Neuroaxiale Blockaden und Hämodynamik
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- Ingeborg Voss
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1 Aktuelles Wissen für Anästhesisten Refresher Course Nr. 41 Neuroaxiale Blockaden und Hämodynamik Neuroaxial Blockade and Hemodynamics H. Baumann J. Biscoping Zusammenfassung Hämodynamische Veränderungen nach Anlage einer neuroaxialen Blockade durch epidurale oder subarachnoidale Applikation eines Lokalanästhetikums im Rahmen einer Epidural- oder Spinalanästhesie sind im klinischen Alltag häufig zu beobachten. Die exakte Kenntnis der induzierten Pathophysiologie ist entscheidend für eine sichere Anästhesieführung. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über anatomische Grundlagen und die Physiologie des autonomen Nervensystems sowie über die direkten und indirekten Auswirkungen der rückenmarksnahen Regionalanästhesie auf das kardiovaskuläre System und die myokardiale Dynamik sowie endokrinmetabolische Veränderungen. Einen weiteren Schwerpunkt bildet aktuelles Wissen zu Prophylaxe und Therapie kardiozirkulatorischer Komplikationen als Folge einer Epidural- oder Spinalanästhesie mit Lokalanästhetika. Schlüsselwörter: Neuroaxiale Blockade Lokalanästhetika Auswirkungen auf das kardiovaskuläre System Endokrinmetabolische Veränderungen Prophylaxe und Therapie kardio-zirkulatorischer Komplikationen Summary Hemodynamic changes following central neuroaxial blockade are frequently observed in clinical practice. The distinct knowledge of the induced pathophysiology is important to the safe conduct of neuroaxial anesthesia. This article provides an overview of the anatomy and physiology of the autonomous nervous system, the direct and indirect effects of neuroaxial anesthesia on the cardiovascular system and the effects on the myocardial dynamics, as well as endocrine-metabolic changes. Furthermore we review up-to-date knowledge about the prevention and treatment of cardio-circulatory complications as a consequence of epidural or spinal anesthesia with local anesthetics. Keywords: Neuroaxial blockade local anesthetics effects on the cardiovascular system and the endocrine-metabolic response prevention and treatment of cardio-circulatory complications Einleitung Never turn your back on a spinal. Hämodynamische Veränderungen nach Induktion einer neuroaxialen Blockade durch epidurale oder subarachnoidaler Applikation eines Lokalanästhetikums im Rahmen einer Epiduralanästhesie oder Spinalanästhesie sind im klinischen Alltag häufig zu beobachten. Aufgrund einer unter Umständen profunden Hypotonie und dem Auftreten einer Bradykardie ist die Kenntnis der zugrundliegenden physiologischen Veränderungen und der durch die Blockade induzierten organischen und endokrinen Pathophysiologie entscheidend für eine sichere Anästhesieführung und die Früherkennung sich anbahnender Komplikationen. Ebenso ist die Prävention eines kritischen Blutdruckabfalls, beispielsweise bei der Betreuung von Patienten mit eingeschränkter Koronarreserve oder im Rahmen der geburtshilflichen Regionalanästhesie, von zentraler Bedeutung und daher immer wiederkehrend Thema diverser Publikationen [1-12]. Anatomische Grundlagen Ärzte ohne Anatomie sind Maulwürfen gleich: sie arbeiten im Dunkeln, und ihrer Hände Tagewerk sind Erdhügel. (Friedrich Tiedemann, deutscher Anatom und Physiologe, ) Auswirkungen der neuroaxialen Blockade auf das kardiovaskuläre System sowie die Veränderungen der Perfusion einzelner Organe sind neben der Ausschaltung schmerzleitender Afferenzen (Analgesie) indikationsabhängig erwünschte Effekte. Es existieren Hinweise, dass durch eine thorakale Epiduralanästhesie die Rate an postoperativen Myokardinfarkten, gastrointestinalen und renalen Komplikationen gesenkt werden kann [13-18]. Ob die postoperative Mortalität durch ein neuroaxiales Anästhesieverfahren ebenfalls positiv beeinflusst werden kann, ist zur Zeit nicht abschließend zu beurteilen [19-21]. Sowohl die Art des Verfahrens bei rückenmarksnaher Leitungsanästhesie (Spinalanästhesie, Epiduralanästhesie), die Punktionshöhe (lumbal, thorakal), als auch der epidural applizierte Wirkstoff (Lokalanästhetikum, Opiat, Opioid) sind entscheidend für die Blockade sympathischer und parasympathischer Fasern und somit wesentlich für die Dämpfung der operativ induzierten Schmerz-Stress-Reaktion. Ausgeprägte vegetative Entgleisungen nach neuroaxialer Blockade sind fast 51
