des Unternehmers zum Absatz des Vertreters mittels Werbeetat oder Zuschüssen zu den Unkosten, wegen der Ersparnis von Unkosten (wenn die Unkosten der Vertretung besonders hoch waren) oder bei einer Möglichkeit der Weiternutzung des Kundenstammes durch den Handelsvertreter nach Übernahme einer Konkurrenzvertretung. Eine Herabsetzung kann sich auch aus den Hintergründen der Vertragsbeendigung, insbesondere aus einem grob schuldhaften Verhalten des Handelsvertreters ergeben. Ausgleichserhöhende Faktoren im Rahmen der Billigkeitskontrolle können u. a. sein die langjährige erfolgreiche Tätigkeit des Handelsvertreters und dessen besonderen schwierigen und aufwendigen Bemühungen zur Kundengewinnung, u. U. auch eine Einstandszahlung bei Übernahme der Vertretung, letztlich auch ein besonders vertragswidriges Verhalten des Unternehmers, das zum Auseinandergehen führte. Wichtigster Billigkeitsgesichtspunkt sind nach der Handelsvertreter-Richtlinie von 1986 und aus Sicht des EuGH-Urteils vom 26.03.2009 nunmehr die dem Handelsvertreter aus Geschäften mit den von ihm geworbenen bzw. intensivierten Kunden entgehenden Provisionen. Anders aber als bisher ist der Ausgleichsanspruch nichtmehr durch die entgangenen Provisionen nach oben begrenzt, er kann bei entsprechend höheren Unternehmervorteilen gemäß oben Voraussetzung 3 oder aus Gründen der Billigkeit im Einzelfall die Provisionsverluste übersteigen, was in der Praxis den Vertretern zugute kommen wird, die bevorzugt Rahmenverträge oder Dauerschuldverhältnisse vermitteln (wo oft nur eine Einmalprovision entsteht) oder auch im sog. Rotationsvertrieb. 4. Höhe des Ausgleichsanspruchs: Zunächst ist der Rohausgleich zu ermitteln. Das wäre eigentlich derjenige rechnerische Betrag, der herauskommt, wenn man die Unternehmervorteile ermittelt hat und die Billigkeitsprüfung unter besonderer Bewertung der Provisionsverluste stattgefunden hat. Denn mit der Klarstellung im EuGH-Urteil, dass die Provisionsverluste des Handelsvertreters nicht den Ausgangspunkt, sondern nur ein Kriterium der Billigkeit des Ausgleichs darstellen, wurde die Basis der bisherigen Berechnungsmethode des Rohausgleichs, nämlich die Summe der Provisionen, die der Handelsvertreter in den letzten 12 Monaten seiner Tätigkeit erzielt hatte, in Frage gestellt.

4 Wie schon oben in der Vorbemerkung dargestellt, hat sich in der Praxis aber zumindest bis dato wenig geändert. Urteile des Bundesgerichtshofs seit 2010 lassen vielmehr erkennen, dass, solange keine Prozesspartei zur Ausgleichsberechnung die Unternehmervorteile heranzieht und bewertet (was in den den veröffentlichten Urteilen zugrunde liegenden Sachverhalten in keinem Fall geschehen war), weiter mit der bisherigen Berechnungsmethode gearbeitet wird. Aus diesem Grund wird die gewohnte Methode der Rohausgleichsberechnung über den Weg der Ermittlung der Provisionsverluste nachstehend weiter dargestellt: Zur Ermittlung des sog. Rohausgleichs legt man aus Praktikabilitätsgründen zunächst die Summe der Provisionen zugrunde, die der Handelsvertreter während der letzten 12 Monate seiner ungehinderten vertraglichen Tätigkeit aus Geschäften mit solchen Kunden verdient hat, die er während des Vertragsverhältnisses neu geworben oder intensiviert hat. Dabei geht die Rechtsprechung davon aus, dass diese Kunden wenn nicht zum Stichtag schon bekannt ist, dass sie wegen Insolvenz oder aus anderen Gründen in Zukunft ausfallen werden je nach Branche für die Dauer von in der Regel 3 bis 5 Jahren weiterbestellen werden und während dieses Prognosezeitraums in der Regel zwischen 10 % und 30 % des Kundenstammes jährlich verloren gehen. Musterbeispiel (1) Bei einer zu berücksichtigenden Provision in den letzten 12 Monaten der ungehinderten vertraglichen Zusammenarbeit (Vertriebsgegenstand ein bekannter Markenartikel) in Höhe von 60.000,-, einem Prognosezeitraum von 4 Jahren, einer jährlichen Abwanderungsquote von 20 % und einer Abzinsung von 5 %ergibt sich folgendes: 1. Prognosejahr 60.000,-./. 20 % = 48.000,- 2. Prognosejahr 48.000,-./. 20 % = 38.400,- 3. Prognosejahr 38.400,-./. 20 % = 30.720,- 4. Prognosejahr 30.720,-./. 20 % = 24.576,- Summe 141.696,- In einem zweiten Schritt sind sonstige Billigkeitsgesichtspunkte, Beispiele s. o. Voraussetzung 4, zu berücksichtigen, deren Vorliegen in der Regel zu einem prozentualen Abschlag von der Forderung führt. Der nach der Billigkeitsüberprüfung ermittelte Ausgleichsbetrag ist sodann abzuzinsen, da dem Handelsvertreter mit dem Ausgleich eine Zahlung sofort zufließt, die er ohne Beendigung des Vertragsverhältnisses in Form von Provisionsverdiensten erst über einen längeren Zeitraum verteilt erzielt hätte. Die

