Zu viel Medizin oder zu wenig? Überlegungen zum richtigen Maß
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- Hetty Kohler
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1 Zu viel Medizin oder zu wenig? Überlegungen zum richtigen Maß David Klemperer 18. Jahrestagung der THURE-von-UEXKÜLL AKADEMIE FÜR INTEGRIERTE MEDIZIN (AIM) Frankfurt am Main
2 Berufstätigkeit Innere Medizin allgemeine Innere Medizin, Onkologie, kardiologische Rehabilitation Öffentlicher Gesundheitsdienst Leitung Gesundheitsamt, Referent Gesundheitsbehörde seit 2001 Lehre Sozialmedizin Public Health- Gesundheitswissenschaften OTH Regensburg plus Ärztlicher Bereitschaftsdienst
3 Interessen / Aktivitäten Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin past president Deutsche Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention Vorstand Unabhängige Patientenberatung Deutschland 65 b SGB V Wiss. Beirat AQUA-Institut - Sektorübergreifende Qualitätssicherung 137a SGB V Wiss. Beirat Nationaler Krebsplan Ziel 11a Verbesserung der Information Sprecher Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft Fachausschuss Unabhängigkeit und Transparenz in der Medizin AWMF: Delegierter DGSMP / Leitlinienkommission / ad-hoc Ag GKE Preventing Overdiagnosis Conference Scientific steering committee conference 2015 International Choosing Wisely Cooperative Lown Institute Right Alliance Kooperation Lancet Writing Group Right Care Series
4 Zu viel und zu wenig Medizin 1. Das richtige Maß 2. Unsinn in der Medizin 3. Früherkennung von Krebs 4. Arzt und Patient 5. Denkweisen und Kultur 6. System 7. Disease mongering / Medikalisierung 8. Das richtige Maß finden Klemperer
5 Zu viel und zu wenig Medizin Das richtige Maß
6 Das richtige Maß körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden WHO 1948 Behandlungen è Wahrscheinlichkeit erhöhen, für Ergebnisse, die der Patient wünscht / für die er sich entschieden hat auf der Grundlage von Evidenz Institute of Medicine a science of uncertainty and an art of probability William Osler Medizinischer Nutzen kausal begründete positive Effekte einer medizinischen Intervention auf patientenrelevante Endpunkte: Mortalität/ Morbidität/gesundheitsbezogene Lebensqualität IQWiG 2014
7 Banting and Macleod Sachverständigenrat Gesundheit 2014, Ziffer 4 zentrales Problem: der nicht indikations- und situationsbezogene Einsatz medizinischer Leistungen
8 Zu viel und zu wenig Medizin Regionale Versorgungs- unterschiede
9 Das Glover-Phänomen Tonsillektomie bei Kindern fach: Rutlandshire / Cambridgeshire 20fach: Enfield / Hornseychild 27fach: Bexhill / Birkenhead one cannot avoid the conclusion that there is a tendency for the operation to be performed as a routine prophylactic ritual for no particular reason and with no particular result ". Allison Glover 1938 Ritualistische Chirurgie Patientenbefragungen: bemerkenswerte Verbesserungen Vergleichsstudien TE vs. Nicht-TE: nicht vorhanden Bolande, NEJM 1969
10 Rachenmandeln bis zum 15. Lebensjahr entfernt Schulbezirk seiner Kinder 20 Prozent benachbarter Schulbezirk 70 Prozent Tonsillektomie pro Personen USA/Vermont bis 151 Wennberg und Gittelsohn, Science 1973 Deutschland 2010/2012 Kreise Mittelwert 43 / Median 42 Bertelsmann Stiftung 2015, S. 35
11 Tonsillektomie Schweiz Kinder Allgemeinbevölkerung 33,0% Kinder von Ärzten 18,3% Domenighetti et al. Lancet 1995 Hysterektomie Schweiz Allgemeinbevölkerung 16% Frauen mit Universitätsabschluss 14% Ärztinnen 10% Ehefrauen von Rechtsanwälten 8% Domenighetti und Casabianca BMJ 1997 "I think quality care is the care you would like for your very best friends and your family to receive. Lohr 1990 Band 2, S.61 Klemperer
