WENDLER TREMML RECHTSANWÄLTE
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- Astrid Abel
- vor 8 Jahren
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Transkript
1 Umgang mit der Macht zur Vertragsgestaltung Absicherung um jeden Preis? 6. Fachtagung IT-Beschaffung Berlin 2010
2 Agenda Die Macht des Beschaffers zur Vertragsgestaltung Zwei Beispiele für (zu) weitgehende Absicherungen Weitere typische Themenfelder Versuch eines Ranking aus Auftragnehmersicht Gründe für ein übertriebenes Absicherungsbedürfnis? Ein Vertrag mit übertriebener Absicherung ist ein Pyrrhussieg Wie viel Absicherung ist nötig? 2
3 Die Macht des Beschaffers zur Vertragsgestaltung Beschaffer gibt Vertragsbedingungen vor Grundsätzlich sollen im IT-Bereich die EVB-IT bzw. teilweise noch die BVB Anwendung finden, Ausnahmen sind aber möglich Je nach Verfahren kaum eine Chance des Bieters, die Vertragsbedingungen zu ändern: im offenen und nicht offenen Verfahren: allenfalls indirekt durch Bieterfragen bzw. durch Nebenangebote, soweit dafür zugelassen im Verhandlungsverfahren und im Wettbewerblichen Dialog: je nach Ausgestaltung des Verfahrens weitergehende Verhandlungsmöglichkeiten des Bieters 3
4 Die Macht des Beschaffers bei Verwendung von EVB-IT und BVB EVB-IT und BVB beschränken Gestaltungsmacht des Beschaffers erlauben jedoch trotz allem weitgehend flexible Gestaltung und damit auch wesentliche Verschärfungen der Ausschreibungsbedingungen Beispiele: Haftung, Vertragsstrafen, Rechteeinräumung, aber auch: Termine 4
5 Die Macht des Beschaffers ohne Verwendung von EVB-IT und BVB Grundsätzlich gilt hier der Grundsatz der Vertragsfreiheit, insbesondere seit dem Wegfall von 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A 2006 ( ungewöhnliches Wagnis ) Vergaberecht regelt über die VOB und VOL nur Ausschnitte und macht nur in Teilbereichen Vorgaben Für den AN nachteilige Abweichungen sind gem. 9/11 EG VOL/A möglich: durch Ergänzende Vertragsbedingungen oder auch individuell (d.h. projektbezogen) damit sind auch extrem nachteilige Vertragsgestaltungen denkbar 5
6 Die Macht des Beschaffers ohne Verwendung von EVB-IT und BVB Extrem nachteilige Verträge kommen häufiger bei großen Kunden der Öffentlichen Hand vor Einige Behörden verlangen regelmäßig eine gesetzliche und damit unbeschränkte Haftung Beispiel: Verträge im Krankenhausbereich (KIS) ohne Haftungsbegrenzung für den AN und mit Vertragsstrafen für Verzug bis zum Auftragswert, extrem lange Gewährleistungsfristen 6
7 Beispiel 1 Haftungsregelungen im EVB-IT Systemvertrag: Standard: Haftungssumme insgesamt = einfacher Auftragswert Ankreuzmöglichkeit 1: Haftungssumme pro Schadensfall = Auftragswert, d.h. z.b. bei 5 Schadensfällen = fünffacher Auftragswert Bei vielen Schadensfällen = Haftung unbegrenzt 7
8 Beispiel 1 Folgen der Änderung der Haftungsbegrenzung Es fehlt ein Gesamthaftungsdeckel D.h. theoretisch kann der Auftragnehmer verpflichtet sein, Schäden in unbegrenzter Höhe zu ersetzen Viele Firmen geben deshalb kein Angebot ab Andere Firmen versuchen das Risiko über deutlich höhere Preise einzukalkulieren Nur Unternehmen, die sich keine Gedanken machen, werden das Risiko nicht wenigstens einpreisen 8
9 Beispiel 1 Typische Begründungen der Bieter für ausbleibende Angebote: Nicht vorhandener Gesamthaftungsdeckel führt zu einem nicht kalkulierbaren Haftungsrisiko, damit lässt sich kein seriöser Preis bestimmen Eingehen eines solchen Risikos ist von den Konzernvorgaben nicht gedeckt, besonders problematisch bei US-amerikanischen sowie börsennotierten Unternehmen Keine Rückdeckung des Haftungsrisikos beim Subunternehmer möglich Unlimitierte Haftung ist nicht versicherbar, Versicherungen enthalten stets Jahreshöchstleistungen bzw. fallbezogene Höchstleistungen 9
