Erdbeben. Einführung in die Geophysik
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- Waldemar Ursler
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Transkript
1 Erdbeben
2 Überblick Wir hatten über Wellenausbreitung gesprochen Aber noch nicht über die Quelle dieser Wellen 3 Themen: Lokalisierung von Erdbeben (Epizentrum) Bestimmung der Stärke (Magnitude, Intensität) Bestimmung der Bruchfläche (Herdflächenlösung)
3 Lokalisierung Aus P- und S-Ankunftszeiten kann die Entfernung eines Erdbebens ohne Kenntnis der Herdzeit bestimmt werden. Für typische vp=6km/s, vs = vp sqrt(3) gilt für die Entfernung d in km etwa: di =8(t S, i t P, i ) Aus drei Entfernungen kann das Hypozentrum bestimmt werden.
4 Beispiel für Lokalisierung Hypozentrum: Ort des Bruches Epizentrum: Ort an der Oberfläche direkt oberhalb des Hypozentrums
5 Stärke eines Erdbebens Die Stärke eines Erdbebens lässt sich abschätzen aus Direkter Beobachtung (gefühlt: ja/nein?) Reaktion von Gegenständen (Gläserklirren, Pendeln von Lampen, Verrutschen von Möbeln) Schäden an Gebäuden (Risse, Fassadenschäden, Einsturz) Diese Beobachtungen werden in Intensitätsskalen systematisiert
6 Europäische Makroseismische Skala Intensität Definition Beschreibung der maximalen Wirkungen I Nicht fühlbar Nicht fühlbar. II Kaum fühlbar Nur sehr vereinzelt von ruhenden Personen wahrgenommen. III schwach Von wenigen Personen in Gebäuden wahrgenommen. Ruhende Personen fühlen ein leichtes Schwingen oder Erschüttern. Lampen schwingen leicht. IV deutlich Im Freien vereinzelt, in Gebäuden von vielen Personen wahrgenommen. Einige Schlafende erwachen. Geschirr und Fenster klirren, Türen klappern. V stark Im Freien von wenigen, in Gebäuden von den meisten Personen wahrgenommen. Viele Schlafende erwachen. Wenige werden verängstigt. Gebäude werden insgesamt erschüttert. Hängende Gegenstände pendeln stark, kleine Gegenstände werden verschoben. Gelegentlich treten Haarrisse im Verputz auf und in wenigen Fällen Abfall kleiner Putzstücke. VI Leichte Gebäudeschäden Viele Personen erschrecken und flüchten ins Freie. Einige Gegenstände fallen um. An einigen Häusern entstehen leichte Schäden (Risse im Verputz), vornehmlich an Häusern in schlechterem Zustand feine Mauerrisse, Abfallen von Verputz- und Schornsteinteilen. VII Gebäudeschäden Die meisten Personen erschrecken und flüchten ins Freie. Möbel werden verschoben. Gegenstände fallen in großen Mengen aus Regalen. An vielen Häusern solider Bauart treten mäßige Schäden auf (Mauerrisse). Vornehmlich Gebäude in schlechterem Zustand zeigen größere Mauerrisse, vereinzelt Einsturz von Zwischenwänden. VIII schwere Gebäudeschäden Viele Personen verlieren das Gleichgewicht. Selbst schwere Möbel werden verschoben und zum Teil umgeworfen. An vielen Gebäuden einfacher Bausubstanz treten schwere Schäden auf; d. h. Giebelteile und Dachgesimse stürzen ein. Einige Gebäude sehr einfacher Bauart stürzen ein. IX Zerstörend Allgemeine Panik unter den Betroffenen. Sogar gut gebaute gewöhnliche Bauten zeigen schwere Schäden und teilweisen Einsturz tragender Bauteile. Viele schwächere Bauten stürzen ein. X sehr zerstörend Viele gut gebaute Häuser werden zerstört oder erleiden schwere Beschädigungen. XI Verwüstend Die meisten Bauwerke, selbst mit guter erdbebengerechter Konstruktion, werden zerstört. XII Vollständig verwüstend Nahezu alle Konstruktionen werden zerstört. verwüstend
7 Intensitätskarten Aus Augenzeugenberichten Aus Computersimulation
8 Intensitätskarten Intensität wird kartiert anhand von Befragungen, Pressemeldungen, Anrufen, etc. Dies erlaubt auch die Lokalisierung historischer Erdbeben vor Einführung seismischer Netzwerke
9 Historische Seismizität anhand Intensitätskarten (New Madrid) Weit abseits von Plattengrenzen ereigneten sich 1811/12 innert 390 Tagen drei Magnitude 7 Beben am Mississippi 16. Dezember 1811 M Januar 1812 M Februar 1812 M 7.5 Seitdem nicht mehr Augenzeugenberichte erlauben eine Bestimmung der Intensitäten
10 Intensität hängt vom Untergrund ab Beide Beben haben etwa Magnitude 5.7, aber das Virginia-Beben (links) konnte über einen Einführung Geophysik (rechts). Ursache: alter Kruste viel größeren Bereich gespürt werden als dasinindiekalifornien im Osten der USA hat geringere Dämpfung als junger Kontinent im Westen.
