Systeme Denken und Handeln Das Metanoia-Prinzip
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- Helge Schenck
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1 Günther Ossimitz Christian Lapp Systeme Denken und Handeln Das Metanoia-Prinzip Eine Einführung Franzbecker
2 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über < abrufbar. Bibliographic information published by Die Deutsche Bibliothek Die Deutsche Bibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data is available in the Internet at < Günther Ossimitz Christian Lapp Systeme Denken und Handeln Das Metanoia-Prinzip Eine Einführung ISBN Variierte Version der ersten Auflage. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere die der Vervielfältigung und Übertragung auch einzelner Textabschnitte, Bilder oder Zeichnungen vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf ohne schriftliche Zustimmung des Verlages in irgendeiner Form reproduziert werden (Ausnahmen gem. 53, 54 URG). Das gilt sowohl für die Vervielfältigung durch Fotokopie oder irgendein anderes Verfahren als auch für die Übertragung auf Filme, Bänder, Platten, Transparente, Disketten und andere Medien by Verlag Franzbecker, Hildesheim
3 Inhalt Vorwort 11 Zum Aufbau dieses Buches 11 Wie soll man dieses Buch lesen? 12 Das Metanoia-Prinzip 13 Zu dieser Auflage 13 Danksagung 14 1 Vernetztes Denken Was ist ein System? Begriffsdefinition Elemente, Beziehungen, Systemgrenzen Geschlossene und offene Systeme Funktionen von Systemen Systeme nach Rapoport Systeme betrachten Struktur und Verhalten von Systemen Strukturelle und dynamische Komplexität von Systemen Lineare, nichtlineare und rückgekoppelte Systeme Systeme, Teilsysteme und Obersysteme System und Beobachter Selbstbezüglichkeiten, Paradoxien und Metaebenen Aporetische Konflikte Systeme darstellen und modellieren Denken und Darstellen Systemdenken braucht systemische Darstellungsmittel Vier Darstellungsmodi von Systemen Wirkungsdiagramme (Causal Loop Diagrams) Arten von Wirkungsbeziehungen Wirkungsketten Rückkopplungen Eskalierende vs. stabilisierende Rückkopplungen Systemarchetypen nach Senge Systemarchetyp Eskalation Systemarchetyp Erfolg den Erfolgreichen Die Bedeutung der wahrgenommenen Systemgrenzen 57 5
4 Das Metanoia-Prinzip 1.5 Was ist Vernetztes Denken? Lineares (funktionales) Denken Vernetztes Denken Systemansätze in verschiedenen Wissenschaften Der mathematische Systemansatz Gleichungssysteme Allgemeine Systemtheorie General Systems Theory Der kybernetische Systemansatz Der System Dynamics Ansatz Ökologischer Systemansatz Der Kommunikationstheoretische Systemansatz 70 Literatur zu Kapitel Zeitliche Dynamiken Die Logik des Misslingens nach Dietrich Dörner Forschungsergebnisse zum Komplexen Problemlösen Zeitgestalten versus Raumgestalten Verschiedene Typen von zeitlichen Dynamiken Kontinuierliche vs. diskrete Modellierung von Zeit Kontinuierliche vs. diskontinuierliche Veränderungen Dynamisches Gleichgewicht vs. Ungleichgewicht Wachstum versus Abnahme Stabilität und Wandel Stabilität von Systemen Stabilität und Betrachtungshorizont Wandel erster und zweiter Ordnung Systemarchetyp Shifting the Burden Wandel erster Ordnung und Shifting the Burden Die lange Geschichte von Shifting the Burden Die Logik von Quick and Dirty -Lösungen Problemverschiebung auf den Intervenierenden Systemarchetyp Erodierende Ziele Scylla und Charybdis Zeitverzögerungen Fallbeispiel: Auswirkungen der Ein-Kind-Politik in China Das Prinzip von Saat und Ernte 96 6