2 Refresher Course Nr. 41 Aktuelles Wissen für Anästhesisten immer Folge einer begleitenden sympathischen Blockade und dem damit verbundenen Ungleichgewicht zwischen sympathischen und parasympathischen Einflüssen. Das vegetative oder autonome Nervensystem kontrolliert die Funktion und die interne Homöostase verschiedener Organe und untersteht dem Einfluss endogener und exogener Stressoren. Nozizeptoren, Mechanorezeptoren und Chemorezeptoren liefern Informationen über viszeral-somatische Afferenzen. Efferente vegetative Fasern erreichen unter anderem glatte Muskulatur und Hormondrüsen und kontrollieren autonome Reflexe wie Husten oder Erbrechen. Hypothalamische und kortikale Regionen als übergeordnete Zentren sind in der Ablaufsteuerung komplexer autonomer Reflexe von Bedeutung. Bemerkenswert ist, dass die Mehrzahl der regulatorischen Zentren des vegetativen Nervensystems in Ganglien und Nervengeflechten außerhalb des zentralen Nervensystems organisiert ist. Das sympathische System hat seinen Ursprung in thorakalen und lumbalen Zentren während das parasympathische System Anteile des dritten, siebten, neunten und zehnten Hirnnerven sowie sakraler Nerven (Segmente S2 bis S4) besitzt [22]. Abbildung 1 Sympathisches Nervensystem Prä- und postganglionäre Nervenfasern leiten die dem zentralnervösen System entspringenden efferenten Impulse zu den sympathisch innervierten Blutgefäßen und Organen. Präganglionäre Fasern entstammen dem Tractus intermediolateralis. Die Axone verlassen das Rückenmark über den Ramus anterior mit den Spinalnerven in Höhe des ersten thorakalen bis zum zweiten lumbalen Segment. Unmittelbar neben den Foramina intervertebralia verlassen die noch geringgradig myelinisierten Nervenfasern den jeweiligen Spinalnerven und bilden die weiter zum sympathischen Grenzstrang führenden Rami communicantes albi. Sie bilden nun entweder Synapsen mit Zellen der sympathischen Ganglien des Grenzstrangs oder mit einem Zellkörper in einem der zahlreichen paravertebralen Ganglien aus. Einige präganglionäre Fasern nehmen ihren Weg variierend einige Segmente nach kranial oder kaudal, bevor sie Synapsen formen. Der aus den paravertebralen Ganglien bestehende sympathische Grenzstrang verläuft auf beiden Seiten entlang der Wirbelsäule von der Hirnbasis bis zur Vorderfläche des Os sacrum im kleinen Becken. Drei Gangliengruppen bilden zervikal das Ganglion cervicale superius et medius sowie das Ganglion cervicale stellatum (auch Ganglion cervicothoracicum). Letzteres ist von besonderer klinischer Bedeutung, da es den Kopf, die Halsorgane, die obere Extremität, das Herz und zum Teil die Lunge sympathisch innerviert. Der Brustteil des Sympathikus besitzt zehn bis zwölf Ganglia thoracica, die in Höhe der zugehörigen Spinalnerven auf den Rippenköpfchen liegen. Verbindungen zum Plexus coeliacus, aorticus und hypogastricus bilden die aus den thorakalen Abschnitten entstehenden Nervi splanchnici (Abb. 1). Die meisten postganglionären Fasern verlaufen nach Umschaltung auf das zweite Neuron über die Rami communicantes grisei wiederum zusammen mit Schematische Darstellung des efferenten sympathischen Nervensystems. 1 Ganglion cervicale superius; 2 Ganglion cervicale medium; 3 Ganglion cervicale inferius (cervicothoracicum, stellatum); 4 Ganglion coeliacum; 5 Ganglion mesentericum superius; 6 Ganglion mesentericum inferius; 7 Plexus hypogastricus superior (aus (22), mit freundlicher Genehmigung des Georg Thieme Verlag Stuttgart). den Spinalnerven und versorgen segmental Blutgefäße, Drüsen und die Musculi arrectores pilorum. Weitere unmyelinisierte postganglionäre Fasern, welche den Ganglien entspringen, verteilen sich auf alle sympathisch innervierten Organe der jeweiligen Region. Herz, Lunge und das Intestinum erhalten ihre postganglionäre sympathische Innervation unmittelbar über eigene Äste aus den großen Plexus. Die Nebenniere ist das einzige Organ, das direkt durch präganglionären sympathischen Nervenfasern aus thorakalen Segmenten innerviert wird (T9 bis T10). Die sympathische Stimulation der Nebenniere bewirkt die Ausschüttung von Adrenalin und Noradrenalin unmittelbar in die Blutbahn unser endogener Katecholaminperfusor [22,23]. 52
3 Aktuelles Wissen für Anästhesisten Refresher Course Nr. 41 Parasympathisches Nervensystem Das parasympathische Nervensystem besteht aus kranialen und sakralen Anteilen. Parasympathische Fasern laufen mit den Hirnnerven III (Nervus oculomotorius), VII (Nervus facialis), IX (Nervus glossopharyngeus) und X (Nervus vagus). Kraniale Ganglien wie das Ganglion ciliare, Gangion pterygopalatinum, Ganglion oticum und das Gangion submandibulare sind Umschaltstellen auf postganglionäre parasympathische Neurone. Unter den vier parasympathische Anteile führenden Hirnnerven nimmt der Nervus vagus eine Sonderstellung ein. Während der Nervus oculomotorius, Nervus facialis und der Nervus glossopharyngeus ausschließlich Organe des Kopf- und Halsbereiches parasympathisch innervieren, beinhalten die Innervationsgebiete des Nervus vagus nicht nur den Kopf- und Halsbereich. Thorakale Organe sowie die Teile des Verdauungssystems im Versorgungsgebiet des Truncus coeliacus und der Arteria mesenterica superior erhalten ihre parasympathischen Impulse über den zehnten Hirnnerven (Leber, Magen, Bauchspeicheldrüse, Duodenum, Milz sowie das angrenzende Mesenterium bis zur linken Flexur). Die Unterschiede in der topografischen Anatomie im Verlauf des linken und des rechten Nervus vagus erklären sich durch die embryonale Entwicklung des Aortenbogens linksseitig und der Arteria subclavia rechtsseitig