12 Veränderungen der TE-Raten durch Feedback und Überprüfung 1. Daten verfügbar für unberechtigte Versorgungsungleichheiten 2. Verantwortlichkeit: Vermont State Medical Society 3. Feedback der Daten an Ärzte 4. Überprüfung der Indikationen è Morrisville: Zweitmeinungsverfahren TE ê 89% Wennberg et al. 1977
13 Zu viel und zu wenig Medizin Nicht indikations- und situationsbezogener Einsatz Unsinn
14 Stent / Gefäßprothese zu viele Stents / zu wenig OMT bei stabiler koronare Herzkrankheit Bei beiden Behandlungen kommt es etwa gleich häufig zu Herzinfarkten ist die Lebenserwartung etwa gleich
15 zu viele Stents / zu wenig OMT Stabile KHK und perkutane Intervention Information durch Ärzte: Nutzen ja / Schäden nein 77% der Patienten über pro PCI, 16% contra PCI, 10% über nicht PCI. 54% kardial beschwerdefrei Fowler et al Information durch Ärzte: Übertreibung des Nutzens explizit 13%, implizit 35% Goff et al Informationsstand Patienten: Desinformation kommt an Lebenszeité 90%, Herzinfarktrisikoê 88%, Mortalitätê 69%, Symptomeê 67%, zutreffend Angabe des Nutzens: 9 von 991 Patienten (1%) Kureshi et al Kardiologen machen Unsinn Fallvignetten: 63% erkannten beschränkten Nutzen; 43% von ihnen würden trotz fehlendem Nutzen stenten Rothberg et al Ärzte enthalten einfache lebensrettende Therapie vor OMT bei nur 44,7% der Patienten erhielten vor der PCI, 66,0% danach Borden et al. 2011
16 Akuter unspezifischer Kreuzschmerz: zu viele Bilder / zu wenig psychosoziale Diagnostik starke Empfehlungen keine Warnzeichen keine Bilder Schmerzen > 4 Wo.: psychosoziale Einflussfaktoren Schmerzen > 6 Wo.: einmalig Bild Schmerzen > 12 Wo.: multidisziplinäres Assessment Nicht-Befolgen der Empfehlungen Chenot 2009, TK 2014
17 Zu viel und zu wenig Medizin Früherkennung von Krebs
18 Fakt: Bei Diagnose durch Screening überleben mehr Patienten 5 Jahre als bei Diagnose durch Symptome. Beweis dafür, dass Screening leben rettet? Wegwarth et al % stimmt 49% stimmt nicht
19 Beweis dafür, dass Screening leben rettet? Bei Diagnose durch Screening überleben mehr Patienten 5 Jahre als bei Diagnose durch Symptome. 47% stimmt 49% stimmt nicht klklkklkl klklkkkk lklklklklk lklklklklk lkklklklkl klklkllklk llklklklkl kkl klklkklkl klklkkkk lklklklklk lklklklklk lkklklklkl klklkllklk llklklklkl kkl
20 Fakt: In einer Population werden mit Screening mehr Krebsfälle gefunden als ohne Beweis dafür, dass Screening leben rettet? Wegwarth et al. Ann Int Med % stimmt 23% stimmt nicht
21 Schilddrüsenkrebs in Südkorea Ahn et al. NEJM 2014 papilläres Karzinom Mortalität
22 Arzt-Patient-Kommunikation Beratungssituation 20 deutsche Gynäkologen Kerninformationen für Brustkrebsfrüherkennung 55-jährige Frau 1. Risiko für das Vorliegen der Krebserkrankung (Prävalenz). keine richtige Nennung 2. Nutzen der Früherkennung dieser Krebserkrankung. zumeist relative Risikoreduktion 3. Risiken der Früherkennung. Strahlenbelastung, falsch positive Ergebnisse, keine Nennung der Überdiagnose è desaströs, Reaktion der Verantwortlichen? Wegwarth und Gigerenzer 2011
23 Brustkrebs-Screening: Wie viele teilnehmende Frauen sterben weniger an Brustkrebs als nicht Teilnehmende? Gigerenzer et al Rosenbaum NEJM 2014
24 relative Risikoreduktion relativ / absolut randomisierte kontrollierten Studie vs. Beobachtungsstudien Surrogatparameter
25
26 Zu viel und zu wenig Medizin Arzt und Patient
27 Zu viel Medizin durch fordernde Patienten? Ärzte, USA: verantwortlich für hohe Kosten: die Anderen Rechtsanwälte, Krankenversicherungsunternehmen, Krankenhäuser, Patienten Tilburt et al. JAMA 2013 (Krebs-)Patienten fragen eher selten nach bestimmter Diagnostik / Therapie, wenn dann meist vernünftig Gogineni et al. JAMA Oncol 2015
28 Informiertheit von Patienten Patienten mit metastasiertem Lungenkrebs / Darmkrebs 69% der Patienten mit Lungenkrebs 81% der Patienten mit Darmkrebs falsche Annahme: Heilung durch Chemotherapie möglich Weeks et al. NEJM 2012 è Entscheidungen sollen auf den tatsächlichen Werten und Präferenzen beruhen, nicht auf Angst
