C EXCLUSIVE: Wissen Sie, warum so viele kreative

Transkript

1 I N T E R V I E W E M I L Y B A R T E L S F O T O S J U L I A N E W E R N E R

2 world 31 Wilde Hühner, Drachen und Gespenster machten Cornelia Funke zur weltweit erfolgreichen Schrift stellerin jetzt wird sie in ihrer Wahlheimat USA auch noch zur Ver legerin. Ein Gespräch über deutsche Wurzeln, amerikanischen Optimismus und atmende Bücher Cornelia Funke in Hamburg: Hier lebte die Autorin, bevor sie 2005 in die USA zog

3 32 world C EXCLUSIVE: Wissen Sie, warum so viele kreative Deutsche auswandern? Ist es in Deutschland zu eng? FUNKE: In Amerika gibt es einen unheimlich starken Glauben daran, dass man alle Probleme lösen kann. Das ist eine Einstellung, die Kreativen sehr entgegenkommt. Das kann auf Dauer einen unglaublichen Druck erzeugen, weil es den Anspruch gibt, dass du dich immer wieder selbst erfindest. Aber wenn dir das liegt, erscheint alles unglaublich leicht, und du wirst sofort abenteuerlustiger. EXCLUSIVE: In den USA sind Sie nun auch noch Verlegerin geworden warum? FUNKE: Weil ich Probleme mit den großen amerikanischen Verlagen hatte. Die wollten, dass ich den dritten Teil von Reckless, der in Deutschland schon veröffentlicht war, für den US-Markt verändere. Das hat zu der Entscheidung geführt, einen eigenen Verlag für meine englischen Bücher zu gründen, Breathing Books. Ich hatte schon länger mit der Idee gespielt, meinen eigenen Verlag zu gründen, aber eher für experimentelle Projekte. Nun wird es erst mal ein ganz klassisches Buch. Ich glaube, ich bin die erste Bestsellerautorin, die selbst verlegt daher die Aufregung in der Branche über meinen Schritt. CORNELIA FUNKE Mehr als 20 Millionen verkaufte Bücher, übersetzt in knapp 40 Sprachen diese Zahlen machen Cornelia Funke zur erfolgreichsten deutschen Jugendbuchautorin. Die Schriftstellerin wurde 1958 in Nordrhein-Westfalen geboren, nach dem Abitur ging sie nach Hamburg. Ihre Karriere begann sie als Illustratorin. Seit 2005 lebt Cornelia Funke mit ihren beiden Kindern in Los Angeles. EXCLUSIVE: Sie haben den Verlag mit der Multimediafirma Mirada Studios gegründet und arbeiten an Apps zu Ihren Büchern. Braucht es diese Ausstattung, um für junge Leser interessant zu bleiben? FUNKE: Nein, überhaupt nicht. Ich sage immer, die App ist nur der Reiseführer. Wenn ich nach Venedig fahren will, dann kaufe ich mir den Reiseführer, aber ich fahre trotzdem noch nach Venedig. Technisch gesehen sind es Apps, aber wir nennen sie gern atmende Bücher. EXCLUSIVE: Kann man damit Geld verdienen? FUNKE: Nein, dabei verliere ich nur Geld. Es ist noch sehr teuer, solche Apps zu entwickeln, sodass es für mich wirklich nur ein kreatives Abenteuer ist.

