1. Kapitel: Einleitung
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- Mathilde Hermann
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2 1. Kapitel: Einleitung 1: Anlass und Ziel der Untersuchung Die private Berufsunfähigkeitsversicherung war seit der Deregulierung des Versicherungsmarktes im Jahre 1994 einem stetigen Wandel unterworfen. Während sich zuvor wegen der Vorabgenehmigungspflicht des BAV keine Produktvielfalt auf dem Markt herausbilden konnte und Wettbewerb deshalb nur bedingt über den Preis stattfand, entwickelte sich seit der Einführung des Europäischen Binnenmarktes für Versicherungen im Jahr 1994 ein reger Bedingungswettbewerb um die Ausgestaltung des Versicherungsschutzes in der Berufsunfähigkeitsversicherung. 1 Eine weitere Zäsur stellte die Reform des Versicherungsvertragsgesetzes mit der erstmaligen gesetzlichen Regelung der Berufsunfähigkeitsversicherung dar, womit der gewachsenen gesamtgesellschaftlichen Bedeutung dieser Sparte Rechnung getragen werden sollte. 2 Das am in Kraft getretene neue VVG folgt der Intention, die Möglichkeiten der Produktgestaltung möglichst wenig einzuengen und beschränkt sich letztlich auf die Vorgabe des Begriffs der Berufsunfähigkeit in 172 Abs. 2 VVG als gesetzliches Leitbild, welcher noch nicht einmal halbzwingend ausgestaltet und insofern frei abänderbar ist. Der gesetzlichen Fixierung des Berufsunfähigkeitsbegriffs kommt somit lediglich eine Auffangfunktion zu, sodass die Marktteilnehmer größtmögliche Freiheit bei der Ausgestaltung ihrer Produkte behalten. 3 Aktuell wird davon gesprochen, dass der Bedingungswettbewerb, welcher den Markt der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung über zwei Jahrzehnte bestimmt hat, fünf Jahre nach der Einführung des neuen Versicherungsvertragsgesetzes zur Ruhe gekommen sei und sich erneut in einen Preiswettbewerb gewandelt habe, ähnlich der Situation vor der Deregulierung des Versicherungsmarktes im Jahr Allerdings soll der Preiskampf auf Berufsgruppen mit geringen gesundheitlichen Risiken beschränkt bleiben, während Interessenten 1 Kirsch, Berufsunfähigkeitsversicherung im Wandel, S Ebenda; Rosensträter-Krumbach, VersR 2004, Regierungsentwurf VVG, BT-Drucks. 16/3945, S Pohl, D., Versicherungsmagazin 5/2009, 16; Surminski, ZfV 2010, 241; Pasdika, GenRe Netletter 2/2011, 1; Malik, Risikomanagement in der Berufsunfähigkeitsversicherung, S
3 mit höherem Risiko von dem Produkt zunehmend ausgeschlossen werden bzw. überhaupt keine Versicherung mehr bekommen. 5 In Bezug auf die Bedingungsqualität geht man davon aus, dass bereits seit Jahren kein Qualitätsdefizit in der BU-Versicherung mehr besteht, da die Marktmechanismen, befördert durch Tests und Produktratings, gut funktionierten; insofern seien bereits die Bemühungen des Gesetzgebers, durch das neue VVG Mindestanforderungen an die Berufsunfähigkeitsversicherung gesetzlich zu regeln, obsolet gewesen. 6 Der BGH hingegen hat noch in einer Entscheidung aus dem Jahre 2007 klargestellt, dass in der Berufsunfähigkeitsversicherung die geläufigen Regelungen zur Erklärung eines Leistungsanerkenntnisses, dessen Reichweite und das Nachprüfungsverfahren für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer nur schwer und mitunter überhaupt nicht mehr durchschaubar sind. 7 An diese gegenläufigen Thesen anknüpfend, will vorliegende Arbeit analysieren, inwieweit bestehende Transparenzprobleme in den Bedingungen der Berufsunfähigkeitsversicherung seit der VVG-Reform tatsächlich abgebaut werden konnten und mit den gesetzlichen Regelungen in 172 ff. VVG ein ausgewogener Standard geschaffen worden ist, welcher die gravierenden Mängel an Transparenz beseitigt, gleichzeitig aber aufgrund der dispositiven Ausgestaltung Wettbewerb ermöglicht. 