Empfehlungen der Rheinland-Pfälzische Initiative für Integration zu den Themen:

Transkript

1 Rheinland-Pfälzische Initiative für Integration (RIFI) Empfehlungen der Rheinland-Pfälzische Initiative für Integration zu den Themen: "Ausbau des Dienstleistungscharakters in der öffentlichen Verwaltung unter Berücksichtigung von Interkultureller Kompetenz" "Vermittlung von Interkultureller Kompetenz im öffentlichen Dienst insgesamt und Interkulturelle Öffnung" 1

2 Bürgerorientierung und Dienstleistungscharakter sind Stichworte, die heute im Hinblick auf die öffentliche Verwaltung häufig diskutiert werden. Vor dem Hintergrund der Frage, wie in diesem Zusammenhang auf langjährige Zuwanderung nach Deutschland reagiert werden muss, sind mehrere Aspekte zu berücksichtigen. Insbesondere aus der Praxis der Integrationsarbeit mit Zugewanderten heraus werden Forderungen nach einem stärkeren Ausbau des Dienstleistungscharakters der öffentlichen Verwaltung, Interkultureller Öffnung und Interkultureller Kompetenz des öffentlichen Dienstes gestellt. Hieran schließen sich die Fragen an: Was ist darunter zu verstehen und wie kann die Umsetzung erfolgen? Das Bild der hoheitlichen Eingriffsverwaltung, die im Rahmen eines Über- und Unterordnungsverhältnisses denkt oder handelt, muss sich unter dem Leitbild einer steuernden, problemlösenden, helfenden und leistenden Organisation zur Dienstleistungsverwaltung wandeln. Diese bleibt dabei verpflichtet die ihr gestellten Aufgaben zu erfüllen und gegebenenfalls durchzusetzen, gleichzeitig muss aber das Selbstverständnis entwickelt werden, Bürgerinnen und Bürger wie Kundinnen und Kunden zu behandeln. Das Verhältnis zwischen Migrantinnen bzw. Migranten und Behörden ist nach wie vor von Besonderheiten geprägt. Die in der Bundesrepublik Deutschland geltenden ausländerrechtlichen Regelungen begründen verschiedene und zum Teil sehr unterschiedliche Statusgruppen von Migranten, die durch die Zuerkennung bzw. Verweigerung jeweils unterschiedlich ausgestalteter Rechte und Pflichten definiert sind. Über den rechtlichen Status und damit den Handlungsspielraum der Migrantin bzw. des Migranten entscheiden die Behörden und regeln und kontrollieren damit den Aufenthalt und die Handlungsmöglichkeiten des ausländischen Teils der Bevölkerung. Die dabei bestehenden ausländerrechtlichen Vorgaben sind nach wie vor geprägt von ordnungspolizeilichem Denken und erfordern in Teilbereichen auch entsprechendes "polizeiliches" Handeln (z.b. Ausweisungen, Abschiebungen). Die Entscheidungen der Behörden haben im Grundsatz für nichtdeutsche (Mit-) Bürgerinnen und Bürger eine existentielle Bedeutung, wie sie für Inländer nicht gegeben ist. Es besteht eine Abhängigkeit von den Entscheidungen der zuständigen Behörden. Auf kommunaler Ebene ist daher der Kontakt mit der Ausländerbehörde für die meisten Migranten die erste einschneidende und dann kontinuierliche Erfahrung mit nicht selten formalem und restriktiv geprägtem Verwaltungshandeln. Auf Grund des direkten Kontaktes zwischen ausländischen Klientinnen und Klienten und dem Verwaltungspersonal werden auf beiden Seiten Erfahrungen gemacht, die das jeweilige Bild voneinander prägen und das Bild der Aufnahmegesellschaft entscheidend beeinflussen. Die sich dabei bildende Schnittstelle zwischen Mehrheitsgesellschaft und ethnischen Minoritäten ist aus mehren Gründen konfliktbehaftet: Zum einen stellen nichtdeutsche Klientinnen und Klienten Ansprüche und Forderungen, die ihnen behördlicherseits verweigert werden können, so dass Auseinandersetzungen entstehen, die strukturell vorprogrammiert sind. Auf der anderen Seite sind auf Grund der jeweils unterschiedlichen kulturellen und sprachlichen Zugehörigkeit bei Verwaltungspersonal und Migranten Probleme eingelagert, die sich in Form von Missverständnissen, Verstän-digungsschwierigkeiten und durch von Erfahrungen geprägte Verhaltensmuster äußern können. Aus dem Alltag der Verwaltungskontakte zwischen Bediensteten und Migrantinnen bzw. Migranten wird seit Jahren und immer wieder von Problemen berichtet. Beide Gruppen beklagen sich über unbefriedigende und belastende Konfliktsituationen. Während beim Verwaltungspersonal Klagen über Arbeitsbelastungen und negative Erfahrungen mit ausländischen Klientinnen und Klienten im Vordergrund stehen, sind es bei Migrantinnen und 2