11 Intensität vs. Magnitude Die Intensität ist eine lokale Beobachtung eines Erdbebens Sie beschreibt nicht (direkt) das Erdbeben selbst An verschiedenen Orten hat das selbe Erdbeben verschiedene Intensitäten. Die Intensität hängt vom Untergrund ab. Die Magnitude beschreibt die Stärke des Erdbebens selbst.
12 Anforderungen an eine Magnitudenskala Unabhängig von der Entfernung anwendbar Schnell zu bestimmen Für Notmaßnahmen (Abschaltung Gasnetze oder Eisenbahn) Tsunamivorhersage Unabhängig vom Untergrund Unabhängig von der Stärke des Bebens gültig
13 Richterskala (1935) Logarithmische Skala der Erdbebenstärke Bestimmung der Erdbebenstärke anhand Ausschlags eines definierten Seismometertyps, Eigenfrequenz 1 Hz Empirische Entfernungsregel
14 1. Bestimmung der Entfernung aus P- und S-Ankunftszeit 2. Ablesen der Maximalamplitude Einführung die Geophysik 3. inaus Entfernung und Amplitude ergibt sich die Magnitude
15 Die nach oben offene Richterskala Die Richterskala wird heute nicht mehr verwendet! Sättigt bei Magnitude 6 Grund: Stärkere Erdbeben erzeugen relativ weniger kurzperiodische Wellen. Magnituden können negativ sein (nach unten offen) Nachfolger: Lokalmagnitude ml, mit etwa gleichen Werten und Messung bei 1 Hz. Raumwellenmagnitude: mb, mit etwa gleichen Werten, anwendbar auf größere Distanzen
16 Amplitudenspektrum eines Bebens Große Erdbeben strahlen relativ weniger hochfrequente Wellen aus Magnitude großer Beben sollten bei tieferen Frequenzen gemessen werden.
17 Oberflächenwellen-Magnitude MS Für starke Beben: Frequenzabhängige Oberflächenwellen-Magnitude A: Amplitude in Mikrometer T: Periode, bei der A gemessen wurde, in Sekunden Δ: Entfernung zum Beben in Grad M S =log10 A T ( ) max log10 (Δ)+3.5 Nur für flache Beben geeignet
18 Momentenmagnitude MW Definiert über das seismische Moment M0 M 0 =µ D S µ: Schermodul an der Bruchfläche (Pascal) ~ 32 GPa in der Kruste S: Fläche des Bruchs (Quadratmeter) D: mittlere Verschiebung (Meter) 2 M W = ( log 10 M ) 3 Heute die bevorzugte Magnitudenskala Bestimmung des seismischen Moments über das Amplitudenspektrum
19 Amplitudenspektrum eines Bebens Shearer: Introduction to seismology Große Erdbeben strahlen relativ weniger hochfrequente Wellen aus Seismische Moment M0 wird aus Spektrum bei f=0 Hz bestimmt. Dadurch keine Sättigung
20 Verschiedene Magnitudenskalen Tag Region mb MS MW M0 in 1020 Nm 28. Juni 1992 Landers, Kalifornien 6,2 7,6 7, Juni 1994 Bolivien (600km tief!) 6,9-8, Sept Hokkaido 6,9 8,1 8, Aug Indonesien 7,0 7,9 8, Dez Sumatra 6,2 8,5 9, Mai 1960 Chile Shearer: Introduction to seismology
21 Zusammenfassung Magnitudenskalen Lokalwellen-Magnitude mb: Oberflächenwellen-Magnitude MS: Aus Oberflächenwellen schnell zu bestimmen Für flache Beben, bis etwa MS=8 Momentenmagnitude MW: Für alle Stärken und Tiefen geeignet Etwas aufwendiger zu berechnen Es existieren weitere Magnitudenskalen Schnell zu messen Gültig bis etwa mb=6
22 Herdflächenlösung Die Magnitude beschreibt die Stärke eines Erdbebens Ein weiterer Parameter ist die Orientierung der Bruchfläche im Raum Sie wird über die Herdflächenlösung aus der Polarisation seismischer Wellen bestimmt.
