Außerunterrichtlicher Schulsport mit übergewichtigen/ adipösen Kindern und Jugendlichen an ausgewählten Grund- und Förderschulen in Leipzig 2
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- Reinhold Fürst
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1 LSB (Sankt Augustin) 46(2005)2, Katja Warich 1 (2. Preisträgerin Referate wissenschaftlicher Nachwuchs) Außerunterrichtlicher Schulsport mit übergewichtigen/ adipösen Kindern und Jugendlichen an ausgewählten Grund- und Förderschulen in Leipzig 2 Summary The rising amount of prevalence of children s adiposity/ obesity is a really big health problem and needs preventive help. In this study we developed for 100 primary and special school children with overweight and obesity a special sports program of about one hour per week as a form of non curricular adapted physical education. The program lasts one year and was accompanied by cooking courses. This school based intervention gave the children better motor performances. In using spiroergometry we found also significant better physical performances. Nearly 50 % of the parents reported changes in nutritional behaviour and in a higher activity of sport and movement. We considered also a stability of the BMI-SDS and a reduction of body fat. Zusammenfassung Die stetig ansteigende Prävalenz von Adipositas bei Kindern stellt ein beträchtliches gesundheitliches Problem dar und erfordert entsprechende präventive 1 Betreuer der Arbeit ist Univ.-Professor Dr. rer.nat. Jürgen Innenmoser, Institut für Rehabilitationssport, Sporttherapie und Behindertensport, Sportwissenschaftliche Fakultät, Universität Leipzig. 2 Externe Projektförderer: AOK Sachsen, BARMER Ersatzkasse, Techniker Krankenkasse, Aktion Mensch, IKK Sachsen, BKK Landesverband Ost, Knappschaft Leipzig. 136
2 Maßnahmen. Etwa 100 übergewichtigen Kindern aus 10 Leipziger Grund- und Förderschulen wurden über ein Schuljahr hinweg eine zusätzliche Sportstunde als außerunterrichtlicher Sport und ein Kochkurs angeboten. Die schulbasierte Intervention verbesserte die motorischen Leistungen. Die mit Hilfe der Spiroergometrie erhobenen physischen Leistungen verbesserten sich signifikant. Etwa 50 % der befragten Eltern stellten Veränderungen im Ernährungsverhalten sowie der sportlichen Aktivität ihrer Kinder fest. Nach der Intervention kam es zu einer Stabilisierung des BMI-SDS sowie zu einer Reduktion des Körperfetts. Schlagworte: Prävention, Kinder, außerunterrichtlicher Schulsport, Übergewicht 1. Einleitung/Problemstellung Die alarmierende Zunahme von Übergewicht bei Kindern ist derzeit Gegenstand intensiver öffentlicher Diskussionen. Aktuell geht man in Deutschland von einer Prävalenz von Übergewicht/Adipositas im Kindes- und Jugendalter von etwa 10 bis 20 % aus (AGA, 2003). Von 3438 untersuchten Leipziger Schulanfänger waren im Jahre 2004/05 6,5 % übergewichtig und 3,6 % adipös. Bei der Frage nach den möglichen Ursachen wird neben den veränderten Ernährungsgewohnheiten vor allem die gleichzeitige Reduzierung der Bewegungsaktivitäten als zentraler Faktor aufgeführt. Der körperlichen Aktivität kommt eine zentrale Bedeutung zu, wenn es darum geht, den Teufelskreis von Fehlernährung, Bewegungsmangel und Gewichtzunahme zu durchbrechen (KGAS, 2004). 2. Zielstellung Das wesentliche Ziel des Projektes besteht in der Etablierung, Erkenntnisgewinnung und Evaluation von außerunterrichtlichem Schulsport für übergewichtige/adipöse Schulkinder und damit in der Gestaltung eines individuellen und indikationsspezifisch einsetzbaren Bewegungskonzeptes für Förderschulsport zur sekundären und tertiären Prävention von Übergewicht und Adipositas im Kindesalter. Maßgeblich ist dabei, dass die Kinder in ihrem schulischen Umfeld erfasst und betreut werden. Bezogen auf die Kinder sollten positive Veränderungen im Bewegungsverhalten, eine Hinführung zur Bewegungsfreude, Verbesserungen in der motorischen Leistungsfähigkeit, Erhöhung der Mobilität, Gewichtskonstanz bzw. -abnahme und eine langfristige Reduzierung der Zahl der Teilsportbefreiungen erreicht werden. 137
