Einschätzung und Förderung elterlicher Feinfühligkeit in der Praxis der frühen Jugend- und Gesundheitshilfe. Anne K. Künster
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- Teresa Möller
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1 Einschätzung und Förderung elterlicher Feinfühligkeit in der Praxis der frühen Jugend- und Gesundheitshilfe Anne K. Künster 17. GAIMH-Jahrestagung, Basel Veranstaltung II/
2 Entwicklung des Kindes im familiären Kontext
3 Bedeutung von Familienbeziehungen für die Entwicklung - besonders starken Einfluss auf die Entwicklungsphase des Kindesalters haben die Bezugspersonen des Kindes, die sein Erleben und Verhalten im täglichen Umgang prägen - Kinder sind von der Stimulation und Versorgung durch ihre primären Bezugspersonen abhängig (Beardslee, Bemporad, Keller & Klerman, 1983) - gelingende oder auch misslingende Passung zwischen dem Verhalten eines Erwachsenen und seinem Kind sind ausschlaggebend für eine normale oder abweichende Entwicklung sozialer und emotionaler Kompetenzen des Kindes (Sameroff, 1995)
4 Besonderheiten in der Entwicklungspsychologie der frühen Kindheit Entwicklung vollzieht sich in Beziehungen - Bindungspersonen können einen Entwicklungsverlauf entscheidend fördern, aber auch behindern - frühe Verhaltensprobleme und störungen zeigen sich (zunächst) in der Beziehungsdynamik - oft nur in Interaktion mit einem Elternteil - Kind als objektivere Datenquelle
5 Bedeutung früher Erfahrungen für die Gehirn- und Verhaltensentwicklung Funktion und Struktur des sich entwickelnden Gehirns wird positiv oder negativ von sozial-emotionalen Beziehungserfahrungen beeinflusst - emotionale Sicherheit als Puffer gegen Stress - massive neuropsychologische Folgen bei frühem emotionalem Stress/misshandelten Kindern psychobiologische Regulation in der Bindungsbeziehung (Schore, 2001)
6 Bedeutung von Familienbeziehungen für die psychopathologische Entwicklung Bella Studie (Ravens-Sieberer, Wille, Bettge & Erhart, 2007; N=2863) im Rahmen des RKI Survey Risiko der Kinder und Jugendlichen für psychische Auffälligkeiten steigt mit - Familienkonflikten 5x - psychischen Erkrankungen der Eltern 2x - Konflikten der Eltern 3x - Unzufriedenheit in der Partnerschaft 3x - Alleinerziehen 2x - Heimunterbringung verdoppeln das Risiko 2x
7 Bedeutung von Familienbeziehungen für die psychopathologische Entwicklung Bella Studie (Ravens-Sieberer, Wille, Bettge & Erhart, 2007; N=2863) im Rahmen des RKI Survey KIGGS Risiko für psychische Erkrankung steigt mit mehreren Belastungen: bei 3 Risiken: 30,7% bei 4 Risiken: 47,7% aller betroffenen Kinder Zunahme von Verhaltens- / psychischen Störungen bei Kinder und Jugendlichen auf ca. 20% (KIGGS, 2007)
8 Elterliche Feinfühligkeit optimal feinfühlige Eltern: - aufmerksam gegenüber den Signalen des Babys - interpretieren seine Signale richtig - reagieren auf diese prompt und angemessen (Ainsworth, Blehar, Waters & Wall, 1978) Feinfühligkeit kann nur gelingen, wenn man aus der Sicht des Kindes handelt (Grossmann, 2004, S.30) Kind lernt durch feinfühlige Unterstützung die Bedeutung seiner [eigenen] Gefühle in bestimmten Situation kennen, und was man tun kann, um die Umstände zu verbessern (Grossmann, 2004, S.31) ein Kind lernt über die externe Regulation seiner Gefühle durch die Eltern mit der Zeit sich zunehmend selbst, also intern, zu regulieren
