Stationäres Behandlungskonzept bei Zwangsstörungen 7. Bad Arolser Psychosomatik-Symposium
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- David Hafner
- vor 7 Jahren
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1 Stationäres Behandlungskonzept bei Zwangsstörungen 7. Bad Arolser Psychosomatik-Symposium , Dr. Jan-Michael Dierk
2 Agenda Stationäre Voraussetzungen? Einweisung in ein psychosomatisches Akutkrankenhaus Aufbau der Stationsteams Welche Behandlungselemente bieten wir stationär an? Gruppenpsychotherapie (strukturiertes Konzept) Einzelpsychotherapie Inhalte: Expositionen und (Meta-)kognitive Therapie Medikamentöse Behandlung Weitere Behandlungselemente Seite 2
3 Stationäre Voraussetzungen Zuweisung: ICD10 F42.0, F42.1, F42.2 Ambulante Psychotherapie nicht ausreichend (oder absehbar kein Therapieplatz erreichbar) Einweisung in der Regel durch Facharzt Da bei Zwangserkrankungen oft intensive Therapiephasen mit therapeutenbegleiteten Expositionsübungen über mehrere Stunden und oft an aufeinanderfolgenden Tagen sinnvoll sind, ist häufig eine stationäre psychotherapeutische Behandlung notwendig. (Voderholzer & Hohagen, 2011) Seite 3
4 Stationäre Voraussetzungen Interdisziplinäre Stationsteams: 3-4 Dipl.-Psych. bzw. Psych. PsychotherapeutInnen 1 Stationsärztin/arzt 2 CotherapeutInnen 24 Pat. pro Station. Schwerpunkt Zwang: Station 8 Sozialberatung Fachtherapien: Physiotherapie, Sport- und Bewegungstherapie, Achtsamkeit, Kunst- und Musiktherapie, u.a. Seite 4
5 Wie kann man Zwänge behandeln? Therapieprogramm Gruppe IG Zwang, Schön Klinik Bad Arolsen Psychoedukation Schwerpunktthemen (5x100 ): 1. Sitzung: Zwangssymptome und Diagnose 2. Sitzung: a) Erklärungsmodelle der Zwangsstörung, Funktionalität b) Medikamentöse Behandlung 3. Sitzung: Therapierational Exposition mit Reaktionsmanagement 4. Sitzung: Kognitive bzw. metakognitive Interventionen 5. Sitzung: Aufrechterhaltung des Therapieerfolgs, Rückfallprophylaxe Seite 5
6 Wie kann man Zwänge behandeln? 1. Sitzung: Zwangssymptome und Diagnose Kennenlernen & Gruppenregeln Austausch über die Zwangssymptomatik Kriterien einer Zwangsstörung nach ICD-10 (Infoblätter) Typische Inhalte, Zwangsgedanken und Zwangshandlungen Abgrenzung zur zwanghaften Persönlichkeitsstörung Selbstbeobachtungsbogen, u.a.m. Seite 6
7 Wie kann man Zwänge behandeln? 2. Sitzung: Erklärungsmodelle der Zwangsstörung Prädisponierende, auslösende & aufrechterhaltende Faktoren Einführung des Begriffes Funktionalität (Arbeitsblatt) Informationen zu medikamentöser Behandlung Seite 7
8 Wie entstehen Zwänge? (IG Zwang, 2. Sitzung) Einflussfaktoren auf die Entstehung der Zwangsstörung Entstehung einer Zwangsstörung Quelle: Terbrack / Hornung: Psychoedukation Zwangsstörungen. 2004, Elsevier GmbH, München, Urban & Fischer Verlag, U. Terback, DRK-Krankenanstalten Wesermünde; W. P. Hornung, Rheinische Klinik Bonn Seite 8
9 Vereinfachtes Erklärungsmodell für Zwangssymptome Quelle: Terbrack / Hornung: Psychoedukation Zwangsstörungen. 2004, Elsevier GmbH, München, Urban & Fischer Verlag, U. Terback, DRK-Krankenanstalten Wesermünde; W. P. Hornung, Rheinische Klinik Bonn Seite 9
10 Kognitiv-behaviorales Modell der Zwangsstörung Quelle: Terbrack / Hornung: Psychoedukation Zwangsstörungen. 2004, Elsevier GmbH, München, Urban & Fischer Verlag, U. Terback, DRK-Krankenanstalten Wesermünde; W. P. Hornung, Rheinische Klinik Bonn Seite 10