3 3. Methodik 3.1 Programmdurchführung Der Lebensraum Schule wurde als günstiger Zugangsweg zu allen Kindern, unabhängig vom sozialen Status angesehen. Übergewichtigen/adipösen Kindern und Jugendlichen aus 10 Leipziger Grund- und Förderschulen wurde über ein Schuljahr hinweg eine zusätzliche Sportstunde als außerunterrichtlicher Sport und dazu zugeordnet ein Kochkurs Kunterbunte Kinderküche angeboten. Bei der Auswahl der Schulen wurde neben Lage und Ausstattung darauf geachtet, dass vor allem Einrichtungen aus sozial benachteiligten Stadtbezirken in das Projekt einbezogen wurden. 3.2 Untersuchungsmethodik/ Verfahren der Evaluation Die Überprüfung der konditionellen und koordinativen Leistungen erfolgte mit dem Münchner Fitnesstest (MFT), die Überprüfung der kardiopulmonalen Ausdauerleistungsfähigkeit mit dem 6-Minuten-Lauf. Das mobile Spiroergometriesystem Meta Max 3B (Cortex Leipzig) wurde für die physischen Leistungsüberprüfungen verwendet. Als Testprotokoll im Labor kam eine modifizierte Variante des Bruce-Protokolls zum Einsatz. Ein modifizierter Check-up-Bogen (Kurzfragebogen für Kinder nach der WIAD-AOK-DSB-Studie 2003) lieferte Informationen zur Soziodemographie, zum Sportpensum, zur persönlichen Leistungsbeurteilung, zu sportlichen Interessen und Vorlieben, zur Sportvereinszugehörigkeit und zum Schulsport. Ein Elternfragebogen (KGAS) lieferte Aussagen zum Bewegungsverhalten über das Kind und der Eltern. Die Einteilung als übergewichtig erfolgte anhand der alters- und geschlechtsgenormten Referenzdaten von Kromeyer-Hauschild et. al (2001), wobei Kinder, die das 97. Perzentil überschritten als adipös eingestuft wurden. Die Bestimmung der Fettmasse erfolgte durch Messung der Hautfaltendicke an mm. biceps, triceps, subscapular und iliac crest und des Oberarmumfangs. 4. Untersuchungsgruppe Die Untersuchungsgruppe besteht aus 102 Grund- und Förderschülern (51 Jungen, 51 Mädchen) im Alter von 6 bis 18 Jahren. Die gemessenen Unterschiede zwischen den Jungen und Mädchen bezüglich Alter, Körpergröße, Körpergewicht und BMI erweisen sich als nicht signifikant. 52 Kinder (28 Jungen, 24 Mädchen) überschreiten hinsichtlich ihres BMI-Wertes die 97. Perzentile und sind als adipös einzustufen. 138
4 5. Fragestellungen 1) Gelingt eine Etablierung von außerunterrichtlichem Schulsport an den beteiligten Schulen? 2) Mit welchen Inhalten und Vorgehensweisen können wir die Kinder zur regelmäßigen Teilnahme führen? 3) Werden Veränderungen im Bewegungsverhalten (Alltags-, Freizeitaktivität) bewirkt? 4) Wie verändern sich die sportmotorischen Leistungen und verbessert sich der allgemeine Gesundheitszustand? 6. Intervention Die Intervention startete mit Schuljahresbeginn 2004/05 (T1). Die Zwischenuntersuchung erfolgte im März 2005 (T2). Die Abschlussuntersuchung wurde im Juni bis September 2005 (T3) durchgeführt. Der wohnortnahe, kostenfreie und so für die Eltern unkomplizierte Ablauf sollte auch Kindern die Teilnahme ermöglichen, die sonst nicht teilgenommen hätten. Die Intervention wurde den Empfehlungen der Konsensusgruppe Adipositas im Kindesalter angepasst. Als zusätzliche Unterrichtsmaterialien dienten durch das Institut für Rehabilitationssport, Sporttherapie und Behindertensport erarbeitete Handreichungen. Das Konzept zum außerunterrichtlichen Schulsport für übergewichtige Kinder und Jugendliche wurde in Anlehnung an die KGAS (2004) sowie in Auswertung bereits bestehender Programme in folgende drei Phasen gegliedert: 1: Kennen lernen, Motivieren und Orientieren, 2: Probieren, Erwerben, Üben und 3: Anwenden, Verbessern und Spezialisieren. Diese waren zeitlich nicht fixiert, sondern konnten je nach Gruppe unterschiedliche Dauer haben und ineinander ü- bergehen. Die Belastungsintensität der einzelnen Bewegungsformen stieg von Phase 1 bis Phase 3 stetig an und es erfolgte eine dosierte Zurücknahme der Fremdsteuerung zugunsten der Selbststeuerung durch die Kinder. Einmal pro Woche kamen die Kinder im Anschluss an den Schulunterricht zum Sport. Dabei wurde ein vielseitiges, spielerisches Bewegungsprogramm angeboten. 7. Ergebnisse 7.1 Befragung der Eltern 47 % der Eltern (N = 34) gaben zum Zeitpunkt T3 an, dass sich das Ernährungsverhalten ihrer Kinder verändert hat. Bezüglich des BMI-SDS erreichten Kinder mit Veränderungen des Ernährungsverhaltens Verbesserungen (BMI- SDS-Abnahme = -0,08) gegenüber denen ohne Veränderungen (BMI-SDS- 139