8 Der Wettbewerb hat die Versicherer laufend dazu veranlasst, Veränderungen an ihren Bedingungswerken vorzunehmen, um Marktanteile behaupten bzw. ausweiten zu können. 9 Dies führte zu der aktuellen Situation, in der der Großteil der Marktteilnehmer scheinbar optimale, am Beststandard orientierte Bedingungswerke anbietet. 10 Wegen dieses Annährungsprozesses in den Bedingungswerken gehen die Ratingunternehmen unterdessen sogar vermehrt dazu über, neue Kriterien wie z. B. Unternehmensdaten in ihre Analysen einzubeziehen, sodass die bloße Bewertung der AVB in den Hintergrund tritt. 11 Auf der anderen Seite sind die Ergebnisse der Ratingunternehmen wegen der Intransparenz ihrer Vergleichsmethoden, welche zumindest gegenüber dem Verbraucher nicht offengelegt werden, kritisch zu hinterfragen. Versicherungsnehmer 5 Franke, Schafft die BU sich ab?, S. 6; Römer, VersWissStud. Bd. 45, S Ebenda. 7 BGH, r+s 2007, Müller, VersR 2003, Kirsch, Berufsunfähigkeitsversicherung im Wandel, S Surminski, ZfV 2010, 241; Franke, Schafft sich die BU ab?, S Bocquel, Versicherungsmagazin, 5/2010,
4 können in der Regel nur das Endergebnis eines Produktvergleichs in Form von Gütesiegeln und Sternen wahrnehmen. Jedoch wird wegen der Zusammenfassung mehrerer Kriterien zu einem Gesamtergebnis letztlich eine Vielzahl von Anbietern mit dem Bestergebnis bedacht, obwohl sich diese in den einzelnen Leistungsmerkmalen z. T. gravierend voneinander unterscheiden. Durch die Analyse der zurzeit auf dem deutschen Versicherungsmarkt verwendeten Bedingungswerke in der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung soll untersucht werden, wie weit sich die konkurrierenden Unternehmen mit ihren Bedingungen in Bezug auf ausgewählte, für die Hauptleistungspflichten wesentliche Bereiche tatsächlich unterscheiden und welche konkreten Auswirkungen dies im Rahmen der Leistungsregulierung haben kann. Darüber hinaus sollen typische, auf der Anbieterseite verwendete Varianten von AVB-Inhalten herausgearbeitet und jeweils auf ihre Vereinbarkeit mit dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, insbesondere mit dem Transparenzgebot überprüft werden. Dabei sind v. a. auch die GDV-Verbandsempfehlungen kritisch in die Betrachtung einzubeziehen. Schließlich sind typische Probleme zu benennen, die sich aus Sicht des Autors v. a. aufgrund der, von Versicherungsnehmern einseitig interpretierten Bedingungsklauseln in der Praxis ergeben und in vielen Fällen dazu führen, dass die Assekuranz mit ihrer Auslegung der AVB einseitige und unbillige Vorteile erlangt. Bekanntermaßen sind Gerichtsverfahren im Bereich der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung kostenintensiv und für nicht rechtsschutzversicherte Versicherungsnehmer häufig nicht finanzierbar, sodass bereits aus diesem Grund viele durchaus praxisrelevante Regulierungsprobleme nicht justiziabel werden. Darüber hinaus wurden die für Versicherungsunternehmen nicht interessengerechten Grundsatzentscheidungen des Bundesgerichtshofes durch die Abgabe von prozessualen Anerkenntnissen systematisch verhindert. 12 Diese Situation hat sich mit Einführung des 555 Abs. 3 ZPO am und Wiederherstellung der Rechtslage von vor der ZPO-Reform im Jahre 2002 geändert. 13 Trotz der Veränderung der prozessualen Rahmenbedingungen wird sich an der grundlegenden Verschiebung der Kräfte zum Nachteil des Versicherungsnehmers in absehbarer Zukunft vermutlich wenig ändern. Auch nach der VVG-Neukodifikation bleibt das faktische Auslegungs- bzw. Rechtsanwendungsmonopol 12 So in der Tendenz Seiffert, r+s 2010, Heßler, in: Zöller, ZPO, 555 Rn
