20 Gliederung der Erziehungswissenschaft
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- Calvin Kruse
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2 20 Gliederung der Erziehungswissenschaft Hochschule völlig verschieden gegliedert. Sie würden zwar überall dieselben Begriffe finden (z.b. Sozialpädagogik, Didaktik, Schulpädagogik, Allgemeine Erziehungswissenschaft, Freizeitpädagogik, Sonderpädagogik u.a.m.) aber wie das alles aufeinander bezogen ist, welche systematische Ordnung diese Disziplin hat, würden Sie vermutlich nicht erkennen. Und hätten Sie in verschiedene Seminare und Vorlesungen hineingeschaut und sich mit den Inhalten beschäftigt, dann würden Sie den beiden folgenden Zitaten (wahrscheinlich kopfschüttelnd) zustimmen:»die Erziehungswissenschaft gliedert sich heute in verschiedene Einzeldisziplinen, die nur mehr durch das lockere Band eines gemeinsamen Namens zusammengehalten werden.«(lenzen 2005, Bd. 2, 1232) Und:»Es gibt gegenwärtig keinen Konsens über die fundamentalen Begriffe und Methoden der Erziehungswissenschaft und erst recht nicht über einen fundamentalen Kanon an Theorien und ein daraus resultierendes Kernstudium.«(Lenzen 2004, Bd. 1, 525) Wie ist diese Unübersichtlichkeit zu erklären? Dieser Pluralismus (um nicht das Wort Chaos zu gebrauchen) ist zum einen dadurch zu erklären, dass die Erziehungswissenschaft eine sehr junge Wissenschaft ist (verglichen z.b. mit der Philosophie oder der Medizin mit ihren klassischen Unterteilungen). Zum andern hat sie eine enorm stürmische Expansion seit den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts erlebt, weil sie auf gestiegenen Ausbildungsbedarf und neue pädagogische Probleme reagieren musste. (Überblick zur Entwicklung im 20. Jahrhundert: Horn 2003) Dies führt zu einer Vielzahl erziehungswissenschaftlicher Studiengänge, die an manchen Universitäten mittlerweile als bildungswissenschaftliche Studiengänge bezeichnet werden. Schließlich sind überall erhebliche Strukturveränderungen bei den Studiengängen zu beobachten, die sich vor allem auf die Bologna-Vereinbarungen zur Vereinheitlichung und gegenseitigen Anerkennung europäischer Studienabschlüsse beziehen. Bewegliche Erziehungswissenschaft Insgesamt kann also nicht von»der«gliederung»der«erziehungswissenschaft gesprochen werden, weil die wissenschaftssystematischen Gliederungen unaufhebbar mit den realen institutionellen Bedingungen der Hochschulen verwoben sind. Pluralität, ja»zersplittung«kann aber auch gelesen werden als Anzeichen dafür, dass die Erziehungswissenschaft gleichsam seismographisch auf sich ständig wandelnde gesellschaftliche Problemlagen reagiert. Man kann die Sache also auch durchaus positiv sehen: Die Erziehungswissenschaft hat die Komplexität ihres Gegenstandes entdeckt und sich entsprechend entfaltet: Bereits»Ende der 80er Jahre ist die Pädagogik eine stabile, ausdifferenzierte Disziplin, die alle äußeren Merkmale einer normalen Wissenschaft wie spezialisierte
3 Struktur der Disziplin 21 Subdisziplinen, Wissenschaftsvereinigungen, Fachkommissionen, Zeitschriften und Tagungen besitzt«(baumert/roeder 1990, 176).»Pädagogik«,»Erziehungswissenschaft«und»Bildungswissenschaften«Seit einigen Jahrzehnten ist es üblich, dass die beiden Begriffe Pädagogik und Erziehungswissenschaft als identische Begriffe nebeneinander verwendet werden. Das scheint sich heute mehr und mehr durchzusetzen. Allerdings muss man wissen, dass der Begriff Erziehungswissenschaft seit dem Ersten Weltkrieg, verstärkt aber in den 60er und 70er Jahren, ein»offensiver«begriff war, der zugespitzt den Wissenschaftscharakter dieser Disziplin betonen wollte gegenüber dem bis dahin vorwiegend gebrauchten Begriff Pädagogik, der oftmals mit der Erziehungspraxis (bzw. einer»ausbildung «für dieselbe) gleich gesetzt wurde. Es geht also um die Frage nach dem Verhältnis von wissenschaftlicher Theorie und pädagogischem Handeln, von Wissenschaft und Praxis und damit um die Frage nach dem Wissenschaftscharakter dieses Faches. In letzter Zeit wird neben der Erziehungswissenschaft zunehmend von den Bildungswissenschaften als Sammelbegriff für verschiedene Disziplinen wie z.b. der Psychologie oder den soziologischen und philosophischen Grundlagen der Bildung gesprochen. Der Begriff wird teilweise zur Bezeichnung von Instituten an Universitäten oder aber auch für neue Studiengänge verwendet. Damit soll der Charakter der Fragestellung, der Methoden und der Untersuchungsgegenstände im Hinblick auf ganzheitliche, individuelle Bildung betont werden. (Vgl. Terhart 2012 in einer detaillierten Begriffsanalyse) Es bleibt abzuwarten, ob sich dies weitgehend durchsetzen wird. 1.2 Struktur der Disziplin Eine differenzierte Strukturskizze legt der Berliner Erziehungswissenschaftler Dieter Lenzen vor (einfache Form 2005, Bd. 2, 114f., etwas umfangreicher 2002, 50f.). Zwei Momente bestimmen das Bild: einmal die enorme Vielfalt (und Wandlung) theoretischer Ansätze der Pädagogik, zum andern die sehr unterschiedliche praktische Etablierung von Teilgebieten an erziehungswissenschaftlichen Institutionen (Abb. 1).