5 Abzinsung kann nach pauschalen Prozentsätzen oder nach mathematischen Grundsätzen erfolgen. Musterbeispiel (2) Aus der oben ermittelten Summe von 141.696,- erfolgt beispielsweise ein Billigkeitsabzug von 25 % wegen Sogwirkung der Marke, verbleiben 106.272,- Abzinsung 5 % (DATEV-Kapitalabzinsungstabelle Faktor 0,823): Rohausgleich = 87.462,- Mit dem abgezinsten Ausgleichsbetrag hat man den Rohausgleich ermittelt. In einem dritten Schritt ist egal, welchen Weg der Vertreter zur Berechnung des Rohausgleichs gewählt hat nunmehr die Obergrenze des 89 b Abs. 2 HGB zu ermitteln. Das Gesetz sieht auch nach der Änderung des 89 b HGB - vor, dass der Ausgleichsanspruch nicht höher sein darf als eine nach dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre der Tätigkeit des Handelsvertreters berechnete Jahresprovision oder sonstige Jahresvergütung, wobei bei kürzerer Zusammenarbeit der Durchschnitt während der tatsächlichen Dauer der Tätigkeit maßgebend ist. Zur Feststellung dieser Obergrenze sind alle Vergütungen mit Ausnahme von Aufwendungsersatzzahlungen hochzuaddieren. Daraus ist dann der Jahresdurchschnitt zu errechnen. Musterbeispiel (3) Der Handelsvertreter hatte in den letzten fünf Vertragsjahren (Vertragsende 31.10.2008) mit dem Unternehmen folgende Gesamtprovisionszahlungen aus dem Geschäft mit Alt- und Neukunden erzielt: Zeitraum 01.11.2007 bis 31.10.2008: 50.000,- Zeitraum 01.11.2008 bis 31.10.2009: 60.000,- Zeitraum 01.11.2009 bis 31.10.2010: 65.000,- Zeitraum 01.11.2010 bis 31.10.2011: 75.000,- Zeitraum 01.11.2011 bis 31.10.2012: 60.000,- Summe daraus 310.000,-. Daraus ergibt sich eine durchschnittliche Jahresprovision in Höhe von 62.000,-. Damit kann nun der Ausgleichsanspruch endgültig beziffert werden. Liegt der Rohausgleich unter der Obergrenze, bleibt es bei diesem. Ist wie in der Regel die Obergrenze niedriger als der Rohausgleich, so besteht eine Ausgleichsforderung in Höhe der Obergrenze.