5 Inhalt Homöostat mit Zeitverzögerung Das Kühlhaus-Experiment Der Schweinezyklus Zeitverzögerung und das Thema Geld Die Logik von Schulden Wie sollen wir mit dem Thema Schulden umgehen? Wachstumsformen Begrenztes und unbegrenztes Wachstum Systeme mit Zwang zu permanentem Wachstum Lineares Wachstum Exponentielles Wachstum Logistisches Wachstum Logistisches Wachstum und Chaos Stocks and Flows Grundsätzliches zur Stock-Flow-Logik Bestandsgrößen, Veränderungsgrößen und Flussgrößen Stock-Flow-Diagramme Der Keynesianische Multiplikatoreffekt Das Grundmodell von Keynes Der Multiplikator-Effekt Wirtschaftspolitik mit dem Multiplikatoreffekt Ein dynamisches Keynes-Modell mit Excel Statische vs. Dynamische Modellierung 142 Literatur zu Kapitel Denken in Modellen Modelle und Modellbilden Modellbilden als Konstruktionsprozess Radikaler Konstruktivismus Modellannahmen Einige Gedanken zum Messen Direkte und abgeleitete Messungen Messvorschriften und Messergebnisse Genauigkeit von Messungen und Messfehler Qualitative vs. quantitative Modellierung 161 7
6 Das Metanoia-Prinzip Die qualitative und die quantitative Welt Vier Typen der Darstellung von System-Modellen Bestands- und Flussgrößen Der Papiercomputer Modellieren als kooperativer Prozess Das Do-it-yourself-Syndrom der Mathematik Kooperation zwischen Anwendern und Modellierspezialisten Nutzung von Modellbildungssoftware Modellierung von Zeit am Computer Tabellenkalkulationsmodelle Mindmapping-Software Simulationssoftware Modellbildungssoftware im Vergleich 184 Literatur zu Kapitel Systemgerechtes Handeln Die Konflikttheorie von Gerhard Schwarz Sinn von Konflikten Konfliktarten Sechs Stufen der Konfliktlösung Flucht Kampf mit Vernichtung des Gegners Unterwerfung des Gegners Delegation an eine höhere Instanz Hierarchie und Grundaporien Kompromiss Konsens bzw. Konfliktlösung als Prozess Fallstudie: Get in Touch with Chaos eine für Laien verständliche Einführung in die Chaostheorie Aporetische Konflikte in der Praxis Vernetztes Denken im Management Die St. Gallener Schule systemischen Managements Sieben Denkfehler im Umgang mit komplexen Problemen Peter Senge: Organisationales Lernen Fünf Disziplinen einer Lernenden Organisation Gesetze der fünften Disziplin nach Senge 227
7 Inhalt Radikales Umdenken Metanoia Soziale Systeme und deren Besonderheiten Besonderheiten sozialer Systeme Steuerung sozialer Systeme 233 Literatur zu Kapitel Selbstorganisation und lebende Systeme Selbstorganisierende Systeme Zur Wissenschaftsgeschichte der Selbstorganisation Selbstorganisierende Systeme und Leben Besonderheiten selbstorganisierender Systeme Fassetten einer Theorie der Selbstorganisation Stellenwert für das System-Denken Energie und Entropie in Systemen Energie und Arbeit Energie messen Energieerhaltung Entropie Information und Entropie Offene und abgeschlossene Systeme Die Theorie dissipativer Strukturen Entfernung vom Gleichgewicht Im und nahe dem Gleichgewicht: Nichts Neues Jenseits des Kritischen Punktes: Selbstorganisation Über- überkritischer Energieeintrag: Turbulentes Chaos Schlussfolgerungen aus dem Experiment Eigenschaften selbstorganisierender Systeme Entstehung von Raum Entstehung von Zeit Wahrnehmung und Sensibilität Voraussagen Die zwei "Tode" eines Systems Flexibilität Charakteristika selbstorganisierender Systeme Verschiedene Formen von Gleichgewicht 259 9
8 Das Metanoia-Prinzip 5.5 Selbstorganisierende Systeme und Maschinen Eigenschaften von Maschinen Technische Immunisierung und ihre Folgen Lebende autopoietische Systeme Leben als Selbstorganisationsprozess Eigenschaften autopoietischer Systeme Operationale Geschlossenheit und Strukturelle Kopplung Metazellularität System- und Beobachterkategorien Kommunikation Soziale Systeme und Aporien Selbstorganisation sozialer Systeme Unterschiede und Konflikte Selbstorganisation und aporetische Konflikte Chaostheorie Selbstorganisation und Chaostheorie Phasenraum und Attraktoren Seltsame Attraktoren Kategorien von Attraktoren Eigenschaften chaotischer Systeme Iteration und Bifurkation Alltagsanwendungen des deterministischen Chaos Von der Ordnung zum Chaos Modellierung mit Differenzen- oder Differenzialgleichung Chaos ab drei Dimensionen Das Yin und Yang des Chaos 283 Literatur zu Kapitel
