Wenn nichts mehr zu machen ist Der Beginn der Therapie ist der Anfang von Palliative Care
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- Eugen Friedrich
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1 3 Wenn nichts mehr zu machen ist Der Beginn der Therapie ist der Anfang von Palliative Care Susanne Kränzle 3.1 Sterbephasen Was Sterbende sich wünschen Palliative Care in der Begleitung 16 Literatur 17
2 14 Kapitel 3 Wenn nichts mehr zu machen ist Der Beginn der Therapie ist der Anfang von Palliative Care Susanne Kränzle 3 In Kürze Ein Mensch bekommt aufgrund mehr oder weniger stark ausgeprägter Beschwerden eine Diagnose, die sein Leben komplett verändert es wird ihm mitgeteilt, dass er an einer Erkrankung leidet, die nur geringe Chancen auf Heilung verspricht. Schock, Entsetzen, ein Gefühl des Ausgeliefertseins machen sich breit, Verdrängung und Leugnung setzen ein.»es muss doch etwas zu machen sein, das kann doch nicht alles gewesen sein, ich habe doch noch so viele Pläne und Aufgaben, ich werde gebraucht, ich will meine Kinder und Enkel aufwachsen sehen, ich wollte doch den Ruhestand genießen, warum gerade ich, ich habe doch niemandem etwas getan...«die unterschiedlichsten Gedanken und Gefühle versetzen den Betroffenen und die Angehörigen in Panik und Hilflosigkeit. Schwerwiegende Fragen stellen sich wie die Frage nach Schuld, nach dem Schuldigen, die Frage: wie geht es weiter, wird es eine Möglichkeit der Therapie und Genesung geben, oder steht der Tod bevor wenn ja, wann und wie qualvoll wird er sein...? Die meisten Menschen, die wir im palliativen Bereich als Patienten oder Klienten erleben, haben bereits eine längere Zeit der Diagnostik und kurativen Therapie hinter sich. Sie sind durch manchmal beinahe unzählige Zyklen von Chemotherapien oder Bestrahlungen gegangen, sie haben regelmäßig vor Untersuchungen und Stagings gebangt, sie haben einmal bessere und einmal schlechtere Nachrichten erhalten. Es ist erstaunlich und bewundernswert, unter welchen Belastungen Menschen sich ihr Leben einrichten, oft sehr isoliert und sich unverstanden fühlend, mit der ständigen Angst und Bedrohung lebend, die Erkrankung könnte unaufhaltsam fortschreiten, es gäbe neue Hiobsbotschaften. 3.1 Sterbephasen Nach vielen Begegnungen und Gesprächen mit Sterbenden und jahrelanger Forschungsarbeit definierte eine der wohl bekanntesten Sterbeforscherinnen unserer Zeit, die Schweizer Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross ( 2004), die folgenden Phasen des psychischen Erlebens als regelmäßig bei schwer Kranken und Sterbenden zu beobachten. Kübler- Ross bemerkte weiter, dass die Phasen nicht in dieser Abfolge und nicht abschließend erlebt werden, sondern sich immer neu und unsortiert wiederholen können. Phase 1: Schock und Verleugnung Der Betroffene kann die schwerwiegende Diagnose nicht glauben. Geschockt glaubt er an eine Fehldiagnose, Verwechslung der Befunde, fordert neue Untersuchungen, beschuldigt die behandelnden Ärzte der Unfähigkeit. Oft werden Verordnungen nicht eingehalten, da sie nach Einschätzung des Patienten auf einer»falschen«grundlage erstellt sind. Die Verleugnung mildert den Schock. So gewinnt der Kranke Zeit, sich zunächst unbewusst und nur teilweise soweit er es ertragen kann bewusst mit der Mitteilung auseinanderzusetzen. Begleitende können in dieser Phase nicht sehr viel mehr tun als geduldig zu sein, abzuwarten, nicht zu widersprechen. Sie sollten Gesprächsbereitschaft signalisieren, auf keinen Fall aber versuchen wollen, dem Erkrankten»die Fakten nahe zu bringen«mit der Absicht, er solle die verbleibende Zeit noch nutzen können o. Ä. Phase 2: Emotionsphase Hat der Betroffene die tödliche Krankheit als solche anerkannt, wird er zornig und reagiert neiderfüllt auf die anderen, die leben dürfen (»Warum
