Um das Leben rennen ST. ANNA-GEMEINDE ZÜRICH. Predigt von Pfarrerin Ursina Sonderegger gehalten am 17. August 2014
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- Juliane Fuchs
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1 ST. ANNA-GEMEINDE ZÜRICH Um das Leben rennen Predigt von Pfarrerin Ursina Sonderegger gehalten am 17. August 2014 Schriftlesung: Psalm 130,1-8 Predigttext: 1. Korinther 9,24-27 Ihr wisst doch: Die Läufer im Stadion, sie laufen zwar alle, den Siegespreis aber erhält nur einer. Lauft so, dass ihr den Sieg davontragt! Wettkämpfer aber verzichten auf alles, jene, um einen vergänglichen Kranz zu erlangen, wir dagegen einen unvergänglichen. Ich laufe also, aber nicht wie einer, der ziellos läuft, ich boxe, aber nicht wie einer, der ins Leere schlägt; vielmehr traktiere ich meinen Körper und mache ihn mir gefügig, denn ich will nicht einer werden, der anderen predigt, sich selber aber nicht bewährt. Einleitung zum Predigttext Der Abschnitt aus dem 1. Korintherbrief, den ich ausgewählt habe, wirkt, als hätte ihn Paulus gerade für heute, den Marathon der Leichtathletik-EM in Zürich, geschrieben. Das Rennen um den Siegespreis steht im Zentrum. Den 1. Korintherbrief hat Paulus damals aus aktuellem Anlass geschrieben; es ist, das geht aus dem Brief hervor, seine Antwort auf einen Brief, den er von den Korinthern erhalten hat, den wir aber nicht mehr haben. Darin beantwortet Paulus die Fragen der Korinther. Er reagiert auf das, was er von den Briefschreibern erfährt, und schreibt auch von sich selbst. Praktische Lebensfragen, die sich aus dem Glauben ergeben, und
2 2 Glaubensfragen, die sich aus dem Leben ergeben, reichen sich darin die Hand. Was heisst es ganz konkret, glaubend zu leben? Welche Konsequenzen hat der Glaube für das eigene Leben? Heute sind viele der Meinung, der Glaube sei reine Privatsache. Dem hatte bereits Paulus deutlich zu widersprechen: Christlicher Glaube verändert das Leben. Wir sind nicht dieselben, ob wir glauben oder nicht, und wir leben auch nicht gleich, wenn wir glauben oder nicht. Der Glaube verändert unser Leben. Er prägt unser Leben, und das zeigt sich ganz konkret in unserem Lebensalltag. Der Glaube ist nicht einfach ein Spaziergang. Paulus zieht den Vergleich mit einem Rennen um den Siegespreis. Hören Sie vom 1. Korintherbrief aus dem 9. Kapitel die Verse Ich setze diese Verse unter den Titel: Um das Leben rennen (Textlesung 1. Korinther 9,24-27). Liebe Gemeinde Aktueller könnte der Predigttext kaum sein: Ums Seebecken und zur Universität hinauf rennen die Marathonläufer aus der halben Welt um ihr Leben, jetzt in diesem Augenblick. Der berühmteste Marathonläufer war jener Bote, der am 12. September 490 vor Christus, als die Griechen bei Marathon über die Perser siegten, im Eiltempo nach Athen rannte, um den Sieg zu melden. Nach seiner Meldung brach er sogleich vor Erschöpfung tot zusammen noch auf dem Areopag. Erst 500 Jahre später, zur Zeit des Paulus, entstand diese Legende. Ich denke, Paulus wird sie gekannt haben. Vielleicht nennt er sich gerade auch darum in unserem Text einen Herold, das griechische Wort für Bote. Im christlichen Kontext kann es auch der Prediger bedeuten. Die Tradition der sportlichen Marathonwettläufe nahm ihren Anfang erst Die Länge von 42,195 Kilometern geht auf die