4 » Abenteuer halten jung und machen glücklich. Menschen werden traurig, wenn sie sich nicht immer wieder herausfordern «Fotos: Fuerst,Scholz/dpa Picture-Alliance; intertopics Mathew Cullen, mit dem ich den Verlag gegründet habe, ist für seine Musikvideos bekannt, darunter Katy Perrys Dark Horse. Ich habe ihn gefragt, ob er meinen Lesern die Spiegelwelt zeigen kann, und das Ergebnis war viel befriedigender als alle Verfilmungen meiner Bücher. Wir haben den Silbernen Löwen in Cannes dafür gewonnen, plötzlich haben zwei Museen die Arbeit ausgestellt. Ich werde zu Vorträgen über Apps eingeladen, weil ich im Moment die Einzige bin, die das auf diesem Niveau macht. Und ich warne alle und sage: Ihr könnt kein Geld damit verdienen. Wir haben jeden Tag Downloads, es kann sein, dass es sich irgendwann finanziert. Aber es ist ein sehr riskantes Geschäft. Das Hamburger Thalia- Theater erweckte die Helden aus Reckless (oben rechts) und Geisterritter zum Leben (oben links). Im Berliner Gorki-Theater lief Tintenblut (ganz oben rechts) EXCLUSIVE: Schreiben Sie auch für Erwachsene? FUNKE: Als Geschichtenerzählerin schreibt man für alle Alter. Bei der Spiegelwelt sind die meisten Leser Erwachsene. Im dritten Buch, dem Goldenen Garn, geht es um Liebe, aus der Sicht einer 56- Jährigen geschrieben. Ich habe versucht, darüber zu schreiben, was Liebe mit Frauen macht, nämlich ganz andere Sachen als mit Männern. Frauen haben diese Sehnsucht, sich in Liebe zu verlieren, sich aufzugeben. Männern ist dieser Gedanke völlig fremd. Sie sind auch nicht monogam, obwohl wir sie ab und zu dazu bringen, es zu sein. Auch ich habe mich schon dabei beobachtet, dass ich mich klein mache. Damit man passt. EXCLUSIVE: Sie haben sich auch schon auf Englisch probiert. Schreibt es sich ganz anders? FUNKE: Bei amerikanischen Projekten will ich die Direktheit haben und keine Übersetzung, die mir die Stimme verändert. Alle Freunde, die mich auf Deutsch und Englisch lesen, sagen mir, dass ich auf Englisch erwachsener klinge. Gefühle klingen auf Deutsch schneller sentimental als auf Englisch. Ich