aus den Arterien des vierten Kiemenbogens. Aus der Vereinigung des rechten und des linken Nervus vagus geht im hinteren Mediastinum der Plexus oesophageus hervor. Der den Ösophagus umgebende Plexus erhält präganglionäre Afferenzen aus dem Nucleus dorsalis nervi vagi, einem wichtigen parasympathischen Kerngebiet in der Medulla oblongata sowie postganglionäre Afferenzen aus dem Ganglion inferius nervi vagi. Fasern des paravertebralen Grenzstrangs und der Spinalganglien als sympathische Afferenzen vereinen sich ergänzend im Plexus oesophageus, welcher Verbindungen zu den kardialen und pulmonalen Plexus besitzt. Nach struktureller Umorganisation in einen ventral der Speiseröhre absteigenden Truncus vagalis anterior und einen hinter dem Ösophagus verlaufenden Truncus vagalis posterior versorgen Neurone des Nervus vagus den Magen, bevor aus den beiden Trunci der Plexus gastricus, der Plexus hepaticus und der Plexus coeliacus hervorgehen. Der abdominelle Anteil des Parasympathikus erhält neuronale Zuflüsse aus den Spinalnerven der sakralen Segmente zwei bis vier (Nervi splanchnici pelvici). Efferente Nervenfasern des Plexus hypogastricus inferior, sowie die Nervi splanchnici (S2 bis S4) innervieren neben den Organen im kleinen Becken (Harnblase) das Colon descendens und das Rektum (Abb. 2). Aufgrund des sehr frühen extraduralen Verlaufs, und der räumlich betrachtet beachtlichen Entfernung vom Injektionsort der Lokalanästhetika bei Spinal- und Epiduralanästhesie, werden im Gegensatz zu allen anderen autonomen Nerven die parasympathischen Hirnnervenanteile und insbesondere der Nervus vagus nicht in ihrer Funktion beeinträchtigt [22]. Abbildung 2 Halbschematische Darstellung des efferenten parasympathischen Nerven systems. 1 Pharyngealer Plexus; 2 Ganglion superius n. vagi; 3 Ganglion inferius n. vagi; 4 Ganglion coeliacum; 5 Plexus coeliacus; 6 Ganglion mesentericum; 7 Plexus hypogastricus superior; 8 Plexus hypogastricus inferior (aus (22), mit freundlicher Genehmigung des Georg Thieme Verlag Stuttgart). Autonome Afferenzen und sensorische Bahnen Die Nervenzellen der afferenten sympathischen und parasympathischen Nervenfasern liegen in den Hinterwurzelganglien. Somit können afferente autonome Reflexbögen gespannt werden und Empfindungen wie Hunger, Übelkeit, Blasendehnung oder Gebärmutterkontraktion zentripetal leiten. Die exzessive Dehnung oder Kontraktion glatter Muskelzellen, aber auch Entzündungsreaktionen wie beispielsweise bei der Peritonitis, stellen einen möglichen Stimulus dieser nach zentral leitenden autonomen Nervenfasern da. Gehabte Schmerzen, die hab ich gern (Wilhelm Busch, ) 53
4 Refresher Course Nr. 41 Aktuelles Wissen für Anästhesisten Die Leitung schmerzhafter Stimuli aus dem Operationsgebiet zum zentralen Nervensystem zu unterbrechen, ist das wesentliche Ziel einer Spinal- oder Epiduralanästhesie. Nozizeptoren des peripheren nozizeptiven Systems befinden sich in der Haut, in den Organen, im Periost und in den Eingeweiden. Sie bestehen aus nichtkorpuskulären, unmyelinisierten Endigungen und langsam leitenden Axonen. Die Erregung von Nozizeptoren entsteht durch Aktivierung von Ionenkanälen und Rezeptoren in ihren sensorischen Endigungen. Nozizeptoren sind in der Lage Neuropeptide freizusetzen. Auf diesem Weg kommuniziert das Nervensystem mit dem Immunsystem und beeinflusst die Tätigkeit von Mastzellen und Immunzellen. Die Axone der Fasergruppe Aδ sind dünn myelinisiert und sprechen hauptsächlich auf mechanische oder thermische Reize an. Dünne, unmyelinisierte Fasern der Gruppe C werden durch mechanisch-thermische Reize erregt und dienen des Weiteren als Hautafferenzen für Schmerzen. Akuter, brennendstechender Schmerz wird hauptsächlich über die Aδ-Fasern mit durchschnittlicher Impulsleitgeschwindigkeit von 2,5-30 m/ sec geleitet, während dumpfe, oft intestinale Schmerzempfindungen durch langsamere C-Fasern (Impulsleitgeschwindigkeit meist um 1 m/sec) vermittelt werden [16]. Die eintreffenden nozizeptiven Stimuli erreichen das Rückenmark über die hinteren Spinalwurzeln, treten ins Hinterhorn ein und wechseln dabei teilweise zum gegenüberliegenden Tractus spinothalamicus. Sie werden auf zentrale Neurone umgeschaltet. Innervation einzelner Organe Herz Das Herz wird vegetativ aus dem Plexus cardiacus innerviert (T2 bis T4), der um den Aortenbogen herum gruppiert ist. Sympathische Efferenzen ziehen als Nervi cardiaci thoracici zu Sinus- und Atrioventrikularknoten sowie direkt zum Arbeitsmyokard. Parasympathische (größtenteils präganglionäre) Fasern des zervikalen Nervus vagus ziehen als Rami cardiaci cervicales superiores et inferiores zu den tiefen und oberflächlichen Anteilen des Plexus cardiacus und zu den Ganglia cardiaca. Im Brustbereich gibt der Nervus vagus ebenfalls als Nervi cardiaci thoracici efferente Fasern zum oberflächlichen Anteil des Plexus cardiacus ab. Lunge Die autonome Innervation der Lunge erfolgt aus den ventral und dorsal der Lungenhili liegenden Plexus pulmonalis anterior und posterior. Diese