Strafkultur, Punitivität und Kriminalpolitik
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- Karola Reuter
- vor 5 Jahren
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1 Prof. Dr. Kirstin Drenkhahn Strafrecht und Kriminologie, Fachbereich Rechtswissenschaft Strafkultur, Punitivität und Kriminalpolitik 23. DBH-Bundestagung in Heidelberg
2 Überblick Strafkultur und Punitivität was ist das? Ausgewählte Perspektiven aus der Punishment & Society- Forschung Was bedeutet das für uns? Exkurs zu eigener Forschung: Was will die Bevölkerung? 2
3 Strafkultur und Punitivität was ist das? Strafkultur als umfassender Begriff, der alle Traditionen, Bräuche, Institutionen und Werte eine sozialen Gruppe in Bezug auf Strafe umfasst Punitivität als Teil der Strafkultur Wertendes Konzept? Bezugsgegenstände der Wertung? Wessen Punitivität? 3
4 Internationale Forschung zur gesellschaftlichen Bedeutung von Strafe Entwicklungen im Zeitverlauf Beispiele: Punitive Wende (Garland) Governing through Crime (Simon) Bestrafung der Armen (Wacquant) Merkmale des politischen Regimes Beispiele: Dignan & Cavadino Lacey Lappi-Seppälä 4
5 Internationale Forschung: Entwicklungen im Zeitverlauf Ausgangspunkt: Befund einer sehr hohen und steigenden Gefangenenrate in den USA 5
6 Absolute Zahl und Rate der Gefangenen in den USA, Jahr Anzahl der Gefangenen Rate (pro der Bevölkerung) Gefangenenrate BRD Quelle: World Prison Brief; Statistisches Bundesamt, Strafvollzugsstatistik 6
7 Internationale Forschung: Entwicklungen im Zeitverlauf Ausgangspunkt: Befund einer sehr hohen und steigenden Gefangenenrate in den USA Ausweitung der strafrechtlichen Kontrolle Veränderung des Umgangs mit Kriminalität und mit Straftätern Zeitlicher Bezugspunkt: Ende der 1960er/Anfang 1970er Jahre 7
8 Indikatoren für die punitive Wende (Garland) Niedergang des Resozialisierungsgedankens Wiederkehr vergeltungsorientierter Sanktionen und ausdrucksstarker, symbolisch aufgeladener Justiz Veränderungen des Tonfalls in der Kriminalpolitik Rückkehr des Opfers Betonung des Schutzes der Allgemeinheit Politisierung und neuer Populismus Neuerfindung des Gefängnisses Wandel des kriminologischen Denkens expandierende Kriminalprävention und kommunale Sicherheit Privatisierung und Kommerzialisierung der Verbrechenskontrolle neue Managementstile (Managerialism) und Arbeitspraktiken ständiges Krisenempfinden 8
9 Internationale Forschung: Politische Regime als Ausgangspunkt Dignan & Cavadino: Penal Systems (2006) Punitivität einer Gesellschaft hängt mit Ausprägung des Wohlfahrtsstaats 9
10 Typologie spätkapitalistischer Staaten (Cavadino/Dignan) und Konsequenzen für die Punitivität (Gefangenenrate) Neo-liberal: Freier Markt; Minimalistischer Wohlfahrtsstaat, große Einkommensunterschiede; soziale Beziehungen individualistisch, Stark sozial exkludierend Konservativ-Korporatistisch: Moderater Wohlfahrtsstaat, Geringere Einkommensunterschiede, Stärkere soziale Beziehungen (aber hierarchisch orientiert); mehr soziale Rechte Sozialdemokratisch-Korporatistisch: großzügiger Wohlfahrtsstaat; wenig Einkommensunterschiede, soziale Schichtung egalitär, partizipatorisch USA Südafrika England/Wales Australien Deutschland Frankreich Italien Niederlande Finnland Schweden Oriental-liberal-korporatistisch Japan 10
11 Typologie spätkapitalistischer Staaten (Cavadino/Dignan, 2005) und Konsequenzen für die Punitivität (Gefangenenrate 2009, ICPS) Gefangenenrate, USA Südafrika England/Wales Australien Deutschland Frankreich Italien Niederlande Finnland Schweden Japan