3 Migranten Beschwerden über ungerechtfertigte, diskriminierende Behandlung und dem Eindruck eines von genereller Abwehrhaltung geprägten Verwaltungshandelns. So wird u.a. festgestellt, dass Ermessensspielräume zugunsten von Migrantinnen und Migranten häufig nicht genutzt werden. Ein verstärkter Ausbau des Dienstleistungscharakters der öffentlichen Verwaltung muss der besonderen Situation zwischen Verwaltung und ausländischen Klientinnen und Klienten Rechnung tragen. Das Element der Kundenorientierung nimmt dabei eine Schlüsselrolle ein: Als Leitbild muss vorgegeben sein, dass alle Bürgerinnen und Bürger einschließlich der ausländischen Bevölkerung als Kundinnen und Kunden behandelt werden. Dies hat eine stärkere Subjektorientierung zur Folge alle Kundinnen und Kunden werden mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen ernst genommen. Gleichzeitig richtet sich die Qualität des Umgangs zwischen Verwaltungspersonal und Klientinnen und Klienten nicht nach deren rechtlichem Status. Die Gestaltung der notwendigen Kommunikation erfordert vom Verwaltungspersonal interkulturelle Kompetenz, die durch Aus- bzw. Fortbildung erworben werden kann. Einer bedürfnisorientierten Klientenbeziehung wird Rechnung getragen durch sorgfältige Auswahl geeigneten Personals, qualifizierte Fortbildung des vorhandenen Verwaltungspersonals und durch Erschließung neuer Wege der Öffentlichkeits- bzw. Informationsarbeit. Eine qualitativ spürbare Veränderung ist eine der zentralen Voraussetzungen dafür, dass sich Migrantinnen und Migranten als Teil unserer Gesellschaft fühlen und damit Integrationshemmnisse reduziert werden. Zur Verständigung über den Begriff und Bedeutungsgehalt der so genannten Interkulturellen Kompetenz und Interkulturellen Öffnung, der nachfolgend genauer dargestellt wird, ist es erforderlich, sich zunächst mit dem darin enthaltenen Begriffskern "Kultur" eingehender zu befassen. Dies dient der Abgrenzung und Präzisierung: Ausgehend von einem weitgefassten und auf die Perspektive des Alltags der Menschen konzentrierten Verständnis sind mit dem Begriff der Kultur hier all jene Bedeutungs- und Identifikationszusammenhänge gemeint, die für bestimmte Gruppen praxisrelevant und spezifisch sind, also Alltagskulturen oder Subkulturen und nicht die jeweilige nationale Hochkultur. Menschen verschiedener kultureller Hintergründe begegnen sich und gehen mit den durch sie erzeugten Unterschieden selbstverständlich um: Ältere Menschen treffen auf jüngere, Stadtbevölkerung auf Landbevölkerung und umgekehrt, verschiedene Berufsgruppen entwickeln für sie spezifische Subkulturen. Diese Sichtweise lässt sich auch auf Frauen und Männer übertragen und nicht zuletzt auf Angehörige unterschiedlicher sozialer Schichten oder politischer Parteien oder Konfessionen. Das heißt: kulturelle Vielfalt aufgrund von Zuwanderung erweitert kulturelle Vielfalt insgesamt, aber sie schafft sie nicht erst. Kulturelle Vielfalt ist damit kein neues Phänomen, sondern sie ist Normalität in einer modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft. Unterschiede, gerade auch kulturelle, tragen immer Konfliktpotenzial in sich. Daraus folgt, dass für die Situation der kulturellen Vielfalt nicht etwa Harmonie sondern die Kategorie des Konflikts zentral ist. Zu fragen ist deshalb nicht, wie ein konfliktfreies Zusammenleben möglich wäre, sondern wie Konflikte so reguliert und ausgetragen werden können, dass sie das friedliche Zusammenleben nicht grundsätzlich stören und darüber hinaus sogar ein konstruktives Potenzial entfalten können, weil in ihnen Chancen auf gemeinsame Lernprozesse liegen. Dies ist deshalb von großer Bedeutung, weil nur die Identifikation mit einem gemeinsamen Ganzen (und sei es 3