6 Ergebnis Musterbeispiel Da dieser Betrag niedriger ist als der oben ermittelte Rohausgleich, besteht ein Ausgleichsanspruch in Höhe von 62.000,-. 5. Entfallen des Ausgleichsanspruchs: Ein Ausgleichsanspruch besteht nicht, wenn der Handelsvertreter das Vertragsverhältnis selbst gekündigt hat, es sei denn, dass Umstände, die dem Unternehmer zuzurechnen sind, hierzu begründeten Anlass gaben oder wenn dem Handelsvertreter eine Fortsetzung seiner Tätigkeit wegen Krankheit oder Alters (beispielsweise mit Erreichen des Pensionsalters) nicht zugemutet werden kann. Ebenso wenig besteht der Anspruch, wenn der Unternehmer das Vertragsverhältnis ordentlich oder außerordentlich gekündigt hat und für die Kündigung ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters vorlag. Ein Anspruch besteht auch dann nicht, wenn aufgrund einer Vereinbarung zwischen dem Unternehmer und dem Handelsvertreter, die nach Vertragsende getroffen wurde, ein Dritter anstelle des Handelsvertreters in das Vertragsverhältnis eintritt. 6. Zwingendes Recht: Der Ausgleichsanspruch kann nicht im Voraus ausgeschlossen werden, er ist unabdingbar. Meist scheitert der Versuch, den Ausgleichsanspruch durch Vertragsklauseln auszuschließen, wie beispielsweise die Vereinbarung der Zahlung eines wirtschaftlich nichtveranlassten Einstands für die Übernahme der Handelsvertretung oder die Klausel, dass in der vereinbarten Provision ein angeblicher Zuschlag von x % enthalten ist, der über die branchenüblichen Provisionssätze hinaus gewährt wird, oder auch die Formulierung, dass ein Teil der laufenden Provisionszahlungen als Darlehen an den Handelsvertreter gewährt wird, das mit einem späteren Ausgleichsanspruch zu verrechnen ist. Diese Bemühungen sind in aller Regel rechtsunwirksam, soweit nicht ein ernsthafter wirtschaftlicher Hintergrund vorhanden ist. 7. Ausschlussfrist und Verjährung: Der Ausgleichsanspruch ist vom Handelsvertreter innerhalb eines Jahres nach Beendigung des Vertragsverhältnisses geltend zu machen. Formlose Geltendmachung auch ohne genaue Bezifferung genügt, muss aber im Streitfall nachweisbar sein. Für die Klageerhebung gilt, soweit nichts anderes wirksam vertraglich vereinbart wurde, eine Verjährungsfrist von 3 Jahren, beginnend mit dem Schluss des Jahres, in dem das Vertragsverhältnis endete. Der Anspruch kann zwischen Geltendmachung und Verjährung verwirken, wenn er lange Zeit nicht weiter verfolgt wird.

7 8. Tipps: Für den Handelsvertreter: Zeichnet sich die Notwendigkeit einer Eigenkündigung aus Krankheitsgründen ab, sollten nach dem Auftreten der Erkrankung ärztliche Atteste, die sich insbesondere auch auf die Zumutbarkeit der Fortführung der konkreten Handelsvertretertätigkeit beziehen, eingeholt und aufbewahrt werden. Werden Erkrankung und Unzumutbarkeit der Fortsetzung der Tätigkeit nachher im Prozess bestritten, ist der Gesundheitszustand anderenfalls rückwirkend nur sehr schwer nachzuweisen. Bei Zahlung einer Ablöse an seinen Vorgänger sollte sich der Handelsvertreter vom Unternehmen vertraglich festschreiben lassen, dass die Altkunden, für die er den Einstand gezahlt hat, im Fall der Beendigung seines eigenen Vertrages ausgleichsrechtlich als neu geworben gelten. Vorsicht bei Auszahlung des Ausgleichs in Raten, dabei könnten Tarifvergünstigungen der Einkommensbesteuerung des Ausgleichs entfallen (Steuerberater konsultieren!). Für den Unternehmer: Es empfiehlt sich, eine Software vorzuhalten, diees ermöglicht, auf alle Fragen betreffend die Provision sämtlicher beschäftigter Handelsvertreter und Bezirke ohne tagelange Belegsuche - im Archiv Auskunft zu erteilen, und zwar nach Gruppen (Arten der Provisionen), Kunden (sowohl einzeln als auch nach Kategorien als auch in der Gesamtheit) und Zeiträumen (beliebig verschiebbare Monats-, Jahres- und 5-Jahres-Zeiträume). Diese ist nicht nur bei der Ermittlung des Ausgleichsanspruchs, sondern auch im Rahmen der Erstellung eines Buchauszuges etc. mehr als hilfreich. Für beide Vertragspartner: Es empfiehlt sich, bei Beginn der Zusammenarbeit gemeinsam ein Altkundenverzeichnis mit den aktuellen Jahresumsätzen der vorhandenen Kunden zu erstellen, um damit bereits im Vorfeld späterem Streit und Beweisschwierigkeiten bei der Ermittlung des Ausgleichsanspruchs bestmöglich vorzubauen.

8 Hinweis: Vorstehende Ausführungen sind als erste Übersicht und als Einstieg in die komplexe Rechtsmaterie gedacht. Eine vollständige Darstellung ist nicht möglich. In Zweifelsfällen kann es ratsam sein, einen spezialisierten Rechtsanwalt zu konsultieren. Verfasser: Rechtsanwalt Dr. Lemor, Augsburg Nachdruck nur mit freundlicher Genehmigung der IHK Schwaben