Familienrecht. Verwandtschaft 16. Prof. Dr. Roland Fankhauser, LL.M., Advokat. Juristische Fakultät Universität Basel
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1 Familienrecht Verwandtschaft 16, LL.M., Advokat Juristische Fakultät Universität Basel
2 I. Allgemeines Das Familienrecht regelt in gewissen Bereichen nicht nur die Kernfamilie, sondern auch die sog. Familiengemeinschaft. Art ZGB enthalten diese eher heterogenen Bestimmungen. Modelltyp dieser Bestimmungen war die Grossfamilie, die es heute erst recht nicht mehr gibt. Viele dieser Bestimmungen sind deshalb antiquiert und ohne jegliche Praxisrelevanz. Drei Bereiche werden wegen ihrer erhöhten Praxisrelevanz herausgegriffen: Verwandtenunterstützung, Haftung des Familienhauptes und die Familienstiftung 2
3 II. Verwandtenunterstützungspflicht Art. 328 / 329 ZGB Zweck: Grundgedanke ist die Familiensolidarität innerhalb der Familieneinheit, aber auch Korrelationsüberlegungen zwischen elterlicher Unterhaltspflicht und Verwandtenunterstützungspflicht der Nachkommen (aber auch zur Erbberechtigung, vgl. Art. 329 I ZGB). Anwendungsbeispiele: Notlagen bei pflegebedürftigen Senioren, Scheidungsverarmte, erwachsene Drogensüchtige, ausgesteuerte Langzeitarbeitslose (meist auch durch Refundationsbemühungen der Sozialhilfebehörden initiiert) 3
4 Voraussetzungen: 1. Verwandtschaft in auf- und absteigender Linie (Prinzip der Gegenseitigkeit); seit 2000 keine Geschwisterunterstützungspflicht mehr 2. Notlage des Bedürftigen: Betrifft i.d.r. nur das Lebensnotwendige (Existenzminimum), inkl. ärztliche Betreuung und Unterbringung, eher nicht die Ausbildung oder Schuldentilgung. 4
5 3. Leistungsfähigkeit des Verpflichteten / in günstigen Verhältnissen lebend Dies ist dann der Fall, wenn die Unterstützungsbeiträge ohne wesentliche Beeinträchtigung einer wohlhabenden Lebensführung geleistet werden können. Notfalls auch Vermögensverzehr, solange dies keine langfristige Beeinträchtigung der Lebensführung oder der Altersvorsorge zur Folge hat (steuerbares Einkommen von pro Jahr). 4. Kein Vorliegen von Unbilligkeit (Art. 329 II ZGB), wie z.b. frühere Vernachlässigung der Unterstützungspflicht des Bedürftigen 5
6 5. Subsidiarität = keine vorrangigen ehelichen oder kindesrechtlichen (Art. 328 II ZGB) oder auch verwandtschaftlichen (Art. 329 I ZGB) Unterstützungspflichten 6
7 Vgl. BGE 5A_122/2012 Erw. 2: In günstigen Verhältnissen im Sinn von Art. 328 Abs. 1 ZGB lebt, wer nebst den notwendigen Auslagen (wie Miet-/Hypothekarzins, Wohnnebenkosten, Krankenkassenprämien, Steuern, notwendige Berufsauslagen, Vorsorge- und eventuelle Pflegefallkosten) auch diejenigen Ausgaben tätigen kann, die weder notwendig noch nützlich zu sein brauchen, zur Führung eines gehobenen Lebensstils jedoch anfallen (wie Ausgaben in den Bereichen Reisen, Ferien, Kosmetik, Pflege, Mobilität, Gastronomie, Kultur etc.), d.h. wer aufgrund seiner finanziellen Gesamtsituation ein wohlhabendes Leben führen kann (BGE 136 III 1 E. 4 S. 4 mit Hinweisen). Massgeblich für die Beurteilung dieser Gesamtsituation ist nicht nur das Einkommen, sondern auch das Vermögen. Ein Anspruch auf dessen ungeschmälerte Erhaltung besteht nur dann, wenn die Unterstützung das eigene Auskommen des Pflichtigen schon in naher Zukunft gefährdet (BGE 132 III 97 E. 3.2 S. 105 f.). ( ) 7
