Klimawandel und Infektionskrankheiten: womit ist in Deutschland zu rechnen?
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- Wilhelm Mathias Ritter
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1 Klimawandel und Infektionskrankheiten: womit ist in Deutschland zu rechnen? Prof. Dr. Klaus Stark Abt. für Infektionsepidemiologie Robert Koch-Institut Klimaanpassungsschule Charité, Berlin,
2 Klimawandel: eine Realität Temperaturanstieg Zunahme Extremwetterereignisse?
3 Klimawandel und Gesundheit Regionale Wetteränderung Gesundheits-Effekte durch Temperatur... extremes Wetter Klima- Wandel - Hitzewellen - Extremes Wetter - Temperatur - Niederschlag... Luftverschmutzung... wasser- und lebensmittelübertragene Krankheiten vektor- und nagetierübertragene Krankheiten Modifiziert WHO // Forschungsbedarf... Lebensmittel- und Wasserknappheit... andere Faktoren (z.b. psychische, Ernährung, Infektionen) 3
4 Klimasensitive Infektionskrankheiten Klimatische Faktoren können Vorkommen und Häufigkeit von Infektionskrankheiten beeinflussen: Vektor-übertragene und Nagetier-übertragene heimische Erreger Durch Lebensmittel und Wasser übertragene heimische Erreger Vektor-übertragene importierte Erreger Übertragungsrisiko (autochthon) in Deutschland? 4
5 Surveillance von Infektionskrankheiten: Meldepflicht gemäß Infektionsschutzgesetz Meldung an das zuständige Gesundheitsamt durch behandelnden Arzt ( 6 IfSG) durch Labor ( 7 (1) IfSG) Direkte Meldung an das RKI ( 7(3) IfSG) HIV, Syphilis Malaria konnatale Toxoplasmose und Röteln Echinokokkose
6 Meldepflichtige Krankheitserreger - 7 Labor direkter/indirekter Nachweis akuter Infektion 1. Adenoviren; Konjunktivalabstrich 2. Bacillus anthracis 3. Borrelia recurrentis 4. Brucella sp. 5. Campylobacter sp., darmpathogen 6. Chlamydia psittaci 7. Clostridium botulinum oder Toxinnachweis 8. Corynebacterium diphtheriae, Toxin bildend 31. Mycobacterium leprae Meldepflicht für bedrohliche Erkrankungen 32. Mycobacterium gemäß 6 (1) tuberculosis/africanum, 5a sowie 9. Coxiella burnetii bei gehäuftem Auftreten gemäß 6 (1) 5b Mycobacterium IfSG sowie über bovis, 12 IfsG 10. Cryptosporidium parvum 11. Dengue-Virus 11. Ebolavirus 12. a) EHEC b) E. coli, sonstige darmpathogene St. 13. Francisella tularensis 14. FSME-Virus 15. Gelbfiebervirus 16. Giardia lamblia 17. Haemophilus influenzae; Liquor oder Blut 18. Hantaviren 19. Hepatitis-A-Virus 20. Hepatitis-B-Virus 21. Hepatitis-C-Virus; keine chron. Infektion 22. Hepatitis-D-Virus 23. Hepatitis-E-Virus 24. Influenzaviren; nur direkter Nachweis 25. Lassavirus 26. Legionella sp. 27. Leptospira interrogans 28. Listeria monocytogenes; Blut, Liquor, Neugeborene 29. Marburgvirus 30. Masernvirus Resistenzbestimmung 33. Neisseria meningitidis; Liquor, Blut, 34. Norwalk-ähnliches Virus; Stuhl 35. Poliovirus 36. Rabiesvirus 37. Rickettsia prowazekii 38. Rotavirus 39. Salmonella Paratyphi; direkte Nachweise 40. Salmonella Typhi; direkte Nachweise 41. Salmonella, sonstige 42. Shigella sp. 43. Trichinella spiralis 44. Vibrio cholerae O 1 und O Yersinia enterocolitica, darmpathogen 46. Yersinia pestis 47. Andere Erreger hämorrhagischer Fieber
7 Durch Mücken übertragene Infektionskrankheiten Risiko der autochthonen Übertragung abhängig von Vorkommen / Populationsdichte kompetenter Vektoren (Mücken) Erregerreservoir beim Menschen (z.b. virämische Patienten) bzw. Tier Kontaktmuster Vektor Mensch Faktoren, die die Erregervermehrung im Vektor beeinflussen (z.b. Temperatur) Beispiele: Dengue-Fieber, Chikungunya-Fieber, West-Nil-Fieber