erhalten sympathische Fasern als Rami pulmonales des Grenzstrangs und parasympathische Efferenzen aus dem Nervus vagus (Rami bronchiales und Fasern des Nervus laryngeus recurrens). Schmerz und insbesondere Dehnungsreize werden über den Nervus vagus nach zentral ins Atemzentrum geleitet. Beispielsweise verhindert der Lungendehnungsreflex (Hering-Breuer-Reflex) durch reflektorische Hemmung inspiratorischer Neurone eine Überdehnung der Alveolen, sollte bei der Inspiration ein kritisches Maß der Ausdehnung erreicht werden. Bauchorgane Die im Brustbereich aus dem Grenzstrang austretenden Fasern der drei Nervi splanchnici formen den Plexus coeliacus sowie den Plexus mesentericus superior et inferior, in welchen die präganglionären Nervenfasern auf postganglionäre Neurone umgeschaltet werden und so die sympathische Innervation der Organe und Gefäße des Bauchraums bilden. Wegen ihrer gemeinsamen sympathischen Innervation werden die Gefäßgebiete von Mesenterium, Leber, Pankreas und Milz als Splanchnikusgebiet zusammengefasst. Die Splanchnikusgefäße enthalten etwa 20 Prozent des gesamten Blutvolumens (ca bis ml). Die meisten Oberbauchorgane erhalten ihre parasympathische Innervation über Fasern des rechten und linken Nervus vagus. Als intramurales Nervensystem bezeichnet man ein Nervengeflecht, das in der Wand von Hohlorganen liegt. Sympathische und parasympathische Efferenzen erhalten beispielsweise der aus vielen Ganglienzellen bestehende Plexus myentericus (= Auerbach scher Plexus) zwischen Längs- und Ringmuskulatur sowie der Plexus submucosus (= Meissner scher Plexus) in der Tela submucosa des Darms. Kardiovaskuläre Wirkungen Neuroaxiale Blockaden haben in erster Linie indirekte Auswirkungen auf das kardiovaskuläre System. Im Gegensatz zur Spinalanästhesie sind bei der Epiduralanästhesie allerdings auch direkte Effekte auf Organsysteme möglich. Beispielsweise sind durch Resorptionsvorgänge bei Applikation hoher (kumulativer) Dosen oder bei Überdosierung eines Lokalanästhetikums toxische Plasmaspiegel denkbar [24,25]. Insbesondere bei kritischer, systemischer Intoxikation durch die langwirksamen Substanzen Bupivacain oder Ropivacain können schwerwiegende zentralnervöse (Krampfanfall, Koma) und kardiale Komplikationen (Rhythmusstörungen, Asystolie) die Folge sein [26,27]. Indirekte Effekte sind in der Regel Folge einer Blockade sympathischer Efferenzen sowie der Unterdrückung autonomer Reflexe. Die Ausprägung und das Niveau der rückenmarks nahen Tabelle 1 Hämodynamische Effekte einer neuroaxialen Blockade (nach [28]). Parameter Blutdruck Zentraler Venendruck Herzfrequenz Herzzeitvolumen Schlagvolumen Systemischer Widerstand Effekt,, Das Ausmaß der hämodynamischen Veränderungen ist in hohem Maße vom Niveau der neuroaxialen Blockade und vom kardiovaskulären Zustand des Patienten abhängig. 54
5 Aktuelles Wissen für Anästhesisten Refresher Course Nr. 41 Leitungsanästhesie sind ausschlaggebend für das Ausmaß der kardiovaskulären Effekte. Auch die Positionierung des Patienten, der Volumenstatus, die Verabreichung kardiovaskulär wirksamer Medikamente sowie die Schwere der pulmonalen und kardiovaskulären Vorerkrankungen beeinflussen ebenfalls den Grad der hämodynamischen Auswirkungen (Tab. 1). Endokrin-metabolische Veränderungen Fight or flight (Walter Bradford Cannon, US-amerikanischer Physiologe, ) Endokrine und metabolische Reaktionen als neurobiologische Antwort auf schädigende äußere Einflüsse finden sich abhängig von der Stärke und dem Ausmaß der Erkrankung oder des Traumas [29-34]. Die insbesondere operative und traumatisierte Patienten bestreffende Stress-Reaktion ist eine evolutionär geformte Anpassungsreaktion des Körpers auf eine Verletzung der Homöostase [35]. Die akute Energiebereitstellung ermöglicht dem Organismus eine der Situation angemessene Reaktion (z. B. Flucht, Angriff, Starre), welche sich evolutionär als überlebenssichernd erwiesen hat. Die Plasmakonzentration von Noradrenalin als indirektes Maß der sympathischen Aktivität steigt beispielsweise bei starker körperlicher Arbeit um das 10- bis 20-fache des Ruhewertes an [16]. Plasmakonzentrationen kataboler Hormone wie Adrenocorticotropin (ACTH), Kortisol, Renin, Angiotensin-II, Aldosteron, Glukagon und Interleukin-6 steigen, Konzentrationen anaboler Hormone wie Insulin und Testosteron fallen als Folge der Stressreaktion. Unnötige, energieverbrauchende Prozesse werden unterdrückt. Die multiplen endokrinen Reaktionsmuster als Folge des Anpassungssyndroms und die damit verbundenen pathophysiologischen Veränderungen sind insbesondere bei dem operativ traumatisierten Patienten unerwünscht. Das systemische inflammatorische Response-Syndrom (SIRS), verursacht durch Trauma, schwere Erkrankung, Ischämie oder Operation, ist mit Auslöser für ein akutes Lungenversagen, eine Nierenschädigung oder eine kardiale Dysfunktion [36]. Daher ist es neben einer suffizienten Analgesie und der Schaffung optimaler Operationsbedingungen ein ebenso wichtiges Ziel, diese sympathisch