10 Beispiel 1 Absicherung um jeden Preis oder ausgewogener Vertrag? Ergebnis: keine Angebote, sehr teure Angebote oder nur Angebote von Hasardeuren Lohnt sich das? -> Nein, in der Regel nicht, denn: Tatsächlich macht die Öffentliche Hand fast nie Schadensersatzansprüche geltend Der Öffentlichen Hand fällt es in der Regel besonders schwer, ihre Schäden zu beziffern, da Themen wie entgangener Gewinn häufig keine Rolle spielen Auftragswert zum Deckungskauf i.d.r. mehr als ausreichend 10
11 Beispiel 2 Rechteinräumung an Individualsoftware Gemäß Ziffer EVB-IT System AGB werden dem Auftraggeber standardmäßig nur nicht ausschließliche Rechte gewährt, die zudem nicht zu einer gewerblichen Verwertung berechtigen 11
12 Beispiel 2 Rechteinräumung an Individualsoftware Die Ankreuzungen führen dazu, dass der Bieter die Software selbst nicht mehr verwerten darf, der Auftraggeber die Software beliebig, d.h. auch in Konkurrenz zum Bieter vermarkten darf und der Auftraggeber auch die Rechte an Erfindungen an sich ziehen kann 12
13 Beispiel 2 Folgen der Änderungen der Regelung zur Rechteinräumung Die Forderung nach ausschließlichen Rechten führt dazu, dass der Bieter die Individualsoftware von Grund auf neu entwickeln muss, da er vorhandene Komponenten nicht benutzen kann, ohne die Rechte daran zu verlieren Das wiederum führt zu höheren Preisen und erhöhtem Zeitbedarf größeren Entwicklungsrisiken (keine Nutzung von vorhandenem, getestetem Code), Anmerkung: heute ist die Entwicklung von Software ohne vorhandene Komponenten unüblich und auch praktisch kaum zu verhindern 13
14 Beispiel 2 Folgen der Änderungen der Regelung zur Rechteinräumung Die Forderung nach ausschließlichen Rechten führt dazu, dass der Bieter die Individualsoftware weder ganz noch in Teilen selbst verwerten kann. Das führt ebenfalls zu höheren Preisen, da der AN auch bei der Entwicklung entstehende allgemein verwendbare Komponenten nicht mehr selbst verwerten darf die Pflege tendenziell aufwendiger und teurer wird, weil immer nur für einen Kunden gepflegt werden muss; zudem bleiben Pflegesynergien aus Gegenprobe aber schwierig: Wie stark sinkt der Preis bei Verzicht auf ausschließliche Rechte? Welchen Vorteil hat der Kunde in der Pflege? 14
15 Beispiel 2 Folgen der Änderungen der Regelung zur Rechteinräumung Aufgrund ausschließlichen Rechteeinräumung erhält der Auftraggeber auch Rechte an Erfindungen (Regelung in Ziffer EVB-IT System AGB). Das wiederum führt zu höheren Preisen, weil dem Auftragnehmer durch die Verfahren Organisationskosten entstehen, die praktisch nicht in vollem Umfang weitergegeben werden können der Auftragnehmer auch diese Verwertungsmöglichkeiten verliert 15
16 Beispiel 2 Folgen der Änderungen der Regelung zur Rechteinräumung Ergebnis: Gerade große Bieter verzichten auf eine Angebotsabgabe, weil sie den Verlust ihres intellectual property befürchten, andere Bieter preisen die mangelnde Verwertungschance ein, Synergien aus der Nutzung der Software durch mehrere Kunden (z.b. schnellere Mangelentdeckung) und Synergien aus der Pflege für mehrere Kunden (bessere Pflegeleistungen, ggf. Updates etc.) bleiben aus 16
17 Beispiel 2 Absicherung um jeden Preis oder ausgewogener Vertrag? Ergebnis: keine Angebote oder teure Angebote, teure Pfelge Lohnt sich das? -> Nein, in der Regel nicht, denn: Die Einräumung ausschließlicher Rechte ist für die eigene Nutzung oder die Weitergabe an andere Behörden nicht nötig Soweit Know-how oder Geheimnisse geschützt werden müssen, ist dies auch anders möglich, z.b. durch Vertraulichkeitsregelungen Eine gewerbliche Verwertung durch den Auftraggeber ist in der Regel ausgeschlossen oder nur schwer möglich es ist in der Regel nicht das Kerngeschäft eines Auftraggebers, mit Software zu handeln 17
