Bindungsstörungen vs Bindungstypen. Dr.med. Yonca Izat 18.November 2014
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- Helge Böhme
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1 Bindungsstörungen vs Bindungstypen Dr.med. Yonca Izat 18.November 2014
2 Agenda Einleitung Hintergrund I- Bindungstypen Hintergrund II- Bindungsstörungen Eigene Erhebungen Überlegungen Ausblick -2-
3 Einleitung- Warum ist das interessant? Fallbeispiel Richard Erste Auffälligkeiten im Kiga mit 3.LJ schlägt andere Kinder Jugendamt wird involviert ambulante Hilfen zur Erziehung Erste FU im 5.LJ Einrichtung in Schwedt Rückführung im 6.LJ in den elterlichen Haushalt Erneut fremdaggressives Verhalten in Schule Erneute FU im 7.LJ -3-
4 Fallbeispiel Richard II 7.-8.LJ: 4 Einrichtungen und 1 Pflegefamilie- Sachschaden von mehreren Euro Erneute Rückführung zur Mutter- und Behandlung KJP Muss wegen fremdaggressivem Verhalten Klinik verlassen Ambulante Vorstellung in unserer KJP 4 Monate ambulant, TK über 7 Monate, 10 Monate ambulant, seit 1 Jahr vollstationär Negativer Verlauf, fehlende verlässliche emotionale Beziehungen -4-
5 Hintergrund I- Bindungstypen 1958 postulierte Bowlby ein biologisch angelegtes Bindungssystem. Bowlbys Theorie besagt, dass der Säugling das angeborene Bedürfnis hat, in bindungsrelevanten Situationen (Stress) die Nähe, die Zuwendung und den Schutz einer vertrauten Person zu suchen. -5-
6 Hintergrund I- Bindungstypen Bindungsperson: Quelle emotionaler Sicherheit und externer Hilfe zur Regulation Trennung, Unvertraute Situation, (körperliche, emotionale) Überforderung Bindungsperson Belastetheit, Verunsicherung, (Herzfrequenz- Anstieg) Entlastung, Interesse an Erkundung (Absinken Herzfrequenz) -6- Quelle: Fr. Prof. Gloger-Tippelt
7 Hintergrund I- Bindungstypen Bindungs- Explorations-Balance Bindung Exploration -7- Quelle: Fr. Prof. Gloger-Tippelt
8 Hintergrund I- Bindungstypen Bindungstheoretische Grundannahmen Individuelle Unterschiede in der Organisation von Bindung (Strategien) - sicher (Typ B) - unsicher vermeidend (Typ A) - unsicher ambivalent (Typ C) (Anpassungs-) Strategien im Umgang mit Belastung und emotionaler Verunsicherung Ergebnis feinfühligen/wenig feinfühligen elterlichen Verhaltens (dewolff & von IJzendoorn, 1997) -8- Quelle: Fr. Prof. Ziegenhain
9 Hintergrund I- Bindungstypen Hochunsichere Bindung Typ D Fehlende (Anpassungs-) Strategien bei Kleinkindern (Desorganisation) - Zusammenbruch kindlicher Bewältigungsstrategien - Bizarr anmutendes Verhalten gegenüber der Bindungsperson - Verhaltensstrategien ohne Anpassungswert bei älteren Kindern - Kontrollierende Strategien Furcht als durchgängige Beziehungserfahrung - Furcht vor der Bindungsperson (direkte ängstigende Interaktionserfahrung) - Furcht der Bindungsperson (indirekte Auswirkung elterlicher traumatischer Beziehungserfahrung) Konflikt zwischen Bedürfnis nach Sicherheit durch die Bindungsperson und Furcht vor ihr -9- Quelle: Fr. Prof. Ziegenhain
10 Hintergrund I- Bindungstypen Bindungsperson: Quelle emotionaler Sicherheit und externer Hilfe zur Regulation Trennung, unvertraute Situation, (körperliche, emotionale) Überforderung Bindungsperson Belastetheid, Verunsicherung, (Herzfrequenz- Anstieg) Entlastung, Interesse an Erkundung (Absinken Herzfrequenz) -10- Quelle: Fr. Prof. Gloger-Tippelt