3 3 Distanz zwischen Marathon und Athen zurück. Wenn dieser Wettkampf also gar nicht antik ist, warum schreibt dann Paulus gleichwohl von einem Wettkampf? Er bezieht sich auf die isthmischen Spiele. Diese Wettkämpfe fanden alle zwei Jahre statt, und zwar in Korinth. Es war ein Grossanlass, zu dem ganz Griechenland eingeladen war. In diesen Wochen ruhten jeweils alle Kriege, es herrschte eine von allen respektierte Waffenruhe. Davon sind wir heute meilenweit entfernt! Die Sieger der Wettkämpfe wurden ausgezeichnet mit einem Palmzweig und einem Blätterkranz. Überreicht wurde er ihnen von einem Herold, der die Sieger ausrief. Zurück in ihrer Heimat, opferten sie den Kranz jeweils einem ihrer Götter. Selbstverständlich waren die Körper dieser Athleten damals schon durchtrainiert. An diese lange Wettkampftradition knüpft Paulus an. Auch die Christinnen und Christen unter den Korinthern fieberten sicher an den Wettkämpfen mit. Paulus holt sie also bei ihrem eigenen Erleben ab. Christlich leben, so schreibt er ihnen, das ist so anstrengend wie ein Wettlauf. Bei einem Wettlauf läuft jeder um sein Leben, er gibt sich dem Lauf völlig hin, bis zum Äussersten, bis zur Erschöpfung nach der Ziellinie. Das schafft nur, wer seinen Körper trainiert, wer bei der Ernährung und allem, was er tut und unterlässt, auf sich und seinen Körper Acht gibt und einen starken Willen hat. Lauft um euer Leben, fordert Paulus die korinthische Gemeinde auf. Lauft so, dass ihr den Siegespreis gewinnt. Hier liegt ein grosser Unterschied zu den sportlichen Wettkämpfen. Bei ihnen gewinnt nur ein einziger den Siegeskranz. Wir Christinnen und Christen hingegen sollen so leben, dass am Schluss jede und jeder von uns den Preis erlangt. Und die Strecke des Rennens beträgt nicht nur einige hundert Meter oder einige Kilometer, nach
4 4 denen wir wieder in den Alltag zurückkehren, sondern das ganze Leben lang. Es gibt keinen Alltag neben oder nach diesem Lauf, sondern er füllt das ganze Leben aus. Der Glaube ist nicht etwas, das wir neben unserem Leben haben und bloss in besonderen Momenten wie zum Beispiel heute Morgen leben, sondern jede Sekunde unseres Lebens ist Zeugnis unseres Glaubens; Leben und Glauben lassen sich nicht trennen, sie sind eins. Was ich glaube, soll ich leben. Wir sind mit unserem Leben Zeuginnen und Zeugen unseres Glaubens. Darum kann christlicher Glaube nie eine Privatsache sein. Christlicher Glaube manifestiert sich im Leben, hat darum immer auch eine Wirkung nach aussen und sucht die Gemeinschaft mit andern. Gewiss, Jesus zog sich bisweilen für Momente der Stille und des Gebets zurück. Aber er hat sein Ziel nicht in diesem Rückzug gesehen und anders als Johannes der Täufer auch nicht darin, zu warten, bis Menschen zu ihm kamen, sondern er selbst machte sich auf zu den Menschen, suchte von sich aus die Begegnung mit ihnen und schenkte ihnen Gemeinschaft. Seine Person, sein Leben bis hin zu seinem Sterben, seinem Tod und seiner Auferstehung ist Zeugnis seines Glaubens und Fundament unseres Glaubens. Unseren Glauben leben, das ist Jesu Anspruch an uns. Seine Forderung uns gegenüber! Ein Anspruch vergleichbar mit einem Marathon, der nicht nur 42 Kilometer dauert, sondern die Strecke unseres ganzen Lebens! Lauft, dass ihr den Preis erlangt! Diese Ermutigung des Paulus kann uns stärken in unserem Tun und Unterlassen. Ja, beides gehört dazu, auch der bewusste Verzicht. Die korinthische Gemeinde hatte den Eindruck, sie sei bereits erlöst. Sie lebten zum Teil sehr ausschweifend, rücksichtslos und verant-