18 Weitere typische Themenfelder zu lange Gewährleistungsfristen kann der Auftragnehmer nicht bei seinen Lieferanten eindecken, dies führt zur Nichtabgabe von Angeboten bzw. höheren Preisen zu hohe Vertragsstrafen führen dazu, dass Auftragnehmer nur noch deren Vermeidung im Auge hat und nicht mehr die eigentlichen Projektziele zu eng gesetzte Termine führen zu Qualitätsproblemen, erhöhtem Aufwand auf beiden Seiten und häufig letztendlich zu unnötigen Verzögerungen zu weit gefasste, unklare Leistungsbeschreibungen führen zu ungewöhnlichen Wagnissen und diese wiederum zum Ausbleiben von Angeboten, zu höheren Preisen und zu Streit im Projekt um Leistungsinhalte 18
19 Versuch eines Rankings der Probleme aus Auftragnehmersicht unlimitierte Haftung zu weitgehende Rechteeinräumung zu lange Gewährleistungsfristen zu hohe oder gar unlimitierte Vertragsstrafen unklare oder widersprüchliche Leistungsbeschreibungen zu eng gesetzte Termine Quellcodeübergabe oder hinterlegung bei Standardsoftware 19
20 Gründe für ein übertriebenes Absicherungsbedürfnis Unerfahrenheit bei der Beschaffung komplexer IT-Leistungen, Unsicherheit im Umgang mit Verträgen und in Vertragsverhandlungen, unzureichende juristische Kenntnisse, schlechte Rückgriffsmöglichkeiten auf Justiziariate, unzureichende eigene Fachkenntnis, schlechte Rückgriffsmöglichkeiten auf die fachlich Zuständigen im eigenen Hause unzureichende personelle Ressourcen 20
21 Gründe für ein übertriebenes Absicherungsbedürfnis Angst, durch zu weiche Forderungen Amtspflichten zu verletzen Wunsch zur Kompensation von eigenen Versäumnissen und Problemen, z.b. unzureichende Vorbereitung, insb. nicht geklärte Anforderungen und Projektziele Unzureichende Haushaltsmittel unzureichende Mitwirkung eigener Stellen Termindruck von oben bzw. Druck durch gesetzliche Anforderungen 21
22 Ein Vertrag mit übertriebener Absicherung ist ein Pyrrhussieg denn man bezahlt letztlich für etwas, dass man nicht braucht, z.b.: unbegrenzte Haftung fünf Jahre Gewährleistung etc. und sie führt häufig zu praktischen Problemen, denn: der Auftragnehmer hat nur die Vermeidung der Vertragsstrafen im Auge und sei auf Kosten der Qualität und der Projektziele Die Zusammenarbeit ist schwierig, weil der Auftragnehmer stets nur darum bemüht ist, Haftungsrisiken zu vermeiden 22
23 Ein Vertrag mit übertriebener Absicherung ist ein Pyrrhussieg denn der Auftragnehmer wird jegliche sinnvolle Änderung der Leistung verschwiegen, sobald er Gefahr läuft, diese kostenlos realisieren zu müssen Zugeständnisse des Auftragnehmers und konstruktive Vorschläge sind in einem solchen Projekt kaum zu erwarten der Auftragnehmer ist darauf angewiesen, durch Change Requests das Projekt auskömmlich zu machen 23
24 Wie viel Absicherung ist nötig? so viel, wie zur Sicherung des Projekterfolges nötig ist. Beispiele: angemessene Vertragsstrafen (z.b. 0,1 % pro Tag / 5 % insgesamt) üben ausreichenden Druck aus, damit der Auftragnehmer das Projekt nicht vernachlässigt Hinweis: höhere Vertragsstrafen als 5 % sind in AGB ohnehin unwirksam Haftungsbegrenzung auf den Auftragswert ist in aller Regel ausreichend, um die wichtigsten Risiken, insbesondere den Deckungskauf abzudecken grober Ansatz: Preisdifferenz zum nächstplazierten Bieter 24
25 Wie viel Absicherung ist nötig? so viel, wie zur Sicherung des Projekterfolges nötig ist. Beispiele: Rechte müssen ausreichend sein, um das Projekt umzusetzen, etwaige Erweiterungen zu ermöglichen und ggf. individuelle Teile an andere Behörden weitergeben zu können (z.b. im Rahmen der Kieler Beschlüsse) Termine sollten immer vereinbart werden, jedoch stets mit Augenmaß, Termine, die an der Projektwirklichkeit vorbeigehen, führen zu Qualitätsproblemen, völlig unnötigem Streß in Projekten und häufig zu längeren Projekten als bei sorgfältiger Terminierung 25
26 Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit! Rechtsanwalt Norman Müller Wendler Tremml Rechtsanwälte Fasanenstraße Berlin fon fax nmueller@law-wt.de 26
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