vermittelte, operativ (somit verletzungs-) induzierte Stress-Reaktion zu dämpfen (Abb. 3). Beispielsweise kann durch die epidurale Applikation von Lokalanästhetika eine intra- und postoperativ überschießende Aktivierung des inflammatorischen und hämostatischen Systems positiv beeinflusst werden [37], wobei die Ausbreitung der Blockade einen entscheidenden Einfluss auf die Modifikation der Stressantwort hat. Durch die neuroaxiale Leitungsanästhesie kann eine Stress-induzierte, generalisierte Immunsuppression abgeschwächt werden [38,39]. Dies hat ebenso wie die Reduktion des postoperativen Opiatverbrauchs (und somit der opiatbedingten Immunmodulation [40]) möglicherweise Einfluss auf die Tumordissemination und die Metastasen-Häufigkeit bestimmter Krebsarten [41-45]. Zur vollständigen Unterdrückung der Kortisolantwort auf ein operatives Trauma ist eine kraniale Blockadehöhe von Abbildung 3 Plasma cortisol (nmol/l) General anaesthesia (n=6) Epidural analgesia (n=6) mean ± SEM P<0,05 P<0, Hours after skin incision Intra- und postoperative Kortisol-Plasmakonzentrationen bei Patientinnen, die sich entweder in Allgemeinanästhesie (volatil) oder in (postoperativ fortgeführter) Epiduralanästhesie mit Bupivacain einer abdominellen Hysterektomie unterzogen. Bei Patientinnen in Allge meinanästhesie stiegen die Kortisol-Plasmakonzentrationen ab Beginn der Operation, nicht jedoch bei denjenigen in Epiduralanästhesie (Quelle: Brandt MR, Fernandes A, Mordhorst R, et al. Epidural analgesia improves postoperative nitrogen balance. Br Med J 1978;1:1106 [48]). T4 notwendig. Die Plasmakonzentration von Adrenalin und Noradrenalin wird effektiv vermindert, wenn bei neuroaxialer Leitungsanästhesie die präganglionären sympathischen Nervenfasern der Nebenniere aus den thorakalen Segmenten T9 und T10 blockiert sind [46]. Mit einer effektiven thorakalen Leitungsanästhesie wird der endogene Katecholaminperfusor abgestellt [47]. Umso mehr muss an dieser Stelle betont werden, dass eine, bei thorakaler Epiduralanästhesie, notwendig werdende Katecholamintherapie mit 3 bis 5 µg/ min. Noradrenalin einer antagonisierenden, physiologischen Ersatz -Dosierung entspricht. Periphere Gefäßregulation und Hypotension Je kranialer die Blockade reicht, desto größer ist die Anzahl der betroffenen sympathischen Nervenfasern. Eine Verminderung der sympathischen Innervation der Gefäße impliziert die Senkung des Gefäßtonus und somit eine Vergrößerung des Intravasalraumes. Der am häufigsten beobachtete Effekt einer Spinalanästhesie ist der systemische Blutdruckabfall mit einer Inzidenz von 15% [49] bis 33% [50] (Tab. 2). Dieser ist bei einem Blockadeniveau von T10 Folge einer durch Hemmung vasokonstriktorischer Fasern ausgelösten Vasodilatation der Gefäße der unteren Extremität mit venösem Pooling und reduziertem venösen Rückstrom [51-54]. Der zu beobachtende Abfall des mittleren arteriellen Drucks ist Folge der Abnahme des systemvaskulären Widerstandes. Über eine erhöhte 55
6 Refresher Course Nr. 41 Aktuelles Wissen für Anästhesisten Tabelle 2 Risikofaktoren für eine Hypotension bei Spinalanästhesie (28,49,50,61). Blockade höher als T5 Höheres Lebensalter Anamnestisch arterielle Hypertonie Ausgangsblutdruck systolisch kleiner 120 mmhg Kombination mit einer Allgemeinanästhesie Durapunktion oberhalb von L3/4 Chronischer Alkoholkonsum Notfalleingriff / Sectio Barorezeptorenaktivität (Aortenbogen, Sinus caroticus) kann der Organismus durch kompensatorische Erhöhung des Gefäßtonus der Kapazitätsgefäße der oberen Körperhälfte einem begrenzten Volumenmangel durch Blutumverteilung entgegen wirken [55]. Reicht eine Blockade weiter kranial (zum Beispiel bis T5), setzt neben dem verminderten venösen Rückstrom durch Pooling und der arteriellen Vasodilatation eine Erweiterung der Kapazitätsgefäße des Splanchnikusgebietes ein. Wie oben beschrieben ist allerdings dann eine kompensatorische Vasokonstriktion thorakaler Kapazitätsgefäße nicht mehr in der Lage, das verlorene intravasale Volumen zu ersetzten und den Blutdruck akut zu stabilisieren. Die resultierende Hypotension ist Folge einer relativen Hypovolämie. Von besonderer klinischer Relevanz sind diese pathophysiologischen Zusammenhänge dann, wenn rückenmarksnahe Leitungsanästhesien mit Allgemeinanästhesien kombiniert werden. Die durch eine Allgemeinanästhesie induzierte Dämpfung der zentralen Sympathikusaktivität sowie die Beeinflussung der peripheren Barorezeptorenaktivität führt unter Umständen zu einem Ausbleiben der erwünschten gegenregulatorischen Aktivität auch in dem durch die Regionalanästhesie nicht vegetativ blockierten Gebieten. Eine tiefe Sedierung oder die adjuvante Verabreichung größerer Opiatdosen bei neuroaxialen Anästhesieverfahren ist diesem Effekt der Allgemeinanästhesie gleichzusetzen und in der klinischen Praxis unbedingt zu beachten. Eine Verstärkung des Blutdruckabfalls oder eine Aggravation der Bradykardie bis zum Herzstillstand bei hoher sympathischer Blockade kann die Folge einer unvorsichtigen