11 Hintergrund I- Bindungstypen Verhalten der BP Bindung Kind zuverlässig sicher Schutzfaktor für psych. Störungen Abweisend/ nicht zur Verfügung stehend Wechselnd: mal /mal nicht Unsicher- vermeidend Unsicher- ambivalent Stö d. Soz Verh Abhängigkeitserk PS-Stö: Narz, Antisozial PS Traits: narz, antisozial, paranoid Affektive Stö PS-Stö: Histrion, Borderline, Schizotyp PS Traits: vermeidend, ängstlich, dysthym Brutal, strafend desorganisiert Hoher Risikofaktor für psych. Erkrankungen (Main et al., 1990, Rosenstein et al., 1996) -11-
12 Hintergrund I- Bindungstypen Prävalenz (hoch) unsicherer Bindungen in Normalstichproben unsichere Bindung 40% hochunsichere (desorganisierte) Bindung 15% psychopathologisch relevante Probleme nicht vorhersagbar bzw. nicht von psychologischen Belastungen im Normalbereich abgrenzbar (van IJzendoorn, Schuengel & Bakermans-Kranenburg, 1999) -12- Quelle: Fr. Prof. Ziegenhain
13 Hintergrund I- Bindungstypen Erhebung von Bindungstypen je nach Alter entwicklungsangemessen auf verschiedenen Ebenen Verhaltensebene: im Kleinkindalter durch standardisierte Beobachtung; Fremde Situation nach Ainsworth mit 2 Trennungen und 2 Wiedervereinigungen Ebene der Bindungsrepräsentation (=gespeicherte Interaktionserfahrungen des Kindes mit Bindungsperson) ab 5 Jahren mit explorativem Spielverfahren (Geschichtenergänzungsverfahren zur Bindung; Vorbild Bretherton et al, 1990; dt Gloger-Tippelt & König) -13-
14 Die andere Seite -14-
15 Hintergrund II- Bindungsstörungen Trauma and Stress-Related Disorders in DSM-5 Reactive Attachment Disorder (RAD): an emotionally withdrawn/inhibited phenotype Disinhibited Social Engagement Disorder (DSES): an indiscriminately social/disinhibited phenotype -15-
16 Hintergrund II- Bindungsstörungen Reactive Attachment Disorder: Emotionally withdrawn behavior Social/ emotional disturbance - Reduced responsiveness, limited affect &/or irritability, sadness or fearfulness Exposure to extremes of insufficient care - social neglect/ deprivation, repeated changes in caregivers, rearing in unusual settings -16-
17 Hintergrund II- Bindungsstörungen Disinhibited Social Engagement Disorder: Reduced/ absent reticence when interacting with unfamiliar adults Behaviors not limited to impulsivity but include socially disinhibited behavior Exposure to extremes of insufficient care - social neglect/deprivation, repeated changes in caregivers, rearing in unusual settings (Source: American Psychiatric Association, 2013) -17-
18 Hintergrund II- Bindungsstörungen ICD-10: F90-F98 Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend F94.- Störungen sozialer Funktionen mit Beginn in der Kindheit und Jugend -18-
19 Hintergrund II- Bindungsstörungen F94.1 Reaktive Bindungsstörung des Kindesalters in den ersten fünf Lebensjahren anhaltende Auffälligkeiten im sozialen Beziehungsmuster des Kindes von einer emotionalen Störung begleitet reagiert auf Wechsel in den Milieuverhältnissen: Furchtsamkeit Übervorsichtigkeit eingeschränkten sozialen Interaktionen mit Gleichaltrigen Gegen sich selbst oder andere gerichteten Aggressionen Unglücklichsein in einigen Fällen Wachstumsverzögerung Das Syndrom tritt wahrscheinlich als direkte Folge schwerer elterlicher Vernachlässigung, Missbrauch oder schwerer Misshandlung auf. Hemmung von Bindungsverhalten: keine Nähe- und Kontaktsuche bei einer Bezugsperson unter Belastung Störung der sicheren Basis/destruktive Entgleisung -19-