9 Vorwort Entstanden ist dieses Buch aus einem Vorlesungsskriptum Einführung in die Systemwissenschaften. Unser Verleger Walter Franzbecker lud uns ein, dieses Skriptum als Buch herauszubringen. Im Zuge der Überarbeitung für die Buchfassung entstand ein weitestgehend neues Werk, das noch wesentlich stärker die praktische Seite des systemgerechten Denkens und Handelns in den Vordergrund rückt. Dennoch haben wir die systemwissenschaftliche Ausrichtung beibehalten nach dem Motto: Eine gute Theorie erkennt man daran, was sie für die Praxis taugt. Mit dem vorliegenden Buch möchten wir einen Ein- und Überblick über die Vielfalt systemwissenschaftlicher Ansätze und systemischen Denkens geben. Wie es sich für eine Einführung gehört, haben wir dabei der Breite und Vielfalt den Vorzug gegenüber der Tiefe gegeben. Um Ihnen selbst eine erste Möglichkeit zu geben, sich dort zu vertiefen, wo Sie für sich einen Bedarf sehen, haben wir am Ende jedes Kapitels einige Literaturhinweise angefügt. Zum Aufbau dieses Buches Der Aufbau des Buches orientiert sich an den grundlegenden Dimensionen systemgerechten Denkens und Handelns: Vernetztes Denken: Damit ist ein Denken in vernetzten, systemischen Zusammenhängen gemeint, bei denen Wirkungsnetze und Wirkungskreisläufe beachtet werden. Zeitliche Dynamiken verstehen: Systeme entwickeln oft ihre eigene Dynamik und können nur im Einklang mit dieser Eigendynamik verstanden und gesteuert werden. Da wir Menschen uns oft schwer tun, zeitliche Dynamiken wie Verzögerungen, Schwingungen oder Eskalationen zu erkennen, brauchen wir entsprechende Hilfsmittel zur Darstellung und Modellierung von zeitlichen Prozessen. Denken in Modellen: Systeme sind immer modellhafte Vereinfachungen. Ein Verständnis über die Möglichkeiten und Grenzen verschie- 11
10 Das Metanoia-Prinzip dener Systemmodellierungen hilft uns, mit Systemmodellen bewusst umzugehen. Systemgerechtes Handeln: Wir sehen systemisches Handeln als die Umsetzung systemischen Denkens in der Praxis. Es ist wichtig, die richtigen Hebelpunkte zur Steuerung von Systemen zu erkennen und die Lenkungseingriffe in der richtigen Intensität zur richtigen Zeit zu setzen. Diese vier miteinander vernetzten Dimensionen decken die in der systemwissenschaftlichen Literatur zu findenden Ansätze zu systemgerechten Denken und Handeln weitgehend ab und bieten insgesamt einen breiten Zugang zum Thema. Das fünfte Kapitel behandelt: Selbstorganisation und lebende Systeme: In diesem Kapitel wird der Bogen systemischer Ansätze aus einem neuen Blickwinkel betrachtet. Im Kern steht die Frage, wie Selbstorganisation funktioniert und was das mit lebenden Systemen zu tun hat. Dieses Kapitel basiert auf Teilen der Dissertation von Christian Lapp. Wie soll man dieses Buch lesen? Ist es ein Buch, das strikt von vorne bis hinten durchzugehen ist, oder ist es möglich, mitten drin einzusteigen, hin und her zu springen oder es gar von hinten nach vorne zu lesen? Dieses Buch handelt nicht nur von Systemen; die Inhalte selbst sind miteinander hochgradig systemisch vernetzt. Es gibt nicht den Weg durch die Systemwissenschaften, aber viele Möglichkeiten, die Welt der Systeme zu erkunden. Sie können daher beginnen, wo immer Sie wollen und alle Zusammenhänge auf eigene Faust entdecken. Natürlich hat auch das vorliegende Buch wie jeder gedruckte Text eine sequentielle Struktur. Wir haben uns bemüht, die hochgradig vernetze Struktur des Themas so in eine lineare Abfolge zu bringen, dass man beim Durcharbeiten von vorne nach hinten mit möglichst wenigen Verweisen auf künftige Kapitel auskommt. Es macht daher Sinn, wenn dieses Buch von vorne nach hinten gelesen wird. 12