Applikation eines vagomimetischen oder sympatholytischen Medikaments sein [56-58]. Pathologische Zustände wie Hypoxämie, Hyperkapnie, Azidose oder Hyperlaktatämie können den Blutdruckabfall über eine weitere Vasodilatation verstärken und sind zu vermeiden (z.b. durch die Gabe von Sauerstoff). Weiterhin ist die Aufrechterhaltung einer adäquaten kardialen Vorlast vermutlich der Schlüssel zur Vermeidung einer kritischen Bradykardie und Asystolie [59]. Das Niveau der sensorischen und motorischen Blockade kann nach rückenmarksnaher Leitungsanästhesie durch verschiedene Verfahren zuverlässig seitengetrennt überprüft werden (Temperatur-Diskriminierung, Berührungsempfinden, Spitz-Stumpf-Unterscheidung, modifizierte Bromage-Skala). Bezüglich der maximalen Höhe der sympathischen Blockade konnten Chamberlain et al. bereits 1986 anhand berührungsfreier Thermografie und standardisierter sensorischer Prüfung zeigen, dass das Niveau blockierter sympathischer Efferenzen teils erheblich oberhalb des sensiblen Niveaus liegt [60]. Im Mittel lagen mindestens 6 Dermatome zwischen dem jeweils maximalen sensiblen und sympathischen Blockadeniveau. Die Zeit bis zum Erreichen der maximalen sympathischen Blockade war ebenfalls deutlich länger als die der sensorischen Blockade. Da für die Blockade sympathischer Efferenzen wesentlich geringere Mengen Lokalanästhetika notwendig sind, tritt diese mit einer gewissen Verzögerung auch deutlich kranial des klinisch fassbaren sensiblen und motorischen Blockadeniveaus auf. Chamberlain liefert somit eine mögliche Erklärung für die bei neuroaxialer Blockade mit einer Latenz von Minuten auftretenden akuten Hypotensionen nach einer initialen Phase der Kreislaufstabilität. Herzfrequenz Je kranialer eine neuroaxiale Blockade reicht, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit der Abnahme der Herzfrequenz. Die Regulation der Herzfrequenz unterliegt vielfältigen Einflüssen, ist aber im Wesentlichen eine komplexe Funktion des Gleichgewichts von Sympathikus und Parasympathikus, kardialer Füllungsdrücke und einer Reflexantwort bei reduzierter Vorlast. Während es bei Patienten nach Spinalanästhesie, bei der die maximale Ausbreitungshöhe die unteren thorakalen Segmente betrifft, zu einer Steigerung der Herzfrequenz als Folge einer oberhalb der Blockade erhöhten Sympathikus- sowie einer gedämpften Parasympathikus-Aktivität kommt, wird bei zunehmender Blockadehöhe mehr und mehr die direkte sympathische Innervation des Herzens beeinträchtigt [62]. Interessanterweise bleiben das sympathisch-parasympathische Gleichgewicht sowie die kardiale Barorezeptoraktivität auch bei hoher neuroaxialer Blockade erhalten, da zentrale sympathische Impulse eine reflektorische Hemmung parasympathischer Reflexe bewirken [63]. Sowohl sympathisches als auch parasympathisches Nervensystem werden in ihrer Funktion abgeschwächt. Eine ausgeprägte Bradykardie und Hypotonie bei neuroaxialer Leitungsanästhesie könnte bei einzelnen Patienten Folge eines vorbestehenden autonomen Ungleichgewichts mit einer Erhöhung der parasympathischen Aktivität sein [12]. Risikofaktoren für das Auftreten einer Bradykardie während Spinalanästhesie (niedrige Ruhe-Herzfrequenz, junger Patient, verlängertes PR- Intervall) als Ausdruck eines gesteigerten Parasympathikotonus stützen die Theorie einer autonomen Imbalance als Ursache einer ausgeprägten Bradykardie (Tab. 3) [64,65]. Verschiedenste Reflexantworten auf eine reduzierte kardiale Vorlast könnten gleichfalls zur Entstehung ausgeprägter Bradykardien beitragen [66]. Die Spontanfrequenz der kardialen Schrittmacherzellen wird unter anderem durch eine verminderte Dehnung myokardialer Zellen gesenkt. Eine Verlangsa 56
7 Aktuelles Wissen für Anästhesisten Refresher Course Nr. 41 Tabelle 3 Risikofaktoren für eine Bradykardie während Spinalanästhesie (nach [59]). Ausgangsherzfrequenz kleiner 60 Schläge pro Minute ASA-Status I Einnahme von Betablockern Sensorisches Blockadeniveau höher als T6 Jüngeres Lebensalter Verlängertes PR-Intervall mung des Herzschlags kann so Folge eines vagal vermittelten Reflexes auf dem Boden einer gesteigerten Aktivität kardialer und in der Vena cava lokalisierten Mechanorezeptoren als Reaktion auf die verminderte kardiale Füllung sein. Man nimmt an, dass diese Reflexe der Sicherstellung einer ausreichenden ventrikulären Füllung bei akuter, kritischer Vorlastsenkung dienen (langsamer Herzschlag = längere Diastole = mehr Füllung) [67-70]. Eine Vorlastsenkung mit konsekutiver Hypotonie führt im sympathisch intakten Individuum zur Steigerung der Herzfrequenz (kardialer Barorezeptor-Reflex) [71]. Bei einer hohen neuroaxialen Blockade mit entsprechender Hemmung sympathischer Aktivität kommt es unter Umständen zum Ausbleiben der Reflexantwort, da efferente Impulse des Reflexbogens über sympathische Bahnen laufen [66,67]. Myokardiale Dynamik Über alles hat der Mensch Gewalt, nur nicht über sein Herz. (Christian Friedrich Hebbel, deutscher Dramatiker und Lyriker, ) Postganglionäre Neurone des