Prof. Dr. Wulf-Henning Roth Wintersemester 2008/2009. Examensklausurenkurs im Bürgerlichen Recht
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1 Prof. Dr. Wulf-Henning Roth Wintersemester 2008/2009 Examensklausurenkurs im Bürgerlichen Recht Gudrun Schlemmer (S) ist Chefredakteurin des Grevenbroicher Tageblatts und wünscht sich sehnlichst das neueste Handy-Modell itouch vom angesagten Hersteller Pineapple, das sie als Privatgerät nutzen möchte. Um sich dieses zu beschaffen, informiert sie sich im Internet und stößt auf das Online-Auktionshaus ebucht. Die Teilnahme an dieser Plattform erfordert die vorherige Zustimmung zu den ebucht-bedingungen, in denen es u.a. heißt: Stellt ein Anbieter auf der ebucht-website einen Artikel im Angebotsformat Auktion ein, gibt er ein verbindliches Angebot zum Abschluss eines Vertrags über diesen Artikel ab. Dabei bestimmt der Anbieter einen Startpreis und eine Frist (Angebotsdauer), binnen derer das Angebot per Gebot angenommen werden kann. Der Bieter nimmt das Angebot durch Abgabe eines Gebots über die Bieten-Funktion an. Das Gebot erlischt, wenn ein anderer Bieter während der Angebotsdauer ein höheres Gebot abgibt. Bei Ablauf der Auktion kommt zwischen Anbieter und Höchstbietendem ein Vertrag über den Erwerb des Artikels zustande. S sieht auf ebucht das Angebot der Powersellerin Petra Protz (P), die das itouch zum Startpreis von nur 1 anbietet. Das Angebot endet am um 20:00 Uhr. Außer einer technischen Beschreibung des Mobiltelefons findet sich in der Artikelbeschreibung der P nichts. S und fünf weitere Bieter überbieten sich gegenseitig, bis S schließlich mit 648 das höchste Gebot im Angebotszeitraum abgibt. S erhält eine automatisch generierte von P, in der S zum Kauf beglückwünscht wird, und in der die Bankverbindung der P angegeben ist. Sie überweist den Betrag sofort, so dass das itouch bereits am Samstag, den , geliefert wird. S packt das Telefon aus und telefoniert viel und ausdauernd damit. Schon nach kurzer Zeit schmälert sich indes die Freude der S, hat sie doch das itouch an anderer Stelle weit günstiger gesehen. Am schreibt S der P daher eine , in der sie ankündigt, dass sie das itouch zurücksenden werde, weil der Preis von 648 ihr doch zu hoch erscheine; sie wolle jetzt ihr Geld einschließlich Zinsen zurück. P antwortet S: Gekauft ist gekauft! Solange das itouch funktioniert, nehme ich es nicht zurück. Das gilt insbesondere, weil es sich hier um eine Auktion handelt. Außerdem haben Sie das Gerät ausgepackt, in Betrieb genommen und zwei Wochen lang genutzt. Das gibt es auch nicht gratis. S entgegnet, dass P doch im Gegenzug ihr Geld zur Verfügung hatte. Wie ist die Rechtslage? Die Ansprüche der S gegen P und mögliche Gegenansprüche der P sind zu erörtern. 1
2 RICHTLINIE 97/7/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz Das europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 100a, in Erwägung nachstehender Gründe: (14) Der Verbraucher hat in der Praxis keine Möglichkeit, vor Abschluss des Vertrags das Erzeugnis zu sehen oder die Eigenschaften der Dienstleistung im einzelnen zur Kenntnis zu nehmen. Daher sollte ein Widerrufsrecht bestehen, sofern in dieser Richtlinie nicht etwas anderes bestimmt ist. Damit es sich um mehr als ein bloß formales Recht handelt, müssen die Kosten, die, wenn überhaupt, vom Verbraucher im Fall der Ausübung des Widerrufsrechts getragen werden, auf die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren begrenzt werden. Das Widerrufsrecht berührt nicht die im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Rechte des