8 ( ) Diesbezüglich gilt allerdings der Vorbehalt, dass auch die Bedürfnisse des Pflichtigen im Alter berücksichtigt werden müssen (BGE 132 III 97 E. 3.3 S. 107; vgl. unten E. 3.3). Zu beachten sind ferner die verwandtschaftlichen Beziehungen. Es ist zulässig, bei Verwandtschaft gerader Linie im zweiten Grad (Grosseltern - Enkel) an die Voraussetzungen der Unterstützungspflicht höhere Anforderungen zu stellen als bei der Verwandtschaft ersten Grades zwischen Eltern und ihren Kindern (Urteil 5C.186/2006 vom 21. November 2007 E , in: FamPra.ch 2008 S. 452 und recht 26/2008 S. 159). Insgesamt sind alle sachlich wesentlichen Umstände des konkreten Einzelfalls zu berücksichtigen und eine den besonderen Verhältnissen angepasste Lösung zu finden (BGE 132 III 97 E. 1 S. 99; 136 III 1 E. 4 S. 4). 8
9 SKOS-Richtlinien (Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe) 2015 F. 4 Gemäss Art. 328 Abs. 1 ZGB sind nur diejenigen Verwandten unterstützungspflichtig, die in günstigen Verhältnissen leben. Gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts lebt in günstigen Verhältnissen, wem aufgrund seiner Einkommens- und Vermögenssituation eine wohlhabende Lebensführung möglich ist. Massgebende Bemessungsgrundlage ist das steuerbare Einkommen gemäss Bundessteuer zuzüglich Vermögensverzehr. Die Prüfung der Beitragsfähigkeit sollte deshalb nur erfolgen, wenn die Einkommen der in Privathaushalten lebenden Verwandten über den nachfolgenden Sätzen liegen: Alleinstehende / Verheiratete / Zuschlag für zu unterstützendes Kind
10 III. Haftung des Familienhaupts Art. 333 I ZGB Kausalhaftung mit Entlastungsbeweis 10
11 Schuldner und Gläubiger bei Art. 333 ZGB Familienhaupt: Bezeichnung aus der Zeit des Eherechts vor 1988 Primär die Eltern, wobei diese solidarisch haften. Drittpersonen, soweit die Beaufsichtigung eine gewisse Dauer aufweist (z.b. Ferienaufenthalt bei einer anderen Familie, BGE 79 II 350) auch juristische Personen, falls Träger eines Heims oder dergleichen. Hausgenosse: Haushaltsmitglied (auch von gewisser Dauer) nur Minderjährige, geistig Behinderte, unter umfassender Beistandschaft stehende oder an einer psychischen Störung leidende Personen. 11
12 Schädigung durch unerlaubte Handlung Entlastungsbeweis möglich, sofern der Nachweis erbracht wird, dass die durch die Umstände gebotene und das übliches Mass an Sorgfalt aufgewendet wurde (Kriterien: Gegend und Bevölkerungsgruppe, Gepflogenheiten, Alter des Kindes, Charakter, Reife, besondere Neigungen, Voraussehbarkeit). Vgl. BGE 133 III
13 IV. Familienstiftung Art. 335 ZGB Vermögenswidmung mit durch Familienbande beschränkten Destinatärskreis Nur bestimmte Zwecke zulässig, nämlich nur Unterstützung für besondere Lebenslagen und zur Deckung der daraus resultierenden Bedürfnisse Verbot der reinen Genuss- oder Unterhaltsstiftung (vgl. BGE 93 II 439; 133 III 167) 13
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