GESCHICHTE DER LATEINISCHEN SPRACHE
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- Viktor Bauer
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1 GESCHICHTE DER LATEINISCHEN SPRACHE Indogermanisch Keltisch Italisch Griechisch Germanisch Slawisch Indoiranisch Latein Romanische Sprachen Prof. Dr. Thorsten Burkard Institut für Klassische Altertumskunde der CAU zu Kiel
2 Literatur zur Vorbereitung auf die Prüfung *** = Grundlage für die Prüfung ** = nützlich für die intensivere Prüfungsvorbereitung * = zur Anschaffung sehr empfohlen 2
3 Literatur zur Vorbereitung auf die Prüfung 1. Zum Indogermanischen und zur Sprachgeschichte im * Deutscher, Guy: Du Jane, ich Goethe. Eine Geschichte der Sprache, München * Deutscher, Guy: Im Spiegel der Sprache. Warum die Welt in anderen Sprachen anders aussieht, München * Haarmann, Harald: Weltgeschichte der Sprachen, München * Haarmann, Harald: Die Indoeuropäer. Herkunft, Sprachen, Kulturen, München
4 Literatur zur Vorbereitung auf die Prüfung 1. Zum Indogermanischen und zur Sprachgeschichte im Kausen, Ernst: Die indogermanischen Sprachen. Von der Vorgeschichte bis zur Gegenwart, Hamburg Meier-Brügger, Michael: Indogermanische Sprachwissenschaft, Berlin Schmitt-Brandt, Robert: Einführung in die Indogermanistik, Tübingen ** Wiese, Harald: Eine Zeitreise zu den Ursprüngen unserer Sprache. Wie die Indogermanistik unsere Wörter erklärt, Berlin
5 Literatur zur Vorbereitung auf die Prüfung 2. Zum Lateinischen Allen, William Sidney: Vox Latina, Cambridge Devoto, Giacomo: Geschichte der Sprache Roms, Heidelberg Kieckers, Ernst: Historische lateinische Grammatik mit Berücksichtigung des Vulgärlateins und der romanischen Sprachen. 1: Lautlehre, 2: Formenlehre, München 1930/1931. Leumann, Manu: Lateinische Laut- und Formenlehre, München *** Liesner, Malte: Arbeitsbuch zur lateinischen historischen Phonologie, Wiesbaden
6 Literatur zur Vorbereitung auf die Prüfung 2. Zum Lateinischen ** Meiser, Gerhard: Historische Laut- und Formenlehre der lateinischen Sprache, Darmstadt Sturtevant, Edgar Howard: The pronunciation of Greek and Latin, Groningen *** Willms, Lothar: Klassische Philologie und Sprachwissenschaft, Göttingen
7 Nennen Sie bitte lateinische Wörter, die mit den folgenden Wörtern verwandt sein könnten haben rauben fließen bitten theos (griech. Gott ) salam (arab. Frieden, als Grußwort verwendet) Horn 7
8 Scheinbare Verwandte habere und haben rapere und rauben fluere und fließen petere und bitten deus und theos salam und salus (nicht verwandte Sprachen, kein Lehnwort) richtig: cornu und Horn 8
9 Überraschende Verwandte (eine winzige Auswahl) (1) Schwestern venire und bequem ferre und Zuber, gebären labor und schlapp, schlaff, Lawine fundere und gießen findere und Biss fingere und Teig radix und Wurzel 9
10 Überraschende Verwandte (eine winzige Auswahl) (2) Mutter und Tochter (Lehnwörter) brevis > briaf > Brief expensa > espensa > spensa > spesa > spisa > Speise feria > fira > Feier 10
11 Überraschende Verwandte (eine winzige Auswahl) (2) Mutter und Tochter (Lehnwörter) febris > fiebar > Fieber poena > pina (altengl. pin > pain) > Pein tegula > zeagal > Ziegel 11
12 Der Paradigmenwechsel ab Die antik-mittelalterliche-frühneuzeitliche (unwissenschaftliche) Etymologie (auch: Volksetymologie) parcus < pararcus < par arcae (arca = Geldkassette) (referiert von Gellius, Noctes Atticae 3,19) verba < aer verberatus (referiert von Quintilian, Institutio oratoria 1,6,34) pituita < petit vitam (referiert von Quintilian, Institutio oratoria 1,6,36) 12
13 Der Paradigmenwechsel ab Die antik-mittelalterliche-frühneuzeitliche (unwissenschaftliche) Etymologie (auch: Volksetymologie) graculus / gragulus < quia gregatim volant (referiert von Quintilian, Institutio oratoria 1,6,37, der das Wort für eine Onomatopoiie hält) Sed cui non post Varronem sit venia? (ibid. 37) M. Terentius Varro ( v. Chr.): Offizier, Politiker, Polyhistor, sprachwissenschaftliches Hauptwerk: De lingua Latina 13