9 Elterliche Feinfühligkeit Säuglingsalter Jedes Verhaltensmuster, das dem Säugling gefällt, sein Wohlbefinden und seine Aufmerksamkeit erhöht, und Belastetheit und Desinteresse verringert (Crittenden, 2006) Kleinkindalter Jedes Verhaltensmuster, das dem Kleinkind ermöglicht, aktiv zu erkunden, und zwar interessiert und spontan und ohne Hemmung oder übertrieben negativen Affekt (Crittenden, 2005)
10 Elterliche Feinfühligkeit - Feinfühligkeit der Mutter in Bezug auf die Signale ihres Kindes stellen Schlüssel für die Sicherheit der Bindung des Kindes dar (Ainsworth et al., 1978) - Einfluss der Mutter hat einen stärkeren Zusammenhang mit der Bindungsqualität des Kindes als die Variablen auf der Seite des Kindes in den ersten Jahren haben Eltern einen stärkeren Einfluss auf die Gestaltung und Ausbildung der Elter-Kind- Bindung als das Kind (van IJzendoorn & Bakermans-Kranenburg, 2004) - positiver Zusammenhang zwischen mütterlicher Feinfühligkeit und der sozialen sowie kognitiven Entwicklung der Kinder (Stams, Juffer & van IJzendoorn, 2002)
11 Frühe Störungen der Eltern-Kind-Beziehung als Risikofaktor späterer Verhaltensprobleme Frühe Kindheit - Vernachlässigung und Misshandlung (Carlson et al., 1989; Ciccetti & Barnett, 1991; Lyons-Ruth et al., 1990; Crittenden, 1988, 1995) Kindergarten- und Vorschulalter - aggressiv auffälliges Verhalten (Lyons-Ruth et al., 1993, 1997; Hubbs-Tait et al., 1994; Shaw & Vondra, 1995; Shaw et al., 1996) - feindseliges Verhalten (Lyons-Ruth et al., 1989) - internalisierendes Verhalten (Moss et al., 1998) Jugendalter - Verzögerungen in der kognitiven Entwicklung (Jacobsen et al., 1994) - dissoziative Symptomatik (Ogawa et al., 1997; Carlson, 1998)
12 Einschätzung elterlicher Feinfühligkeit
13 Erfassung elterlicher Feinfühligkeit - In der Forschung: Bewertung gewöhnlich mit Beobachtungsverfahren auf Basis von Videoaufnahmen von Eltern und Kind - Forschungsverfahren benötigen ein intensives Training für die Auswertung inklusive Reliabilitätstest - stehen Praktikern, die früh in Kontakt mit Familien komme (Hebammen, Ärzte, Kindertagesbetreuung) in der Regel nicht zur Verfügung - In der Praxis: keine standardisierte Einschätzung bisher fehlen psychometrisch abgesicherte Verfahren, die leicht erlernbar und im Sinne eines Screenings ökonomisch und reliabel im Beratungskontext einsetzbar sind
14 Erfassung elterlicher Feinfühligkeit - Skala elterlicher Feinfühligkeit (SEF) Ziegenhain, Gebauer, Ziesel, Künster & Fegert Projekt Die Chance der ersten Monate. Feinfühlige Eltern gesunde Kinder mit Förderung der Techniker Krankenkasse Baden-Württemberg
15 Die Chance der ersten Monate / Lernprogramm Baby-Lesen - Selbstlerner-Handbuch inklusive Filmen und Fotos, das Praktikern sowohl die Beurteilung der elterlichen Feinfühligkeit als auch die frühe Beratung von Familien ermöglicht - wurde in einem engen wechselseitigen Austausch mit zahlreichen Vertretern aus der Praxis in Anlehnung an bestehende Instrumente aus der Forschung entwickelt - basiert konzeptuell auf dem klassischen Feinfühligkeitskonzept von Ainsworth (1971) sowie der Idee der Abstimmung bzw. Passung zwischen Eltern und Kind in Anlehnung an den CARE-Index (Crittenden, 2006)