23 Orientierung einer Bruchfläche Streichen (Strike) ϕf: Orientierung der Bruchfläche in Bezug auf Nord Fallen (Dip) α: Vertikaler Einfallswinkel der Bruchfläche Slip, Rake λ: Richtung der Bewegung auf der Bruchfläche
24 Abstrahlcharakteristik Bruchfläche mit reiner Blattverschiebung P-Wellen Shearer: Introduction to seismology
25 Abstrahlcharakteristik Bruchfläche mit reiner Blattverschiebung S-Wellen Shearer: Introduction to seismology
26 Herdflächenlösung (Beachball) Betrachte Hypozentrum von unten Plotte Abstrahlwinkel (Austrittswinkel plus Azimuth) jeder gemessenen Phase auf Kugel Färbe positive P-Polarität dunkel, negative hell Finde Beachball, der zu den Punkten passt
27 Beachballs und Tektonik Blattverschiebung Strike-slip fault Transformstörung Aufschiebung Thrust fault Kompression Abschiebung Normal fault Extension
28 Beachballs und Tektonik Herdflächenlösungen erlauben einen schnellen Überblick über die aktuelle tektonische Situation Pazifische Platte geht von lateraler Bewegung bzgl. NA-Platte in Subduktion über
29 Beachballs und Tektonik
30 Tiefherdbeben am Beispiel Tonga Wadati-Benioff-Zone: Hypozentren zeigen die versinkende Platte
31 Zum Double Couple Single Force-Quelle: Kraft in eine Richtung Beispiel: Erdrutsch, Hammerschlag Im Erdinneren nicht möglich (Impulserhaltung) Single Couple Kräftepaar in entgegengesetzte Richtungen Beispiel: expandierender Magmagang In vulkanischer Umgebung möglich
32 Double Couple Doppeltes Kräftepaar aus Expansion in eine Richtung und Kontraktion in entgegengesetzte Nur ein Double-Couple kann Slip auf einer Fault beschreiben! Physikalische Größe: Moment (Kraft mal Hebelarm)
33 Momententensor und Beachballs Der Momententensor ist eine allgemeinere Beschreibung als die Herdflächenlösung! Jeder Herdfläche (Strike, Slip, Dip) entspricht ein Momententensor, aber nicht umgekehrt
34 Momententensor Symmetrischer 3x3-Tensor Mij = Mji: 6 freie Parameter Seismisches Moment kann aus Mij, den Komponenten bestimmt werden: 2 M 0 = ij M ij / 2 Für Erdbeben gilt: M XX + M YY + M ZZ =0 (Keine Volumenänderung)
35 Momententensoren ohne Herdflächenlösung Explosion: Expansion in alle Richtungen Expansion einer Magmakammer Beachball: M XX = M YY =M ZZ 0 M XY = M YZ = M ZX =0 M XX + M YY + M ZZ 0
36 Auftreten von Erdbeben Ursache aller stärkeren Erdbeben (M>5,5) ist Plattentektonik
37 Plattenbewegung und Slip deficit Da die Plattengeschwindigkeiten in menschlichen Maßstäben konstant sind, sind es die Wiederholungsraten von Erdbeben auch? Einführung in die Geophysik
38 Stick-Slip-Modell von Erdbeben Annahme: Eine Masse wird mit Geschwindigkeit v an einer Feder gezogen. Wenn Haftreibung µ2 und Gleitreibung µ1 zeitlich konstant sind, ergibt sich ein regelmäßiges Bewegungsmuster (A) Wenn die Gleitreibung variiert, ist der Gleitweg (slip) nicht vorhersehbar, bestimmt aber die Zeit bis zum nächsten Slip (B) Wenn die Haftreibung variiert, ist die Zeit des nächsten Slip nicht vorhersehbar, aber das Slip deficit ist proportional zur Zeit (C) A B C Shearer: Introduction to seismology
39 Wiederholungsrate Parkfield Die Parkfield-Störung (Kalifornien) hatte von 1850 bis 1960 eine Wiederholungsrate von etwa 30 Jahren Wiederholungsraten lassen sich für die meisten großen Störungen aus historischen Berichten rekonstruieren. Aber: In Parkfield war das letzte Beben 11 Jahre verspätet Shearer: Introduction to seismology
40 Komplikationen bei der Bestimmung von Wiederholungsraten Weder Haftreibung noch Gleitreibung sind zeitlich konstant bzw. über die gesamte Fault konstant. Eindringen von Fluiden Fraktale Oberfläche der Fault Mehrere Faults können interagieren. Die Zuordnung historischer Erdbeben zu einer Fault ist nicht immer möglich.
