Beziehungen zwischen Einwanderung, Sicherheit und Kriminalität
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- Heike Mann
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1 Beziehungen zwischen Einwanderung, Sicherheit und Kriminalität Einige, jedoch nicht alle, Immigrantengruppen sind stärker mit Kriminalität belastet Besondere Belastungen sind teilweise sichtbar bei den Einwanderern der zweiten und dritten Generation Viele Immigranten befinden sich in einer ökonomisch und sozial gesehen prekären Situation Der soziale und ökonomische Wandel der letzten Jahrzehnte hat sich zu Lasten von Immigranten ausgewirkt Das Verschwinden (einfacher) Arbeit hat die Immigrations- und Integrationsbedingungen verändert Neuimmigranten bietet sich häufig nur der Weg in Schattenwirtschaften; der erste Arbeitsmarkt bleibt versperrt Kriminologie I WS Page 1
2 Was hat sich für Immigranten verändert? Rechtlicher Status: vom Arbeitsmigranten zu Asyl, Flüchtlingsstatus und Illegalität Transformation der Arbeitsmärkte führt zu hoher Arbeitslosigkeit und Arbeit in Schattenwirtschaften Immigranten konzentrieren sich in grossstädtischen Gebieten Arbeitsmigranten der 1950er und 1960er Jahre kommen aus ländlichen Gebieten; Migranten der letzten zwei Jahrzehnte kommen aus grosstädtischen Gebieten Immigration führt in Europa zu transnationalen (ethnischen) Gemeinschaften (transnational communities) Beibehaltung von Bindungen an die Herkunftsgesellschaften Doppelte Staatsbürgerschaft Kriminologie I WS Page 2
3 Immigranten (Nichtdeutsche) und ihr Anteil an polizeilich registrierter Kriminalität Tötungsdelikte Vergewaltigung Raub Schwerer Diebstahl Drogendelikte Betrug Insgesamt Quelle: Polizeiliche Kriminalstatistik 2010 Kriminologie I WS Page 3
4 Immigrantenkriminalität Immigrantenkriminalität ist weitgehend durchschnittliche Kriminalität Ausnahmen Immigrationsbezogene Kriminalität Urkundenfälschung Ausländer-, Asyldelikte Schattenwirtschaftsbezogene Kriminalität Drogenmärkte Rotlicht Höhere Belastung mit Gewaltkriminalität (auch in Dunkelfeldbefragungen bei jungen Männern) Ehre und Gewalt Vergeltende Gewalt Kriminologie I WS Page 4
5 Konsequenzen der Immigrantenkriminalität Hoher Anteil an polizeilich registrierten Tatverdächtigen (22%) Insbesondere in Grossstädten, bei Intensivtätern und bei jungen Menschen (45% der Jugendgruppengewalttäter waren 2006 in Berlin nichtdeutsch oder deutsch bei nichtdeutscher Herkunft) Häufige, teilweise konflikthafte/gewalttätige Konfrontationen mit Polizei Hoher Anteil an Verurteilten (23%) Hoher Anteil an Strafgefangenen (22%) Vergleichsweise geringer Anteil an Maßregelvollzugsinsassen (Schätzungen liegen bei etwa 10%) Neuregelung des Maßregelvollzugsrechts 2006 hatte auch Entlastung durch Vorrang der Abschiebung zum Ziel Kriminologie I WS Page 5
6 Raum und Kriminalität
7 Räumliche Verteilungen Kriminalität ist nicht gleichmäßig verteilt Grossstädte vs. Land Grossstädte (> ) = ca. 18% der Einwohner, aber etwa 35% der registrierten Kriminalität Kleinstädte (40% der Einwohner, aber 20% der Kriminalität) Industriestaaten vs Entwicklungsländer Stadtteile (hot spots) Unterschiede zwischen Grossstädten (beispw. München vs. Hamburg vs. Freiburg 2010) Hamburg: / München: 7.684/ Freiburg: / Kriminologie I WS Page 7
8 Erklärung der Unterschiede und Reaktionen Chicago-Schule der Kriminologie Soziale Desorganisation Häufiger Wechsel der Personen/Haushalte Zusammenbruch informeller Sozialkontrolle Gelegenheitsstrukturen Zero-Tolerance Policing Wehret den Anfängen broken windows Prozess Kriminologie I WS Page 8
9 Literatur Oberwittler, D., Gerstner, D.: Kriminalgeographie Baden- Württembergs ( ). Freiburg r.pdf Kriminologie I WS Page 9