5 5 wortungslos, sowohl punkto Sexualität wie auch im Essen und Trinken. Paulus erinnert sie daran, ihrem Körper Sorge zu tragen, auf ihn zu achten, denn, so schreibt er: Wisst ihr nicht, dass euer Körper ein Tempel des heiligen Geistes in euch ist, den ihr von Gott habt, und dass ihr nicht euch selbst angehört? (1. Korinther 6,19). Solidarität mit den Schwachen beim Essen und Trinken fordert er, woraus dann viel später zum Beispiel die Bewegung des Blauen Kreuzes entstand, er setzt eine in die Ehe eingebettete Sexualität voraus und den Respekt vor Ehelosigkeit. Den Körper sollen wir nicht vernachlässigen, wir sollen ihn kräftigen, ihm Sorge tragen, ihn abhärten. Ihn und überhaupt unser Leben haben wir von Gott, wir gehören nicht uns selbst, sondern Christus! In Verantwortung vor ihm sollen wir leben, unsere Entscheidungen treffen und andern Menschen begegnen. Lauft, dass ihr den Preis erlangt! Niemand von uns soll je vergessen, wer darüber entscheidet, wer ihn erlangt. Nicht wir selbst sind die Richter. So schnell, so vorschnell meinen wir bisweilen zu wissen, wie andere zu sein haben, und haben schnell eine Lösung für sie oder ein Urteil über sie parat. Peter Friebe hält dazu treffend fest: Herr, mich beunruhigen Menschen, die ohne gründliches Nachdenken, ohne alles Abwägen, ohne Wärme im Herzen auf jede Frage eine Antwort, für jedes Problem eine Lösung bereithalten. Und ich? Bin ich wirklich der, für den ich mich halte? Habe ich immer und überall diese Wärme im Herzen, die ich von anderen so selbstverständlich erwarte? Liebe Gemeinde, wie schätzen wir uns selber ein und wie andere Menschen? Uns steht das Urteilen über andere nicht zu und schon gar nicht das Verurteilen! Vor Gott selber werden wir alle treten. Er ist der Richter und lässt uns mit seinen Augen unser Leben se-
6 6 hen mit allem, was uns gelang und misslang, woran wir uns schuldig machten, womit andere uns verletzten, was wir zu tragen hatten und was uns einfach geschenkt wurde. Wir werden vor Gott unser Leben sehen, wie es war und warum es so war, und werden Gottes Ja und sein Nein hören. Dabei sitzt zu seiner Rechten Christus selbst. Christus, der von sich sagt: Ich bin nicht gekommen, um die Welt zu richten, sondern um sie zu retten (Johannes 12,47). Der Beter, so haben wir es in der Lesung des 130. Psalms gehört, fragt: Herr, wer kann vor dir bestehen? Doch bei dir ist Vergebung. Ich hoffe auf dich. Meine Seele hofft auf dein Wort! Liebe Gemeinde, in dieser Spannung dieses Psalmbeters stehen wir alle. Im Ringen, unsern Glauben zu leben, in der Frage, was das ganz konkret für uns heisst, in unserem Bemühen, gemäss unserem Glauben zu leben, und auch immer wieder in Erfahrungen unseres Versagens. Keiner von uns ist der oder die Schnellste, der Beste. Nicht einer allein wird den Preis erlangen. Viele waren schon lange vor uns unterwegs, viele sind es neben und mit uns und werden es nach uns sein. Es gibt nicht einen einzigen Preis, und all die andern haben verloren. Dann könnten wir schon längst alle aufgeben. Jede und jeder von uns, ob wir das wollen oder nicht, steht in diesem Lauf ein Leben lang. Wer meint, bloss ein Zaungast und Zuschauer sein zu können, wie heute Morgen viele am Strassenrand stehen, täuscht sich! Wir alle sind Läuferinnen und Läufer, laufen je unseren eigenen Lebenslauf. Wo geht der Weg durch? In Zürich wurde eine violette Linie auf den Boden gezeichnet, die den Marathonläufern den richtigen und schnellsten Weg zeigt. Vielleicht haben Sie diese Linie auch entdeckt, als sie vor einigen Tagen bereits aufgemalt wurde. Mir je-