4 22 Gliederung der Erziehungswissenschaft Abb. 1: Struktur der Pädagogik (aus: Lenzen 2005, Bd. 2, 1114f.)
5 Struktur der Disziplin 23
6 24 Gliederung der Erziehungswissenschaft Erläuterung der Struktur Die erste Ebene nennt die wichtigsten Teilgebiete (»Subdisziplinen«) der Pädagogik, die an vielen Hochschulen als eigene Institute oder mit eigenen Professuren vertreten sind: Es beginnt mit der Allgemeinen/Systematischen Pädagogik (hier geht es um das»allgemeine«, die Grundlagen jedes pädagogischen Denkens, die philosophischen und anthropologischen Voraussetzungen). Die Allgemeine Erziehungswissenschaft (AEW) analysiert und reflektiert Sozialisations-, Erziehungs- und Bildungsprozesse und -institutionen in ihrer gesellschaftlichen und historischen Dimension und ihrer systematischen Bedeutung. Sie führt in methodologische Hintergründe, empirische Voraussetzungen und in die Methoden erziehungswissenschaftlicher Forschung ein. Dabei vermittelt sie grundlegende Begriffe, Theorien und Methoden zur Analyse unterschiedlicher pädagogischer Felder und Problemstellungen. Die Allgemeine Erziehungswissenschaft wird neben die andern Subdisziplinen gestellt, auch wenn sie gerade den für alle Handlungsfelder pädagogischer Praxis geltenden und für alle Bereiche erziehungswissenschaftlicher Theorieentwicklung und Forschung anerkannten»pädagogischen Grundgedanken«(Benner 2012 herausarbeitet. Damit ist sie aber keine»super«-, sondern eine (ganz bescheidene)»sub«-disziplin der Erziehungswissenschaft. Allerdings gibt es eine heftige Kontro verse um den Charakter und Stellenwert einer Allgemeinen Pädagogik, die vom Verdacht eines Niedergangs bis zum Versuch einer Neubestimmung reicht (zusammenfassend Wigger 1996). Weiterhin gehört zu diesen relativ etablierten Teildisziplinen die Sozialpädagogik, also jener Bereich, der sich mit außerfamilialer und außerschulischer Erziehung im Sinne»strukturelle(r) Gefährdung des Heranwachsens überhaupt«(giesecke 2001, 46) und mit den entsprechenden Institutionen, Hilfen und Verfahren beschäftigt (von Beratung, Jugendarbeit, Kinderkrippen bis zu Heimen, Jugendwohngruppen und Arrestanstalten, Einzelfallhilfe, Gruppen- und Gemeinwesenarbeit u.a.m.). Es folgen Berufs- und Wirtschaftspädagogik, Historische, Vergleichende (d.h. Länder vergleichende) Pädagogik und Schulpädagogik bis zu Erwachsenenpädagogik, Sonderpädagogik (früher Behindertenpädagogik genannt) und Vorschulpädagogik. Alle diese Subdisziplinen differenzieren ihre Arbeitsbereiche selbst, z.t. sind sie an den Hochschulen sehr gut ausgebaut. Die zweite Ebene benennt unterhalb der Subdisziplinen nun Fachrichtungen, die als Spezialisierungsversuche noch nicht den Charakter einer Subdisziplin erreicht haben. Besonders wichtig ist zur Zeit die Interkulturelle Pädagogik; weitere sind Betriebspädagogik, Freizeitpädagogik etc. bis hin zur Sexualpädagogik. Es zeigt sich an der unterschiedlichen Bedeutung der verschiedenen Fachrichtungen, dass diese»durchaus konjunkturabhängig sein können«(lenzen 2005, Bd. 2, 1112). Die dritte Ebene schließlich weist auf Praxisfelder hin, die als»xy-erziehung«(friedenserziehung, Gesundheitserziehung bis Umwelterziehung) Gegenstand
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