29 2014 Decision aids verbessern Wissen/Beteiligung/Präferenzklärung/ realistische Wahrnehmung der Behandlungsergebnisse Arzt-Patient-Kommunikation/Zufriedenheit mit dem Entscheidungsprozess vermindern Inanspruchnahme einiger chirurgischer Eingriffe/einiger Früherkennungsuntersuchungen wirken nicht negativ auf die Gesundheitsergebnisse Daten aus 115 RCTs/46 Entscheidungssituationen/ Patienten
30 Warum zu viel und zu wenig Medizin? Kultur / Denkweisen
31 Herausforderung: Denkweisen in der Medizin Mehr ist besser Neu ist besser / Innovation Früher ist besser Teurer ist besser Behandeln ist besser als nicht behandeln Technologie ist gut Fokussierung auf Biologie... Klemperer è intuitive Annahmen, Überschätzung des Nutzens / Unterschätzung der è kognitiver Bias
32 Zu viel und zu wenig Medizin System
33 Krankenhaus-Bettendichte je Einwohner in ausgewählten OECD-Ländern 2011 SVR Gesundheit 2014 S. 410 Japan 13,4 Deutschland 8,3 Niederlande 4,7 USA 3,1 Kanada 2,8 Klemperer
34 Hospital discharges per 1000 population, 2010 (or latest year available)
35 Hospital discharges per 1000 population, 2010 (or latest year available) OECD Managing Hospital Volumes: Germany and Experiences from OECD Countries.
36 Befragung 2013/2014 überflüssige Leistungen 39% der Chefärzte: ökonomische Gründe führen tendenziell zu nicht-erforderlichen Eingriffen; gehäuft: Chefärzte Kardiologie und Unfallchirurgie/ Orthopädie Unterversorgung 21% der Chefärzte: enthalte mindestens einmal im Monat einem Patienten eine nützliche Behandlung vor oder ersetze sie durch eine billigere Reifferscheid A, Pomorin N, Wasem J: Umgang mit Mittelknappheit im Krankenhaus Rationierung und Überversorgung medizinischer Leistungen im Krankenhaus? Duisburg: Lehrstuhl für Medizinmanagement Universität Duisburg Essen Klemperer
37 Zu viel und zu wenig Medizin Disease mongering / Medikalisierung
38 Medikalisierung Problem als Krankheit oder Störung definieren, Lösung medizinisch Conrad 2005 Disease mongering Krankheit verkaufen, Krankheitsgrenzen ausweiten, neue Krankheiten erfinden Payer 1992, Moynihan et al informelle Allianz Industrie/Ärzte, Meinungsführer/Patienten Beispiel Hypoactive Sexual Desire Disorder (HSDD) FDA Advisory Committee Recommends Approval for ADDYI (flibanserin) Pfizer Viagra Durchblutungsstörung Procter&Gamble Testosteronpflaster Hormonmangel Moynihan 2010
39 Changing the rules Krankheiten neu definieren Fettstoffwechselstörung Cholesterin 240mg/dl mg/dl plus / 86% Schwartz, Woloshin 1999 Nüchternblutzucker mg/dl 126 statt 140 è neue Fälle 1,7 Mio. Blutdruck mmhg syst 140 statt 160 bzw. diast. 90 statt 100 è neue Fälle 13 Mio. Übergewicht BMI 25 statt 27 è neue Fälle 29 Mio.
40 Klemperer
41 Zu viel und zu wenig Medizin Das richtige Maß finden
42 Underuse Levinson et al. 2015
43 Gesundheitsproblem nach Mulley et al. 2012, S.17 Option A Option B Morbidität A Lebensqualität A Mortalität A Morbidität B Lebensqualität B Mortalität B Präferenz Klemperer
44 Elwyn 2013 Shared Decision Making individuelle / persönliche Nutzen-Schaden-Bilanz
45
46
47 Think you need antibiotics? Let s think again. Think you need an X-ray or MRI? Let s think again. A healthy conversation about medical tests, treatments and procedures. Talk with your doctor or visit A healthy conversation about medical tests, treatments and procedures. Talk with your doctor or visit
48 pressemitteilungen/2015/ index_13729.html AOK- Bundesverband
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50 Right Care Alliance JAMA Internal Medicine
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52 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Was meinen Sie?
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