8 Dengue-Fieber Dengue-Virus (Gattung Flavivirus), 4 Serotypen Vektoren: Stechmücken Aedes aegypti, Ae. albopictus Endemisch in >100 (sub-)tropischen Ländern, Zunahme in vielen Regionen (Madeira 2012!) Klassische Reisekrankheit: in Deutschland jährlich gemeldete Fälle (Dunkelziffer) CDC Einzelne autochthone Übertragungsfälle in Südeuropa (Südfrankreich, Kroatien) 2010 Meldepflicht nach Infektionsschutzgesetz (IfSG)
9 Dengue-Fieber Areas with epidemics and high risk of dengue virus transmission and monkey population Areas where Aedes aegyptii and Aedes albopictus is prevelant, but not dengue virus WHO
10 Dengue-Fieber Klinik Inkubationszeit 4-7 Tage (3-14) Klassisches Dengue-Fieber: Trias Fieber, Exanthem, Kopf-/Muskel-/Gelenkschmerzen Dengue-hämorrhagisches Fieber, Dengue- Schocksyndrom: vor allem Kleinkinder in Endemiegebieten, hohe Letalität Diagnostik erste 3-7 Krankheitstage PCR (oder Virusanzucht) ab 8. Krankheitstag Antikörpernachweis IgM, IgG
11 Dengue-Fieber Deutschland Übermittelte Fälle nach IfSG
12 Chikungunya-Fieber Chikungunya-Virus (Gattung Alphavirus) Vektoren: diverse Stechmücken (Aedes-Arten) Reservoir: Nagetiere, Primaten, u.a. CDC Verbreitung in zahlreichen (sub-)tropischen Ländern Afrikas und Süd-/Südostasiens In Deutschland jährlich gemeldete Fälle ( ) (Dunkelziffer) Größerer Ausbruch in Italien 2007 Meldepflicht nach IfSG
13 Chikungunya-Fieber
14 Chikungunya-Fieber Klinik Inkubationszeit 7-9 Tage (3-12) Fieber, Kopf-/Muskelschmerzen, Gelenkschmerzen (meist bilateral, Extremitäten), evtl. Exanthem Hämorrhagischer Verlauf sehr selten Bei 5-10% anhaltende Gelenkbeschwerden Diagnostik erste 3-7 Krankheitstage PCR (oder Virusanzucht) ab 8. Krankheitstag Antikörpernachweis IgM, IgG
15 Moskito-Überwachung Europa (ECDC, VBORNET)
16 West-Nil-Fieber West-Nil-Virus (Genus Flavivirus) Vektoren: diverse Stechmücken (Culex-, Aedes-Arten, u.a.) Hauptreservoir: wild lebende Vögel andere Reservoirtiere: Pferde, Katzen, u.a. Alle Kontinente betroffen, z.t. großflächig endemisch, z.t. lokale Ausbrüche (auch Europa). Importierte Fälle Deutschland n=10 Übertragung möglich auch durch Bluttransfusionen, Organtransplantate, Schwangerschaft
17 West-Nil-Fieber Klinik Inkubationszeit 2-14 Tage Meist asymptomatisch 20% fieberhafte, grippeähnliche Erkrankung 1% schwere, neurologische Symptomatik 4-14% letaler Verlauf Diagnostik Serum- / Liquorproben: Antikörpernachweis IgM, IgG (ELISA, NT) PCR, Virusisolierung
18 West-Nil-Fieber USA Quelle: CDC, Atlanta, USA
19 Dem RKI bekannte WNV-Fälle seit 2001 Jahr Alter/Geschlecht Reiseland Klink / Kommentar / männlich USA??? / weiblich USA??? / weiblich USA Fieber, Bewusstseinsstörungen, Erinnerungslücken, Schwäche, Reha / männlich USA US-Bürger 2011* 28 / weiblich Kanada/Ottawa Schwere Enzephalitis, Reha / männlich Griechenland schwer mit zerebraler Beteiligung / männlich Montenegro Z.n. Nierentransplantation, Meningoenzephalitis / weiblich Ägypten Deutsche Studentin in Kairo, wg. Erkrankung nach Deutschland geflogen / männlich Tunesien??? 2012**??? Italien Enzephalitis, Reha * Kein Meldefall, aus Literatur bekannt: EID, Vol 18, No. 10, 1698ff. ** Fall noch im Übermittlungsprozess.