11 Vorwort Das Metanoia-Prinzip Das Wissen, die Prinzipien und die Beispiele, die wir in diesem Buch präsentieren, liegen vermutlich zum Großteil quer zu Vielem, was Sie bisher gelernt haben und was andere Wissenschaften lehren. Das soll Sie nicht verwundern: Systeme, Systemdenken und systemgerechtes Handeln sind einfach anders bisweilen sogar total anders als unser herkömmliches Denken. Das soll auch der Buch-Titel Das Metanoia-Prinzip andeuten. Der griechische Begriff Metanoia bedeutet ein radikales Umdenken, bei dem das gesamte Denken und Handeln auf eine neue Grundlage gestellt wird. Mit dem Begriff Metanoia-Prinzip meinen wir, dass der Umgang mit Systemen eine fundamental neue Art des Denkens und Handelns braucht. Wundern Sie sich nicht, wenn so manches Ihrer gewohnten Denkmuster in Frage gerät. Dies ist ein Zeichen einer ernsthaften Beschäftigung mit Systemen und ihren Eigenarten. Die systemorientierte Betrachtungsweise verändert unser herkömmliches Bild oft grundlegend und zeigt uns neue Varianten und Möglichkeiten auf, die nach üblichen Denkmustern bisweilen völlig widersinnig oder unmöglich erschienen. Im ersten Moment macht das unser Leben oft nicht einfacher. Wo es bisher eine Erklärung und eine Reaktion gab, müssen wir uns nun entscheiden, welche Sicht angebracht ist. Anfangs kann es verwirrend sein, wenn mehrere Möglichkeiten, die womöglich einander komplett widersprechen, praktisch gleichwertig vor einem stehen. Mit der Zeit jedoch, wenn sich so etwas einstellt wie Systemisches Denken, werden Sie bemerken, dass die Entscheidung zwischen den möglichen Erklärungen immer leichter wird. Sie beginnen von der Vielzahl der Wege zu profitieren. Sie entdecken Neuland und können es nützen. Zu dieser Auflage Diese Fassung ist im Februar 2007 erschienen und ist ein korrigierter Nachdruck der ersten Auflage. Gegenüber der ersten Auflage vom April 2006 wurden Tippfehler beseitigt sowie einige Formulierungsdetails verbessert. 13
12 Das Metanoia-Prinzip Danksagung Dieses Buch entstand aus einem Skriptum zu einer Vorlesung Einführung in die Systemwissenschaften an der Universität Graz. Die Erstellung dieses Skriptums wurde auch von der Universität Klagenfurt finanziell unterstützt. Einen besonderen Dank möchten wir unseren akademischen Mentoren, Förderern und Freunden aussprechen: Gerhard Chroust (Universität Linz), Roland Fischer (Universität Klagenfurt), Anton Huber (Universität Graz) und Heijo Rieckmann (Universität Klagenfurt). Für die Bereitstellung von Material und Kommentaren zum Buch und die Mitarbeit am Vorläuferskriptum sind wir einer ganzen Anzahl von Personen vorwiegend aus dem Bereich Umweltsystemwissenschaften an der Universität Graz zu Dank verpflichtet: Iris Absenger, Johannes Ebner, Michael Eder, Susanne Frank, Philip Gaggl, Sandra Hafner, Katrin Krainz, Andreas Kreuzeder, Hans Hubert Langthaler, Dietmar Leitl, Klaus Lichtenegger, Stephan Maier, Nicole Müller, Richard Rogenhofer, Christina Sakowitsch, Eva Stummer, Stefan Thonhauser, Eva Tusini, Thomas Vlk, Reinhard Wagner und Nana Zorbas. Gabriele Frankl und Maximilian Mrotzek haben uns durch ihre sorgfältige Lektorierung des Buches ganz besonders unterstützt. Ein besonderer Dank gebührt schließlich unserem Verleger Walter Franzbecker, ohne dessen beharrliche Ermunterung dieses Buch nicht entstanden wäre. Günther Ossimitz und Christian Lapp Klagenfurt im März