10 Broken Windows Sichtbare Zeichen von Verfall und Verwahrlosung der Wohnumgebung (Incivilities: Graffiti, Müll, benutzte Spritzen etc.) können eine Verstärkung von Unordnung und Kriminalität auslösen Bleibt die Reaktion auf diese Zeichen aus, so wird angenommen, dass dies zur Wahrnehmung (durch Bewohner und potenzielle Straftäter) führt, dass in der betroffenen Gegend soziale Kontrolle fehlt und das Risiko der Begehung von Straftaten gering ist Dies führt zu einem (sozialen) Rückzug der Bewohner und zu einer Schwächung der sozialen Kontrolle Dies zieht Straftäter von außen an (Verlagerung von Devianz) und verstärkt die Devianz vor Ort lebender junger Männer Die Broken Windows Hypothese dient zur Begründung von Null- Toleranz Ansätzen der Polizei (insbesondere New York in den 1990er Jahren) Kriminologie I WS Page 10
11 Eine experimentelle Überprüfung der broken windows These: Experiment 1 Quelle: Keizer, K., Lindenberg, S., Steg, L.: The Spreading of Disorder. Science 322(2008), S Kriminologie I WS Page 11
12 Experiment 2 Kriminologie I WS Page 12
13 Experiment 3 Kriminologie I WS Page 13
14 Ergebnisse Experiment 1: Wegwerfen von Abfall Ordnung 33% Unordnung (Graffiti) 69% Experiment 2: Durchgangsverbot Ordnung 27% Unordnung (ordnungswidrig angekettete Fahrräder) 82% Experiment 3: Diebstahl/Unterschlagung Ordnung 13% Unordnung (Graffiti, Müll) 27% Kriminologie I WS Page 14
15 Literatur Broken Windows Keizer, K., Lindenberg, S., Steg, L.: The Spreading of Disorder. Science 322(2008), S Gau, J.M., Pratt, T.C.: Broken Windows or Window Dressing? Citizens (In) Ability to Tell the Difference Between Disorder and Crime. Criminology & Public Policy 7(2008), S Kelling, G.L., Wilson, J.Q.: Broken Windows. The Atlantic Rosenfeld, R., Fornango, R., Rengifo, A.F.: The Impact of Order- Maintenance Policing on New York City Homicide and Robbery Rates: Criminology 45(2007), S Hirtenlehner, H.: Unwirtlichkeit, Unterstützungserwartungen, Risikoantizipation und Kriminalitätsfurcht. Monatsschrift für Kriminologie 91(2008), S Kriminologie I WS Page 15
16 Die Aussagekraft der Polizeilichen Kriminalstatistik
17 Was wird durch Polizeiliche Kriminalstatistiken gemessen? Anzeigebereitschaft (Opfer ist gate keeper ) Determinanten» Deliktsschwere, ethnische Zugehörigkeit, Illegalität (beisp. Illegale Immigranten, Drogenmärkte)» Direkt beeinflussbar durch gesetzliche, vertragliche Verpflichtungen (Geldwäsche, Versicherungen) Kontrollintensität im Falle opferloser Delikte proaktive Polizei (V-Leute, under cover policing, TÜ etc.) abhängig von Investitionen in Polizei und Verfahrensrecht Kriminologie I WS Page 17
18 Selbstjustiz /Informelle Erledigung von Straftaten Selbständige Erledigung von Kriminalität beispw. durch Betriebsjustiz Öffentliche Verkehrsbetriebe (Erhöhter Fahrpreis) Familie Nachbarschaft Kriminologie I WS Page 18
19 Konsequenzen Dunkelfeld der Kriminalität Gesetz der konstanten Verhältnisse? Alternative Messinstrumente Selbstberichtsbefragungen (Self reported delinquency SRD) Opferbefragungen Kriminologie I WS Page 19
20 SRD Fragen Die meisten Menschen tun in ihrem Leben manchmal Dinge, die verboten sind, z.b. ohne Fahrkarte im Bus fahren oder etwas stehlen. Wir möchten gerne von Dir wissen, ob Du auch schon einmal etwas Verbotenes getan hast. Ich habe schon einmal einen ganzen Tag oder mehrere Tage die Schule geschwänzt in einem Geschäft etwas gestohlen jemanden so geschlagen, dass er/sie verletzt war oder blutete Kriminologie I WS Page 20
21 Freiburger SRD Studie forschung/online publications and resources Oberwittler u.a.: Soziale Lebenslagen und Delinquenz von Jugendlichen Kriminologie I WS Page 21
22 Freiburger SRD Studie Kriminologie I WS Page 22
23 Freiburger SRD Studie Kriminologie I WS Page 23
24 Freiburger SRD Studie Kriminologie I WS Page 24
25 Freiburger SRD Studie Kriminologie I WS Page 25
26 Freiburger SRD Studie Kriminologie I WS Page 26
27 Freiburger SRD Studie Kriminologie I WS Page 27
28 Freiburger SRD Studie Kriminologie I WS Page 28
29 Selbstberichtsuntersuchungen Beziehen sich ganz überwiegend Auf junge Menschen Werden häufig als Schuluntersuchungen durchgeführt (Klassenbefragungen) Basieren auf retrospektiven Fragen Haben Sie, Wie oft haben Sie in den letzten 12 Monaten.? Kriminologie I WS Page 29