3 3.1 Sterbephasen 15 3 gerade ich?«). Es kommt zu einer Flut negativ getönter Emotionen, die den Sterbenden mit sich fortreißen können. Dies äußert sich dann oft in Unzufriedenheit mit dem Essen, dem Zimmer, den Mitpatienten, dem Pflegeteam und den Ärzten, in Sonderwünschen, aber auch in heftigen Streitigkeiten mit der Familie und aggressiven Beschuldigungen. Begleitende sollten die»ausbrüche«, die»verstimmtheit«des Kranken nicht persönlich nehmen, sie sollten sich verständnisvoll zuwenden, zuhören, das Gehörte nicht bewerten. Ebenso ist diese Phase eine gute Möglichkeit, persönliche Zugewandtheit einerseits und Abgrenzung andererseits zu üben. Phase 3: Verhandlungsphase In dieser meist kurzen Phase wird der bevorstehende Tod als unvermeidbar anerkannt. Weiteres Verdrängen oder Ausweichen ist nicht mehr möglich. Der Sterbende versucht durch Verhandeln einen Aufschub, also mehr Lebenszeit, zu erreichen. Dazu gehört es, zu feilschen mit den Ärzten (z. B. um andere Therapien) und mit dem Team (Versprechen, sich anzupassen, an Therapien teilzunehmen). Durch die Bereitwilligkeit, einen hilfreichen Einsatz zu bringen, wird ein einstmals»schwieriger«sterbender manchmal zu einem»zahmen«, pflegeleichten Patienten. Auch das Schicksal oder Gott werden zu (Handels-)Partnern im Kampf des Sterbenden um eine längere Lebenszeit. Gelübde werden geleistet, Verpflichtungen abgelegt. Dem Inhalt solcher Versprechungen liegen oft Schuldgefühle zugrunde: Der Sterbende gelobt, etwas zu tun, was er als wichtig oder als viel versprechend erkannt, aber noch nicht geleistet hat. Begleitende sollten weder Hoffnungen zerstören noch diese nähren. Auch in dieser Phase ist es wichtig, die Aussagen und Ideen des Kranken nicht zu bewerten. Phase 4: Depressionsphase Ein neues Stadium wird erreicht, wenn der Patient jede Hoffnung aufgibt und in tiefe Traurigkeit versinkt. Es handelt sich bei dieser Reaktion aber nicht um eine Depression im engeren Sinn, der medikamentös begegnet werden müsste. Daher ist die Bezeichnung Phase der Traurigkeit zutreffender. Den Sterbenden überwältigt die Trauer über einen entsetzlichen Verlust. Er bereut zurückliegende Versäumnisse und trauert um all das, was er verlieren wird: Partner, Kinder und Freunde. Probleme, die er nicht mehr lösen kann (z. B. finanzielle Sorgen der Familie), erwecken Kummer, und begangene Fehler rufen Schuldgefühle hervor. In dieser Zeit ist es dem Sterbenden möglich, sich umfassend mit der Realität seines Todes auseinander zu setzen. Er verfasst z. B. ein Testament oder bringt Geschäfte zum Abschluss. Möglicherweise ändert sich seine persönliche Lebensphilosophie. Manchmal können jahrelang eingenommene Positionen noch verlassen werden, z. B. ist die Aussöhnung mit Familienmitgliedern oder die Kontaktaufnahme nach langem Schweigen eine Erfahrung, die auch den Angehörigen den Abschied erleichtert. Die Depression kann in eine Phase vorbereitender Trauer münden. Der Sterbende wird stiller und zieht sich zurück. Dieser Rückzug kann für die Angehörigen schmerzlich sein, ist aber ein Zeichen dafür, dass es dem Patienten gelingt, sich von seinen Bindungen zu lösen und sein Leben hinter sich zu lassen. Begleitende sollten jede Form der Traurigkeit und Trauer zulassen, den Kranken nicht abzulenken oder zu trösten versuchen. Zuverlässige, mitmenschliche Nähe ist in dieser Phase besonders wichtig. Möglicherweise gibt es konkrete Hilfen, die der Kranke beim Erledigen seiner letzten Dinge benötigt oder wünscht. Phase 5: Akzeptanz Die letzte Phase ist gekennzeichnet von Zustimmung und ruhiger Erwartung des Todes. Der Sterbende hat seinen Frieden mit der Welt gefunden und akzeptiert den nahenden Tod, auch wenn noch eine
4 16 Kapitel 3 Wenn nichts mehr zu machen ist Der Beginn der Therapie ist der Anfang von Palliative Care 3 schwache Hoffnung aufrechterhalten wird, doch nicht sterben zu müssen. Dieses Stadium scheint fast frei von Gefühlen oder Gefühlsausbrüchen zu sein. Der Patient ist müde und schwach, schläft viel und möchte nicht gestört werden. Er verständigt sich oft nur noch mit Gesten oder wenigen Worten. Begleitende sollten sich in dieser Phase besonders viel Zeit nehmen, um den Sterbenden zu unterstützen. Vielleicht ergibt sich ein Gespräch über die letzten Wünsche. Der Rückzug sollte akzeptiert werden, die Ablösung so leicht wie möglich gemacht werden. 