20 Hintergrund II- Bindungsstörungen F94.2 Bindungsstörung des Kindesalters mit Enthemmung Ein spezifisches abnormes soziales Funktionsmuster während der ersten fünf Lebensjahre mit einer Tendenz, trotz deutlicher Änderungen in den Milieubedingungen zu persistieren diffuses, nichtselektives Bindungsverhalten aufmerksamkeitssuchendes und wahllos freundliches Verhalten kaum modulierten Interaktionen mit Gleichaltrigen je nach Umständen kommen auch emotionale und Verhaltensstörungen vor - relative Überaktivität des Bindungssystems: Unvermögen differenziertes Bindungsverhalten gegenüber einer Bezugsperson zu zeigen keine exklusive Bezugsperson -20-
21 Hintergrund II- Bindungsstörungen Prävalenz extrapolierte Schätzungen zur Prävalenz (Vernachlässigung, Misshandlung) ca. 1% die wenigen vorhandenen Studien beziehen sich (fast) ausschließlich auf den Subtyp Bindungsstörung mit Enthemmung -21- Quelle: Fr. Prof. Ziegenhain
22 Hintergrund II- Bindungsstörungen Eher ungünstige Prognose insbesondere Bindungsstörung mit Enthemmung persistierende Tendenz (Rushton et al., 1995; O Connor, 2003) Bindungsstörung mit Enthemmung häufig Diagnose Persönlichkeitsstörung (spätes Jugendalter oder junges Erwachsenenalter) -22- Quelle: Fr. Prof. Ziegenhain
23 Hintergrund II- Bindungsstörungen Klinische Beobachtungen: Symptome der Bindungsstörung mit Enthemmung eher bei Kindern mit massiven Deprivationserfahrungen bzw. häufig wechselnde Bindungspersonen Symptome der reaktiven Bindungsstörung eher bei Kindern, die massiv misshandelt wurden (O Connor, 2002) CAVE: Viele Kinder erleben gleichermaßen häufig wechselnde Bezugspersonen als auch Misshandlung -23- Quelle: Fr. Prof. Ziegenhain
24 Hintergrund II- Bindungsstörungen Bindungsstörungen: voll ausgebildete psychische Störung des Kindesalters klinisch: häufig die gleichen Verhaltensweisen bei Kindern mit desorganisierter Bindung und reaktiver Bindungsstörung (phänotypische Nähe; O Connor & Zeanah, 2003; Green & Goldwyn, 2002) frozen watchfulness, Erstarren oder Einfrieren, freezing aber: hochunsichere Bindung geht nicht notwendigerweise immer mit Symptomen einer reaktiven Bindungsstörung einher (O Connor, 2002) Und: 30% der Kinder mit Bindungsstörung (gehemmt und enthemmt) haben eine sichere Bindung (Minnis, 2009) -24-
25 Hintergrund II- Bindungsstörungen derzeit: unterschiedliche Einschätzung der Nähe zwischen Bindungsstörungen (ICD-10/DSM-IV) und hochunsicherer Bindung (entwicklungspsychologisches Konzept) - Sichtweise eines Spektrums von Bindungsstörungen sicher unsicher hochunsicher Störungen der sicheren Basis fehlende Bindung (Boris & Zeanah, 1999; Minde, 2003) - qualitative Unterschiede bzw. Festlegung auf eine dimensionale Betrachtungsweise angesichts fehlender beziehungsweise inkonsistenter empirischer Belege verfrüht (O Connor & Zeanah, 2003) -25- Quelle: Fr. Prof. Ziegenhain
26 Hintergrund II- Bindungsstörungen Sicher unsicher desorganisiert Bindungsstörung Zunahme der Psychopathologie Schutzfaktor Zunahme des Risikofaktors +/- xy -26-
27 Eigene Erhebungen- Instrumente Relationship Problems Questionnaire (RPQ) Englische Version nach Minnis et al. 2002/2006 Ausreichend gute Reliabiltät (Cronbachs alpha.85) Wenige Items und gute Ökonomie: sogar sehr gute Reliabilität Übereinstimmungsvalidität mit dem Childhood Attachement Interview (CAT) -27-
28 Eigene Erhebungen- Instrumente -28-
29 Eigene Erhebungen- Geschichtenergänzungsverfahren zur Bindung -29-