30 Probleme retrospektiver Befragung Erinnerung Vergessen Fehlerhafte Platzierung Falsche Erinnerung der Häufigkeit Verdrängung/Beschönigung Von erheblicher Relevanz für die Erinnerung Die jeweilige Bedeutung des Ereignisses Kriminologie I WS Page 30
31 Befunde aus Selbstberichtsforschungen Kriminalität ist (bei Kindern und Jugendlichen) weit verbreitet (Ubiquitätsthese; Normalitätsthese) Diversion (Jugendstrafrecht) Die weite Verbreitung von Kriminalitätsbegehung ist beschränkt auf triviale Delikte (Schwarzfahren, kleine Diebstähle, Sachbeschädigung) Nahezu alle Jugendliche begehen irgendwann einmal eine geringfügige Straftat Für die meisten jungen Menschen bleibt es bei einer oder einer gelegentlichen kleinen Straftat Maturing out (Reifungsprozesse) Kriminologie I WS Page 31
32 Befunde Schwere Kriminalitätsbegehung sowie wiederholte und mehrfache Deliktsbegehung sind selten. Unterschiede zwischen den Geschlechtern bleiben bestehen, wenn schwere Straftaten und wiederholte Deliktsbegehung einbezogen werden (und auf triviale Delikte verzichtet wird). Kriminologie I WS Page 32
33 Befunde Das Dunkelfeld ist offensichtlich bei leichten Delikten stärker ausgeprägt als bei schweren Delikten. Die Ergebnisse aus Täterbefragungen lassen sich im Bereich von schwerer Kriminalität mit denen der Kriminalstatistik zur Deckung bringen. Kriminologie I WS Page 33
34 Befunde Eine strikte Trennung zwischen Tätern und Nichttätern Tätern und Opfern kann nicht durchgeführt werden Kriminologie I WS Page 34
35 Opferbefragungen Fragestellungen Selbst erlittene Kriminalität Einstellungen insb. Kriminalitätsfurcht Kriminologie I WS Page 35
36 Opferbefragungen Vorteile weniger sensible Fragen für die Befragten Nachteile» Ausnahme: Betrug, sexuelle Gewalt nur Deliktsbereiche mit individuellen Opfern Kriminologie I WS Page 36
37 Freiburger SRD Studie Kriminologie I WS Page 37
38 Freiburger SRD Studie Kriminologie I WS Page 38
39 Deutschland: Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht Kriminologie I WS Page 39
40 Deutschland: Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht Kriminologie I WS Page 40
41 Deutschland: Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht Kriminologie I WS Page 41
42 Deutschland: Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht Kriminologie I WS Page 42
43 International Crime Victims Survey (ICVS 2000) Kriminologie I WS Page 43
44 International Crime Victims Survey (ICVS 2000) Kriminologie I WS Page 44
45 International Crime Victims Survey (ICVS 2000) Kriminologie I WS Page 45
46 Opferraten und Kriminalitätsfurcht 2005 (EU-Survey) Irland England/Wales Estland Niederlande Dänemark Belgien Schweden Polen EU Durchschnitt Deutschland Finnland Italien Griechenland Österreich Frankreich Portugal Ungarn Spanien % Unsicherheitsgefühle % Opfer von Straftaten in den letzten 12 Monaten Kriminologie I WS Page 46
47 Die sieben größten Ängste der Deutschen (R & V Versicherung) Kriminalität Terror Einwanderung Lebenshaltung Wirtschaft Kriminologie I WS Page 47
48 Normalität der Kriminalität Kriminalität und ökonomische/kulturelle Leistungen (Rechtswissenschaft, Arbeitsplätze, Versicherungen, Literatur) Kriminalität als Schrittmacher für sozialen Wandel (beispielsweise sexuelle Emanzipation, Gewerkschaften/Arbeiterbewegung) Kriminalität macht Normen erst sichtbar (aus der Abweichung und der Sanktion ergeben sich erst der Inhalt und die Autorität der Norm) Kriminalität als Voraussetzung für Integration einer Gesellschaft (die konformen Gesellschaftsmitglieder solidarisieren sich gegen den Abweichler) Der Verbrecher ist notwendig als Projektionsobjekt für Triebwünsche und dafür, dass dauerhafter Triebverzicht (und damit die Kanalisation der Antriebskräfte in kulturelle Leistungen) ermöglicht wird. Kriminologie I WS Page 48
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