5 bei der Assekuranz, die im Rahmen der Regulierung festlegt, wie die AVB anzuwenden bzw. auszulegen sind. Das Gewicht zugunsten des Versicherungsnehmers zu verschieben, kann langfristig nur über transparentere Bedingungswerke geschehen, die es dem Verbraucher letztlich ermöglichen, seine rechtliche Situation bereits durch die ihm vorliegenden vertraglichen Grundlagen klar zu bestimmen. Aus diesem Grund ist es das Hauptanliegen der Arbeit, eine Analyse von wesentlichen, die Leistungspflicht bestimmenden Versicherungsbedingungen zu einer besseren Wahrnehmung der tatsächlichen Bedingungswirklichkeit in Rechtsprechung und Literatur beizutragen und somit eine belastbare Grundlage für die Diskussion bzgl. der Weiterentwicklungen in der Berufsunfähigkeitsversicherung zu liefern. Naturgemäß werden in der Literatur regelmäßig nur die vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft vorgeschlagenen Musterbedingungen (MB-BUV/BUZ) für die Berufsunfähigkeitsversicherung behandelt und kommentiert, welche im günstigsten Fall dem aktuellen Verbandsvorschlag, nicht jedoch der vielfach abweichenden Bedingungswirklichkeit entsprechen. Es gilt zu zeigen, dass sich die aktuell am Markt angebotenen Produkte ganz erheblich von den MB-BUZ/BUV unterscheiden. Erst die konkrete Wahrnehmung von neuen Entwicklungen auf dem Bedingungsmarkt wird dazu führen, dass sich Rechtsprechung und Literatur damit auseinandersetzen und Rückschlüsse daraus ziehen können. Diese Rezeption ein wenig voranzutreiben und Denkanstöße für notwendige Korrekturen bei der Betrachtung von Problemen der täglichen Regulierungspraxis zu liefern, will die vorliegende Arbeit einen Beitrag leisten. 2: Gang der Untersuchung Nachdem im 2. Kapitel die Verwendung des Begriffs der Berufsunfähigkeit in den verschiedenen Zweigen der gesetzlichen und privaten Versicherungswirtschaft gegenüberzustellen ist, werden im Folgenden die zentralen, für die Regulierungspraxis in der Berufsunfähigkeitsversicherung wesentlichen Themenkomplexe in den Blick genommen. In diesem Zusammenhang sind zunächst der Begriff des Berufs (3. Kapitel) und die bedingungsgemäßen Ursachen der Berufsunfähigkeit (4. Kapitel) als Anknüpfungspunkt jeder Leistungsprüfung zu untersuchen. Daran anschließend werden die marktüblichen Regelungen zu Leistungsbeginn und Dauer vorgestellt (5. Kapitel), während es in den beiden folgenden Kapiteln um die wichtigsten Einwendungsmöglichkeiten des Versicherers im Rahmen der Leistungsprüfung geht; die Verweisung (6. Kapitel) und die Umorganisation 18
6 (7. Kapitel). Das 8. Kapitel beschäftigt sich mit dem Komplex der Mitwirkungspflichten des Versicherungsnehmers und abschließend wird das Nachprüfungsverfahren behandelt (9. Kapitel). Am Schluss der Arbeit erfolgt im 10. Kapitel eine Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse zu den einzelnen Kapiteln, und es wird in kurzen Thesen der Standpunkt des Verfassers zum aktuellen Entwicklungsstand der Berufsunfähigkeitsversicherung dargelegt. Grundlage der Arbeit ist eine in 15 tabellarischen Aufstellungen vorgenommene Analyse aktuell marktüblicher Bedingungswerke zu den in den einzelnen Kapiteln behandelten Untersuchungsschwerpunkten. In die Erhebung wurden die aus Sicht des Autors wesentlichen, aktuell am BU-Markt auftretenden Anbieter einbezogen. Die Auswahl der jeweils untersuchten Tarife orientiert sich an den im Jahr 2013 durchgeführten Erhebungen der drei führenden BU-Ratingunternehmen (Morgen & Morgen, Franke & Bornberg sowie Finanztest). Wenn Versicherungsunternehmen sowohl Berufsunfähigkeitszusatzversicherungen (BUZ) als auch selbstständige Berufsunfähigkeitsversicherungen (BUV) anbieten, wird im Zweifel ein Tarif aus der selbstständigen Berufsunfähigkeitsversicherung einbezogen. Sollten mehrere Tarifvarianten angeboten werden, welche sich qualitativ voneinander unterscheiden (z. B. Basis und Comfort ), werden beide Produkte berücksichtigt. 19
Diese Beschreibung von Hans Möller, die sich auf den Berufsstand der Versicherungsvermittler. zu den Parteien des Versicherungsvertrages betroffen.
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