Verbrauchers, insbesondere bei Erhalt von beschädigten Erzeugnissen oder unzulänglichen Dienstleistungen oder Erzeugnissen und Dienstleistungen, die mit der entsprechenden Beschreibung in der Aufforderung nicht übereinstimmen. Es ist Sache der Mitgliedstaaten, weitere Bedingungen und Einzelheiten für den Fall der Ausübung des Widerrufsrechts festzulegen. haben folgende Richtlinie erlassen: Artikel 1 Gegenstand Gegenstand dieser Richtlinie ist die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Vertragsabschlüsse im Fernabsatz zwischen Verbrauchern und Lieferern. Artikel 3 - Ausnahmen (1) Diese Richtlinie gilt nicht für Verträge, die - bei einer Versteigerung geschlossen werden. Artikel 6 - Widerrufsrecht 2
3 (1) Der Verbraucher kann jeden Vertragsabschluß im Fernabsatz innerhalb einer Frist von mindestens sieben Werktagen ohne Angabe von Gründen und ohne Strafzahlung widerrufen. Die einzigen Kosten, die dem Verbraucher infolge der Ausübung seines Widerrufsrechts auferlegt werden können, sind die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren. (2) Übt der Verbraucher das Recht auf Widerruf gemäß diesem Artikel aus, so hat der Lieferer die vom Verbraucher geleisteten Zahlungen kostenlos zu erstatten. Die einzigen Kosten, die dem Verbraucher infolge der Ausübung seines Widerrufsrechts auferlegt werden können, sind die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren. Die Erstattung hat so bald wie möglich in jedem Fall jedoch binnen 30 Tagen zu erfolgen. Artikel 14 - Mindestklauseln Die Mitgliedstaaten können in dem unter diese Richtlinie fallenden Bereich mit dem EG- Vertrag in Einklang stehende strengere Bestimmungen erlassen oder aufrechterhalten, um ein höheres Schutzniveau für die Verbraucher sicherzustellen. Durch solche Bestimmungen können sie im Interesse der Allgemeinheit den Vertrieb im Fernabsatz für bestimmte Waren und Dienstleistungen, insbesondere Arzneimittel, in ihrem Hoheitsgebiet unter Beachtung des EG-Vertrags verbieten. 3
4 Ausgangsfall: A. Anspruch S gg P auf Rückzahlung des Kaufpreises i.h.v. 648 gem. der 346 I, 357 I 1, 355 I 1, 312d I BGB I. Anspruch auf Rückzahlung entstanden 1. Widerrufserklärung, 355 I 2 BGB (+), vom erfüllt Textform gem. 126b BGB, vgl. MüKo/Einsele 126b Rn Widerrufsrecht, 312d, 312b BGB a. Fernabsatzvertrag i.s.d. 312d, 312b BGB? aa. Kaufvertrag wirksam zustande gekommen? aaa. Vertragsschluss gem. der 145 ff. BGB? Ist durch Auslegung aus dem Empfängerhorizont zu ermitteln, 133, 157 BGB. 1. Keine invitatio ad offerendum. 2. Durch Freistellen der Auktionsseite und Abgabe des Höchstgebot kommt ein Vertrag durch korrespondierende Willenserklärungen zustande, 145ff. 3. Weder Vertragspartner noch Kaufpreis bestimmt, aber bestimmbar. 4. ebucht als Empfangsvertreter der Parteien ( 164 Abs. 3 BGB) bbb. Ex-tunc Nichtigkeit des KV infolge einer Anfechtung durch S (-), ccc. KV ist zwischen S und P zustande gekommen. bb. Fernabsatzvertrag gem. 312b, 312d BGB? aaa. P ist als Powersellerin Unternehmerin i.s.d. 14 BGB (+) vgl. OLG Koblenz, Beschl. v , Az.: 5 U 1145/05: bbb. S ist Verbraucherin, 13 BGB. ccc. ebucht ist ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebssystem, vgl. AnwKomm/Kremer/Noack, Anh 156 Rn. 34. b. Kein Widerrufsrecht gem. 312d IV Nr. 5 BGB? aa. Kam der Vertrag gem. 156 BGB durch Gebot und Zuschlag zustande? Mangels Zuschlags handelt es sich bei der Auktion nicht um eine Versteigerung i.s.d. 156 BGB, vgl. ebucht-bedingungen und BGH, NJW 2002, 363 ( ricardo.de ) bzw. BGH, NJW 2005, 53 ( ebay international ). bb. Auch kein anderes Ergebnis in richtlinienkonformer Auslegung geboten, Art 3 Abs. 1 Spiegelstrich 5 FARL, da nur Mindestvorgabe für den Verbraucherschutz. cc. Analoge Anwendung des 312d IV Nr. 5 BGB auf Online-Auktionen? (-), mangels planwidriger Regelungslücke. 4