7 7 denfalls ist sie sofort aufgefallen. Was ist denn die violette Linie für unseren Lebenslauf? Was zeigt uns den Weg und führt uns die Bahn? Es reicht nicht wie die Marathonläufer, bloss nach unten zu blicken. Aufschauen sollen wir, aufschauen zu Christus, hören auf sein Wort, auf das, was er uns zu sagen hat. Ich hoffe auf dich, Herr, meine Seele hofft auf dein Wort (Psalm 130,5). Manchmal hören wir Gottes Wort erst nach langem Sehnen, nach einer harten Durststrecke, manchmal ganz unverhofft. Dass Gottes Wort, dass die Bibel, das Evangelium, dass Christus zu uns spricht, in unser Leben hineinspricht und unsere Existenz berührt, das haben wir nicht allein in der Hand; wo es geschieht, ist das Gnade. Lauft, dass ihr den Preis erlangt! Wohin laufen wir denn? Wer setzt das Ziel fest, und wo ist es? In Zürich ist die Ziellinie deutlich und unübersehbar markiert am Ende der 42,195 Kilometer. Wie ist das bei unserem Leben-Lauf? Wohin geht dieser Lauf? Wie lange ist er? Kennen wir das Ziel überhaupt, wenn wir doch nicht wissen, wie lange der Lauf sein wird? Freuen wir uns auf dieses Ziel, oder drückt uns die Angst nieder, die Kraft oder der Wille sei zu klein, auch wirklich bis zur Ziellinie und über sie zu kommen? Ich erzähle Ihnen dazu einen Ausschnitt aus einem Gespräch mit Spitalangestellten. Es ging um die Frage, wann es ethisch vertretbar ist, schwerstkranke oder hochbetagte Menschen noch zu reanimieren, und wann man sie getrost sterben lassen darf. Eine solche medizinische Intervention kann je nach Situation zur Verlängerung des Lebens oder auch zur versuchten Verhinderung des Todes werden. Das sind ethisch hochbrisante Fragen, und die Last der Verantwortung, unter der die Entscheidungsträger, in der Regel die Ärzte, stehen, ist nicht zu unterschätzen. Ein Pflegefach-
8 8 mann warf die Frage in die Runde: Warum tun die einen sich so schwer mit dem Sterben und wollen den Tod auf keinen Fall, auch dann noch, wenn er unausweichlich ist und vor der Tür steht? Ist er denn so schrecklich? Und er fügte hinzu: Ich lebe gern, aber wenn für mich die Zeit da ist und Gott ruft, dann gehe ich auch gern, denn der Tod, das ist doch das Eingehen in die Herrlichkeit Gottes. Davor habe ich keine Angst, ich freue mich darauf! Das gehört zu meinem Glauben. Liebe Gemeinde, ja, das ist es, das Ziel des christlichen Lebens, unseres Lebens-Laufes, das Ende unseres Ringens ist der Tod; so lange dauert die Zeit unserer Bewährung; und der Preis, um den wir laufen, ist das Eingehen in die Herrlichkeit Gottes, dass wir ganz und für immer bei Christus sind. Der Lauf, daran erinnert uns Paulus, geht nicht ins Ungewisse, nicht ins Leere, sondern in den Schoss und die Arme Christi. Hinter der Ziellinie erwartet uns Christus! Von ihm dürfen wir uns gesagt sein lassen: Sei getreu bis in den Tod, und ich will dir die Krone des Lebens geben (Apostelgeschichte 2,10). Amen. ST. ANNA-GEMEINDE ZÜRICH St. Anna-Kapelle, St. Annagasse 11, 8001 Zürich Gottesdienste: Sonntag Uhr, Bibelstunden: Mittwoch Uhr Sekretariat St. Anna, Grundstrasse 11c, 8934 Knonau, Telefon
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