41 Erdbebenvorhersage Auf großen Zeitskalen sind Erdbeben deterministisch, ein Slip-deficit muss abgebaut werden. Versuche, charakteristische Wiederholungszeiten von einzelnen Faults zu bestimmen, waren mittelmäßig erfolgreich. Die Initiation eines konkreten Bebens scheint größtenteils zufällig zu sein. Die einzige mögliche Vorhersage ist probabilistisch: Mit welcher Wahrscheinlichkeit p findet in den nächste N Jahren ein Beben mit Magnitude > M an diesem Ort statt?
42 Übertretungswahrscheinlichkeit Erdbeben sind, über mehrere Faults betrachtet, Poisson-verteilt.
43 Übertretungswahrscheinlichkeit Erdbeben sind, über mehrere Faults betrachtet, Poissonverteilt. Der Zeitpunkt eines Bebens hängt nicht von dem des vorherigen ab! Für eine Region und eine Intensität I0 kann eine Wiederholungsrate λ definiert werden, in der sich ein Beben mit I>I0 typischerweise wiederholt. Dann ist für einen Zeitraum ΔT die Wahrscheinlichkeit eines Bebens größer I0 gegeben durch: ΔT λ ( ) P ( I > I 0 )Δ T =1 exp
44 Historische Seismizität Aus (historischen) Erdbebenkatalogen kann die Wiederholungsrate λ für eine Region bestimmt werden. Erdbeben in Deutschland (Leydecker, 2002)
45 Erdbebengefährdung In Deutschland: Oberrheingraben Kölner Bucht Schwäbische Alb Vogtland In den Alpen: Tessin Kärnten
46 Seismische Gefährdung Deutschland Gefährdungszonen nach DIN EN Eingeteilt nach p = 10% in 50 Jahren Zone 1: 0,4 m/s2 = 4% g Zone 2: 0,6 m/s2 = 6% g Zone 3: 0,8 m/s2 = 8% g
47 Seismische Gefährdung Indonesien Deutsche Skala
48 Gutenberg-Richter Gesetz Schwache Beben sind häufiger als starke. Das Verhältnis lässt sich durch das Gutenberg-Richter-Gesetz beschreiben: log N =a b M a beschreibt die Seismizität einer Region b beschreibt das Verhältnis zwischen starken und schwachen Beben in einer Region (wichtiger) b 1, sowohl global, als auch regional
49 Magnitude Energie Häufigkeit Zwischen der Magnitude und der abgestrahlten elastischen Energie besteht eine enge empirische Beziehung: log10 E = 1.5 MS Die Magnitude ist also ein logarithmisches Energiemaß. Ein Anstieg der Magnitude um 1 bedeutet einen Energiezuwachs um den Faktor 30.
50 Nachbeben, Omori's law Ein Erdbeben verändert das Spannungsfeld um die Fault. Folge: Nachbeben Die Anzahl von Nachbeben N zur Zeit t nach dem Hauptbeben wird durch Omori's law beschrieben: K N (t )= c+ t Shearer: Introduction to seismology K und c sind empirische Konstanten
51 Schwarmbeben Im Gegensatz dazu haben Schwarmbeben kein Hauptbeben und Nachbeben, sondern zeigen einfach erhöhte Seismizität in einer Region über einen gewissen Zeitraum. Ursachen: Unklar, wahrscheinlich von Fluiden in Bruchzonen EinführungAufstieg in die Geophysik In Deutschland: Vogtland und Hochstaufen
52 Super-Schwarm? Sehr große Erdbeben (M>8.5) scheinen gehäuft aufzutreten. Zusammenhang ist fraglich Trotzdem: Für Seismologen bot das vergangene Jahrzehnt sehr viele Überraschungen Exiting time to be seismologist. T. Lay: The recent surge of great eqs (2014)
53 Vorhang zu und alle Fragen offen? Klausur: 28.5., 90 Minuten Abgabe Berichte: Geophysiker: Seismologievorlesung im 5. Semester Buchempfehlungen:
54 Shearer: Introduction to seismology Gut verständlich Kompetente Einführung in die Mathematik Angenehm zu lesen Thematisch kompakt Pflicht für Seismologen
55 Stein, Wysession: An introduction. Gut verständlich Thematisch umfangreich Verbindung Erdbeben Tektonik Mathematisch weniger stringent Empfehlenswert für Seismologen und interessierte Geologen
Erdbebenzone Oberrheingraben
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