14 Der Paradigmenwechsel ab Die antik-mittelalterliche-frühneuzeitliche (unwissenschaftliche) Etymologie (auch: Volksetymologie) auch heute noch sehr beliebt (sogar im wissenschaftlichen Bereich): Quäntchen < Quantum (richtig: von Quint ) 14
15 Der Paradigmenwechsel ab 1800 Etymologie e contrario: lucus a non lucendo canis a non canendo bellum a nulla re bella miles < non mollis (Servius, Kommentar zur Aeneis 1,22; Isidor, Etymologiae 1,29,3) Eine Fundgrube für diese Etymologien: Robert Maltby: A lexicon of ancient Latin etymologies, Leeds
16 2. Ausnahmslose Lautgesetze, Analogie, Entlehnung Hermann Osthoff / Karl Brugmann (Junggrammatiker): Morphologische Untersuchungen auf dem Gebiete der indogermanischen Sprachen 1, Leipzig 1878, xiii (Vorwort): Aller Lautwandel, soweit er mechanisch vor sich geht, vollzieht sich nach ausnahmslosen Gesetzen, d.h. die Richtung der Lautbewegung ist bei allen Angehörigen einer Sprachgenossenschaft [ ] stets dieselbe, und alle Wörter, in denen der der Lautbewegung unterworfene Laut unter gleichen Verhältnissen erscheint, werden ohne Ausnahme von der Veränderung ergriffen. [im Original Kleinschreibung der Substantive] 16
17 2. Ausnahmslose Lautgesetze, Analogie, Entlehnung Lautgesetz bedeutet: der hinter den Lautgesetzen stehende Mechanismus ist universell Lautgesetze sind nicht universell Lautwandelprozesse verlaufen regelmäßig und nicht beliebig Lautwandelprozesse beginnen und enden 17
18 2. Ausnahmslose Lautgesetze, Analogie, Entlehnung ausnahmslos ist dementsprechend einzuschränken: gilt nur für eine Sprache (genauer: Varietät) gilt nur für einen bestimmten Zeitraum -> ausnahmslos bedeutet nicht universell! Lieblingswort der Junggrammatiker: unmöglich 18
19 2. Ausnahmslose Lautgesetze, Analogie, Entlehnung Beispiele aus der deutschen Sprache: Mittelhochdeutsch: mîn niuwes hûs Neuhochdeutsch: mein neues Haus 19
20 Analogie und Entlehnung Pendant zu den Lautgesetzen ist ein geistiger Sprechmechanismus : Analogie (oder Formassociation) dritte Möglichkeit: Entlehnungen (Lehnwörter) 20
21 Analogie und Entlehnung Beispiele aus dem Deutschen: 1. Analogie ich rufte: Formenbildung in Analogie zu den schwachen Verben 2. Entlehnung schlaff (hochdeutsch) vs. schlapp (Entlehnung aus dem Niederdeutschen) 21
22 Die indogermanische (indoeuropäische) Sprachfamilie Metapher der Sprachfamilie sinnvoll wegen der genetischen Verwandtschaft der Sprachen Sprachfamilie mit den meisten Sprechern (etwa 3 Milliarden) zählt zu den Sprachfamilien mit den meisten Sprachen (mehrere hundert) als einzige Sprachfamilie auf allen Kontinenten vertreten andere Sprachfamilien in Europa (nach Größe geordnet): Afroasiatisch (u.a. Semitisch), Altaisch (u.a. Turksprachen, Mongolisch), Uralisch (u.a. Finnugrisch) 22
23 Die noch lebenden Sprachzweige des Indogermanischen Italisch (Latein > Romanisch) Germanisch Keltisch Slawisch Baltisch Albanisch Griechisch Armenisch Indoiranisch 23
24 Ausgestorbene Sprachen bzw. Zweige (in Auswahl) Italien: Faliskisch Oskisch Italisch Umbrisch Venetisch Messapisch Sikulisch Ligurisch (? eventuell nicht-indogermanisch) 24
25 Ausgestorbene Sprachen bzw. Zweige (in Auswahl) Portugal: Balkan: Anatolisch: Zentralasien: Lusitanisch Illyrisch (? eventuell Vorläuferin des Albanischen) Thrakisch (Dakisch, Getisch, Mösisch) Hethitisch Luwisch Tocharisch 25
26 Verästelung der Zweige (jeweils in Auswahl) Latein (Romanisch) Portugiesisch, Spanisch, Katalanisch Französisch, Okzitanisch Rätoromanisch Italienisch, Sardisch Rumänisch 26
27 Verästelung der Zweige (jeweils in Auswahl) Germanisch Westgermanisch (Deutsch, Jiddisch, Niederdeutsch, Friesisch, Niederländisch, Afrikaans, Englisch) Nordgermanisch (Schwedisch, Norwegisch, Dänisch, Isländisch, Färöisch) Ostgermanisch ( Gotisch) 27
28 Verästelung der Zweige (jeweils in Auswahl) Keltisch Inselkeltisch Goidelisch (Irisch, Schottisch-Gälisch) Britannisch (Walisisch, Bretonisch) Festlandkeltisch ( Gallisch, Keltiberisch, Lepontisch) 28