4 nur der kleinste gemeinsame Nenner, nämlich sich auf Regeln des Umgangs im Konfliktfall zu verständigen) den Willen zur und den Erfolg der Integration gewährleisten können. Diese Überlegungen führen zu der Frage, wie Menschen in einer kulturell vielfältigen Gesellschaft diejenigen Kompetenzen erwerben können, die sie für den friedlichen Umgang miteinander benötigen. Auf den hier relevanten Zusammenhang bezogen sprechen wir dann von Interkultureller Kompetenz. Aber die Perspektive weist darüber hinaus: auch die Schnittstellen der alltäglichen Begegnung sind in die Betrachtung mit einzubeziehen. Damit sind alle Einrichtungen des öffentlichen Dienstes gemeint, auf die sich auch der Begriff Interkulturelle Öffnung bezieht. Interkulturelle Kompetenz als eine Erweiterung sozialer Kompetenz bezeichnet im vorliegenden Kontext Fähigkeiten und Fertigkeiten auf persönlicher Ebene, die dazu führen, dass Menschen in der Lage sind, kulturelle Unterschiede zu akzeptieren und nicht die eigene Kultur zum Maßstab der Bewertung für andere Kulturen zu machen (Akzeptanz). Sie umfasst weiterhin die Fähigkeit, Widersprüchlichkeiten zwischen verschiedenen Kulturen und im Verhalten aushalten zu können (Frustrationstoleranz), die Fähigkeit, sich in andere hinein versetzen und ihr Verhalten in Verbindung mit dem jeweiligen kulturellen Hintergrund nachvollziehen zu können (Empathie), die Fähigkeit, die Bedeutung kultureller Traditionen zu erkennen (kulturelle Sensibilität) und schließlich die Fähigkeit, auf Konflikte konstruktiv zu reagieren und nach gemeinsamen Lösungen zu suchen (Konfliktlösungskompetenz). Interkulturelle Kompetenz umfasst darüber hinaus auch kulturelles Wissen und Sprachkenntnisse. Sie ist eine Sozialkompetenz, die erlernt und trainiert werden kann und muss und die es den Fachkräften ermöglicht, ihre Aufgaben erfolgreicher zu bewältigen. Mit Interkultureller Öffnung werden dagegen Entwicklungsprozesse auf institutioneller Ebene bezeichnet, welche die persönlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten der in ihnen tätigen Fachkräfte für die gesamte Institution einbeziehen. Hier geht es folglich um Organisations- und Personalentwicklung, die es zum Ziel hat, im Hinblick auf die Funktion und den Auftrag der jeweiligen Institution Handlungskompetenz im Umgang mit dem Klientel zu entwickeln, das kulturell vielfältig zusammen gesetzt ist. Eine interkulturell geöffnete Institution weist dabei die folgenden Merkmale auf: Ihre Mitarbeiterschaft ist ebenso kulturell vielfältig zusammen gesetzt wie ihr Klientel (Repräsentanz), sie arbeitet auf der Grundlage eines an die kulturelle Vielfalt angepassten Leitbildes oder Konzepts (Transparenz), und sie vermeidet bzw. sanktioniert Verstöße gegen den Gleichheitsgrundsatz (Antidiskriminierung). 4