Plexus cardiacus erreichen alle Strukturen des Herzens und seiner Gefäße. Auf diese Weise werden insbesondere der Sinus- und Atrioventrikularknoten (AV-Knoten) sowie das ventrikuläre Erregungsleitungssystem, das Arbeitsmyokard von Ventrikeln und Vorhöfen und das Koronarsystem sympathisch innerviert. Die funktionellen Effekte umfassen eine positiv-chronotrope Wirkung über eine Steigerung der Spontanfrequenz der Schrittmacherzellen, eine postiv-dromotrope Wirkung, die besonders am AV-Knoten deutlich wird, eine positiv-inotrope Wirkung über eine Kraftsteigerung der Vorhof- und Kammermuskulatur, einen positivlusitropen Effekt durch eine Beschleunigung der Relaxation sowie direkte und indirekte vasodilatatorische Effekte auf das Koronarsystem. Insbesondere über kardiale β- und teils auch α-adrenorezeptoren entfaltet der Sympathikus nach zentraler Aktivierung durch eine lokale Freisetzung von Noradrenalin und die Freisetzung von Adrenalin aus dem Nebennierenmark seine positive Inotropie. Der Parasympathikus wirkt negativ-chronotrop am Sinusknoten, negativ-inotrop an der Vorhofmuskulatur und negativ-dromotrop am AV-Knoten. Seine funktionellen Effekte sind entsprechend der begrenzten anatomischen Verteilung fast ausschließlich auf das Vorhofmyokard begrenzt und werden über muskarinische Rezeptoren für Azetylcholin vermittelt [16]. In der gängigen Literatur häufig zitierte Auswirkungen der Spinalanästhesie auf die zentrale Hämodynamik sowie den regionalen Blutfluss wurden bereits im Jahr 1997 durch ROOKE ET AL. untersucht [54]. Hintergrund der Untersuchung war die Annahme, dass ein fortgeschrittenes Lebensalter und kardiale Vorerkrankungen diese Patientenpopulation besonders anfällig für eine Hypotension während Spinalanästhesie werden lassen. Bei fünfzehn männlichen Patienten (59 bis 80 Jahre alt) mit bekannter Herzkrankheit (Myokardinfarkt, Herzinsuffizienz, stabile myokardiale Ischämie) wurden nach Induktion einer Spinalanästhesie diverse hämodynamische Parameter mittels arterieller Blutdruckmessung und Pulmonaliskatheter erfasst. Änderungen des regionalen Blutflusses konnten durch Technetium-99m-markierte Erythrozyten mittels nuklearmedizinischer Bildgebung nachvollzogen werden. Die Ausbreitungshöhe der Spinalanästhesie variierte von T1 bis T10 (im Mittel T4). Der mittlere arterielle Druck fiel nach neuroaxialer Blockade durchschnittlich um 33% als Folge der Kombination aus einer 10%-igen Reduktion des Herzminutenvolumens und eines Abfalls des peripheren Widerstandes um 26%. Die beobachtete Verminderung des Herzminutenvolumens wurde auf eine Reduktion des Schlagvolumens um 10% zurückgeführt. Prophylaxe und Therapie kardio-zirkulatorischer Komplikationen als Folge neuroaxialer Blockade Grundsätzlich ist die lückenlose Überwachung des Patienten bei Anwendung neuroaxialer Blockaden mindestens so lange zu gewährleisten, bis eine deutliche Regression der Blockade eingetreten ist. Plötzliche Übelkeit und Erbrechen, Benommenheit sowie Atembeschwerden können frühe Symptome einer Hypotension oder Bradykardie sein [28,72]. Pre-loading versus Co-Loading Prinzipiell sollte bereits vor Anlage einer neuroaxialen Blockade eine Normovolämie angestrebt werden. Eine vorbestehende, klinisch relevante Hypovolämie (beispielsweise durch vorherigen Blutverlust, Flüssigkeitsverluste nach Erbrechen oder chronischer Diuretika-Einnahme) sollte ausgeglichen werden. Die Gabe eines kolloidalen Volumenbolus vor Anlage einer Spinalanästhesie zur Prävention der anästhesiebedingten, relativen Hypovolämie ist vergleichbar effektiv wie ein Co-Loading mit kristalloider oder kolloidaler Lösung [73,74]. Auch die Infusion kristalloider Lösung vor Anlage einer neuroaxialen Blockade kann die Inzidenz und die Schwere einer blockade-induzierten Hypotonie reduzieren. Der hiermit erreichte Volumen-Effekt ist jedoch trotz Applikation großer Mengen (bis 20 ml/kg Körpergewicht innerhalb von 20 Minuten) minimal, da Kristalloide (verglichen mit Kolloiden) schneller in extrazelluläre Kompartimente umverteilt werden [75]. Das Co-Loading mit kristalloider Lösung scheint einer präventiven 57
8 Refresher Course Nr. 41 Aktuelles Wissen für Anästhesisten Infusion vor Blockade überlegen zu sein: Verglichen mit einer Infusion bei Normovolämie (vor Blockade) verbleiben Kristalloide länger intravasal, wenn sie bei Hypovolämie (induziert durch neuroaxiale Blockade) gegeben werden [76,77]. Vasopressoren Bei Hypotonie als Folge der Blockade-induzierten arteriellen wie venösen Vasodilatation ist die prophylaktische oder therapeutische Gabe eines Vasopressors gängige klinische Praxis. Das sympathomimetische Amin Ephedrin (indirekt und direkt wirkendes α- und β1-sympathikomimetikum) und der α1- Adreorezeptor-Agonist Phenylephrin sind im englischsprachigen Raum die in dieser Indikation am häufigsten verwendeten Sympathomimetika [78,79]. Insbesondere die Frage bezüglich des am Besten geeigneten Vasopressors zur Prophylaxe und Therapie der durch rückenmarksnahe Leitungsanästhesie bedingten