5 34 world» Wir Deutschen sind in mancher Hinsicht sehr ernsthaft. Wir haben fast Angst vor unseren Märchen und Mythen «liebe dich hat ein anderes Gewicht als I love you. Englisch ist entspannter, pragmatischer, direkter als Deutsch. EXCLUSIVE: Merkt man Ihren Büchern die deutsche Herkunft an? FUNKE: Als ich meine ersten Interviews in London gab, war ich noch sehr naiv. Die haben mich gefragt, in welcher literarischen Tradition ich mich sehe. Und ich habe gesagt, na, Dickens, Kipling. Da fing der britische Journalist schallend an zu lachen und sagte: Cornelia, du bist so deutsch! Es dreht sich alles um Wälder und um den Mond, wie bei E. T. A. Hoffmann und den Gebrüdern Grimm! So musste mir ein Engländer erst mal klarmachen, wie deutsch meine Bücher waren. EXCLUSIVE: Wo sehen Sie das Deutsche daran? FUNKE: Ich habe mal von einer Engländerin gehört, die sagte, sie habe England verlassen, weil dort nichts ernst genommen wird und weil man dort über alles immer noch einen ironischen Witz macht. Deshalb sei sie nach Deutschland gegangen. Ich glaube, dass wir wirklich in mancher Hinsicht sehr ernsthaft sind. Fantastisches Erzählen war eine Zeit lang sehr verpönt in Deutschland. Wir haben fast Angst vor unseren Märchen und Mythen, weil die Nazis die so liebten. Wir fassen sie nicht mehr an, weil da lauter braune Flecken drauf sind. Hinzu kommt, dass wir mit den Juden einen wichtigen und bestimmenden Teil unserer Kultur verloren haben, den haben wir einfach abgeschnitten. Deutschland ist wie ein einarmiger Mensch, dem erst langsam wieder die Gliedmaßen nachwachsen. Und das Interessante ist: Die Flüchtlinge, die jetzt kommen, werden ganz viel mitbringen, was diesen Arm wachsen lässt. EXCLUSIVE: Sie leben seit zehn Jahren in Kalifornien. Was an Ihnen ist deutsch geblieben? FUNKE: Die Amerikaner würden sagen, meine Pünktlichkeit, meine Effizienz, die preußische Gründlichkeit. Die Amerikaner bewundern das ja. Und es ist typisch, dass Deutsche andere Deutsche im Ausland meiden. Es hat lange gedauert, bis ich Lust hatte, mich in Amerika mit Deutschen zu unterhalten. In einem so internationalen Land wie den USA ist es eigentlich egal, wo man hergekommen ist, man fühlt sich nie als Fremder. Ich wünschte manchmal, alle Europäer würden einen genetischen Test machen VON HÜHNERN UND DIEBEN 1993 Mit Die wilden Hühner und Gespensterjäger wird Cornelia Funke zu einer der bekanntesten deutschen Kinderbuchautorinnen Mit dem Erfolg von Herr der Diebe in den USA und Großbritannien gelingt der internationale Durchbruch Das US-Magazin Time wählt Funke unter die 100 einflussreichsten Personen der Welt Die Spiegel-Bestsellerliste nimmt erstmals ein Jugendbuch auf: Funkes Tintentod steigt auf dem ersten Platz ein Hollywood verfilmt Tintenherz mit einem Budget von etwa 60 Millionen Dollar. und sehen, was für einem Mischmasch sie selber entstammen. Man vergisst das so leicht, dass Europa immer ein Hin und Her und Kreuz und Quer war und dass wir das alle in unserem Blut tragen. EXCLUSIVE: Hollywood hat Ihr Buch Tintenherz verfilmt. Wie waren Ihre Erfahrungen? FUNKE: Niemand wollte mich über den Tisch ziehen, das ist mir mit Filmen in Europa wesentlich häufiger passiert. Da konnte zwischendurch der Cast nicht mehr bezahlt werden, oder es wurden Verträge nicht transparent verhandelt solche Spielchen sind mir in Hollywood nie passiert. Aber wenn man es in Amerika mit den Großproduktionen zu tun bekommt, sieht man, wie die Filme angepasst werden. Tintenherz hatte ein Budget von 60 Millionen Dollar. Da werden Testvorführungen gemacht, das Ende wird noch mal gedreht, weil das Publikum ein Happy End will, da wird endlos neu zusammengeklebt. EXCLUSIVE: Wirkt Hollywood trotzdem immer noch faszinierend? FUNKE: Hollywood hat etwas Magisches, davon können wir uns alle nicht freimachen. Obwohl ich auch die dunkle Seite gesehen habe: Wie sich das wohl anfühlt, wenn du in ein Restaurant gehst und du brauchst einen Bodyguard, damit die Leute nicht an deinen Tisch kommen? Oder wenn du von Paparazzi gejagt wirst. Das ist widerlich. Ich habe Verfolgungsjagden auf dem Freeway gesehen, da ist mir angst und bange geworden. EXCLUSIVE: Man sagt, Sie hätten natürlich ohne Paparazzi ein Faible fürs schnelle Autofahren FUNKE: Zugegeben, ich fahre gern schnell Auto. Abenteuer halten jung und machen glücklich. Ich glaube wirklich, dass Menschen traurig werden, wenn sie sich nicht immer wieder herausfordern. Ich glaube, das liegt einfach in uns. Ich liebe den Geschwindigkeitsrausch, das habe ich schon als Kind geliebt. Ich wollte immer in die wildesten Karussells, wo ich möglichst auf dem Kopf stehen musste. Und ich möchte jetzt meinen Pilotenschein machen. Fliegen ist gar nicht so schwer. EXCLUSIVE: Werden Sie irgendwann einmal nach Deutschland zurückkehren? FUNKE: Nein. Ich bin kein Zurückkehrer. Die Welt ist so groß, dass ich lieber neue Orte entdecken möchte.

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