5 Die Notwendigkeit des Erwerbs von persönlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten lenkt den Blick auf die Bereiche der Qualifizierung in der Aus-, Fort- und Weiterbildung: Es sind konkret die Fachkräfte in der öffentlichen Verwaltung und im gesamten öffentlichen Dienst, die diese Kompetenzen benötigen. Auf institutioneller Ebene sind es die Entscheidungsträger und Führungskräfte, die für den interkulturellen Öffnungsprozess Verantwortung tragen. Persönliche Anpassungsanforderungen und institutioneller Wandel haben immer auch Verunsicherungen zur Folge. Weil Interkulturelle Kompetenz und Interkulturelle Öffnung dabei keine in kurzer Zeit erreichbaren Ziele sind, ist aktive Unterstützung insbesondere durch die Führungskräfte erforderlich. Daneben erfordert es zeitliche wie auch finanzielle Ressourcen, zum Beispiel für entsprechende Fortbildungen. Für die Gruppe der Migrantinnen und Migranten bedarf es einer kompetenten ansprechenden Öffentlichkeitsarbeit. Setzt diese früh genug ein, kann sie eine motivierende Rolle für die Berufsentscheidung im Leben junger Migranten spielen. Dadurch kann sie auch einen Beitrag dazu leisten, das Qualifikationspotential vieler Einwanderinnen und Einwanderer zu entfalten. Eine solche Strategie ist eher langfristig angelegt, dafür aber um so wichtiger. Empfehlungsvorschläge: Entwicklung eines Leitbildes der dienstleistungsorientierten Verwaltung auch in Bereichen der Eingriffsverwaltung (z.b. Ausländerbehörden) durch die jeweilige Verwaltungsbehörde. Festlegung der Kundenorientierung durch die jeweilige Verwaltungsbehörde: - Bürgerinnen und Bürger, einschließlich der ausländischen Bevölkerung, mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen wahrnehmen. - Durch Bedürfnisorientierung keine Unterschiede auf Grund des Rechtsstatus der Klientinnen und Klienten machen. - Informationsbedarfe erkennen, anerkennen und nach Möglichkeit befriedigen. - Beratungsangebote auch in den Bereichen entwickeln, in denen hierzu keine rechtliche Verpflichtung besteht. Nutzung von Ermessensspielräumen zugunsten der Migrantinnen und Migranten um mehr Rechtssicherheit für die ausländische Bevölkerung zu schaffen und damit zu einer entscheidenden Verbesserung der Integration beizutragen. Ausreichende personelle Ausstattung und sorgfältige Auswahl des Personals für Bereiche der bedürfnisorientierten Klientenbeziehung. 5

6 Aus-, Fort- und Weiterbildung des Personals unter besonderer Berücksichtigung des Aspektes Interkulturelle Kompetenz. Verankerung der Thematik Interkulturelle Kompetenz als verbindlicher Baustein in der Ausbildung für die Berufe des öffentlichen Dienstes. Die jeweiligen Lehrpläne in den Fachschulen bzw. Fachhochschulen sind entsprechend zu ergänzen. Interkulturelle Fortbildungs- und Weiterbildungsangebote für die bereits beruflich Tätigen (Führungskräfte und Mitarbeiterschaft). Interkulturelle Weiterbildungsangebote für die Lehrenden in Aus- und Fortbildung. Bildung und Stärkung von Kooperationen für die Entwicklung entsprechender Qualifizierungskonzepte, um die Inhalte auf den jeweiligen Bereich zuzuschneiden Die Einbeziehung Interkultureller Öffnung in die Organisations- und Personalentwicklung der öffentlichen Institutionen durch Aufnahme in die Leitbilddiskussion und weiterentwicklung sowie durch Personalplanung und politik. Um das Ziel der stärkeren Repräsentanz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Migrationshintergrund zu erreichen, wird bei den Kriterien für die Personalauswahl Migrationserfahrung als Qualitätsmerkmal eingestuft. Durch geeignete Öffentlichkeitsarbeit wird die Interkulturelle Öffnung für alle Beteiligten transparent gemacht und gezielt für die Gewinnung von Personal mit Migrationshintergrund eingesetzt. 6