Hypotonie bei Schwangeren zur Kaiserschnitt-Entbindung ist immer wieder Gegenstand wissenschaftlicher Publikationen [80,81]. Ephedrin galt hier lange Zeit als Medikament der Wahl [79]. Bedingt durch einen ausgeprägten β-mimetischen Effekt konnte die Stabilisierung des mütterlichen Blutdrucks durch Steigerung des Herzminutenvolumens erreicht werden. Hingegen unterstellte man dem reinen Vasokonstriktor Phenylephrin eine potentiell schädliche Wirkung auf das ungeborene Kind durch eine Verminderung des uterinen Blutfluss [82,83]. Kürzlich publizierte Metaanalysen konnten diese meist aus Tierversuchen gewonnen Erkenntnisse nicht bestätigen [84,85]. Veeser et al. konnten sogar ein geringeres Risiko einer fetalen Azidose bei Verwendung von Phenylephrin darlegen [85]. Im Vergleich zu Ephedrin ist vor allem der prophylaktische Einsatz von Phenylephrin bei Schwangeren zur Vermeidung der Hypotension (und Übelkeit) effektiv und sicher [1]. In Deutschland bedarf der Einsatz von Ephedrin in seiner Stellung als Importarzneimittel einer gesonderten Dokumentation [86], Phenylephrin ist nur als Augentropfen oder als Zusatzstoff in freiverkäuflichen Grippemitteln im Handel. Im europäischen Raum wird traditionell die Gabe des Antihypotonikums Akrinor (einer Mischung aus Cafedrin und Theodrenalin) bevorzugt eingesetzt [86]. Ein länger anhaltender Blutdruckanstieg durch Steigerung des Herzminutenvolumens setzt wenige Minuten nach intravenöser Gabe ein [87]. Der Wirkmechanismus beruht im Wesentlichen auf einer Stimulation der β-rezeptoren [86]. Im Tierversuch [88] war Akrinor verglichen mit Ephedrin genauso effektiv in der Steigerung des mütterlichen Blutdrucks und des uterinen Blutfluss, obgleich diese Effekte bei Akrinor mit Verzögerung einsetzten und geringer waren. Bezüglich mütterlicher und fetaler Blutgase konnte kein Unterschied festgestellt werden [88]. Allgemeingültige Handlungsanweisungen und Dosierhilfen für die Gabe des idealen Vasopressors bei Blockade-induzierter Hypotonie können nicht gegeben werden. Vielmehr sollte sich zum einen die Auswahl des Vasopressors nach der Erfahrung mit dem betreffenden Medikament richten. Zum anderen sollte die Dosierung individuell erfolgen, abhängig vom Ausmaß und der Dynamik der behandlungspflichtigen Hypotension sowie der Begleiterkrankungen des Patienten. Im lebensgefährlichen Schock sollte der Einsatz potenter α- und β-sympathomimetika (Adrenalin, Noradrenalin) in Erwägung gezogen werden. Bradykardie Die durch neuroaxiale Leitungsanästhesie (= Sympathikus- Blockade) verminderte Herzfrequenz kann, bei simultanem Abfall der kardialen Vorlast, paradoxer Weise durch eine reflektorische Vagus-Aktivierung weiter abfallen (siehe auch Abschnitt Herzfrequenz ) [89]. Diese komplexe Reflexantwort ist mit Ursache einer Bradykardie und führt im Extremfall zum Herzstillstand [90]. Eine moderate Bradykardie kann initial mit intravenöser Gabe des Parasympatholytikums Atropin behandelt werden (0,5 bis 1,0 mg), alternativ könnte Ephedrin in einer Dosierung von 5 bis 20 mg eingesetzt werden. Bei schwerer oder therapierefraktärer Hypotension sollte Adrenalin in Anfangs-Dosierungen von 5 bis 20 µg gegeben werden. Bei ausbleibendem Blutdruckanstieg ist unter Umständen eine Dosissteigerung bis 0,2 oder 0,3 mg notwendig. Bei Asystolie sollte gleich 1 mg Adrenalin intravenös gegeben werden und sofort mit der Reanimation nach gültiger Leitlinie begonnen werden [91]. Zusammenfassung Die exakte Kenntnis der durch eine rückenmarksnahe Leitungsanästhesie induzierten komplexen pathophysiologischen Veränderungen ist eine grundlegende Voraussetzung zur sicheren Durchführung dieses sehr effektiven Regionalanästhesie- Verfahrens. Der zusätzliche Einsatz sedierender Substanzen sollte vor dem Hintergrund einer weiteren Alteration des Sympathikotonus mit Zurückhaltung erfolgen. Gleiches gilt für die systemische Verabreichung von Opiaten. Eine lückenlose Überwachung des Patienten mittels geeigneter Verfahren muss mindestens für die Dauer der Blockade bis zu deren deutlicher Regression gewährleistet sein. Das Nicht-Erkennen einer drohenden oder manifesten respiratorischen Insuffizienz ist ein wesentlicher (aber meist unterschätzter) Ko-Faktor für schwerste Kreislaufkomplikationen nach Spinalanästhesien bis hin zum Herzstillstand. Mit ausgeprägten, plötzlich eintretenden hämodynamischen Veränderungen (Hypotension, Bradykardie) muss besonders in den ersten 30 Minuten nach Induktion gerechnet werden. Ein dadurch ausgelöster Herzstillstand tritt selten ohne diese Prodromi auf. Das Wahrnehmen von Warnzeichen (z. B. Veränderungen der Herzfrequenz) ist essentiell für die Früherkennung einer drohenden Katastrophe. Der Durchführende sollte immer eine Normovolämie anstreben, wobei der Ausgleich chirurgischer Volumenverluste besondere Aufmerksamkeit erfordert. Die unmittelbare Verfügbarkeit einer spezifischen Nebenwirkungs-Medikation (Vasopressor, Atropin) muss gewährleistet sein. 58
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