3.2 Was Sterbende sich wünschen Sterbende wünschen sich laut Umfragen, die alle in etwa ähnliche Ergebnisse erbrachten, vor allem 4 Nicht alleine sterben zu müssen, d. h. von nahe stehenden, vertrauten Menschen umgeben zu sein 4 Ohne Schmerzen sterben zu können, in Würde und Frieden gehen zu dürfen 4 Die Möglichkeit zu haben, letzte Dinge noch erledigen zu können, Beziehungen zu klären 4 Über den Sinn des Lebens und des Sterbens mit Menschen sich austauschen zu können, die bereit sind dies auszuhalten 3.3 Palliative Care in der Begleitung Palliative Care beginnt im Grunde dann, wenn ein Mensch eine Diagnose mitgeteilt bekommt, die möglicherweise eine ungünstige Prognose hat, d. h. wenn die Erkrankung tödlich enden könnte. Ab diesem Moment ist es wichtig, den Erkrankten und das ganze Familiensystem zu stützen. Eine Aufgabe der behandelnden Ärzte, der Pflegenden und des Sozialdienstes ist es, an geeignete Beratungsstellen zu verweisen (Tumorberatungsstellen, Selbsthilfegruppen), auf notwendige Formalitäten hinzuweisen (z. B. bezüglich der Zuzahlungsbefreiung, Pflegeeinstufung o. Ä.) und, falls gewünscht, die Seelsorge oder klinische Psychologie einzuschalten und vor allem selber Beratung anzubieten wie sind die Chancen, wie die Nebenwirkungen einer Therapie, welche Zeit wird sie in Anspruch nehmen, wie viel Zeit bleibt ohne Therapie? Das alles sind Fragen, die Betroffene bewegen und über die sie, soweit es geht, informiert werden möchten. Auch während der Therapiephasen gibt es Krisen oder möglicherweise nicht gerechtfertigte»höhenflüge«, mit denen in geeigneter Weise umgegangen werden muss immer jedoch so, dass die Betroffenen sich ernst genommen und unterstützt fühlen und sie konkrete Hilfe erfahren. Ist eine Therapie beendet oder gar abgebrochen worden, weil der Erfolg sich nicht einstellte, beginnt für den Patienten ein weiterer Lebensabschnitt:»Es ist nichts mehr zu machen«, und das bedeutet, die Tage des Patienten sind nicht mehr ausgefüllt mit Fahrten zur Bestrahlung, mit Arztterminen, mit Verpflichtungen, die immer noch zur Hoffnung berechtigten, die Erkrankung sei zu besiegen oder zumindest hinauszuzögern. Dieses Begreifen des Patienten bedarf guter, engmaschiger Begleitung, da Depressionen, Aggressionen und massive Ängste damit einhergehen können. Die Sterbephasen können erneut auftreten oder sich, bunt durcheinander geworfen, wiederholen. Für Angehörige ist dies eine Zeit, in der sie gut daran tun, sich ebenfalls Beratung und Unterstützung zu holen, z. B. bei der örtlichen Hospizgruppe, in psychologischen Beratungsstellen oder wiederum in Selbsthilfegruppen. David Kessler formulierte die Bedingungen für ein menschenwürdiges Sterben als die»rechte der Sterbenden«(1997, S. 7f):»Rechte der Sterbenden«5 Das Recht, als lebender Mensch behandelt zu werden und sich ein Gefühl der Hoffnung zu bewahren, egal, wie subjektiv diese Hoffnung auch sein mag 5 Das Recht, Gedanken und Gefühle zum Thema Tod auf je eigene Weise zum Ausdruck zu bringen 5 Das Recht, an allen die eigene Pflege betreffenden Entscheidungen teilzuhaben 5 Das Recht, von mitfühlenden, sensiblen und kompetenten Menschen gepflegt zu werden, die sich bemühen, die Bedürfnisse des Kranken zu verstehen 6
5 3.4 Empfehlungen zum Weiterlesen Das Recht, den Prozess des Todes zu verstehen und auf alle Fragen ehrliche und vollständige Antworten zu bekommen 5 Das Recht, Trost in geistigen Dingen zu suchen 5 Das Recht, körperlich schmerzfrei zu sein 5 Das Recht, friedlich und in Würde zu sterben 5 Das Recht, nicht einsam zu sterben 5 Das Recht, dass die Unantastbarkeit des Körpers nach dem Tod respektiert wird Die Frage, wie viel Zeit noch bleibt, kann letztlich niemand beantworten. Sterbende haben jedoch ein gutes und in der Regel untrügliches Gespür für die ihnen verbleibende Zeit. Deshalb sollten Äußerungen über Wünsche, zu erledigende Dinge oder letzte Vorhaben ernst genommen und bei der Umsetzung geholfen werden. Es gibt Abschnitte und Momente im Leben eines Menschen, in denen große Chancen liegen, in denen trotz Krisen und Belastungen in höchstem Maße Lebendigkeit, Begegnungen, Beziehungen, Authentizität und Liebe erfahren und als tragfähig erlebt werden können. Krankheit und Sterben können solche Abschnitte sein. Gewöhnlich, und darin liegt die große Verantwortung derer, die Sterbende begleiten, sind sie nicht wiederholbar. Literatur Beutel H, Tausch D (Hrsg.) (1990) Sterben eine Zeit des Lebens. Quell, Stuttgart Kessler D (1997) Die Rechte der Sterbenden. Beltz, Weinheim Kübler-Ross E (1974) Interviews mit Sterbenden. Kreuz, Stuttgart Tausch A (1997) Gespräche gegen die Angst. Rowohlt, Reinbek
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