11 Selbstbeobachtungsbogen der Teilnehmer - Beispiel für Verhaltensanalyse Auslösende Bedingungen Was denke ich? Was fühle ich? Körperliche Reaktionen Welchen Zwang führe ich aus? Konsequenzen (Situationen, in denen meine Zwänge auftreten (Gedanken) (Gefühle) (Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen) (kurzfristig positiv, langfristig negativ) Verschmutzung und Unordnung im Haus Schmutz ist ekelhaft! Aggressive Gefühle, Einsamkeit, Angst Unruhe, Anspannung, Herzklopfen, Zittern, Schwitzen Exzessives Putzen und Ordnen Kurzfristig positiv: Nachlassen der Erregung. Langfristig negativ: Immer wieder putzen müssen Seite 11
12 Funktionalität von Zwängen Zwänge als Gefühlsmanagement Angst-Reduktions-Funktion Negative Gefühle wegzwängeln / vermeiden: Ärger-Aggression, Schuld, Frustration,.. Kompensation / verbergen sozialer Defizite Langeweile/ Leere bekämpfen: Zwänge geben Struktur, scheinbare Kontrolle Zwänge in Beziehungen zu anderen Menschen Krankheitsgewinn: andere sorgen sich und nehmen Rücksicht Einfluss haben: Familie/ Partner müssen sich dem Zwangssystem unterordnen Kurzfristige Bewunderung (besonders verantwortungsbewusst, denkt viel nach,..) Protestreaktion (Zwänge binden Aggression) gegen Feindseligkeit, Gleichgültigkeit, Ehekrise, u.ä. - Zwänge als Problemlösestrategie, um mit Reaktionen anderer umgehen zu können Seite 12
13 Funktionalität von Zwängen Beispiel Patient Pro Zwänge: Reduktion von Lebensängsten Loswerden von Ärger und Aggression Schutz vor Überforderung Beschäftigung; ansonsten sinnleerer Alltag Contra Zwänge: Arbeitsunfähigkeit Verlust von Kontakten, bis hin zu sozialer Isolation Schamgefühle Beeinträchtigung im Familienleben Zeitraubend Aufgabe von Freizeitaktivitäten Seite 13
14 Biolog. Einflüsse: Wirkungsweise der Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer Quelle: Terbrack / Hornung: Psychoedukation Zwangsstörungen. 2004, Elsevier GmbH, München, Urban & Fischer Verlag, U. Terback, DRK-Krankenanstalten Wesermünde; W. P. Hornung, Rheinische Klinik Bonn Seite 14
15 Wie kann man Zwänge behandeln? Medikamentöse Behandlung Weitgehend nur eine klinische Besserung bei SRIs Wirklatenz bis zum Eintreten einer klinischen Veränderung teilweise bis zu acht Wochen Erfolgsrate von 60-80% (verglichen mit Placebobehandlung) Grad der Symptomreduktion: durchschnittlich 50% Wenn trotz ausreichend hoher Dosierung und nach mind. 12 Wochen kein Effekt Wechsel auf anderes SRI / Kombination SSRI mit Clomipramin möglich Bei sehr schweren chronisch verlaufenden Zwangsstörungen, die weder damit noch durch Psychotherapie behandelbar erscheinen: Atypische Antipsychotika (off-label-use) Seite 15
16 Wie kann man Zwänge behandeln? 3. Sitzung: Therapierational Exposition mit Reaktionsmanagement Nachbesprechung Funktionalität Erläuterung des Behandlungsrationals Exposition Erfahrungen der Pat., Vorwissen? Hierarchisierung zwangsrelevanter Reize (0-100%) Individuelle Zwangshierarchie, Planung von Übungen Seite 16
17 Wie kann man Zwänge behandeln? (IG Zwang, 3. Sitzung) Psychotherapeutische Behandlung Arbeitsblätter Funktionalität : individualisierte Behandlung ( welche Therapieziele will ich erreichen / was muss ich im einzelnen verändern wie sähe denn mein Leben aus, wenn die Zwänge weg wären? ) Kognitive Verhaltenstherapie mit Exposition und Reaktionsmanagement ist das Verfahren, dessen klinische Wirksamkeit in randomisierten, kontrollierten Studien nachgewiesen werden konnte -> Therapie der 1. Wahl Hinweise auf die Wirksamkeit von Dritte-Welle-Verfahren (z.b. ACT) als Ergänzung zur KVT Seite 17
18 Wie kann man Zwänge behandeln? Vorbereitung Exposition Bsp. Hierarchie Situationen, die Unruhe / Angst bzw. Drang zum Zwangsverhalten auslösen (Beispiele): Bereich Waschzwänge Grad der Angst Gegenstände, die andere angefasst haben (könnten) 10% Vor Ankündigung von Besuch in der eigenen Wohnung 25% Schuhe anprobieren / einkaufen 40% Unter Büschen durchgehen (mit Berührung) 50% Geld in die Hand gelegt bekommen oder vom Tresen nehmen 60% Gegenstände anfassen, die auf dem Boden liegen 80% Fremde Toiletten benutzen 90% Lose Ware kaufen (Fleischertheke) 100% Bereich Kontrollzwänge Grad der Angst Wohnung verlassen und Haustür abschließen 20% Briefe ohne Kontrolle verschicken 40% Auto verlassen und schließen 50% Herd unkontrolliert lassen und Wohnung verlassen 65% Seite 18