29 Verästelung der Zweige (jeweils in Auswahl) Slawisch Ostslawisch (Russisch, Weißrussisch, Ukrainisch) Westslawisch (Polnisch, Tschechisch, Slowakisch, Sorbisch) Südslawisch (Slowenisch, Kroatisch, Serbisch, Bulgarisch, Makedonisch) Baltisch Ostbaltisch (Lettisch, Litauisch) Westbaltisch ( Altpreußisch) 29
30 Verästelung der Zweige (jeweils in Auswahl) Indoiranisch Iranisch (Persisch, Kurdisch, Paschtu) Indoarisch ( Sanskrit, Hindi, Urdu, Romani) 30
31 Nicht-indogermanische Sprachen und Sprachfamilien in Europa 1. Lebende Sprachen Finn(o)ugrisch Finnisch Ungarisch Estnisch Baskisch (isolierte Sprache; Spanien und Frankreich) Türkisch (Turksprache) Maltesisch (arabische Sprache) 31
32 Nicht-indogermanische Sprachen und Sprachfamilien in Europa 2. Ausgestorbene Sprachen (vorindogermanische Substrate) Etruskisch (Italien) Sikanisch (Sizilien) Sardisch (Sardinien) Rätisch (Alpenregion) Iberisch (Ostspanien) Aquitanisch (Spanien und Frankreich): eng verwandt mit dem Baskischen 32
33 Vennemanns Hypothese vom vaskonischen Substrat Theo Vennemann: Vaskonisch = Ursprache Europas (Europa Vasconica) > Hans Krahes indogermanisches Alteuropäisch wird Vaskonisch Hauptargument sind Toponymie und Hydronymie: Ahrensfelde < aran (Tal) München < mun (Ufer, Berg [mons!]) + ic (Ort) + a (bestimmter Artikel) Isar < is/iz (Fluss) Eisvogel = Flussvogel 33
34 Vennemanns Hypothese vom vaskonischen Substrat Ausbreitung der Vaskonen seit dem Ende der letzten Eiszeit vor Jahren Stütze für die Hypothese: humangenetische Untersuchungen (insbes. Luigi Luca Cavalli-Sforza) Frühe Form der Hypothese: Wilhelm von Humboldt: Prüfung der Untersuchungen über die Urbewohner Hispaniens vermittelst der Vaskischen Sprache (1821) 34
35 Literatur zu Vennemanns und Krahes Hypothesen 1. Krahe, Hans: Unsere ältesten Flußnamen, Wiesbaden Steinbauer, Dieter H.: Vaskonisch Ursprache Europas?, in: Günter Hauska (Hrsg.): Gene, Sprachen und ihre Evolutionen, Regensburg 2005, Udolph, Jürgen (Hrsg.): Europa Vasconica Europa Semitica? Kritische Beiträge zur Frage nach dem baskischen und semitischen Substrat in Europa, Hamburg Vennemann, Theo: Zur Frage der vorindogermanischen Substrate in Mittel- und Westeuropa, in: Patrizia Noel Aziz Hanna / Theo Vennemann (Hrsg.): Europa Vasconica Europa Semitica, Berlin 2003, Vennemann, Theo: Basken, Semiten, Indogermanen. Urheimatfragen in linguistischer und anthropologischer Sicht, in: Wolfgang Meid (Hrsg.): Sprache und Kultur der Indogermanen, Innsbruck 1998,
36 Encyclopaedia Britannica 36
37 Von der Vielheit zur Einheit: Die Rekonstruktion des Urindogermanischen Hypothese: alle indogermanischen Sprachen stammen von einer gemeinsamen Ursprache ab, dem (Ur-)Indogermanischen oder Protoindoeuropäischen (PIE) Begründungen: auffallende und zahlreiche Gemeinsamkeiten, vor allem im Grundwortschatz (daher Sprachbund unwahrscheinlich) ähnliche Phänomene bei belegten Sprachen (Latein > romanische Sprachen) 37
38 Prinzip der Rekonstruktion und die damit verbundenen Tücken Das Prinzip der Rekonstruktion basiert auf dem Sprachvergleich (komparative Methode) Gedankenexperiment: Latein ist nicht mehr bezeugt, sodass es aus den romanischen Sprachen rekonstruiert werden müsste 38
39 Das Wort für Vater in den romanischen Sprachen: padre padre père pai pèder pere / pare pate patre patri tată (italienisch) (spanisch) (französisch) (portugiesisch) (bolognesisch) (ladinisch) (neapolitanisch) (apulisch) (sizilianisch) (rumänisch) 39
40 Weitere Grenzen der Rekonstruktionsmethode Müsste man das Lateinische aus den romanischen Sprachen rekonstruieren, würde man beispielsweise folgende Phänomene nicht rekonstruieren können: den Ablativ die synthetischen Tempora des Passivs das Supinum den AcI den Ablativus absolutus die Rekonstruktionsmethode funktioniert auf dem Gebiet der Lautlehre, ansonsten ist sie unsicher (Morphologie) oder sehr unsicher (Semantik, Syntax) 40
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