5 Zunahme = +0,11; p = 0,019). 50 % der Eltern stellten Veränderungen der sportlichen Aktivität ihrer Kinder fest. 7.2 Münchner Fitnesstest In der Eingangsuntersuchung lagen die motorischen Fähigkeiten der untersuchten Kinder auf einem unterdurchschnittlichen Niveau. Zum Zeitpunkt T3 (N = 47) waren die motorischen Gesamtleistungen signifikant besser. Die Grundschüler erreichten bei den einzelnen Testaufgaben zu T1 und T3 gegenüber den Förderschülern deutlich bessere Ergebnisse Minuten-Lauf Die getesteten Kinder (N = 44) konnten ihre Ausdauerleistungen signifikant verbessern, von Ø 711 m auf 768 m. Es waren keine Unterschiede zwischen den Altersgruppen und Schularten festzustellen. Der Zuwachs an gelaufenen Metern war bei den übergewichtigen und adipösen Kindern größer als bei den extremen Adipösen. 7.4 Spiroergometrie In der Gesamtbetrachtung der getesteten Kinder (N = 36) haben sich alle dargestellten Ergebnisse signifikant verbessert. Die VO 2 max hat sich im Gruppenmittel um 0,36 l min -1 (STPD) erhöht. Auch bei der körpergewichtsbezogenen Sauerstoffaufnahme stellten sich Verbesserungen um 4,6 ml kg -1 min -1 im Gruppenmittel ein. Die Laufzeit bis zum Testabbruch erhöhte sich um 00:30 min. Am Ende der submaximalen Stufe (4 km h -1 in der Ebene) ließ sich ein Abfall der Herzfrequenz um 8,5 Schläge (min -1 ) verzeichnen. Die Herzfrequenzen von 170 min -1 und 150 min -1 wurden zu T3 zu einem späteren Zeitpunkt erreicht. Die Laufzeit (bis Puls 170) erhöhte sich hier im Durchschnitt um 00:26 min, die Zeit bei Erreichen der Herzfrequenz von 150 um 00:39 min. Drei Minuten nach Belastungsabbruch waren die Herzfrequenzrückgänge von fünf Schlägen min -1 zu T3 signifikant größer. 7.5 Anthropometrische Daten Nach der einjährigen Intervention kam es zu einer Stabilisierung des BMI-SDS, sowie zu einer Reduktion des Körperfettanteils um 3,2 %. 140
6 8. Schlussbemerkung/Fazit Nach Abschluss des ersten Projektjahres äußerten sich neun der zehn Schulen positiv zu einer Weiterführung. Laut Schulleiter-/Sportlehrerbefragung können mehr Freude am Sport, Bewegungsfreude, soziale Effekte, Erfolge und verbesserte Teilnahme im/am Schulsport sowie die Stärkung der Persönlichkeit nach einem Jahr als Projekterfolge verzeichnet werden. Um in Zukunft eine höhere Nachhaltigkeit zu erreichen ist eine stärkere Integration der Familie und Schule/Lehrer sowie der regionalen Sportvereine notwendig. Für eine weitere Verbesserung der dargestellten Ergebnisse ist den teilnehmenden Schulen eine Erhöhung solcher Sportstunden auf zweimal wöchentlich nahe zu bringen. Bei Weiterführung der Interventionen sollte neben der Bewegungstherapie die Ernährungsschulung weiterhin einen hohen Stellenwert einnehmen. Literatur Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA). Leitlinien. Konsensuskonferenz KGAS (Konsensusgruppe Adipositasschulung) (2004). Trainermanual leichter, aktiver, gesünder. Meckenheim: aid Infodienst Verbraucherschutz, Ernährung, Landwirtschaft e.v. Kromeyer-Hauschild, K.; Wabitsch, M.; Kunze, D.; Geller, F.; Geiß, H. C.; Hesse, V.; Hippel, A. V.; Jaeger, U.; Johnsen, D.; Korte, W.; Menner, K.; Müller, G.; Müller, J. M.; Niemann-Pilatus, A.; Remer, T.; Schaefer, F.; Wittchen, H. U.; Zabransky, S.; Zellner, K.; Ziegler, A. & Hebebrand, J. (2001). Perzentile für den Body-mass-Index für das Kindes- und Jugendalter unter Heranziehung verschiedener deutscher Stichproben. Monatsschrift Kinderheilkunde, 149, Rusch, H. & Irrgang, W. (2001). Handreichung für den Münchner Fitnesstest MFT. Zugriff am 10. Dez unter WIAD-AOK-DSB-Studie II (2003). Bewegungsstatus von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Eine Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der Ärzte Deutschlands. DSB (Hrsg.). Frankfurt a. M. Verfasserin Katja Warich, Institut für Rehabilitationssport, Sporttherapie und Behindertensport, Sportwissenschaftliche Fakultät, Universität Leipzig 141
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