19 Wie kann man Zwänge behandeln? Aufdringlicher Gedanke Bedeutung Unbehagen Reaktionsmanagement (kein Zwangsritual) Graduierte Exposition mit Reaktionsmanagement Seite 19
20 Angstkurve und Angstplateau Quelle: Terbrack / Hornung: Psychoedukation Zwangsstörungen. 2004, Elsevier GmbH, München, Urban & Fischer Verlag, U. Terback, DRK-Krankenanstalten Wesermünde; W. P. Hornung, Rheinische Klinik Bonn Seite 20
21 Wie kann man Zwänge behandeln? Expositionsübungen In vivo : angstauslösende Situation aufsuchen Erfahrung, auch ohne Zwangsrituale eine Spannungsreduktion zu erreichen Direkte Symptomreduktion Realistischere Wahrnehmung der auslösenden Reize In sensu : Vorstellungsübungen: z.b. Angst vor Verschmutzung, insbesondere auf der Straße (Angst, mit dem Auto ein Tier zu überfahren) Seite 21
22 Wie kann man Zwänge behandeln? Expositionsübungen Tonband übung eines schwerwiegenden Zwangsgedankens: Genauer Bericht über das angsterzeugende Thema Detaillierter Wortlaut, Bilder, Reaktionen, Emotionen Bericht laut vorlesen (Tonfall, Tempo) Geschichte / Gedanken aufzeichnen und täglich mehrmals anhören Dabei ein hohes Maß an Angst zulassen Expositionsübungen im häuslichen Umfeld: therapeutisch indizierte Heimfahrt Seite 22
23 Wie kann man Zwänge behandeln? 4. Sitzung: Kognitive Interventionen Vermittlung kognitiver Techniken Was sind Metakognitionen? Weitere Interventionserfordernisse, individuelle Ziele Seite 23
24 Wie kann man Zwänge behandeln? Kognitive Techniken Entkatastrophisierung & Realitätskontrolle: Wahrscheinlichkeitseinschätzungen, irrationale Befürchtungen Eigene Verantwortung realistischer einschätzen Lernen, dass jede Aktivität geringgradig gefährlich sein kann (nie100% sicher) Umgang mit Intrusionen : die Zwangsgedanken an sich sind nicht das Problem. Unsere Gehirne produzieren ständig Gedanken und Vorstellungen auch Gedanken, die wir mglw. ablehnen: Ich habe mir wer weiß was geholt, als ich diese schmierige Türklinke angefasst habe. Jesus sieht aus wie ein Penner. Ich könnte den Mann da vorne fragen, ob er mit mir ins Bett gehen will. Versuch zu unterdrücken, führt dazu, dass sie immer häufiger auftreten. Man bekommt das, was man nicht will (Wengenroth, 2013, S. 281) Seite 24
25 Metakognitive Therapie bei Zwängen Unterschied zur kognitiven VT? KVT Kritische Überprüfung der Überzeugungen in Bezug auf z.b. Kontamination, Verantwortungsbewusstsein, Durchführung von Expos mit Reaktionsverhinderung Metakognitive Therapie: Kritische Überprüfung der Gedanken des Pat. in Bezug auf die Bedeutung von Intrusionen ( Wenn Sie glauben kontaminiert zu sein, bedeutet das dann, dass es wirklich so ist? ) Veränderung der Beziehung des Pat. zu seinen z.b. Kontaminationsgedanken Durchführung von Verhaltensexperimenten Seite 25
26 Metakognitive Überzeugungen I / II In Bezug auf Gedanken / Intrusionen Gedanken-Ereignis-Fusion : z.b. Vorstellung des Unfalls eines Familienmitglieds und glauben, dass der Unfall nun mit hoher Wahrscheinlichkeit passiert. Gedanken-Handlung-Fusion : z.b. glauben, dass der Gedanke jemd. niederzustechen die Macht hat, zu einer unkontrollierbaren Handlung zu verleiten. Gedanken-Objekt-Fusion : Objekte können verdorben werden, z.b. während des Fönens an pädophile Handlungen denken schließlich Befürchtung, durch Benutzung des Föns zu einem Pädophilen zu werden. Seite 26