30 Geschichtenergänzungsverfahren zur Bindung (GEV-B) Kurzfassung Ampelmodell für Interventionen Geschichte Trennung (Trennungsangst) Wiedersehen (Freude, Glück) Sicher B Freundliche Interaktion mit Oma Traurigkeit mit Trost Freude bei Begrüßung Begrüßung verbal Begrüßung mit Körperkontakt Mitteilung von Erlebnissen und Gefühlen noch sicher B Freundliche Interaktion mit Oma Traurigkeit mit Trost Sorgen um Eltern ** Freude bei Begrüßung Begrüßung verbal Begrüßung mit Körperkontakt g Mitteilung von Erlebnissen und Gefühlen Sorgen/Angst um die Eltern ** Gehorsam angesprochen ** * bei A und C möglich ** nur in Kombination mit oberen sicheren Kodierungen unsicher vermeidend A Trennung ungeschehen machen Sofort essen, schlafen negatives Ereignis schwach * Traurigkeit ohne Trost * Vermeidendes Erzählen Keine Begrüßung negatives Ereignis schwach * vermeidendes Erzählen Geschichten verlängern * unsicher ambivalent C Ärger Identifikationsfigur Ärger/Vorwurf Erziehungsperson Unangemessene Sprache Geschichte verlängern* Dramatisierung/ Maximierung Widersprüchlichkeit Keine Begrüßung Ärger Identifikationsfigur Ärger Erziehungsperson Unangemessene Sprache Dramatisierung/ Maximierung Widersprüchlichkeit sehr unsicher Desorganisiert D stark negative Ereignisse stark inkohärente, bizarre Ereignisse Blockierung, Erstarrung stark negative Ereignisse stark inkohärente, bizarre Ereignisse Blockierung, Erstarrung
31 Eigene Erhebungen -31-
32 Eigene Erhebungen -32-
33 Eigene Erhebungen- 20 Kinder; 6-12Jahre RPQ A B C D Cannot Classify enthemmt F70.1+F98.0 +F98.1 gehemmt F92.8 F92.0 beides F94.1 F94.2 F94.2 F94.2 unauff F94.2 F92.8 F90.1 F90.1 F90.1 F45.0 F32.1 F90.1 F91.1 F92.8 F91.3 F98.0+F98.1 F
34 Überlegungen& Ziele Erfassung der klinischen Bindungsstörung verbessern: klinische Beobachtung/ Experten Bewertung einer strukturierten Situation Lehrer/ Erzieher-Urteil Eltern-Urteil GEV-Kategorien- Überarbeitung? Cannot classify =Keine Bindung? Was diskriminiert Kinder mit RAD + hochunsicherer Bindung Von Kindern mit RAD + sicherer Bindung und Von Kindern mit hochunsicherer Bindung + ohne RAD/ bzw. ohne psychiatrische Erkrankung -34-
35 Ausblick- Studie mit Uniklinik Basel Bindungsstörungen und Bindungsrepräsentation bei traumatisierten Pflegekindern Verfahren zum Screening von Bindungsstörungen im Vorschul- und Schulalter Kinder- und Jugendpsychiatrische Klinik der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel Abteilung Forschung -35-
36 Ausblick- Messinstrumente der Studie -36-
37 Ausblick Datenerhebung bis März 2015 Kinder zwischen 5 und 9 Jahren IQ > 70 Keine Hörschädigung Ausreichend gute Deutschkenntnisse unabhängige Untersuchungsgruppen mit jeweils N=52 a) Kinder mit psychischen Auffälligkeiten (DTK, KPA, Poliklinik, KJPD Lachen) b) Pflegekinder (Pflegekinderaktion Schweiz, Familea, SKI, Family Network) c) Voll- + teilstationäre Kinder der KJP vivantes Klinikum FH, NK in Berlin d) Kontrollgruppe e) Kinder inhaftierter Eltern (?) -37-
38 Danke für Ihre Aufmerksamkeit Kinder- und Jugendpsychiatrie Vivantes Klinikum im Friedrichshain -38-
39 Veränderbarkeit Unsichere Bindung wechselt zu sicherer Bindung bei Feinfühligkeitsstraining der depressiven Mutter Wobei nur Mütter mit Depression seit Geburt der Kinder und 20LM der Kinder Toth et al., 2006 Misshandelte Kinder von Müttern mit eigenen Traumata/ schweren Belastungen profitierten von Mu-Ki-Behandlung Wechsel von desorganisierter zu sicherer Bindung in 55-60% der Fälle Wobei sehr junge Kinder (1-2-LJ) Cicchetti et al,
40 Video Beispiele Unsicher vermeidend -40-
41 Video Beispiele Unsicher ambivalent -41-
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