5 c. Zwischenergebnis: S steht gem. 312d, 312b BGB ein Widerrufsrecht zu. 3. Kein Ausschluss des Widerrufs, 355 BGB? a. Gem. 355 I 2 BGB ist der Widerruf innerhalb von zwei Wochen zu erklären. aa. Art. 6 FARL bestimmt zwar eine 7-Tage-Frist. bb. Hiervon darf jedoch zugunsten des Verbrauchers abgewichen werden, Art 14 FARL. cc. Entscheidend ist der Zeitpunkt der Absendung. b. Fristbeginn: aa. Gem. 312d II 2. Alt. BGB und gem. 355 III 2 BGB, 187 I, 188 II, 193 BGB war der Widerruf der S vom grundsätzlich verfristet. bb. Aber fehlende Belehrung, 355 II 1 BGB. cc. Und: Nichterfüllung der Informationspflichten aus 312c, 312e BGB, 1, 3 BGB- InfoV. dd. Ausschluss des Widerrufsrechts gem. 355 III 1 BGB? (-), wegen. 355 III 2 BGB c. Ergebnis: Das Widerrufsrecht ist nicht verfristet. 4. Der Widerruf ist wirksam, somit ist der Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises gem. 346 I, 357 I 1, 355 I 1, 312d I BGB entstanden. II. Zurückbehaltungsrecht der P gemäß 348, 320 BGB? 1. Gegenanspruch der P auf Rückgabe und Rückübereignung des itouch gem. der 346 I, 357 BGB (+) 2. Gegenanspruch der P gg S auf Wertersatz für die gezogenen Nutzungen gem. der 346 I, II Nr. 1 BGB i.v.m 357 I BGB a. Rückgewähranspruch aus 346 I? (+) umfasst auch gezogene Nutzungen (+) b. Nutzungen, 100 BGB. Hier Gebrauchsvorteile. c. Wertersatz gem. 346 II Nr. 1 BGB d. Problem: Verstoß gg Art. 6 der FARL? aa. Kosten i.s.d. Richtlinie? bb. Kosten infolge des Widerrufs cc. Spannungsverhältnis Erwägungsgrund 14 und effet utile 3. Gegenanspruch des P gg S auf Wertersatz für die Verschlechterung infolge der Öffnung und erstmaligen Benutzung des itouch gem. der 346 I, II Nr. 3, 357 BGB (-) a. Wirksamer Widerruf durch den Widerrufsberechtigten (+) b. Ausschluss wegen 357 I, 346 I, 346 II Nr. 3 BGB? (+) Verschlechterung des itouch beruht allein auf der bestimmungsgemäßen Ingebrauchnahme i.s.d., 346 II Nr Hs. 5
6 c. Ausnahme des 357 III 1 BGB? Verstoß gg Art. 6 FARL kann offen bleiben, da Hinweis auf die Folgen des 357 III BGB. d. Anspruch (-) III. Gesamtergebnis: S hat gg P einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises, Zug-um- Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des itouch. B. Anspruch S gg P auf Herausgabe der gezogenen Nutzungen am Kaufpreis gem. 346 I BGB: (-) Kein Hinweis im Sachverhalt, das P Geld gewinnbringend angelegt hat. C. Wertersatz für die hinsichtlich des erhaltenen Geldes nicht gezogenen Nutzungen gem. 347 I 1 BGB 1. Nutzungen nicht gezogen (+) 2. Nutzziehung muss den Regeln der ordnungsgemäßen Wirtschaft entsprechen. Keine Verzinsungspflicht bei kleineren Beträgen? (Müko/Gaier 347 Rn 8, Jaunernig/Stadler 347 Rn. 1: e contrario 347 S. 3 a.f.). Beide Ansichten vertretbar. 3. Steht dem Anspruch aus 347 I 1 BGB eventuell 347 I 2 BGB entgegen? (-) 4. Ergebnis je nachdem 347 I 1 BGB (+/-), aber Gleichlauf mit Nutzungsersatzanspruch des Unternehmers beachten. D. Gesamtergebnis. I. Anspruch der S gg P auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des itouch gemäß 346 I, 357 I 1, 355 I 1, 312d I, 348, 320, 346 I, 357 BGB (+) Ggf. zusätzlich: Anspruch S gg P auf nicht gezogene Nutzungen hinsichtlich des erhaltenen Geldes gemäß 347 I 1, 348, 320, 346 I, II Nr. 1, 357 BGB Zug um Zug gg Nutzungsersatz hinsichtlich der zweiwöchigen Nutzung des itouch 6
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