16 Inhalt des Manuals Vorwort 1. Elterliche Feinfühligkeit und Gesundheitsförderung 2. Entwicklungspsychologische Grundlagen 3. Interaktion zu verschiedenen Entwicklungszeitpunkten 4. Eltern und Kind im Dialog 5. Kommunikation mit Eltern 6. Angebote für Familien mit Säuglingen und Kleinkindern Lösungsteil Literaturverzeichnis DVD mit Filmen und Übungen
17 Passung zwischen Eltern und Kind 2-1 Hochrisikobereich 4-3 Interventionsbereich 7-5 angemessener bis guter Bereich
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20 Validität der Skala elterlicher Feinfühligkeit SEF
21 Untersuchung der Validität - N=57 Mutter-Kind-Dyaden - Ø Alter Kind: 12,9 Monate (SD=12,2; min=1; max=38) - Situation: freies Spiel 100% - Setting: zu Hause 61,4%, im Labor 38,6% - 2 Instrumente im Vergleich: SEF und CARE
22 deskriptive Statistik SEF (N=57); Skalen von feinfülig: Ø 2,1 (SD=1,1; min=1, max=5) - emot. Abst.: Ø 2,0 (SD=1,1; min=1, max=4) - aggressiv: Ø 0,3 (SD=1,0; min=0, max=4) - verflacht: Ø 0,8 (SD=1,4; min=0, max=5) CARE (N=42): Skalen GS: Ø 7,1 (SD=2,4; min=3, max=13) - feinfühlig: Ø 7,1 (SD=2,5; min=3, max=14) - Kontrolle: Ø 3,8 (SD=3,4; min=0, max=11) - unresponsiv: Ø 3,1 (SD=3,0; min=0, max=9)
23 Zusammenhanf SEF und CARE (N=42) CARE gesamt CARE feinfühlig CARE Kontrolle CARE unresponsiv SEF r=-.585** r=-.592** r=.346* r=-.087 feinfühlig SEF r=-.557** r=-.539** r=.318* r=-.976 emot. Abstimmung SEF r=-.450** r=-.479** r=.229 r=-.132 aggresiv SEF r=-.208 r=-.218 r=-.345* r=-.564** verflacht
24 Fragen zur Diskussion
25 Frage Sind Instrumente zur Beurteilung der Eltern-Kind-Beziehung, die für die Forschung entwickelt wurden, wirklich der Goldstandard für die Beratung in der Praxis? Die Frage soll vor dem Hintergrund sowohl ökonomischer und zeitlicher Aspekte sowie der Testgütekriterien unterschiedlicher Instrumente vorgestellt und diskutiert werden.
26 Wo bestätigen sich praktische und wissenschaftliche Evidenz? - Befragung der bisherigen Nutzer des Selbstlerner- Handbuchs - wissenschaftliche Untersuchung der Testgütekriterien der darin enthaltenen Skala elterlicher Feinfühligkeit - Medium eines Handbuchs inklusive DVD ist sehr gut geeignet, um sich als Selbstlerner flexibel, kostengünstig und zeitökonomisch in das Thema Einschätzung elterlicher Feinfühligkeit und frühe Beratung von Familien einzuarbeiten. - Die Entwicklung eines Instruments speziell von und für die Praxis wird daher als wichtig und gelungen betrachtet
27 Wo widersprechen sich sie praktische Umsetzbarkeit und wissenschaftliche Evidenz? - gerade bei den Berufsgruppen aus dem Gesundheitswesen besteht nach wie vor das Problem, dass Bemühungen zur frühen Prävention und Gesundheitsförderung nicht abgerechnet werden und nur ehrenamtlich geleistet werden können - trotz der Bemühungen, den Transfer zwischen Praxis und Forschung optimal zu gestalten, muss hier eine Lösung auf finanzieller, d.h. politischer Ebene, angestrebt werden
28 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie / Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm Steinhövelstraße Ulm anne-katrin.kuenster@uniklinik-ulm.de Ärztlicher Direktor: Prof. Dr. Jörg M. Fegert
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