20 Datensammlung und Karten des ECDC Datenquellen: gemischte Quellen, (noch) keine Meldepflicht, bes. außerhalb EU Traveller- Sentinel 2010: Trotz Schwächen wichtige Ressource 2011: 2012:
21 Autochthone Übertragung von West-Nil-Viren in Deutschland? WNV Vektoren (z.b. Culex-Mücken) und geeignete Reservoirtiere vorhanden Bisher kein nennenswerter Virusnachweis bei Vögeln Lokale Übertragung möglich, in Zukunft erwartbar, aber aktuelles Risiko eher gering Überwachung bei Vögeln weiterhin notwendig (z.b. FLI) Bei unklarer Meningoencephalitis beim Menschen daran denken (Früherkennung von autochthoner Übertragung)
22 Autochthone Übertragung von Dengue- und Chikungunya-Viren in Deutschland? Dengue, Chikungunya Vektoren (Aedes albopictus) nur punktuell in Süddeutschland nachgewiesen Anzahl der Menschen mit Virämie begrenzt Lokale Übertragung z.zt. sehr unwahrscheinlich Mit Ausbreitung der Vektoren ist zu rechnen Unter bestimmten Bedingungen (Mückendichte, Menschen mit Virämie, klimatische Faktoren) wird lokale Übertragung wahrscheinlicher Erhöhte Aufmerksamkeit der Ärzteschaft notwendig
23 Zecken-übertragene Infektionen Lyme-Borreliose (Borrelia burgdorferi) Frühsommer-Meningoencephalitis (FSME-Virus) Einfluss von Klimafaktoren komplex, d.h. kein eindeutiger Zusammenhang zwischen Klimaveränderung und Erkrankungshäufigkeit 23
24 Hantavirus-Infektionen Familie Bunyaviridae, Genus Hantavirus Serotypen Puumala, Dobrava, Seoul, Hantaan, Sin Nombre, Andes Reservoir: asymptomatisch infizierte Nagetiere Übertragung über Nagetier-Exkrete (Inhalation virus-haltiger Partikel) Vorkommen: weltweit Reservoir Puumala virus Rötelmaus (Myodes glareolus) Europa und Asien Hämorrhagisches Fieber mit renalem Syndrom (Nephropathia epidemica) Nord- und Süd-Amerika Hantavirus-bedingtes kardiopulmonales Syndrom 24
25 Stand: Fälle nach Meldemonat und jahr Übermittelte Hantaviruserkrankungen, Deutschland, Jährliche Fallzahl sehr variabel, Gipfel im Frühsommer Buchenmast begünstigt Mäusepopulationen und Hantavirus-Epidemien (im Folgejahr), Einfluss klimatischer Faktoren unklar Anstieg der Fallzahlen im Herbst vor einem Ausbruchsjahr Freizeitverhalten, berufliche Exposition als Risikofaktoren n=228 n=144 n=242 n=447 n=72 n=1688 n=243 n=181 n=2016 n=305 n>2600
26 Mittlere jährliche Inzidenz übermittelter HTV-Fälle nach Infektionsort und Serotyp, D Geographische Verteilung Dobrava im Norden/Osten (n=50) Puumala im Süden/Westen (n=4362) 70 % in BW + BY Langjährig bekannte PUUV-Endemiegebiete Schwäbische Alb Unterfranken Bayerischer Wald Raum Osnabrück
27 Lebensmittel- und Wasser- bedingte Infektionen Campylobacter Salmonellen Kryptosporidien 27