13 1 Vernetztes Denken In diesem Kapitel steht Vernetztes Denken als eine der vier Teildimensionen von Systemdenken im Mittelpunkt. Daher ist vernetztes Denken auch stets ein Denken in Systemen, und aus diesem Grund werden wir uns zunächst mit dem System-Begriff beschäftigen. Nach einer Begriffsdefinition in 1.1 werden wir eine Reihe von wichtigen Aspekten im Umgang mit Systemen kurz anreißen. Dabei wird die Frage, wie Systeme dargestellt werden, eine besondere Rolle spielen. Vernetztes Denken wird dann in 1.5 als Gegenpol zum herkömmlichen linearen Denken definiert. Abgeschlossen wird dieses Kapitel mit einer Skizze von Systemansätzen in verschiedenen Wissenschaftsbereichen. 1.1 Was ist ein System? Begriffsdefinition Der Begriff System stammt aus dem Griechischen (systema = das Zusammengestellte). Der Begriff ist geistesgeschichtlich relativ jung und wurde erstmals im 17. Jahrhundert in der Bedeutung die gesamte Schöpfung, das Universum verwendet. 1 Heute ist das Wort System eines der verbreitetsten überhaupt (mit über 2,5 Milliarden Treffern in Suchmaschinen 2 ), das auch in vielerlei Zusammensetzungen vorkommt: Betriebssystem, Bezugssystem, Computersystem, Gesundheitssystem, Immunsystem, Informationssystem, Kommunikationssystem, Koordinatensystem, Nachrichtensystem, Nervensystem, Ökosystem, Periodensystem, Politisches System, Psychisches System, Rechtssystem, Rentensystem, Schulsystem, Soziales System, Telefonsystem, Transportsystem usw (Stand: September 2006) 15
14 Das Metanoia-Prinzip Elemente, Beziehungen, Systemgrenzen Je nach spezieller fachlicher Orientierung gibt es eine Vielzahl von Systemdefinitionen. Dennoch lassen sich bestimmte Gemeinsamkeiten ausmachen. Eine der zentralen Besonderheiten von Systemen ist folgende: Systeme bestehen aus Elementen, die zueinander in Beziehung stehen. In Abb. 1 ist ein System mit verschiedenen Elementen und Beziehungen schematisch dargestellt. Die Art der Elemente und der Beziehungen können sehr verschieden sein: Die Elemente können materieller oder nichtmaterieller Natur sein. Beziehungen sind meist kausale Ursache-Wirkungsbeziehungen. Rück-, Fern- und Wechselwirkungen sind möglich. Beziehungen und speziell Beziehungskreisläufe (Rückkopplungen) erzeugen in Systemen eine gewisse Dynamik. Ein einfaches Beispiel dafür ist das Streitende Ehepaar aus dem berühmten Buch Menschliche Kommunikation von Paul Watzlawick (1969, S. 58ff.): Der Ehemann sagt: Ich gehe in die Kneipe, weil sie dauernd meckert und nörgelt. Die Ehefrau sagt: Ich meckere und nörgle, weil er dauernd in die Kneipe geht. Beziehungen sind notwendig für die Systemhaftigkeit: Ohne Beziehungen hat man kein System, sondern nur eine Ansammlung oder einen Haufen (im Sinne einer unstrukturierten mathematischen Menge). So ist ein Haus beispielsweise ein wohl strukturiertes System, bei dem alle verwendeten Materialien in wohldurchdachten Beziehungen zueinander stehen. Die Ansammlung der Baumaterialien vor dem Bau ist hingegen noch kein System, obwohl sie vielleicht physisch bereits alles enthalten, was zum Haus gehört. Falls ein Haus durch ein Erdbeben zu einem Trümmerhaufen einstürzen sollte, verliert es auch in erster Linie seine Systemhaftigkeit. Die materielle Substanz ist nicht verschwunden, aber die systemische Struktur ist vernichtet. Insgesamt bilden Systeme ein abgrenzbares Ganzes, das eine eigene Identität und einen bestimmten Zweck hat. 16
15 1 Vernetztes Denken Abb. 1 Schematische Darstellung eines Systems mit seinen Elementen, deren Beziehungen inkl. Rückkopplungen und der Grenze inkl. Ein- und Ausgängen. Systeme lassen sich in diesem Sinne auch von Ihrer Umwelt abgrenzen. Systemgrenzen können materieller Art (z. B. die Haut des menschlichen Körpers) oder immaterieller Art sein (z. B. die Abgrenzung einer sozialen Gruppe gegenüber denen, die nicht dazugehören). Grenzen determinieren: Was gehört dazu und was nicht? Aus diesem Grund haben Systemgrenzen immer mit der Identität eines Systems zu tun. Speziell soziale Systeme, bei denen es ja oft keine materiellen Grenzen gibt, beziehen ihre Identität aus einer strikten sozialen Abgrenzung nach außen. Wer zu einer Clique dazugehört und wer nicht, wird oft sehr subtil und dennoch wirkungsvoll geregelt. Jede Gruppe