27 Metakognitive Überzeugungen II / II In Bezug auf Rituale Ich muss den Herd überprüfen, sonst werde ich dauernd unruhig sein. Nur wenn ich meine emotionalen und gedanklichen Abläufe genau kontrolliere, bin ich auf der sicheren Seite. Hier werden also innere Signale als Stoppsignale für Rituale verwendet (z.b. Zweifel verschwunden / keine intrusiven Gedanken seit fünf Minuten / Anspannung weg) anstelle objektiver Anhaltspunkte: Wie kann ein Mensch wissen, ob er seine Hände richtig gewaschen hat, wenn Keime unsichtbar sind? (Wells, 2011) Seite 27
28 Metakognitionen Zusf.: Wenn ich etwas denke, wird es passieren! Wenn ich etwas denke, werde ich es auch tun! Wenn ich meine Rituale ausführe, bin ich sicher! Was dürfen und können Gedanken, und was nicht? Denkverzerrungen aufdecken und entschärfen (Moritz & Hauschildt, 2011): - Schlechte Gedanken sind nicht normal / müssen unterdrückt werden? - Die Gedanken müssen dem eigenen Willen gehorchen? - Schlimme Gedanken führen zu schlimmen Taten? - Ich bin für alles und jeden verantwortlich? ( etc.) Seite 28
29 Aufdringlicher Gedanke Da vorne lag gestern ein verschimmeltes Stück Brot, und jetzt habe ich den Boden auf der Stelle betreten! Metakognition 1 Wenn ich denke, der Boden ist verseucht, dann ist der Boden verseucht. Beurteilung des aufdringlichen Gedankens Ich verbreite Bakterien mein Kind wird krank werden! Daran wäre ich schuld, das wäre wirklich schlimm, etc. Metakognition 2 Wenn ich alles noch einmal desinfiziere, die Schuhe reinige und die Küche nicht mehr betrete, sind wir sicher. Seite 29
30 Wie kann man Zwänge behandeln? Weitere Interventionen Gruppentherapie sozialer Kompetenz (häufig soz. Unsicherheit / Defizite) Achtsamkeit (Distanz zu Gedanken, Gefühlen,..) Veränderte Tagesstruktur, Aufbau neuer Fähigkeiten und sozialer Kontakte, Suche nach positiven Lebenszielen, u.a.: Einzel-PT, Co-Therapie, Fachtherapien! Behandlung komorbider psychischer Störungen Einbeziehung Angehöriger Überleitung zum Thema Aufrechterhaltung Therapieerfolg Seite 30
31 Wie kann man Zwänge behandeln? 5. Sitzung: Schwerpunkt Rückfallprophylaxe Was könnte Rückfälle auslösen? (andere Struktur als in der Klinik, weniger Unterstützung, keine ambulante PT, Belastungsfaktoren / erlebter Stress, ) Wie kann ich mein Therapieergebnis stabilisieren? (Umgang mit Belastungen, selbstständige Expositionen, Aktivitätenaufbau, soz. Kontakte, ) Arbeitsblatt mein persönlicher Notfallkoffer Verhaltensempfehlungen für Angehörige Seite 31
32 Seite 32
33 Behandlungsergebnisse Schön Klinik Bad Arolsen FOCUS: Klinikliste 2013 ( Top-Krankenhäuser Zwang ) QED ( Quality Empowered by Documentation ) Verwendeter Haupt-Indikator im Bereich Zwangsstörungen: Y-BOCS Effektstärken prä-post (Aufnahme-Entlassung): Jahresauswertung 2012: 1.41 Jahresauswertung 2013: 1.50 Seite 33
34 Literatur Moritz, S. & Hauschildt, M. (2011). Erfolgreich gegen Zwangsstörungen Metakognitives Training. 2. Aufl., Springer. Münchau, N. & Hand, I., Zwangserkrankungen Fragen und Antworten (erhältlich über die Deutsche Gesellschaft Zwangserkrankungen e.v., Terbrack, U. & Hornung, W.P. (2004). Psychoedukation bei Zwangsstörungen. Zwänge überwinden. Elsevier, Urban & Fischer. Voderholzer, U. & Hohagen, F. (2011). Therapie psychischer Erkrankungen: State of the Art 2010/ Aufl. München: Urban & Fischer, Elsevier. Wells, A. (2011). Metakognitive Therapie bei Angststörungen und Depression. Beltz. Wengenroth, M. (2013). Das Leben annehmen so hilft die Akzeptanz- und Commitmenttherapie. 2. Aufl. Bern: Hans Huber. Seite 34
35 Seite 35
1.4 Soziale Defizite Psychosoziale Beeinträchtigung und Lebensqualität 27
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