28 Durchfallerkrankungen in warmen Sommern Risikofaktor: unzureichende Kühlung von Speisen, improvisiertes Essen (z. B. Grillen) Höhere Keimbelastung tierischer Lebensmittel Zusammenhänge zwischen bakteriellen Gastroenteritiden (Salmonellen, Campylobacter) und Temperatur wurden beschrieben. 28
29 Anzahl der Erkrankungen Campylobacter, Deutschland Min/Max , Fälle in Ausbrüchen Median , Fälle insgesamt Meldewoche 29
30 Campylobacter, Deutschland 2007 Hohe Campylobacter-Zahlen, mitbedingt durch hohe Temperaturen? 30
31 Fälle Campylobacter Modellierung Einfluss von Temperatur u. Luftfeuchtigkeit Weeks since 2001 Modell (negative binomiale Regression) erklärt 68% der Campy-Variabilität Temperaturanstieg um 1 C 3.5% mehr Campy Fälle 31
32 Extremwetter-Ereignisse Leptospirose-Ausbrüche nach Starkregenereignissen Bsp. Ausbruch bei Erdbeerpflückern, bei Triathleten
33 Leptospirose Reservoir bei Nagern, Übertragen durch Kontakt mit Nager-Urin (kontaminiertes Wasser, Pfützen) 2007: Verdreifachung der Erkrankungszahlen (165 Fälle, 2 Todesfälle) Ausbruch bei Erdbeerpflückern ( Feldfieber ), Juli Erkrankte - Zunahme der Vektoren (Feldmäuse) - günstige klimatische Bedingungen (warmer Winter u. Frühsommer, Starkregen) - Risikofaktoren: Kontakt mit Nagern, Hautwunden an den Händen Desai et al., Clin Infect Dis
34 Ortsbegehung A Vor und während des Ausbruchs Erntearbeiten auf Feld A Starke Wasseransammlung zwischen den Erdbeerreihen Hohe Temperaturen (18-23 C) und Starkniederschläge 34
35 Schlussfolgerungen Surveillance von Infektionskrankheiten ist effizient: Langzeit-Überwachung endemischer Infektionen Erfassung importierter Infektionen Erkennung von Ausbrüchen Nur meldepflichtige Erreger Ergänzende epidemiologische Studien notwendig: Trends, Risikofaktoren für klimasensitive Erreger, Risikopopulationen 35
36 Schlussfolgerungen Verstärkte Aufmerksamkeit vor allem bei (importierten) vektor-übertragenen Erregern. Früherkennung autochthoner Infektionen Daran denken in der medizin. Diagnostik Systematische entomologische Studien (Zecken, Mücken) und Überwachung von Tierreservoiren (Nager) Populationsdynamik Geographische Ausbreitungsmuster Analyse und Modellierung von Klimaeinfluss Internationale Kooperation 36
37 Danksagung Fachgebiet 35 Gastrointestinale Infektionen, Zoonosen und tropische Infektionen, Abt. für Infektionsepidemiologie, RKI S. Behnke, M. Faber, C. Frank, M. Höhle, A. Jansen (z.zt. ECDC) M. an der Heiden (Abt. Infektionsepidemiologie, FG34) Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin Hamburg J. Schmidt-Chanasit 37
38 38 Vielen Dank
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