12 Politische Regime als Ausgangspunkt Lacey: The Prisoners Dilemma (2008), Lappi-Seppälä Anknüpfung an Lijphart: zwei Demokratie-Modelle Westminster/Konkurrenz-Modell vs. Konsens-Modell These der Strafkultur-Forschung: Modelle unterscheiden sich bzgl. Kriminalpolitik und Rolle von Strafe Konkurrenz-Modell begünstigt Extreme in der Kriminalpolitik, während extreme Änderungen beim Konsens-Modell durch vielfältige Aushandlungsprozesse erschwert werden 12
13 Aus Lappi- Seppälä,
14 Was bedeutet das für uns? Alles gut im konservativ-korporatistischen Wohlfahrtsstaat mit einer konsensorientierten Demokratie? Hat die punitive Wende auch bei uns stattgefunden? Problem der ambivalenten oder positiven Entwicklungen zb Managerialism und Organisationsentwicklung zb Rückkehr des Opfers und Restorative Justice Bild: European FCG Networks 14
15 Community Justice: Wie tickt die community? Wahrnehmung der Bevölkerung zwischen vergeltungsorientiert und differenziert Forschung zu Strafbedürfnissen in der Bevölkerung: Fragen nach eher abstrakten Konzepten: Beispiel Todesstrafen-Frage 15
16 Sollten besonders schwere Straftaten mit dem Tode bestraft werden? (DE N = 3011, FR N = 3006) 45% 40% 37,26% DE FR 35% 30% 25% 22,32% 27,93% 20% 15% 10% 5% 13,82% 5,98% 4,82% 2,46% 3,82% 1,89% 2,49% 2,19% 6,14% 6,14% 4,38% 3,79% 4,48% 6,14% 4,95% 9,37% 4,28% 7,51% 8,90% 4,65% 4,28% 0% Von Nein über jain zu Ja k.a. 16
17 Community Justice: Wie tickt die community? Wahrnehmung der Bevölkerung zwischen vergeltungsorientiert und differenziert Forschung zu Strafbedürfnissen in der Bevölkerung: Fragen nach eher abstrakten Konzepten Vergleich mit richterlicher Strafzumessung 17
18 Punitivität im Vergleich Herr Zimmermann hat in einem Kaufhaus einen Pullover im Wert von 50 entwendet, indem er in einer Umkleidekabine das Sicherungsetikett entfernte und den Pullover dann anzog. Er gesteht die Tat und gibt an, dass der Pullover ihm so gut gefallen habe, dass er ihn habe mitnehmen müssen. Der Pullover wird zurückgegeben. Herr Zimmermann ist 25 Jahre alt, deutscher Staatsangehöriger, ledig und hat zwei Kinder. Er ist arbeitslos und lebt von Arbeitslosengeld II. Im Bundeszentralregister ist für Herrn Zimmermann keine Verurteilung verzeichnet. Welche Sanktion oder Beendigung des Verfahrens halten Sie für angemessen? o Einstellung ohne Auflagen o Anordnung einer Therapie o Einstellung mit Geldauflage o Gemeinnützige Arbeit o Geldstrafe: nicht mehr als das Nettoeinkommen für einen Monat o Geldstrafe: mehr als das Nettoeinkommen für einen Monat o Freiheitsstrafe mit Bewährung o Freiheitsstrafe ohne Bewährung: bis zu einem Jahr o Freiheitsstrafe ohne Bewährung: mehr als ein Jahr 18
19 60% 50% 40% Ladendiebstahl (Grundfall) 50,79% 37,56% 30% 20% 10% 0% 11,29% 13,99% 3,47% 0,00% 20,20% 25,00% 9,31% 22,80% 2,87% 0,52% 2,08% 0,13% Allgemeinbevölkerung (N = 1010) Richter/Staatsanwälte (N = 772) 19
20 Abwandlung 1 Wie im Ausgangsfall oben, aber: Im Bundeszentralregister wurden für Herrn Zimmermann in den vergangenen drei Jahren drei Verurteilungen wegen Diebstahls jeweils zu einer Geldstrafe verzeichnet. Welche Sanktion oder Beendigung des Verfahrens halten Sie für angemessen? 20
21 80,00% 70,00% Ladendiebstahl (Vorstrafen) 72,28% 60,00% 50,00% 40,00% 30,00% 20,00% 10,00% 0,00% 1,88% 0,52% 6,73% 0,26% 5,35% 0,26% 19,11% 2,33% 22,57% 22,67% 31,68% 12,67% 1,68% Allgemeinbevölkerung (N = 1010) Richter/Staatsanwälte (N = 772) 21
22 Fazit Viele Erkenntnisse aus der Forschung mit uneinheitlichen Ergebnissen Einerseits Entwicklungen hin zu einer größeren Bedeutung von Strafe in der Gesellschaft und einem härteren Umgang mit Straftätern Andererseits Hinweise auf günstige politische Voraussetzungen Problem: wie geht man mit ambivalenten oder positiven Entwicklungen um? Ergebnisse der eigenen Forschung stimmen jedenfalls nicht pessimistisch. 22
23 cpc-strafkulturen.eu 23
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