bezieht ihre Identität als soziales System ganz wesentlich aus einer gewissen Abgrenzung nach außen wie auch schon der Volksmund weiß: Wer für alles offen ist, kann nicht ganz dicht sein. Hinter dem Ziehen einer Grenze steckt eines der fundamentalsten Prinzipien des Erkennens und der Ordnung unserer Welt: das Prinzip der Unterscheidung. Der britische Logiker und Philosoph George Spencer Brown formulierte es in seinem Werk Laws of Form (Spencer Brown 1969) folgend: Draw a distinction and a universe comes into being." Hier zeigt sich eine verblüffende Analogie zum biblischen Schöpfungsbericht, in 17
16 Das Metanoia-Prinzip dem die Erschaffung der Welt aus dem Tohuwabohu als eine Abfolge von Trennungen beschrieben wird: Und Gott schied Himmel und Erde, Tag und Nacht, Land und Wasser (vgl. Buch Genesis Kap. 1). Systeme kann man als etwas Ganzes wahrnehmen (Makrosicht) oder sich auf die detaillierte Betrachtung einzelner Systemelemente (Mikrosicht) beschränken. Auf der Makrobetrachtungsebene ist ein System oft Teil eines größeren Systems (Obersystem, Supersystem); auf Mikrobetrachtungsebene bilden die Elemente eines Systems oft eigene Subsysteme. Subsysteme und Supersysteme können ganze Systemhierarchien bilden. Beispielsweise enthält das System Automobil die Teilsysteme Motor, Bremsen, Lenkung, Karosserie usw. Umgekehrt ist jedes Auto Element eines übergeordneten Verkehrssystems oder eines Fuhrparks. Ein wesentlicher Aspekt von vielen Systemen ist ihre zeitliche Dynamik. Typischerweise ist diese zeitliche Dynamik von Kreislaufprozessen bestimmt. Solche Rückkopplungen können ein System stabilisieren, oder einzelne Systemgrößen wachsen oder auch zyklisch schwanken lassen. Das Verhalten eines Systems wird im Wesentlichen durch seine Struktur (Elemente und Beziehungen) determiniert. Typischerweise entwickeln Systeme oft als Ganzes Strukturen und Verhaltensmuster, die durch eine Analyse auf der Mikroebene allein nicht erklärbar sind. Diese Emergenz neuer Strukturen wird schon durch das Sprichwort Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile angedeutet. Ganz wesentlich für das Verständnis von Systemen ist auch die Frage nach dem Zweck eines Systems: Wozu gibt es ein bestimmtes System überhaupt? Wozu dient es? Vielfach ist die Betrachtung von Systemen mit sehr grundsätzlichen erkenntnistheoretischen Fragen verbunden, wie z. B. Gibt es Systeme an sich oder sind sie eher Konstrukte unseres Denkens? Viele Systemtheoretiker gehen davon aus, dass das, was wir ein System nennen, nicht die Realität an sich, sondern immer ein Modell von irgendetwas ist. Dem entsprechend erfolgen systemtheoretische Betrachtungen auch oft auf der erkenntnistheoretischen Basis des Radikalen Konstruktivismus. (Näheres zum Radikalen Konstruktivismus vgl ). 18
17 1 Vernetztes Denken Aufgabe 1 Suchen Sie Seiten mit Systemdefinitionen im WWW! (Etwa bei Wikipedia oder in anderen Online-Ressourcen.) Aufgabe 2 Ergänzen Sie folgende Tabelle: System Elemente Beziehungen Grenze Zweck Dynamik Person Auto Kegelrunde Geschlossene und offene Systeme Die Unterscheidung zwischen offenen und geschlossenen Systemen bezieht sich auf das Verhältnis eines Systems zu seiner Umwelt. Ein offenes System hat Beziehungen zu seiner Systemumwelt. Was aus der Umwelt in das System hineingelangt, heißt Input; was aus dem System hinausgelangt, heißt Output. Diese Beziehungen spielen sich an den Systemgrenzen ab. System Input Output Auto Treibstoff, Steuerung durch Lenker Abgase, Wärme, Transportleistung Digitalkamera Batterien, Licht durchs Objektiv, Einstellungen des Fotografen Bilddatei Unternehmen Produktionsfaktoren (Rohstoffe, Arbeit, Geld) Produkte, Müll, Wertschöpfung Mensch Essen, Hören, Spüren, Sehen, Lernen, Lesen, Reden, Arbeiten, 19
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